JudikaturJustiz7Ob108/16g

7Ob108/16g – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Juli 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** J*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei D***** AG *****, vertreten durch MUSEY rechtsanwalt gmbh in Salzburg, wegen 98.164,68 EUR sA, Rente und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. März 2016, GZ 6 R 198/15b 58, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 29. September 2015, GZ 9 Cg 137/11i 52, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.532,06 EUR (darin enthalten 422,01 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag, der eine Rente von monatlich 1.500 EUR im Versicherungsfall vorsieht. Ihm liegen die Versicherungsbedingungen der Berufsunfähigkeits-Versicherung und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (in der Folge: BU) zugrunde. Diese lauten auszugsweise:

„§ 2. Was ist Berufungsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?

(1) Berufungsunfähigkeit, die Leistungspflicht im Sinne dieser Bedingungen auslöst, liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 6 Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande ist, ihre zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit, so wie sie ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben und sie keine andere ihrer Ausbildung und Erfahrung und ihrer bisherigen Lebensstellung entsprechende berufliche Tätigkeit ausübt.

[…]

§ 11. Was ist bei der Antragstellung zu beachten?

(1) Als Versicherungsnehmer stellen Sie einen schriftlichen Antrag auf Abschluss eines Berufsunfähigkeitsvertrages. Darin müssen alle Tatsachen angegeben werden, die für die Übernahme des Risikos durch uns erheblich sind.

[…]

§ 12. Welche Bedeutung haben Ihre Antworten auf unsere Antragsfragen und was gilt bei einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht?

(1) Wir übernehmen den Versicherungsschutz im Vertrauen darauf, dass Sie alle mit dem Antrag verbundenen Angaben wahrheitsgemäß und vollständig beantworten.

[…]

(3) Werden Angaben unrichtig oder unvollständig gemacht, können wir innerhalb der ersten drei Jahre seit Abschluss, letzter Änderung oder Wiederherstellung des Vertrages, vom Vertrag einschließlich Nachversicherungen, zurücktreten.

[…]

Wir werden den Rücktritt innerhalb eines Monats ab Kenntis von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben erklären. Sind die wahrheitswidrigen Angaben unverschuldet erfolgt, wird unsere Erklärung gegenstandslos.

Wir können nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn

- wir von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben Kenntnis hatten oder

- der unrichtig angegebene oder verschwiegene Umstand keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles hatte.

[…]“

Der Kläger, ein Drucker, verdiente als Schichtarbeiter – jeweils netto – im Jahr 2007 51.167,17 EUR, im Jahr 2008 48.609,87 EUR, im Jahr 2009 45.423,90 EUR und im Jahr 2010 bis einschließlich November 36.979,89 EUR. Nach einem gesundheitlich bedingten internen Wechsel auf einen Büroarbeitsplatz per 1. 12. 2010 belief sich sein Nettoeinkommen als Sachbearbeiter im Jahr 2011 auf 25.848,20 EUR, im Jahr 2012 auf 27.822,33 EUR und aufgrund einer Gehaltserhöhung im Jahr 2013 auf 31.605,44 EUR.

Im Antragsformular der Beklagten für den Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung wurde ausdrücklich nach den Jahresnettoeinkünften der letzten drei Jahre gefragt. Diese gab der Kläger wie folgt bekannt: 2006 ca 36.400 EUR, 2007 ca 36.800 EUR, 2008 ca 37.000 EUR.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 98.164,68 EUR sA, die Zuerkennung einer Rente von monatlich 1.500 EUR vom 1. 6. 2015 bis 1. 2. 2042 und die Feststellung des Erlöschens der Prämienzahlungspflicht ab 1. 6. 2015. Zur im Revisionsverfahren allein maßgeblichen Frage einer Anzeigepflichtverletzung über gefahrenerhebliche Umstände bei Vertragsabschluss brachte er vor, dass die von ihm angegebenen Beträge seinem Nettoeinkommen entsprochen hätten. Eine allfällige Falschangabe sei nicht kausal für den späteren Versicherungsfall. An einer vermeintlich unrichtigen Angabe treffe ihn kein Verschulden, weil er davon ausgehen habe können, dass sein Nettoeinkommen maßgeblich sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger habe aufgrund unrichtiger Angaben zu seinem Jahresnettoeinkommen für die Jahre 2007 und 2008 die gesetzliche Obliegenheit des § 16 VersVG verletzt.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 54.664,68 EUR sA zu und gab dem Feststellungsbegehren statt; das Zahlungsmehrbegehren und das Rentenbegehren wies es ab. Der Kläger habe zwar nicht sein tatsächliches Nettoeinkommen angegeben, die Beklagte hätte jedoch darlegen müssen, ob und gegebenenfalls in welchem (anderen) Umfang der Versicherungsvertrag bei richtiger Angabe des Nettoeinkommens abgeschlossen worden wäre. Der Kläger habe von Dezember 2010 bis Dezember 2012 massive Einkommenseinbußen im Vergleich zu seinem bisherigen Einkommen als Drucker erlitten; er habe daher in diesem Zeitraum keine bedingungsgemäße Vergleichstätigkeit ausgeübt und daher Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Dies sei ab Jänner 2013 nicht mehr der Fall, weil er ab diesem Zeitpunkt ein höheres Gehalt bezogen habe, sodass die von ihm nun ausgeübte Sachbearbeitertätigkeit als bedingungsgemäße Vergleichstätigkeit anzusehen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, nicht jedoch jener des Klägers Folge und wies die Klage zur Gänze ab. Gefahrenumstände seien im Sinn des § 16 Abs 1 VersVG dann erheblich, wenn sie geeignet seien, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschließen, Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich fragt, gelte im Zweifel als erheblich. Die Falschangabe des Einkommens betreffe hier einen gefahrenerheblichen Umstand, weil niedrig entlohnte Verweisungsberufe leichter zu finden seien als höher entlohnte und es daher auf der Hand liege, dass der Versicherer in seiner Kalkulation die Prämienhöhe auch vom Einkommen des Versicherungsnehmers abhängig mache. Der Versicherer könne sich auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der betreffenden vorvertraglichen Anzeigepflicht erst nach dem Versicherungsfall erfahren habe. Die Leistungsfreiheit ergebe sich aus dem Gesetz.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht dazu Stellung genommen habe, ob dem Versicherer eine Substantiierungslast hinsichtlich der Gefahrenerheblichkeit des ausdrücklich und in geschriebener Form gefragten Umstands aufzuerlegen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben (7 Ob 131/15p; 7 Ob 131/14m uva). Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich (RIS Justiz RS0080628). Zur Bejahung der Gefahrenerheblichkeit von Umständen ist es nicht erforderlich, dass der Versicherer bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Vertrag tatsächlich abgelehnt oder nicht zu den bestimmten Bedingungen geschlossen hätte. Es reicht aus, dass der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen solchen Entschluss des Versicherers zu motivieren (RIS Justiz RS0080637). Der Versicherte ist dafür beweispflichtig, dass auch die richtige Beantwortung der an ihn gestellten Frage nicht geeignet gewesen wäre, den Entschluss des Versicherers zum Vertragsabschluss in irgendeiner Weise zu beeinflussen (RIS Justiz RS0080787). An die vom Versicherten oder Versicherungsnehmer bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt sind ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (RIS-Justiz RS0080641). Für eine schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht genügt bereits leichte Fahrlässigkeit (RIS-Justiz RS0080572). Die Beweislast für das mangelnde Verschulden an der Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht trifft grundsätzlich den Versicherungsnehmer (RIS Justiz RS0080809).

Ist der Vorschrift des § 16 Abs 1 VersVG zuwider die Angabe eines erheblichen Umstands unterblieben, so kann der Versicherer nach § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung kann sich der Versicherer aber auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der betreffenden vorvertraglichen Obliegenheit (Anzeigeobliegenheit) erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat (7 Ob 131/15p; 7 Ob 131/14m mwN = RIS Justiz RS0129732). Der Versicherer bleibt nur dann zur Leistung im Sinn des § 21 VersVG verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer jede mögliche Mitursache des falsch angezeigten oder verschwiegenen Umstands an dem Eintritt des Versicherungsfalls und dem Umfang der Leistungen des Versicherers ausschließen kann (RIS Justiz RS0080025, RS0080771).

2. Die Leistungsfreiheit nach § 16 VersVG ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, sodass es auf die Vereinbarung in den Bedingungen nicht ankommt (7 Ob 248/07g).

3. Der Kläger hat im Antragsformular sein Jahresnettoeinkommen für die Jahre 2007 und 2008 unrichtig deutlich zu niedrig angegeben. Bestritten wird die nach § 16 Abs 1 VersVG erforderliche Erheblichkeit dieses Umstands für die Gefahrenübernahme. Ob in diesem Zusammenhang – wie von der Revision gefordert – eine Substantiierungslast des beklagten Versicherers betreffend seine Geschäftsgrundsätze bestehen könnte, kann dahingestellt bleiben:

3.1. Hier wurde im Versicherungsfall die Zahlung eines im Voraus festgelegten monatlichen Betrags von 1.500 EUR vereinbart. Demnach war die Angabe des Nettoeinkommens für die Höhe der monatlich zu zahlenden Rente ohne Bedeutung. Allerdings war diese Information zweifellos entscheidend für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Eintritt und Dauer des Versicherungsfalls und damit auch für die Prämienhöhe. Die Höhe des Einkommens ist für die Ausübung einer Vergleichstätigkeit im Sinn der BU mit von Bedeutung (vgl RIS-Justiz RS0112003). Bei einem höheren Einkommen können gewisse Berufe mit geringerer Einkommensmöglichkeit als Vergleichstätigkeit ausscheiden.

3.2. Dieses Ergebnis wird von der Argumentation der Revision zur Frage der Ausübung einer bedingungsgemäßen Vergleichstätigkeit unterstrichen. Der Kläger meint, dass hier gerade auf die Einkommenssituation besonderes Augenmerk zu legen sei, und verweist auf die Erzielung eines deutlich geringeren Einkommens als Sachbearbeiter gegenüber dem vormaligen Verdienst als Drucker in Schichtarbeit; deshalb liege keine Vergleichstätigkeit vor. Er stützt sich dabei auf sein tatsächliches drei Jahre vor Abschluss des Versicherungsvertrags erzieltes Einkommen und nicht auf das von ihm angegebene, welches sich vom nunmehrigen Einkommen nicht so stark unterscheidet. Er geht demnach selbst davon aus, dass das Gesamteinkommen ausschlaggebend für den Versicherungsvertrag ist.

3.3. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf das Fehlen der Erheblichkeit der von ihm falsch angegebenen Einkommenshöhe für die Risikoprüfung des Versicherers bei Vertragsabschluss berufen kann.

4. Die Bezugnahme in der Revision auf § 6 Abs 1a VersVG scheitert schon daran, dass diese Bestimmung Verletzungen von – nach § 6 Abs 1 VersVG vereinbarten –Obliegenheiten zum Gegenstand hat, die der Aufrechterhaltung der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Äquivalenz zwischen Risiko und Prämie dienen sollen, und demnach auf eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung nach § 16 VersVG nicht anzuwenden ist.

5. Den Kausalitätsgegenbeweis nach § 21 VersVG hat der Kläger nicht erbracht. Die Einkommenshöhe ist schon nach seinem Vorbringen – wie oben dargelegt – ein relevantes Kriterium für den Eintritt des Versicherungsfalls.

6. Die Beklagte ist somit leistungsfrei, sodass es sich erübrigt, auf die weiteren Argumente der Revision einzugehen.

7. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

Rechtssätze
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