JudikaturJustiz8ObA23/23z

8ObA23/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. J* Gesellschaft m.b.H., * und 2. HSG J*, beide vertreten durch die E+H Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 34.369,57 EUR netto sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2022, GZ 6 Ra 7/22d 57, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. September 2021, GZ 54 Cga 31/20v 49, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision der erstbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Revision der zweitbeklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war seit 2003 bei der Erstbeklagten als Wildhüter und später auch als Gutsverwalter angestellt und an sieben Tagen in der Woche für die Erstbeklagte tätig. Im Fall seiner Abwesenheit wurden Aushilfskräfte eingesetzt, denen aber das Wissen und die Erfahrung fehlte, um die Aufgaben des Klägers vollständig zu übernehmen. Mit 1. 4. 2020 wurde der Kläger bei der Sozialversicherung ohne seine Zustimmung von der Erstbeklagten auf den Zweitbeklagten umgemeldet. Aufgrund des Kündigungsschreibens der Beklagten vom 10. 8. 2020 endete das Dienstverhältnis zum 31. 12. 2020.

[2] Während seines Dienstverhältnisses verbrauchte der Kläger 121 Urlaubstage, nämlich im Jahr 2003 drei Tage, in den Jahren 2004, 2005, 2006 jeweils vier Tage, in den Jahren 2007, 2008 und 2009 jeweils sechs Tage, im Jahr 2010 zehn Tage, im Jahr 2011 sieben Tage, im Jahr 2012 neun Tage, im Jahr 2013 siebzehn Tage, im Jahr 2014 zwölf Tage, im Jahr 2015 vierzehn Tage, im Jahr 2016 zwei Tage, im Jahr 2017 vier Tage, in den Jahren 2018 und 2019 jeweils sechs Tage sowie im Jahr 2020 einen Tag. Der Kläger wurde von den Beklagten nicht dazu aufgefordert, seinen Urlaub zu verbrauchen, und auch nicht auf die drohende Verjährung hingewiesen. Wenn der Kläger Urlaub beanspruchte, wurde ihm dieser Urlaub auch gewährt. Die Arbeiten des Klägers im Rahmen der umfangreichen Zucht (Fasane), Haltung und Jagd von Niederwild erfolgte unter ständigem starken Druck als einziger Angestellter, der über die notwendige Ausbildung und Erfahrung verfügte. Die Erstbeklagte leistete dem Kläger eine Urlaubsersatzleistung von 9.131,53 EUR, die ihm allerdings erst am 22. 9. 2021 zur Gänze ausbezahlt wurde.

[3] Der Kläger begehrt von den Beklagten Verzugszinsen aus der bereits erhaltenen Urlaubsersatzleistung, eine darüber hinausgehende Urlaubsersatzleistung von 34.369,57 EUR netto sA und die Feststellung, dass das Dienstverhältnis stets zur Erstbeklagten bestanden habe. Bei Beendigung des Dienstverhältnisses habe der Kläger einen offenen Urlaubsanspruch von 322,75 Tagen gehabt. Eine Verjährung sei nicht eingetreten, weil er keine Möglichkeit gehabt habe, den Urlaub zu verbrauchen, zumal die Versorgung der Tiere und die Aufrechterhaltung des Gutsbetriebs dann nicht gewährleistet gewesen wäre. Die Beklagten haben ihn auch nicht zum Verbrauch des Urlaubs aufgefordert oder auf die drohende Verjährung hingewiesen. Der Kläger habe einer Übertragung des Dienstverhältnisses auf den Zweitbeklagten nicht zugestimmt.

[4] Die Beklagten wenden ein, dass der Urlaubsanspruch nach § 4 Abs 5 UrlG nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist, verjähre.

[5] Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren sowie dem gegen die Erstbeklagte gerichteten Zinsbegehren aus der bereits erhaltenen Urlaubsersatzleistung statt und wies das darüber hinausgehende Zahlungsbegehren ab. Ein Übergang des Dienstverhältnisses auf den Zweitbeklagten hätte der Zustimmung des Klägers bedurft, sodass nur die Erstbeklagte als Dienstgeber anzusehen sei. Die Verjährung des Urlaubsanspruchs trete unabhängig davon ein, aus welchen Gründen der Urlaub nicht konsumiert wurde. Auch die Arbeitszeit Rrichtlinie 2003/88/EG stehe der Verjährung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen, wenn der Dienstnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Urlaub zu konsumieren. Wenngleich der Kläger ein hohes Pflichtbewusstsein gegenüber den Tieren und dem Gutsbetrieb gehabt habe, sei er nicht daran gehindert worden, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen, sodass seine länger als drei Jahre zurückliegenden Urlaubsansprüche verjährt seien.

[6] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Erstbeklagte auch zur Zahlung einer ergänzenden Urlaubsentschädigung von 24.260,89 EUR netto sA verpflichtete, das darüber hinausgehende Zahlungsbegehren aber abwies. Der EuGH habe zu C 120/21, LB gegen TO , ausgesprochen, dass Art 7 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG und Art 31 Abs 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstünden, nach welcher der Urlaubsanspruch nach Ablauf von drei Jahren verjährt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer – wie im vorliegenden Fall – zuvor nicht zum Verbrauch des Urlaubs aufgefordert und über die drohende Verjährung informiert hat. Da im Fall der Abwesenheit des Klägers nur Aushilfskräfte ohne entsprechendes Wissen und Erfahrung verfügbar gewesen wären, sei die Nichtinanspruchnahme des Urlaubs der Erstbeklagten zugute gekommen. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts führe dazu, dass die nationale Regelung des § 4 Abs 5 UrlG insoweit unangewendet bleiben müsse. Da Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2003/88/EG lediglich einen Jahresurlaub von vier Wochen vorsehe, sei der darüber hinausgehende Urlaubsanspruch des Klägers verjährt. Der Kläger habe deshalb aus seiner Tätigkeit von 1. 4. 2003 bis 31. 3. 2018 Anspruch auf Entschädigung für 180 nicht verbrauchte Urlaubstage. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit den Auswirkungen der Entscheidung des EuGH zu C 120/21, LB gegen TO , auf das österreichische Recht auseinandergesetzt habe.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten , mit der sie beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klage zur Gänze abgewiesen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Erstbeklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt. Die Revision des Zweitbeklagten ist unzulässig.

[10] 1. Nach Art 31 Abs 2 GRC hat jeder Arbeitnehmer das Recht auf bezahlten Jahresurlaub. Nach Art 7 Abs 1 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG gebührt dem Arbeitnehmer ein bezahlter Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Das österreichische Arbeitsrecht geht über die unionsrechtlichen Vorgaben hinaus, indem es nach § 2 Abs 1 UrlG einen jährlichen Urlaubsanspruch von zumindest 30 Werktagen vorsieht. Nach § 4 Abs 5 UrlG verjährt dieser Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Die Übertragung von nicht konsumierten Urlaubsansprüchen auf die folgenden Urlaubsjahre ist nur so lange möglich, wie sie nicht verjährt sind (RIS Justiz RS0077520 [T2]). Für den tatsächlichen Verbrauch des Naturalurlaubs stehen damit insgesamt drei Jahre zur Verfügung (RS0077515). Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührt dem Arbeitnehmer nach § 10 Abs 3 UrlG für den nicht verbrauchten Urlaub aus vorangegangenen Urlaubsjahren eine Ersatzleistung in der Höhe des noch ausständigen Urlaubsentgelts, soweit der Urlaubsanspruch noch nicht verjährt ist.

[11] 2. Im Jahr 2018 sprach der EuGH zu C 684/16, Max-Planck-Gesellschaft , und C 619/16, Kreuziger , aus, dass Art 31 Abs 2 GRC und Art 7 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG einer Verjährung des Urlaubsanspruchs entgegenstehen, wenn diese ohne Prüfung erfolgt, ob der Arbeitnehmer zB durch angemessene Aufklärung tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Der EuGH hat dies damit begründet, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist. Es müsse verhindert werden, dass der Arbeitnehmer seine Rechte nicht einfordert, weil sich dies nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken könnte. Die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Jahresurlaubs zu sorgen, darf deshalb nicht vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Vielmehr hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht in Anspruch nimmt, am Ende des zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird.

[12] 3. Diese Entscheidungen des EuGH betrafen deutsche Rechtsvorschriften, nach welchen der Urlaub innerhalb eines Jahres konsumiert werden musste bzw eine Urlaubsersatzleistung ausgeschlossen war. Der Oberste Gerichtshof ging deshalb vorerst noch von der Unionsrechtskonformität der dreijährigen Verjährung nach § 4 Abs 5 UrlG aus, weil dem Arbeitnehmer bis dahin eine angemessene Frist zur Durchsetzung seines Urlaubsanspruch zur Verfügung stehe (8 ObA 62/18b; 8 ObS 1/20k; 8 ObS 2/20g; ebenso Rauch , Aufklärungspflichten des Arbeitgebers, ASoK 2019, 105 [108 f]). In der Lehre wurde demgegenüber die Auffassung vertreten, dass – auch wenn die Entscheidungen des EuGH aus dogmatischen Gründen zu kritisieren und die Mitteilungs und Aufforderungspflichten dem österreichischen Recht fremd seien – eine Verjährung nach § 4 Abs 5 UrlG nur möglich sei, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme des Urlaubs aufgefordert und ihn auf die drohende Verjährung hingewiesen hat ( Drs , Urlaubsverjährung bei Scheinselbständigkeit, JAS 2020, 225 [240 f]; Auer-Mayer , Ausgewählte Rechtsprobleme rund um Urlaub und Feiertage, ZAS 2020/22, 131 f; Friedrich , Verjährung und Verfall des Urlaubsanspruchs im europäischen Kontext, ASoK 2021, 137 [144 f]; Niksova , Das Urlaubsrecht im europäischen Wandel, wbl 2022, 481 [486]; Kietaibl , Anm zu 9 ObA 88/20m, JAS 2022, 42 [47 ff]). In einer späteren Entscheidung anerkannte auch der Oberste Gerichtshof eine „Urlaubssorgepflicht“ des Arbeitgebers (9 ObA 88/20m).

[13] 4. Nunmehr hat der EuGH zu C 120/21, LB gegen TO , in einem vom deutschen Bundesarbeitsgericht eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren ausgesprochen, dass Art 7 Abs 1 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG auch einer nationalen Regelung entgegensteht, nach welcher der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. Der Arbeitgeber könnte sich sonst seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer entziehen und wäre durch den Urlaubsverfall auch bereichert. Aufgrund dieser Entscheidung des EuGH steht nunmehr fest, dass der unionsrechtlich gesicherte Urlaubsanspruch nicht verjähren kann, wenn der Arbeitgeber seiner Aufforderungs- und Hinweispflicht gegenüber dem Arbeitnehmer nicht nachgekommen ist. Die früheren EuGH Entscheidungen in den Rs King , Kreuziger und Max Planck konnten noch im Sinne der Aufgabenteilung bei der Umsetzung von Richtlinienansprüchen und der allgemeinen Vorgaben des EuGH zum Verjährungsrecht verstanden werden. Danach dürfen die Verjährungsfristen für unionsrechtlich begründete Ansprüche nicht kürzer sein als für sonstige nationale Rechtsansprüche und dürfen die Verjährungsfristen auch nicht einer effektiven Geltendmachung entgegenstehen (EuGH C 246/09 Bulicke ; C 773/18 ua TK ua ; C 501/12 bis 506/12, 540/12 und 541/12 Specht ua ; C 429/12 Pohl uva). Mit der neuersten Entscheidung ist aber klargestellt, dass der EuGH eine eigene von den konkreten Möglichkeiten einer effizienten Rechtsdurchsetzung unabhängige Verhaltenspflicht des Arbeitgebers rückwirkend festlegt (vgl allerdings zu den hier nicht relevierten unionsrechtlichen Vorgaben unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes zuletzt etwa EuGH C 484/20 Vodafone , Rz 29 ff).

[14] 5. Soweit sich die Erstbeklagte darauf beruft, dass der Kläger tatsächlich die Möglichkeit gehabt habe, seinen Urlaub zu konsumieren, ist ihr entgegenzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des EuGH schon ein Verhalten des Arbeitgebers, das den Arbeitnehmer davon abhalten kann, den Jahresurlaub zu konsumieren, gegen das mit dem Recht auf Jahresurlaub verfolgte Ziel verstößt (C 214/16, King ). Dass dem Kläger Urlaub gewährt worden wäre, wenn er ihn gegenüber der Erstbeklagten beansprucht hätte, führt deshalb noch nicht zur Verjährung des nicht verbrauchten Urlaubsanspruchs.

[15] 6. Die Erstbeklagte hat den Kläger weder dazu aufgefordert, seinen Urlaub zu verbrauchen, noch ihn auf die drohende Verjährung hingewiesen und damit gegen ihre vom EuGH nunmehr festgelegte Verpflichtung verstoßen, dafür zu sorgen, dass der Kläger seinen Jahresurlaub tatsächlich in Anspruch nimmt, was einer Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Art 7 Abs 1 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG entgegensteht. Inwieweit die Verletzung der vom EuGH festgelegten Aufforderungs und Hinweis„obliegenheit“ im Rahmen der österreichischen Rechtsdurchsetzung nicht unter dem Aspekt des Schadenersatzrechts geprüft werden könnte, bedarf mangels dahingehenden Einwänden keiner weiteren Erörterung. Der Revision der Erstbeklagten war daher nicht Folge zu geben.

[16] 7. Die Entscheidung des Erstgerichts über das Feststellungsbegehren ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Das Berufungsgericht hatte aufgrund der Berufung des Klägers nur über die Berechtigung des Zahlungsbegehrens über 34.369,57 EUR netto sA zu entscheiden und insofern die Klagsabweisung gegenüber dem Zweitbeklagten bestätigt. Die Revision des Zweitbeklagten war daher schon mangels Beschwer zurückzuweisen.

[17] 8. Da das Berufungsgericht die Kostenentscheidung nach § 52 Abs 1 ZPO bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten hat, war nach § 52 Abs 3 ZPO auch im Revisionsverfahren keine Kostenentscheidung zu treffen.

Rechtssätze
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