JudikaturJustiz22R115/22z

22R115/22z – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
03. November 2022

Kopf

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Mühleder und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Partei M***** W***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 250,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 15.02.2022, 27 C 111/20f 14, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 176,28 (darin EUR 29,38 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchgeführten Flug OS 792 von Bukarest nach Wien am 23.02.2020 mit den planmäßigen Flugzeiten 18:35 Uhr bis 19:20 Uhr. Der Flug startete in Bukarest verspätet um 19:08 Uhr und wurde letztlich nach Bratislava umgeleitet. Die Entfernung zwischen Bukarest und Wien beträgt nicht mehr als 1.500 km.

Der Kläger begehrte – gestützt auf Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) – den Zuspruch einer Ausgleichsleistung von EUR 250,-- samt Zinsen. Der klagsgegenständliche Flug sei aufgrund eines allein von der Beklagten zu verantwortenden Umstands annulliert worden. Es hätten keine außergewöhnlichen Umstände, insbesondere schlechtes Wetter, vorgeherrscht und die Beklagte habe auch nicht alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung getroffen. Das Flugzeug hätte in Wien landen können und es habe auch zu wenig Kerosin getankt, um einige Zeit in einer Warteschleife zu verbringen. Die Beklagte habe in Bratislava insbesondere auch keine Busse zur Weiterfahrt organisiert.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung, bestritt und brachte im Wesentlichen vor, dass der Flug OS 792 nicht annulliert worden sei. Dieser habe vielmehr, insbesondere aufgrund starker Winde, wodurch eine sichere Landung in Wien nicht möglich gewesen sei, und der damit einhergehenden Einschränkungen durch die Flugsicherung nach Bratislava umgeleitet werden müssen. Das Flugzeug habe auch die gesetzliche Mindestmenge an Kerosin mitgeführt. Sie habe einen Bodentransport von Bratislava nach Wien organisiert, welcher die schnellstmögliche gleichwertige Ersatz- beförderung gewesen sei. Der Kläger habe diese jedoch abgelehnt und selbstständig ein Taxi nach Wien genommen. Mit dem Anfliegen eines nahegelegenen Flughafens seien alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden, weil dadurch eine Annullierung des Fluges verhindert worden sei. Es seien daher außergewöhnliche Umstände vorgelegen, welche trotz des Ergreifens sämtlicher ihr zumutbaren Maßnahmen nicht verhindert hätten werden können.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt und verhielt die Beklagte zum Ersatz der Prozesskosten an den Kläger. Es traf die auf den Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass gemäß Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO bei Annullierung oder zumindest dreistündiger Verspätung eines Fluges über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger grundsätzlich eine Ausgleichszahlung von EUR 250,-- gebühre. Die Umleitung des Fluges nach Bratislava sei einer Annullierung gleichzuhalten. Der Ausgleichsanspruch bestehe nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO jedoch nicht, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Es könne dahingestellt bleiben, ob die widrigen Wetterbedingungen bzw. die damit verbundenen Einschränkungen des Flugverkehrs im Zusammenhalt mit der Entscheidung des Piloten, eine Auswechslung vorzunehmen, als außergewöhnliche Umstände anzusehen seien. Die Beklagte habe nämlich keine schnellstmögliche Ersatzbeförderung zum Zielflughafen organisiert. Sie habe nicht beweisen können, dass sie den Weitertransport der Passagiere mithilfe von Bussen tatsächlich sichergestellt bzw. dies erfolgreich organisiert habe. Sie habe daher nicht alle zumutbaren Maßnahmen iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO ergriffen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin moniert, dass im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 22.04.2021 zu C-862/19 die Ausweichlandung des Fluges Bratislava einer Annullierung nicht gleichzuhalten sei, weil der Flughafen Bratislava und der Flughafen Wien dieselbe Region bedienen würden. Auch wenn eine Staatsgrenze zwischen den beiden Flughäfen liege, würden diese nur ca. 55 km auseinanderliegen und seien sowohl mit dem Auto als auch mit dem Zug- und Busverkehr gut aneinander angeschlossen Der Kläger könne sich daher nicht auf eine Annullierung zur Begründung seines Ausgleichsanspruches stützen. Er habe auch nicht behauptet mit einer mehr als dreistündigen Verspätung am Zielort angekommen zu sein, was allenfalls auch bei einer Ausweichlandung einen Anspruch auf Ausgleichszahlung begründen könnte. Selbst wenn die Ausweichlandung einer Annullierung gleichzuhalten wäre, habe sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen. Den Feststellungen sei nur mittelbar zu entnehmen, dass sie keine entsprechenden Bustransfers organisiert habe. Das Erstgericht habe hierzu lediglich feststellen können, dass der Kläger beim Informationsstand keine Informationen erhalten habe und niemand Bescheid gewusst habe. Ob dies daran gelegen sei, dass der Mitarbeiter des Informationsstandes des Flug-hafens in der Ankunftshalle einfach nicht informiert war, der Kläger vielleicht bei der falschen Stelle nachgefragt habe, oder ob tatsächlich kein Transfer verfügbar gewesen sei, sei nicht näher erörtert worden. Dies sei letztlich unerheblich, weil laut dem EuGH das Flugunternehmen dem Passagier bei Ausweichlandungen lediglich die Übernahme der Kosten für die Beförderung zum Zielflughafen anbieten, nicht jedoch selbst eine Ersatzbeförderung organisieren müsse. Den Ersatz der Kosten für die Heimreise habe der Kläger jedoch in gegenständlicher Rechtssache nicht geltend gemacht.

Die Ausführungen der Berufungswerberin überzeugen nicht:

Auch wenn die Berufungswerberin in ihrer Berufung den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung „ samt sekundärer Feststellungsmängel “ geltend macht, lässt sie Ausführungen zu sekundären Feststellungsmängeln vermissen und konnte solche auch im Kontext nicht aufzeigen.

Der weiteren Argumentation in ihrer Rechtsrüge ist entgegenzuhalten, dass der EuGH in seiner Entscheidung zu C-826/19 vom 22.04.2021 ua. Nachfolgendes ausführte:

„Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass ein Fluggast keinen Ausgleichsanspruch wegen Annullierung hat, wenn sein Flug umgeleitet wurde und er auf einem Flughafen gelandet ist, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient. Der Fluggast eines zu einem Ausweichflughafen, der denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bedient, umgeleiteten Fluges hat jedoch grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch nach dieser Verordnung, wenn er sein Endziel mindestens drei Stunden nach der vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ursprünglich vorgesehenen Ankunftszeit erreicht.“

„Ort, Stadt oder Region“ beziehe sich auf ein Gebiet, das dadurch gekennzeichnet ist, dass in seiner unmittelbaren Nähe Flughäfen vorhanden sind, die es bedienen können (EuGH 22.04.2021, C-826/19, Rn 23). Ein Flug könne nicht als durchgeführt angesehen werden, wenn er zu einem anderen Flughafen als dem ursprünglich vorgesehenen Zielflughafen umgeleitet worden sei, sodass dieser Flug grundsätzlich als annullierter Flug im Sinne von Art 2 lit l iVm Art 7 EU-FluggastVO anzusehen sei, der einen Ausgleichsanspruch nach Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 EU-FluggastVO auslösen könne. In dem besonderen Fall, dass der Flughafen, zu dem der Flug umgeleitet worden sei, denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bediene, wäre es jedoch weder mit dem Ziel der Verordnung noch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar, die Umleitung des Fluges mit einer Annullierung des Fluges gleichzusetzen (EuGH 22.04.2021, C-826/19, Rn 36 f). Der Fluggast habe dann keinen Ausgleichsanspruch wegen Annullierung, wenn sein Flug umgeleitet worden und er auf einem Flughafen gelandet sei, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspreche, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bediene. Ein solcher Fluggast habe jedoch grundsätzlich dann einen Ausgleichsanspruch, wenn er sein Endziel mindestens drei Stunden nach dem vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ursprünglich vorgesehenen Ankunftszeit erreiche (EuGH 22.04.2021, C-826/19, Rn 44).

Die Berufungswerberin ist beizupflichten, dass sich der Kläger nicht darauf stützte, sein Endziel mit mindestens drei Stunden Verspätung erreicht zu haben, er macht auch keinen Ersatzanspruch hinsichtlich der Kosten seines Transportes von Bratislava nach Wien geltend.

Die Berufungswerberin behauptet in ihrer Berufung allerdings erstmals, dass die Flughäfen Wien und Bratislava dieselbe „Region“ bedienen würden und führt in ihrer Berufung aus, dass dies als „gerichtsnotorisch“ vorausgesetzt werde. Dabei übersieht sie allerdings, dass es sich bei der Frage, ob ein „Gebiet“ vorliegt, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass in seiner unmittelbaren Nähe Flughäfen vorhanden sind, die es bedienen können um eine Tatsachenfrage handelt. Es kommt dabei nicht nur auf die von ihr argumentativ herangezogene örtliche Nähe und den verkehrstechnischen Anschluss der beiden Flughäfen untereinander an, oder etwa ob Flugunternehmen das österreichische Publikum auch über den Flughafen Bratislava bedienen würden. Wie soeben ausgeführt erstattete die Berufungswerberin erstinstanzlich jedoch kein diesbezügliches Vorbringen. Entgegen der Ansicht der Berufungswerberin ist es daher nicht gerichtsnotorisch, dass die Flughäfen Wien und Bratislava in einem in Art 8 Abs 3 EU-FluggastVO beschriebenen Verhältnis zueinander stehen. Sie verstößt daher mit diesem erst im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringen gegen das Neuerungsverbot (§ 482 ZPO). Der Flug OS 792 ist daher durch seine Umleitung als annulliert anzusehen (EuGH 13.10.2011 C-83/10 Sousa Rodríguez ; LG Korneuburg 22 R 214/21g ua).

Wie das Erstgericht zutreffend ausführt, kann es letztlich dahingestellt bleiben, ob die im konkreten Fall vorherrschenden Wetterverhältnisse und die Restriktionen der Flugsicherung jenes außergewöhnliche Maß erreicht haben, dass sie einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, weil die Beklagte nicht nur deren Bestehen, sondern darüber hinaus auch das Ergreifen sämtlicher zumutbarer Maßnahmen – also den Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel, die ihr keine untragbaren Opfer abverlangen – behaupten und beweisen hätte müssen (vgl EuGH C-315/15 Pešková ua ; C 501/17 Germanwings/Pauels ).

Die von Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO geforderten Maßnahmen sind nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts (RKO0000014) auf drei Ebenen zu prüfen:

[1] Maßnahmen zur Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände selbst;

[2] Maßnahmen zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung (bzw. einer großen Verspätung); und

[3] Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung (bzw. einer großen Verspätung) für den einzelnen Fluggast.

Selbst unter der Annahme, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände in Form äußerst widriger Wetterverhältnisse vorgelegen wären, und es aus diesem Grund unmöglich gewesen wäre, in Wien zu landen, hat die Beklagte nach den Feststellungen keine Weiterreisemöglichkeiten der Passagiere von Bratislava nach Wien organisiert. Konkret traf das Erstgericht diesbezüglich u.a. folgende Feststellung (US 4):

„Tatsächlich standen aber weder Busse für die Passagiere bereit, noch erhielt der Kläger die versprochenen Gutscheine.“

Entgegen den Ausführungen der Berufungswerberin in ihrer Berufung, wonach den Feststellungen nur mittelbar zu entnehmen sei, dass sie keine entsprechenden Bus-transfers organisiert habe, ergibt sich aus dieser Feststellung eindeutig, dass sie nicht für die entsprechende Weiterbeförderung der Passagiere sorgte.

Nachvollziehbare Gründe warum die Organisation eines derartigen Bustransfers nicht möglich gewesen wäre, wurden von der Berufungswerberin im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgetragen; die Berufungswerberin stellte sich vielmehr auf den Standpunkt, dass der Kläger den organisierten Bustransfer abgelehnt und eigenmächtig ein Taxi zur Weiterbeförderung verwendet habe.

Selbst wenn man also vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgehen würde, konnte die Beklagte schon aus den dargelegten Erwägungen nicht beweisen, den Fluggästen die schnellstmöglich Ersatzbeförderung, wie sie der EuGH seit dem Urteil in der Rechtssache C-74/19 Transportes Aéros Portugueses verlangt (vgl auch den Beschluss in der Rechtssache C-264/20 Airhelp ), angeboten zu haben. Sie hat somit nicht unter Beweis gestellt, alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung des Fluges für die Fluggäste ergriffen zu haben. Schon aus diesem Grund kann sich die Beklagte nicht erfolgreich auf Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO stützen. Der Anspruch des Klägers auf Ausgleichsleistung gemäß Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO besteht somit zu Recht.

Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.