JudikaturJustizBsw24208/94

Bsw24208/94 – AUSL EKMR Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 1995

Kopf

Europäische Kommission für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Karlheinz Demel gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 18.10.1995, Bsw. 24208/94.

Spruch

Art. 6 EMRK, Art. 14 EMRK, Art. 2 7. ZP EMRK - Verteidigungsrechte nach Art. 6 EMRK und

Recht auf Überprüfung von Urteilen durch ein übergeordnetes Gericht.

Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. hatte sich bereits zweimal wegen der geheimen Überwachung seines Telefons nach Einleitung eines Strafverfahrens an die Kms. gewandt. Beide Bsw. waren von der Kms. für unzulässig erklärt worden (vgl. EKMR, Bsw. 16410/90, Entsch. v. 31.8.1992 = NL 92/6/02; EKMR, Bsw. 17679/91, Entsch. v. 7.4.1994). 1992 wurde der Bf. wegen Amtsmissbrauchs und falscher Zeugenaussage verurteilt: Er habe in seiner Eigenschaft als Präsident des Arbeitsgerichts seine Sekretärin beauftragt, während der Dienstzeit für seine persönlichen Angelegenheiten Schreibarbeiten zu verrichten; ferner habe er vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in der "Lucona-Sache" falsch ausgesagt. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung blieben erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Zur Verletzung der Verfahrensgarantien nach Art. 6 (1) und(2) bzw. (3) (a), (b) und (d) EMRK:

Die Kms. weist darauf hin, dass die neuerliche Bsw. des Bf. wegen der Überwachung seines Telefons bereits in den oben zitierten Entscheidungen behandelt worden ist. Dieser Teil der Bsw. ist daher wegen res iudicata unzulässig iSv. Art. 27 (1) (b) EMRK.

Der Bf. bringt vor, er sei nicht innerhalb einer angemessenen Frist, sondern erst durch die Anklageschrift über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen in Kenntnis gesetzt worden.

Die Kms. erinnert daran, dass Art. 6 (3) (a) EMRK einer angeklagten Person das Recht einräumt, unverzüglich über Grund und Art der Anklage informiert zu werden. Weiters muss der Angeklagte über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung verfügen (Art. 6 (3) (b) EMRK). Schon während der Vernehmungen und später in der Anklageschrift wurde der Bf. über die ihm zur Last gelegten Delikte genauestens informiert. Dem Anwalt des Bf. war auch in angemessener Frist uneingeschränkte Einsicht in die Prozessakten und in die Anklageschrift gewährt worden, um Vertagung der Verhandlung wurde nicht angesucht. Der Bf. hatte daher ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Verteidigung vorzubereiten.

Der Bf. behauptet weiters eine Verletzung der Unschuldsvermutung durch die Formulierung der Anklageschrift, welche die Schöffen in ihrer Urteilsfindung negativ beeinflusst hätte. Schließlich verweist der Bf. auch auf die ihn benachteiligende Berichterstattung in den Medien.

Die Kms. hält fest, der Bf. rügte keinerlei Befangenheit der Schöffen im Verfahren. Ebenso wenig ging die Anklageschrift über die auch sonst übliche Darstellung der zur Last gelegten Delikte hinaus. Der Bf. konnte ferner nicht darlegen, dass die Berichterstattung in den Medien über jenes Maß hinausging, das eine Anklage gegen eine Person von besonderem öffentlichen Interesse - in ggst. Fall ein Richter - naturgemäß mit sich bringt.

Der Bf. erachtet sich weiters durch die Beweisaufnahme bzw. Beweiswürdigung des Verhandlungsgerichts verletzt: Belastungszeugen seien schon während der Voruntersuchung gehört, hingegen seien die am Ende der Voruntersuchung vom Bf. genannten Zeugen erst in der Hauptverhandlung befragt worden.

Die Kms. führt dazu aus, daß die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten bleibt; dies gilt auch für die Erheblichkeit von Beweismitteln, die der Beschuldigte beantragt hat. Nach Art. 6 (3) (d) EMRK steht es den Gerichten grundsätzlich frei, ob sie es für angebracht halten, Zeugen zu befragen. Keinesfalls ist es erforderlich, alle Entlastungszeugen zu hören (vgl. Urteil Bricmont/B, A/158 § 89 bzw. Urteil Vidal/B, A/235-B § 33 = NL 92/3/07). Aufgabe der Konventionsorgane ist es, festzustellen, ob Beweisaufnahme und Beweiswürdigung vom Gericht in einer Weise vorgenommen wurden, welche das gesamte Strafverfahren als unfair erscheinen lassen. Insb. muss die Beweisaufnahme in Anwesenheit des Beschuldigten in öffentlicher Sitzung ablaufen; diesem muss auch Gelegenheit zu einer Gegendarstellung gegeben werden (vgl. Urteil Asch/A, A/203 § 26-27). Im ggst. Fall konnte der Bf. nicht schlüssig beweisen, dass das gesamte Verfahren unfair abgelaufen wäre, weil Belastungszeugen bereits in der Voruntersuchung gehört worden waren. Der Bf. hatte ausreichend Gelegenheit, alle Zeugen in der Hauptverhandlung zu befragen. Die Kms. kann auch keine besonderen Umstände erkennen, welche den Schluss nahe legen, das Unterlassen der Einvernahme weiterer Zeugen durch das Gericht habe Art. 6 EMRK verletzt.

Schließlich behauptet der Bf., seine Einwände wären vom OGH nicht sorgfältig geprüft worden.

Art. 6 EMRK verpflichtet die nationalen Gerichte, ihre Urteile zu begründen. Dies darf aber nicht als Pflicht zur detaillierten Beantwortung aller vorgebrachten Einwände verstanden werden. Der Umfang der Begründungspflicht hängt vom Gegenstand der Entscheidung ab. Es ist nicht Aufgabe der Konventionsorgane, zu prüfen, ob Einwände in angemessener Weise berücksichtigt worden sind (vgl. Urteil Van de Hurk/NL, A/288 § 61 = NL 94/3/10). Die Beschwerdepunkte haben keine Verletzung der Verteidigungsrechte nach Art. 6 EMRK erkennen lassen. Dieser Teil der Bsw. ist daher als offensichtlich unbegründet iSv. Art. 27 (2) EMRK zurückzuweisen.

Zur Verletzung von Art. 14 EMRK (Verbot der Diskriminierung):

Der Bf. stützt sein Vorbringen auf folgende Behauptung: Das verurteilende Gericht habe den Umstand, dass er als Richter durch sein Verhalten dem Ansehen der Richterschaft geschadet habe als Erschwernisgrund gewertet.

Die Kms. führt dazu aus, dass nicht nur Erschwernisgründe, sondern auch Milderungsgründe - nämlich die Verdienste des Bf. für die Justiz - berücksichtigt worden sind. Eine Verletzung von Art. 14 EMRK liegt nicht vor, dieser Teil der Bsw. ist daher gemäß Art. 27 (2) EMRK zurückzuweisen.

Zur Verletzung von Art. 2 7.ZP EMRK (Recht auf Überprüfung eines Urteils durch ein übergeordnetes Gericht):

Der Bf. rügt die fehlende Möglichkeit einer Schuldberufung zur Überprüfung der Richtigkeit der schulderheblichen Feststellungen des verurteilenden Gerichts.

Die Kms. erinnert daran, dass es im Ermessen der Konventionsstaaten liegt, die Modalitäten für die Erhebung von Rechtsmitteln zu regeln. Die Einschränkung des Rechts auf gerichtliche Nachprüfung durch bestimmte Rechtsmittel - wie hier Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung - entspricht durchaus den typischen Verfahrensregeln von Höchstgerichten, die die Lösung von Rechtsfragen durch das Verhandlungsgericht überprüfen. Die im österr. Recht vorgesehene gerichtliche Nachprüfung genügte somit den Anforderungen des Art. 2 7.ZP EMRK. Auch dieser Teil der Bsw. ist gemäß Art. 27 (2) EMRK zurückzuweisen; die gesamte Bsw. ist daher unzulässig.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung der EKMR vom 18.10.1995, Bsw. 24208/94, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1996,19) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/96_1/Demel.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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