JudikaturJustiz1Ob9/99a

1Ob9/99a – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Januar 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach Anna O*****, verstorben am *****, vormals wohnhaft in *****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Maria G*****, vertreten durch Dr. Siegfried Rack, Rechtsanwalt in Völkermarkt, gegen den Beschluß des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgerichts vom 9. Dezember 1998, GZ 36 R 19/98s 57, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Bleiburg vom 24. November 1998, GZ A 84/97t 54, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Erblasserin verstarb am 26. Oktober 1997. Sie hatte im Testament vom 27. Juni 1996 "als Dank für die ... langjährige, aufopfernde Pflege und Betreuung" eine Fremde zur Alleinerbin eingesetzt und festgehalten, daß ihre (einzige) Tochter, die Rechtsmittelwerberin, aufgrund eines Vorempfangs von 100.000 S "bereits erb- und pflichtteilsentfertigt" sei, "aus diesem Rechtsgrund nichts mehr zu fordern" habe, ihr aber dennoch weitere 30.000 S "vermacht" würden. Dieses Vermächtnis entfalle, wenn die Bedachte "wider Erwarten darüberhinausgehende Pflichteils- oder Erbteilsansprüche jedweder Art geltend machen" sollte. Außerdem hatte die Erblasserin der Testamentserbin im "Übergabsvertrag auf den Todesfall" vom 27. Juni 1996 ihre beiden Liegenschaften "im Hinblick auf die schon seit vielen Jahren, nämlich seit 1980 ... geleistete Pflege und Betreuung" übertragen und erklärt, auf einen Schenkungswiderruf zu verzichten, soweit diese Übergabe eine Schenkung darstellen sollte. In der Verlassenschaftsabhandlung vom 3. Februar 1998 gab die zur Erbin Eingesetzte eine unbedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab und schloß am selben Tag ein "Übereinkommen" mit der Tochter der Erblasserin, wonach diese - zusätzlich zum Vorempfang von 100.000 S - noch 50.000 S in bar und ein lastenfreies Waldgrundstück im Ausmaß von 16.221 m2 zu bekommen hätte.

Am 23. Februar 1997 beantragte die Noterbin die Schätzung und Inventarisierung des Nachlaßvermögens, die " Absonderung der Verlassenschaft und Bestellung eines Separationskurators " und die Nichtgenehmigung des "Übereinkommens" vom 3. Februar 1997. Sie brachte vor, der Reinnachlaß habe einen Wert von 1,652.047,62 S. Ihr stehe daher unter Abzug des Vorempfangs von 100.000 S ein Pflichtteil von 726.023,81 S zu, wenngleich sie klageweise nur 450.000 S geltend gemacht habe. Die Erbin beziehe eine Pension von bloß 4.888,40 S monatlich, verfüge über kein Bargeld und sei - selbst unter Berücksichtigung des Nachlaßwerts als Aktivum - erheblich überschuldet. Wenn diese das Nachlaßvermögen belastete oder verwertete, werde sich der bestehende Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht mehr realisieren lassen.

Die erbserklärte Erbin trat dem Separationsantrag entgegen, weil der Nachlaßwert bereits durch die Verbindlichkeiten aufgezehrt werde. Es mangle daher an einem sicherungsfähigen Vermögen. Die Noterbin sei überdies bereits befriedigt, obgleich sie wegen Erbunwürdigkeit , die im Prozeß "durch eine Reihe von dort namhaft gemachten Zeugen bescheinigt" worden sei, an sich gar keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch habe. Allfällige weitere Ansprüche seien auch nicht gefährdet.

Das Erstgericht wies den Separationsantrag ab, weil die auf den Todesfall übertragenen Liegenschaften nicht in den Nachlaß fielen und sich aus der Differenz zwischen Aktiven und Passiven eine Nachlaßüberschuldung ergebe. Deshalb wäre eine antragsgemäße Absonderung "völlig zwecklos". Ungerechtfertigt sei auch die subjektive Besorgnis der Noterbin, ihr Anspruch sei gefährdet.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Es errechnete einen Reinnachlaß von 129.225,42 S und verneinte unter Anrechung des Vorempfangs von 100.000 S einen Pflichtteilsergänzungsanspruch der Noterbin. Das Nachlaßinventar sei allerdings im Pflichtteilsergänzungsprozeß nicht bindend. Hätte die Erblasserin der erbserklärten Erbin die vom Übergabsvertrag auf den Todesfall betroffenen Liegenschaften teilweise geschenkt, wäre deren Wert im anhängigen Pflichtteilsergänzungsprozeß soweit "mitzuzählen". Der Umstand, daß die erbserklärte Erbin den Klageanspruch dort bestritten habe, hindere eine Nachlaßseparation noch nicht. Gleiches gelte für die Behauptung, die Noterbin sei erbunwürdig. Einen solchen Sachverhalt habe jedoch immer der Erbe zu "beweisen", was "bisher nicht gelungen" sei. Nach der Aktenlage sei allerdings nicht anzunehmen, daß der Wert der auf den Todesfall übergebenen Liegenschaften jenen der Gegenleistungen der erbserklärten Erbin übersteige. Demzufolge sei der behauptete Anspruch aber nicht bescheinigt. Allein deshalb sei der Separationsantrag zutreffend abgewiesen worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 16 Abs 3 AußStrG bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Revisionsrekurses an Aussprüche des Gerichts zweiter Instanz nach § 13 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht gebunden. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergeben wird, zulässig; er ist im Ergebnis auch berechtigt.

1. Im Verlassenschaftsverfahren haben Noterben die Rechte gemäß den § 784, 804 und 812 ABGB und sind deshalb Beteiligte nach § 9 AußStrG (1 Ob 2222/96p; EvBl 1995/187 = RZ 1996/36 mwN). Demnach ist ein Noterbe nicht nur berechtigt, die Errichtung eines Inventars zu fordern (§ 804 ABGB), sondern kann im Rahmen der Voraussetzungen des § 812 ABGB auch die Nachlaßabsonderung verlangen (1 Ob 2222/96p). Deren Zweck als Rest einer amtswegigen Fürsorge für die Erbschaftsgläubiger (1 Ob 2222/96p; 1 Ob 2086/96p; 6 Ob 2035/96z; NZ 1994, 116; SZ 65/113; SZ 56/28; EvBl 1976/137 = NZ 1977, 135 ua) besteht darin, die Befriedigung des Absonderungsgläubigers aus dem getrennt verwalteten Sondervermögen auch noch nach Einantwortung des Nachlasses sicherzustellen, somit den Separationsgläubiger vor allen Gefahren zu schützen, die infolge der tatsächlichen Nachlaßverfügungsgewalt des Erben samt der daraus folgenden Verquickung vermögensrechtlicher Beziehungen entstehen können (1 Ob 2222/96p; 1 Ob 2086/96p; 6 Ob 2035/96z; SZ 65/113; SZ 61/131; SZ 56/28 ua).

2. Die Nachlaßseparation kann nur für den ganzen Nachlaß, also nicht für Teile oder einzelne Gegenstände desselben bewilligt werden (1 Ob 2086/96p; 6 Ob 2035/96z; RZ 1993/25 = EFSlg 69.003; JBl 1989, 173 = EFSlg 56.893; SZ 59/210 = EFSlg 51.421 ua). Sie umfaßt zugunsten eines Noterben auch Liegenschaften, die dem Erben auf den Todesfall übergeben wurden (SZ 65/113 [dort Schenkung auf den Todesfall]), und unterliegt keinen strengen Anforderungen (1 Ob 2086/96p; EFSlg 75.347; SZ 65/113; SZ 59/210 ua).

3. Nach herrschender Ansicht genügt für eine Absonderung jede hinreichende - wenngleich bloß subjektiv motivierte - Besorgnis des Antragstellers, daß der Erbe den Nachlaß und damit den Befriedigungsfonds für die Nachlaßforderung schmälern könnte (1 Ob 2222/96p; 1 Ob 2086/96p; SZ 65/113; EFSlg 51.423 je mwN). Der Nachlaßgläubiger muß nur jene Umstände angeben, die eine solche Besorgnis bei vernünftiger Auslegung rechtfertigen. Nicht erforderlich ist dagegen die Bescheinigung oder gar der Nachweis einer der subjektiven Besorgnis entsprechenden Gefahrenlage (1 Ob 2222/96p; 1 Ob 2086/96p; SZ 65/113; SZ 59/210; SZ 56/28 ua), soll doch die Absonderung allen (abstrakt) vorstellbaren Gefahren vorbeugen. In diesem Zusammenhang erwähnt das Gesetz die Gefahr der Nachlaßvermengung mit dem Erbenvermögen nur als Beispiel (1 Ob 2086/96p; JBl 1978, 152 ua). Umstände, die sich subjektiv zur Rechtfertigung der erörterten Besorgnis eignen, wurden von der Noterbin im Anlaßfall aber behauptet, weil bei deren Zutreffen eine Erschwerung der Verfolgung und Vollstreckung allfälliger Ansprüche keineswegs ausgeschlossen wäre.

4. Ein Nachlaßgläubiger hat die behauptete Forderung im allgemeinen zu bescheinigen (1 Ob 2222/96p; 1 Ob 2086/96p; EFSlg 56.898; Eccher in Schwimann , ABGB2 Rz 7 zu § 812; Welser in Rummel , ABGB2 Rz 13 zu § 812), wofür die bloße Klageführung allein nicht ausreicht ( Eccher in Schwimann aaO; Welser in Rummel aaO). Wird aber ein Noterbe in einer letztwilligen Verfügung nicht (ausreichend) bedacht, so erfüllt ein derartiger Nachlaßgläubiger seine Bescheinigungspflicht schon durch den Hinweis auf die für seine Rechtsstellung gemäß § 762 ABGB erforderliche verwandtschaftliche Beziehung zum Erblasser (1 Ob 2222/96p; 1 Ob 2086/96p), ergibt sich doch der Bestand und die Höhe einer Pflichtteilsforderung erst aus dem Wert des reinen Nachlasses ( Eccher in Schwimann aaO [ausdrücklich nur zum Aspekt der "Höhe"]).

5. Der Erbe hat jedoch zwecks Abwendung der von einem - wenngleich nicht ausdrücklich (siehe dazu Eccher in Schwimann aaO Rz 4 zu § 771 mwN) - enterbten Noterben beantragten Nachlaßseparation die Möglichkeit, dem Verlassenschaftsgericht den Enterbungsgrund glaubhaft zu machen (1 Ob 2222/96p; RZ 1996/36; NZ 1985, 148; SZ 23/321 = EFSlg 1542; Eccher in Schwimann aaO Rz 5 zu § 771 und Rz 3 zu § 812 mwN), weil die Nachlaßabsonderung ein über die Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens hinauswirkendes Sicherungsmittel ist und als solches das separierte Vermögen dem Zugriff des Absonderungsgläubigers auch noch nach Einantwortung des Nachlasses vorbehält. Diese Rechtsprechung beruht auf dem bereits dargestellten Grundsatz, daß sonst Separationsgläubiger, die nicht Noterben sind, behauptete Forderungen nach allgemeinen Kriterien zu bescheinigen haben und eine wirksame Enterbung - also das Vorliegen eines gesetzlichen Enterbungsgrunds, der zufolge § 770 ABGB auch ein Erbunwürdigkeitsgrund sein kann ( Welser in Rummel aaO Rz 1 zu § 770) nach § 771 ABGB in jedem Fall, demnach auch bei ausdrücklicher Enterbung, vom Erben zu beweisen ist. Da der Noterbe die Nachlaßabsonderung somit auch dann beantragen kann, wenn er enterbt wurde bzw einen Erbunwürdigkeitsgrund, der kraft Gesetzes den Ausschluß vom Erbrecht zur Folge hat (SZ 37/85; Eccher in Schwimann aaO Rz 1 zu § 770; Welser in Rummel aaO Rz 1 zu § 540), verwirklichte, soll dem Erben ausnahmsweise auch im Verlassenschaftsverfahren die Gegenbescheinigung des Vorliegens eines Enterbungs- bzw Erbunwürdigkeitsgrunds zur Vermeidung der Sicherung zustehen (1 Ob 2222/96p; RZ 1996/36; Eccher in Schwimann aaO Rz 3 zu § 812 mwN aus der Rsp).

6. Diese Rechtslage wurde vom Rekursgericht teilweise verkannt, weshalb die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG unvermeidlich ist. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht aufgrund der Behauptungen der erbserklärten Erbin (ON 53) Feststellungen zur angeblichen Erbunwürdigkeit der Rechtsmittelwerberin zu treffen haben. Mißlänge jener die Bescheinigung eines Erbunwürdigkeitsgrunds, so wäre dem Absonderungsantrag der Noterbin wegen Erfüllung aller Voraussetzungen stattzugeben. Obgleich die erbserklärte Erbin zum (näheren) Sachverhalt und zur Bescheinigung einer Erbunwürdigkeit der Noterbin auf die Ergebnisse des Pflichtteilsergänzungsprozesses verweist, wird es im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens zweckmäßig sein, ihr vorerst die Konkretisierung des Erbunwürdigkeitsvorwurfs und die Bezeichnung der verfügbaren Auskunftspersonen aufzutragen.

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