JudikaturVwGhRa 2023/14/0054

Ra 2023/14/0054 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des E N, vertreten durch Mag. Peter Freiberger als (einstweiligem) Erwachsenenvertreter, dieser vertreten durch Mag. Alexander Dressler, beide Rechtsanwälte in 8680 Mürzzuschlag, Wienerstraße 50 54, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Jänner 2023, W166 2153891 1/48E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Zum bisherigen Verfahrensgang ist auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. September 2022, Ra 2021/01/0305, zu verweisen, mit dem die in der Sache im ersten Rechtsgang ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2021, W253 2153891 1/27E, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufgrund eines Begründungsmangels zu dem im Verfahren geltend gemachten Fluchtgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der psychisch Erkrankten in Afghanistan wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden war.

2 In weiterer Folge wurde die Rechtssache aufgrund der Abwesenheit des Leiters der Gerichtsabteilung W253 (aufgrund einer Dienstzuteilung) der Gerichtsabteilung W166 zugewiesen.

3 Mit Eingabe vom 21. Dezember 2022 teilte die für den Revisionswerber einschreitende BBU GmbH, nachdem sie zuvor bereits medizinische Unterlagen des Revisionswerbers übermittelt hatten, dem Bundesverwaltungsgericht unter Vorlage des Enthebungsbeschlusses des BG M. vom 7. September 2022 mit, dass die bisherige (einstweilige) Erwachsenenvertretung des Revisionswerbers aufgrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2021 vorzeitig beendet worden sei. Es sei jedoch im Hinblick auf die dieses Erkenntnis aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. September 2022 und dem dadurch wieder anhängigen Beschwerdeverfahren die erneute Bestellung eines Erwachsenenvertreters angeregt worden.

4 Mit dem nun angefochtenen Erkenntnis vom 10. Jänner 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne weitere Verfahrensschritte gesetzt zu haben sodann als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es nach Neuzuweisung der Rechtssache an eine andere Richterin die Verhandlung nicht wiederholt habe und habe es verabsäumt, die Prozessfähigkeit des Revisionswerbers zu prüfen. Schließlich wendet sich die Revision in diesem Zusammenhang auch gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts und stützt sich auf einen Begründungsmangel.

7 Der Verwaltungsgerichtshof führte ein Vorverfahren durch, eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und begründet.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass in Bezug auf ein Erkenntnis (oder einen Beschluss) eines Verwaltungsgerichtes eine Rechtswidrigkeit vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht entgegen der Bestimmung des § 25 Abs. 7 zweiter Satz VwGVG trotz geänderter Zusammensetzung des Senates oder Zuweisung an einen anderen Einzelrichter die Verhandlung nicht wiederholt hat (vgl. VwGH 30.8.2022, Ra 2021/14/0170, mwN).

10 Die Revision zeigt zutreffend auf, dass das Bundesverwaltungsgericht durch die Unterlassung der gebotenen Wiederholung der Verhandlung die bestehende Verhandlungspflicht missachtet hat. Eine solche Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des wie hier gegeben Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste. Dies gilt auch in jenem Fall, in dem gegen die Anordnung des § 25 Abs. 7 VwGVG, wonach die Verhandlung zu wiederholen ist, wenn sich die Zusammensetzung des Senates ändert oder die Rechtssache einem anderen Richter zugewiesen wurde, verstoßen wird (vgl. VwGH 19.2.2020, Ra 2019/14/0509, mwN; 16.2.2023, Ra 2022/18/0142).

11 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das übrige Vorbringen in der Revision einzugehen war.

12 Der Vollständigkeit halber wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Frage des Vorliegens der prozessualen Handlungsfähigkeit nach § 9 AVG von der Behörde bzw. vom Gericht als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen aufzugreifen ist. Bei begründeten Bedenken in Bezug auf das Fehlen der Prozessfähigkeit der betreffenden Person ist daher die Frage von Amts wegen zu prüfen und ein entsprechendes Ermittlungsverfahren - in der Regel durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - durchzuführen (vgl. VwGH 15.2.2022, Ra 2021/14/0162, mwN). Derartige Zweifel hätte das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund des Falles auch hinsichtlich der Prozessfähigkeit des Revisionswerbers haben müssen.

13 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. April 2024

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