JudikaturJustiz8Bs13/24h

8Bs13/24h – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
14. März 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch den Senatspräsidenten Mag. Ohrnhofer (Vorsitz) und die Richter Mag. Koller und Mag. Petzner, Bakk. in der Strafsache gegen Dr. A* wegen der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 erster Fall, Abs 4 zweiter Satz, erster Fall StGB über die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. September 2023, GZ 26 Hv 62/23y-36, nach der am 14. März 2024 in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag a . Dexer, des Verteidigers Mag. Demel, Rechtsanwalt in Graz, sowie des Privatbeteiligtenvertreters Mag. B* (für C*), jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Berufung wird Dr. A* schuldig erkannt, der Privatbeteiligten C* EUR 1.504,00 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu zahlen. Mit ihren weiteren Ansprüchen wird die Privatbeteiligte C* gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil – das auch einen unbekämpft gebliebenen Teilfreispruch enthält – wurde Dr. A* der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 erster Fall, Abs 4 zweiter Satz erster Fall StGB schuldig erkannt. Sie wurde hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nach dem zweiten Strafsatz des § 88 Abs 4 StGB in Anwendung des § 43a Abs 2 StGB zur Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je EUR 10,00, im Uneinbringlichkeitsfall 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und zur Freiheitsstrafe von vier Monaten, die für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde, verurteilt und gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet.

Ferner wurde sie gemäß § 369 Abs 1 StPO schuldig erkannt, der Privatbeteiligten C* einen Schadenersatzbetrag von EUR 7.520,00 binnen 14 Tagen zu bezahlen. Mit ihren weiteren Ansprüchen wurde sie hingegen gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Dem (unbekämpften) Schuldspruch zufolge hat Dr. A* die nachgenannten Personen durch fehlerhafte Behandlungen grob fahrlässig an der Gesundheit geschädigt, wobei die Taten eine jeweils länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung, somit schwere Körperverletzungen nach § 84 Abs 1 StGB, zur Folge hatten, und zwar

a) zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im Zeitraum Juli 2019 bis zumindest Oktober 2022 in ** C* im Rahmen der Eingliederung eines Kronen-Brückenverbunds im Oberkiefer von Zahn 16 bis 26 und im Unterkiefer von 44 bis 47 sowie 34 mit Anhänger 35 (insgesamt 16 Kronen), wobei die eingegliederten Kronen 34 und 35 (Freiend) auf den inkomplett wurzelbehandelten Restwurzelzahn 34 ohne Stiftaufbau gesetzt wurden, wie auch Wurzelkanalfüllungen nur inkomplett vorgenommen wurden sowie die Konstruktion im linken Unterkiefer ohne Abstützung und Okklusion im Bereich der Molaren 36 und 37 hergestellt wurde und auch keine ordnungsgemäßen, zahnmedizinisch indizierten, notwendigen Korrekturmaßnahmen und keine Sanierung der Entzündungen durchgeführt wurden, wodurch sie Entzündungen und Schmerzen von über 24 Tagen erlitt;

b) zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im Zeitraum 8. November 2021 bis zumindest Herbst 2022 in ** D* im Rahmen der Eingliederung von drei Implantaten im Oberkiefer, wobei das rechte Implantat in Region 17 ohne entsprechenden Knochenaufbau in die Kieferhöhle vorragte und ein weiteres Implantat in Region 15 komplett und ohne Funktion in der rechten Kieferhöhle zu liegen kam, wobei in der Folge auch keine ordnungsgemäße, zahnmedizinisch indizierte, notwendige Sanierung durchgeführt wurde, wodurch er Schmerzen von über 24 Tagen erlitt.

Gegen das Urteil richtet sich – nach Zurückziehung der Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe – die Berufung der Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche (ON 39), mit der sie auf eine Herabsetzung des Zuspruchs auf einen Betrag von EUR 500,00 abzielt und im Wesentlichen vorbringt, dass die Ansprüche der Privatbeteiligten infolge des am 24. August 2021 (Veröffentlichung in der Ediktsdatei) rechtskräftig bestätigten Sanierungsplans der Angeklagten im Insolvenzverfahren AZ 26 S 45/20t des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz mit der Sanierungsplanquote begrenzt seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist zum Teil berechtigt.

Über das Vermögen der Angeklagten wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 6. Juli 2020, 26 S 45/20t, ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet (ON 2 der Bezugsakten). Mit (berichtigtem) Beschluss vom 23. August 2021 wurde der von der Angeklagten angebotene Sanierungsplan mit einer Gesamtquote von 20 % rechtskräftig bestätigt und das Sanierungsverfahren aufgehoben (ON 53 der Bezugsakten).

Gemäß § 156 Abs 1 IO wird der Schuldner durch den rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan von der Verbindlichkeit befreit, seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzten, gleichviel ob sie am Insolvenzverfahren oder an der Abstimmung über den Sanierungsplan teilgenommen oder gegen den Sanierungsplan gestimmt haben oder ob ihnen ein Stimmrecht überhaupt gewährt worden ist. Der Umfang der Befreiung hängt vom Inhalt des Sanierungsplans ab. Der Schuldner muss daher seine Verbindlichkeit nur nach Maßgabe des Inhalts des Sanierungsplans erfüllen (RIS-Justiz RS0065316).

Wird ein Sanierungsplan – wie hier – vor Schluss des erstinstanzlichen Strafverfahrens angenommen und rechtskräftig gerichtlich bestätigt, so kann ohne Vorliegen eines Wiederauflebenstatbestands die im Adhäsionsverfahren geltend gemachte Forderung nur im Umfang der Sanierungsplanquote zuerkannt werden, weil der darüber hinausgehende Mehrbetrag eine unklagbare Naturalobligation ist. Die bloße Möglichkeit, dass es künftig zu einem Wiederaufleben des erlassenen Forderungsteils kommen könnte, hat im Titelverfahren (hier: Adhäsionsverfahren) unberücksichtigt zu bleiben. Der Sanierungsplan ist aber nur über Einwand des Schuldners zu berücksichtigen ( Spenling , WK-StPO Vor §§ 366 bis 379 Rz 81 mwN).

Eine Insolvenzforderung nach § 51 Abs 1 IO liegt vor, wenn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits sämtliche Tatbestandserfordernisse für die Entstehung der Forderung vorhanden sind, mag sie auch noch nicht fällig und vom Eintritt weiterer Bedingungen abhängig sein (RIS-Justiz RS0063809 [T1]). Ein Schadenersatzanspruch ist dann eine Insolvenzforderung, wenn er zur Zeit des Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits zugestanden, also begründet ist. Es kommt lediglich darauf an, ob die schadensverursachenden Tatbestandsmerkmale vor Insolvenzeröffnung gesetzt wurden, der konkrete Schaden muss noch gar nicht entstanden oder gar ziffernmäßig bestimmbar sein ( Engelhart in Konecny § 51 IO Rz 286).

Im gegenständlichen Fall trat das den Schadenersatzanspruch der Privatbeteiligten C* auslösende Ereignis (die Rechtsgutverletzung) bei der von der Angeklagten nicht lege artis durchgeführten zahnärztlichen Behandlung im Juli 2019 ein (US 4), sodass alle daraus resultierenden Ansprüche (hier: frustriertes Zahnarzthonorar und Schmerzengeld) Insolvenzforderungen sind und daher nur im Umfang der Sanierungsplanquote zuerkannt werden können.

Der Schadenersatzanspruch der Privatbeteiligten findet dem Grunde nach im Schuldspruch und in den darauf bezogenen Urteilsannahmen (US 5 und 6) Deckung (RIS-Justiz RS0101311; Spenling , WK-StPO § 366 Rz 14 mwN) und stützt sich auf §§ 1293, 1295 und 1325 ABGB.

Hiervon ausgehend ist der Privatbeteiligten das – von der Angeklagten bis zu einem Betrag von EUR 500,00 (ON 35, PS 3) auch anerkannte – frustrierte (wertlose) Zahnarzthonorar in Höhe von EUR 4.000,00 (vgl dazu im Allgemeinen Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1293 Rz 11 f sowie § 1299 Rz 23c) zu ersetzen und ein angemessenes Schmerzengeld zu leisten.

Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen, hier der Beeinträchtigung aufgrund der ärztlichen Fehlbehandlungen, und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigungen des Gesundheitszustands abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (RS0031040, RS0031307). Das Schmerzengeld ist nicht nach starren Regeln zu bemessen (RS0125618); bei den festgestellten Schmerzperioden handelt es sich um keine Berechnungsmethode. Die Schmerzperioden dienen nur zur Orientierung als Bemessungshilfe (8 Ob 98/20z).

Die Behandlungsfehler der Angeklagten führten bei C* zu Entzündungen und einer eingeschränkten Kaufunktion im linken Unterkiefer, die wiederum eine Überlastung der rechten Seite zur Folge hatte. Sie litt zwei Tage an mittleren und 28 Tage an leichten Schmerzen (US 5 und 6). Bei dieser Sachlage ist das vom Erstgericht mit EUR 3.520,00 bemessene Schmerzengeld jedenfalls nicht unangemessen und somit nicht zu bestanden.

Aufgrund des (berechtigten) Einwands der Angeklagten ist der Gesamtschadenersatzbetrag von EUR 7.520,00 jedoch mit der Höhe der Sanierungsplanquote begrenzt und der Privatbeteiligten daher nur der der Quote entsprechende Betrag von insgesamt EUR 1.504,00 zuzusprechen. Mit ihren weiteren Ansprüchen ist sie hingegen gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

Soweit sich die Privatbeteiligte in ihrer Gegenäußerung zur Berufung der Angeklagten (erstmals) auf den Absonderungsanspruch nach § 157 VersVG beruft (ON 41), ist ihr entgegenzuhalten, dass die Anwendung der genannten Vorschrift auf das laufende Insolvenzverfahren begrenzt ist. Sie hat nämlich nur den Zweck, es den Geschädigten trotz Insolvenz des Schädigers zu ermöglichen, Befriedigung aus der den Schadensfall deckenden Haftpflichtversicherung des Schädigers zu erlangen. Ist das (hier:) Sanierungsverfahren zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Schadenersatzsanspruchs bereits aufgehoben, bedarf es dieses Absonderungsrechts nicht; der Geschädigte kann vielmehr, weil er keinen direkten Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer hat, sondern auf einen Schadenersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer beschränkt ist, zur exekutiven Hereinbringung der Schadenersatzforderung den Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Haftpflichtversicherer pfänden und sich überweisen lassen. Dieser wandelt sich dadurch jedenfalls in einen Geldanspruch um. Der Geschädigte kann dann vom Haftpflichtversicherer unmittelbar Ersatz erlangen; er tritt dabei in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers ein ( Grubmann , VersVG 9 § 157 E 23; 7 Ob 139/18v; 17 Ob 7/20h; RIS-Justiz RS0004099).

Der Kostenausspruch ist eine Folge der Sachentscheidung und gründet auf § 390a Abs 1 StPO.