JudikaturJustiz50R90/22z

50R90/22z – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 2023

Kopf

Das

Handelsgericht Wien

hat als Rekursgericht durch die Richterinnen Mag. a Michlmayr (Vorsitzende), Mag. a Schillhammer und Mag. a Tassul in der Rechtssache der klagenden Partei A* , Inhaberin des nicht protokollierten Unternehmens B*, **, **, Polen, vertreten durch Dr. Piotr Pyka, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei DI C* , Inhaber des Protokollieten Unternehmens D* e.U., **gasse **, **, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 5.325,-- sA über die als Rekurs zu wertende Berufung der beklagten Partei gegen den erkennbar in das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 3.8.2022, GZ 3 C 518/18z-62, über die Hautsache aufgenommenen Beschluss betreffend die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Rechtssache in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die als Rekursbeantwortung zu wertende Berufungsbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen .

Der als Rekurs zu wertenden Berufung der beklagten Partei wird n i c h t Folge gegeben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Zahlung von EUR 5.325,-- und stützte sich dabei auf die Lieferung von Spielen. Die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache sei nicht berechtigt. Sie habe nur verabsäumt, innerhalb der ihr gesetzten Frist ein für das ordentliche Verfahren zuständige Gericht namhaft zu machen. Damit sei keine Sachentscheidung gefällt worden.

Der Beklagte erhebt den Einwand der rechtskräftig entschiedenen Streitsache und verweist dabei auf das Verfahren vor dem BG für Handelssachen Wien zu 15 EuM 2286/17h. Die Klägerin habe insofern eine gleichlautende Klage eingebracht, er habe Einspruch erhoben, anschließend habe das Gericht das Verfahren für beendet erklärt. Inhaltlich bestritt der Beklagte die Berechtigung des von der Klägerin erhobenen Anspruches und erhob eine Gegenforderung von EUR 9.105,-- an Verzugspönale und eine Gegenforderung von EUR 346,24 an Kosten für die Rücksendung diverser Gegenstände.

Mit dem vorliegenden Urteil sprach das Erstgericht der Klägerin die Klagsforderung im Ergebnis ungekürzt zu. Mit dem erkennbar in das Urteil über die Hauptsache aufgenommenen Beschluss verwarf es die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache und hob dabei hervor, die Klägerin habe im Verfahren 15 EuM 2286/17h für den Fall des Einspruchs des Antragsgegners nicht auf die Überleitung in ein ordentliches Verfahren verzichtet (UA, S 4 unten).

Allein gegen diesen erkennbar gefassten Beschluss richtet sich die als Rekurs zu wertende Berufung des Beklagten aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem erkennbaren Antrag, im Ergebnis die Klage zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der rechtzeitige (vgl dazu unten) Rekurs ist nicht berechtigt .

Mangels Berufung in der Hauptsache kann der vom Erstgericht erkennbar gefasste Beschluss über die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Rechtssache nur mit Rekurs angefochten werden ( Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka , ZPO 5 §§ 260-261 Rz 4), weshalb die Berufung als Rekurs bzw die Berufungsbeantwortung als Rekursbeantwortung zu werten war.

Der in der Rechtsmittelschrift des Beklagten aufscheinende erste Absatz der Rechtsrüge vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. In Zusammenhalt mit dem zweiten Absatz ergibt sich, dass auch der erste Absatz, der ohne jegliche Konkretisierung die Geltendmachung des Verfahrensmangels der mangelnden Erörterung andeutet, in Wahrheit iZm der Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache steht.

Gem § 521 Abs 1 ZPO beträgt die Rekursfrist im vorliegenden Fall 14 Tage. Der angefochtene Beschluss wurde dem Beklagten am 5.8.2022 zugestellt. Der Rekurs wurde beim Erstgericht rechtzeitig am 11.8.2022 eingebracht.

Auf die Rekursbeantwortung der Klägerin trifft dies im Hinblick auf § 521a Abs 1 ZPO und die darin normierte 14-tägige Frist hingegen nicht zu. Der Rekurs des Beklagten wurde der Klägerin am 25.8.2022 zugestellt. Die Rekursbeantwortung wurde beim Erstgericht am 21.9.2022, somit verspätet eingebracht. Sie war daher zurückzuweisen.

Die Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) schließt zwischen den gleichen Parteien die neuerliche Anhängigmachung desselben Begehrens aus, das auf den gleichen rechtserzeugenden Sachverhalt gestützt ist und verwehrt die Sachverhandlung und Entscheidung über dieses idente Rechtsschutzbegehren.

In diesem Umfange wirkt die materielle Rechtskraft der Vorentscheidung, wie sich aus §§ 230 Abs 3, 239 Abs 3 Z 1, 411 Abs 2 ZPO ergibt, als Prozesshindernis. In einem solchen Fall ist dem Gericht die Sachverhandlung und Sachentscheidung verwehrt, die neue Klage ist wegen rechtskräftig entschiedener Streitsache zurückzuweisen. Die Außerachtlassung dieses Prozesshindernisses bewirkt die Nichtigkeit der trotzdem gefällten Sachentscheidung und des vorangegangenen Verfahrens in der Hauptsache. Wenngleich ein Verstoß gegen die Rechtskraft nicht unter den Nichtigkeitsgründen des § 477 ZPO erwähnt wird, ist er doch kraft positiver gesetzlicher Vorschrift in § 530 Abs 1 Z 6 ZPO sanktionsmäßig den Nichtigkeitsgründen mindestens gleichgestellt, sodass es sich hier inhaltlich jedenfalls um einen Nichtigkeitsgrund handelt ( Klicka in Fasching/Konecny 3 III/2 § 411 ZPO Rz 15 [Stand 1.11.2017,rdb.at]).

Das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache wird nur durch Entscheidungen begründet, denen Feststellungswirkung, insb in Form der Einmaligkeitswirkung zukommt. Dazu gehören etwa alle Urteile, auch jene, die auf einer Parteiendisposition über den geltend gemachten Anspruch beruhen, also auch (negative) Versäumungsurteile. Die Zurückweisung einer Klage kommt nicht in Frage, wenn für den eingeklagten Anspruch zwar bereits ein Titel vorliegt, der aber keine Feststellungswirkung zu entfalten vermag, wie ein gerichtlicher Vergleich oder ein vollstreckbarer Notariatsakt ( Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 411 Rz 5).

Urteile eines inländischen Zivilgerichtes werden der Rechtskraft teilhaft; an sie denkt § 411 ZPO scheinbar ausschließlich. Allerdings muss schon aus dem Wesen der Rechtskraft heraus auch ihre Wirkung bei Beschlüssen, die über Rechtsschutzansprüche entscheiden , bejaht werden,

ebenso bei Zahlungsbefehlen im Mahnverfahren,

bei Zahlungsaufträgen im Wechselmandatsverfahren und bei Besitzstörungsendbeschlüssen.

Die materielle Rechtskraft soll die Einheitlichkeit der Entscheidung von Rechtschutzansprüchen sichern. Dabei ist nicht nach der Entscheidungsform, sondern danach zu unterscheiden, ob die gerichtliche Entscheidung über ein Rechtsschutzbegehren der Partei erkennt oder nicht. Auch Beschlüsse in anderen zivilgerichtlichen Verfahren erwachsen in materielle Rechtskraft, soweit sie über Rechtsschutzansprüche entscheiden ( Klicka aaO Rz 23 ff).

Im Verfahren vor dem BG für Handelssachen Wien zu 15 EuM 2286/17h brachte die Klägerin als Antragstellerin gegen den Beklagten als Antragsgegner einen Antrag auf Erlassung eines Europäischen Zahlungsbefehls über den identen, auch der vorliegenden Klage zugrunde liegenden Anspruch auf Zahlung von EUR 5.325,-- ein (vgl va Punkt 11. des Antrages).

In der Anlage 2 erklärte die Klägerin für den Fall, dass iZm einem Einspruch des Beklagten die Fortsetzung des Verfahrens nach Maßgabe des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen nicht anwendbar sein sollte, das Verfahren in ein geeignetes nationales Zivilverfahren überzuleiten. Die Einstellung des Verfahrens nach einem Einspruch beantragte die Klägerin definitiv nicht („Code 01“).

Nachdem der Beklagte gegen den vom Gericht erlassenen Europäischen Zahlungsbefehl Einspruch erhoben hatte, forderte das Gericht die Klägerin auf, das für das ordentliche Verfahren zuständige Gericht namhaft zu machen. Die Klägerin ließ die gesetzte Frist ungenutzt verstreichen. Irrtümlicher Weise erklärte das Gericht daraufhin das Verfahren unter Hinweis darauf für beendet, dass die Klägerin gem Art 7 Ab 4 EuMahnVO erklärt habe, die Überleitung in ein ordentliches Verfahren für den Fall abzulehnen, dass der Beklagte Einspruch erhebt (vgl auch AV v 8.3.2018). Mit der (richtigen) Begründung, die Klägerin sei der Aufforderung zur Namhaftmachung eines Gerichts nicht nachgekommen, sprach das Gericht dem Beklagten schließlich Kosten zu.

Vor diesem Hintergrund ist keine materielle Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren der Klägerin ersichtlich, der Feststellungswirkung im oben dargestellten Sinn zukommen könnte. Eine einem inländischen, unbeeinsprucht gebliebenen Zahlungsbefehl im Mahnverfahren vergleichbare Entscheidung liegt ja gerade nicht vor. Selbst der irrtümlich gefasste Beschluss, mit dem das Gericht das Verfahren für beendet erklärt hatte, ist nicht als materielle Entscheidung des Gerichts über das Rechtsschutzbegehren der Klägerin zu werten.

Abgesehen davon, dass die in dem irrtümlich gefassten Beschluss angeführte Ablehnung der Überleitung in ein ordentliches Verfahren durch die Klägerin nicht vorliegt, würde der das Verfahren für beendet erklärende Beschluss selbst bei Vorliegen einer solchen Ablehnung keine materielle Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren darstellen.

Dem Wortlaut der Anlage 2 bzw des Code 01 zufolge kann für den Fall des Einspruches die Einstellung des Verfahrens, dh die Einstellung des Verfahrens zur Erlassung eines Europäischen Zahlungsbefehls beantragt werden. Ein dahingehend gefasster Einstellungsbeschluss stellt keine materielle Entscheidung über den Rechtsschutzanspruch – und sei es im Wege einer Fiktion wie etwa beim Versäumungsurteil - dar, sondern erklärt nur das im Hinblick auf den Anspruch gewählte Verfahren für eingestellt. Dies gründet sich insb auf folgende Überlegungen:

Die Ablehnung der Überleitung in das ordentliche Verfahren, die auch als Verzicht auf die Überleitung bezeichnet wird, kann deshalb in einer separaten Anlage erklärt werden, weil sie dem Antragsgegner zweckmäßigerweise nicht zur Kenntnis gebracht wird. Grund für eine derartige, bis zur Erlassung eines Europäischen Zahlungsbefehls auch noch änderbare Erklärung kann sein, dass der Antragsteller die mit einem ordentlichen Verfahren verbundenen Kosten , die unabhängig von einer allenfalls bestehenden Anwaltspflicht stets mit der Rechtsverfolgung im Ausland verbunden sind, vermeiden will, aber auch, dass die Gerichte des Ursprungsstaates für das ordentliche Verfahren nicht zuständig sind. Dies kann wegen der Abweichung der diesbezüglichen Zuständigkeitsregeln der EuMahnVO von denjenigen der EuGVVO vor allem in Verbrauchersachen praktisch werden. Im Hinblick auf die Unterschiede zwischen Europäischem Mahnverfahren und einem streitigen grenzüberschreitenden Zivilprozess erscheint die Möglichkeit, die Überleitung in das ordentliche Verfahren abzulehnen, aus rechtspolitischer Sicht durchaus sinnvoll ( Kodek in Fasching/Konecny 2 Art 7 EuMahnVO Rz 25 f [Stand 30.11.2010, rdb.at]).

Da also die Gründe für die Ablehnung oder den Verzicht auf die Überleitung des Verfahrens zur Erlassung eines Europäischen Zahlungsbefehls im Fall eines Einspruches gegen den erlassenen Europäischen Zahlungsbefehl in ein ordentliches Verfahren mannigfaltig sein können und diese weder erklärt, noch erhoben werden, kann ein darauf beruhender Einstellungsbeschluss schon grundsätzlich keine materielle Entscheidung über den Rechtsschutzanspruch darstellen. Dies trifft daher selbst dann zu, wenn der Antragsteller die Frist für die Namhaftmachung des zuständigen Gerichts versäumte.

Zusammengefasst war die Klägerin im vorliegenden Fall daher nicht gehindert, ihren Anspruch neuerlich in einer weiteren Verfahrensart zur Erlassung eines inländischen Zahlungsbefehles geltend zu machen.

Dem Rekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

Im Hinblick auf die zurückgewiesene Rekursbeantwortung der Klägerin findet kein Kostenersatz statt.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet sich auf §§ 526 Abs 3, 528 Abs 2 Z 2 ZPO ( Kodek in Fasching/Konecny 3 III/1 § 261 ZPO Rz 76).