JudikaturJustizBsw21949/03

Bsw21949/03 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2007

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Eski gegen Österreich, Urteil vom 25.1.2007, Bsw. 21949/03.

Spruch

Art. 8 EMRK, § 179a ABGB, § 181 ABGB - Adoption gegen den Willen des leiblichen Vaters.

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (5:2 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

In den Jahren 1987 bis 1995 lebte der Bf. mit seiner Partnerin J.W. zusammen. 1993 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Im Jahr 1995 zerbrach die Beziehung, J.W. begann alleine mit ihrer Tochter zu leben. Bei einem Besuch 1996 bedrohte und verletzte der Bf. seine ehemalige Lebensgefährtin, woraufhin ihm diese den Verkehr mit ihrer Tochter verweigerte. Der Bf. beantragte beim BG Linz-Land Gewährung des Besuchsrechts. In Folge wurde ein Besuchsübereinkommen geschlossen, das Treffen in Anwesenheit der Mutter und innerhalb eines Jugendzentrums vorsah.

1998 beantragte die Mutter beim BG Linz-Land die Entziehung des Besuchsrechts. Das BG stellte fest, dass der Bf. u.a. die Mutter beim ersten Treffen gegenüber der Tochter als böse Hexe und Hure bezeichnet habe, und entzog ihm das Besuchsrecht. Das Verhalten des Bf. habe bei der Tochter psychosomatische Leiden hervorgerufen und stellte eine Gefahr für ihre seelische Entwicklung dar. Das LG Linz bestätigte die Entscheidung.

1999 heiratete die Mutter ihren neuen Lebenspartner. 2001 ersuchte der Bf. das BG Linz-Land wiederum um Erteilung des Besuchsrechts und erhob Einspruch gegen eine etwaige Adoption des Kindes. Der Antrag wurde abgewiesen.

Der neue Lebenspartner der Mutter leitete beim BG Linz-Land das Verfahren zur Adoption der Tochter ein und begehrte gemäß § 181 Abs. 3 ABGB, die fehlende Zustimmung des leiblichen Vaters durch gerichtliche Entscheidung zu ersetzen. Das Gericht erteilte die Zustimmung zur Adoption. Der Bf. legte Rekurs vor dem LG Linz ein, welcher 2003 abgewiesen wurde. Der ordentliche Revisionsrekurs an den OGH wurde vom LG für unzulässig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. beschwert sich über die gerichtliche Genehmigung der Adoption ohne seine Zustimmung. Der GH wird diese Beschwerde unter Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Familienlebens) prüfen.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK:

Die Adoption des Kindes ohne Zustimmung des leiblichen Vaters stellt für den GH unzweifelhaft einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar. Er stellt fest, dass der Eingriff auf der gesetzlichen Grundlage des § 181 Abs. 3 ABGB beruhte und ein legitimes Ziel – den Schutz der Interessen des Kindes – verfolgte. Der GH prüft im Folgenden, ob die Genehmigung der Adoption ohne Zustimmung des leiblichen Vaters in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Der GH wiederholt, dass in solchen Fällen den nationalen Behörden ein gewisser Ermessensspielraum zukommt. Das Ausmaß dieses Ermessensspielraums hängt jedoch von der Natur der Angelegenheit und der Gewichtigkeit der betroffenen Interessen ab. Während der GH den nationalen Behörden etwa in Obsorgefragen einen weiten Ermessensspielraum einräumt, unterliegen weitergehende Beschränkungen des Rechts auf Achtung des Familienlebens einer strengeren Kontrolle. Art. 8 EMRK verlangt von den nationalen Behörden, eine Interessensabwägung vorzunehmen, wobei besonders die Interessen des Kindes zu berücksichtigen sind, welche gegebenenfalls den Interessen der Eltern vorgehen. In neueren Urteilen hielt der GH eine Adoption ohne Zustimmung eines leiblichen Elternteils insbesondere dann für mit Art. 8 EMRK vereinbar, wenn die Adoption nur mehr der Formalisierung und Konsolidierung einer de facto bereits bestehenden familiären Beziehung diente und der nicht einwilligende Elternteil Gelegenheit hatte, seinen Standpunkt zu vertreten. Je nach Reife des Kindes berücksichtigt der GH auch die Bereitwilligkeit des Kindes zur Adoption.

Im vorliegenden Fall stellt die Adoption einen schweren Eingriff in das Familienleben des Bf. fest, da ihm jedes weitere Familienleben mit seiner Tochter versagt wird. Nach Ansicht des GH diente die Adoption jedoch nur mehr der Formalisierung und Konsolidierung eines de facto bereits bestehenden Familienverhältnisses, das seit mehr als drei Jahren aufrecht war. Auf der anderen Seite bestand zwischen dem Bf. und dem Kind schon jahrelang kein enges Verhältnis mehr. Der Bf. hatte weder ein Obsorgerecht, noch beteiligte er sich in anderer Weise am Großziehen der Tochter. Das Kind war vor der Adoption vom BG gehört worden und sagte – damals im Alter von neun Jahren – aus, es betrachte ihren Adoptivvater als ihren wirklichen Vater und wolle adoptiert werden. Auch ist der GH der Ansicht, dem Bf. wurde Gelegenheit gegeben, seinen Standpunkt vor den zuständigen Gerichten zu vertreten.

Unter diesen Umständen lag die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, die Adoption zu genehmigen, nach Ansicht des GH innerhalb ihres Ermessensspielraumes. Angesichts der mit der Adoption verfolgten Ziele sind die nachteiligen Auswirkungen auf die Beziehung des Bf. zu seinem Kind nicht unverhältnismäßig. Demzufolge liegt keine Verletzung des Art. 8 EMRK vor (5:2 Stimmen; gemeinsames Sondervotum der Richter Tulkens und Spielmann).

Vom GH zitierte Judikatur:

Keegan/IRL v. 26.5.1994, A/290, NL 1994, 184; EuGRZ 1995, 113; ÖJZ

1995, 70.

Johansen/N v. 7.8.1996, NL 1996, 133; ÖJZ 1997, 75. Söderbäck/S v. 28.10.1998, NL 1998, 223; ÖJZ 1999, 690. Sommerfeld/D v. 8.7.2003 (GK), NL 2003, 196; EuGRZ 2004, 711. Kuijper/NL v. 3.3.2005 (ZE).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 25.1.2007, Bsw. 21949/03, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2007, 21) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/07_1/Eski.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.