JudikaturVwGhRa 2023/10/0366

Ra 2023/10/0366 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
11. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revisionen der K GmbH in W, vertreten durch die lawpoint Hütthaler Brandauer Akyürek Rechtsanwälte GmbH in 1060 Wien, Otto Bauer Gasse 4, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes Wien jeweils vom 2. Mai 2023, Zlen. 1. VGW 101/042/12330/2021 20 (hg. protokolliert zu Ra 2023/10/0366) sowie 2. VGW 101/042/13636/2021 2, VGW 101/042/13639/2021, VGW 101/042/13643/2021 und VGW 101/042/13644/2021 (hg. protokolliert zu Ra 2023/10/0371), betreffend Maßnahmen gemäß § 39 Lebensmittelsicherheits und Verbraucherschutzgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 2.692,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheiden vom 28. Juni 2021 (dem erstangefochtenen Erkenntnis zugrunde liegend), 5. August 2021 und 6. August 2021 (dem zweitangefochtenen Erkenntnis zugrunde liegend) ordnete die belangte Behörde im Wesentlichen gleichlautend gemäß § 39 Abs. 1 Z 11 Lebensmittelsicherheits und Verbraucherschutzgesetz LMSVG die Anpassung der Kennzeichnung näher genannter Produkte unter Fristsetzung an. Die genannten Produkte dürften nicht als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ in Verkehr gebracht werden, weshalb die Kennzeichnung als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ zu unterlassen sei. Die Kennzeichnung habe nach der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (sog. „EU InformationsVO“), unter Berücksichtigung der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, zu erfolgen.

2 Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass es sich bei den Produkten aufgrund deren stofflicher Zusammensetzung nicht um Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinn der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder, Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und Tagesrationen für gewichtskontrollierende Ernährung (im Folgenden: VO 609/2013), sondern um Nahrungsergänzungsmittel handle, weshalb die besagte Kennzeichnung zu unterlassen sei.

3 Gegen diese Bescheide erhob die Revisionswerberin jeweils Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht). Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zum zweitangefochtenen Erkenntnis trat das Verwaltungsgericht mit einem Vorabentscheidungsersuchen (C 760/21) zur Klärung von Auslegungsfragen im Zusammenhang mit der Qualifikation eines Produktes als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) heran, der darüber mit Urteil vom 2. März 2023 entschied.

4 Mit den beiden angefochtenen Erkenntnissen wies das Verwaltungsgericht die gegen die Bescheide vom 28. Juni 2021, vom 5. August 2021 und vom 6. August 2021 erhobenen Beschwerden im Rahmen des zweitangefochtenen Erkenntnisses unter Verlängerung der Leistungsfristen als unbegründet ab.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im erstangefochtenen Erkenntnis mit Hinweis auf näher genannte Judikatur des EuGH aus, die Revisionswerberin habe das verfahrensgegenständliche Produkt als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ „zum Diätmanagement bei subklinischer Hypothyreose“ in Verkehr gebracht. Das Produkt sei jedoch unter Zugrundelegung der Ausführungen in der Packungsbeilage als Präsentationsarzneimittel einzustufen. Im Beipackzettel werde dem Konsumenten mit ausreichender Deutlichkeit zur Kenntnis gebracht, dass das Produkt zur Linderung der Symptome der Krankheit der subklinischen Hypothyreose sowie der Hashimoto Krankheit hilfreich sei und das Fortschreiten der Krankheit der subklinischen Hypothyreose durch die Einnahme des Produkts gestoppt werde. Auch die Aufmachung und Form des Produktes erweckten für einen durchschnittlich informierten Verbraucher den Eindruck seiner Qualifikation als Arzneimittel.

6 Auch im zweitangefochtenen Erkenntnis führte das Verwaltungsgericht aus, dass es sich bei den als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ bezeichneten verfahrensgegenständlichen Produkten insbesondere unter Zugrundelegung der Ausführungen in den Packungsbeilagen und auf den Websites der Revisionswerberin und der alleinigen Abgabe in Apotheken um Präsentationsarzneimittel handle. Durch die Produktpräsentation werde dem Verbraucher die Überzeugung vermittelt, dass durch die Einnahme eine Linderung der mit der Krankheit des Harnweginfekts verbundenen Beschwerden und damit auch des Krankheitsverlaufs bewirkt werde. Hinzu komme, dass die Aufmachung und Form der Produkte für einen durchschnittlich informierten Verbraucher den Eindruck ihrer Qualifikation als Arzneimittel erweckten.

7 Sowohl im erst als auch im zweitangefochtenen Erkenntnis prüfte das Verwaltungsgericht trotz der Einstufung der verfahrensgegenständlichen Produkte als Präsentationsarzneimittel darüber hinaus das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke iSd Art. 2 Abs. 2 lit. g der VO 609/2013 im Zusammenhang mit den konkretisierenden Ausführungen der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 2016/128 sowie der „Klarstellungen“ des EuGH in seinem Urteil vom 2. März 2023, C 760/21, in der die Revisionswerberin betreffenden Rechtssache. Demnach erfüllten die verfahrensgegenständlichen Produkte in mehrfacher Weise wesentliche Voraussetzungen für deren Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nicht. Unter anderem sei die Voraussetzung, dass das zu prüfende Produkt nicht als Arzneimittel einzustufen sei, nicht erfüllt. Wären die gegenständlichen Produkte nicht als Präsentationsarzneimittel zu qualifizieren, dann erfüllten sie vielmehr geradezu typisch die Vorgaben der Einstufung als Nahrungsergänzungsmittel.

8 Die Beschwerden seien daher abzuweisen gewesen.

9 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht weiche von der ständigen (näher zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verpflichtung der amtswegigen Wahrnehmung der Unzuständigkeit der Behörde ab. Das Verwaltungsgericht habe in den angefochtenen Erkenntnissen explizit festgestellt, dass die verfahrensgegenständlichen Produkte als Präsentationsarzneimittel zu qualifizieren seien. Präsentationsarzneimittel gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 AMG seien jedenfalls Arzneimittel im Sinne des AMG. Dies habe gemäß § 1 Abs. 3a AMG zur Folge, dass auf die verfahrensgegenständlichen Produkte ausschließlich die Bestimmungen des Arzneimittelrechts zur Anwendung kämen und sachlich zuständige Behörde daher das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) sei, dem gemäß § 6a Abs. 1 Z 1 Gesundheits und Ernährungssicherheitsgesetz (GESG) die Vollziehung des AMG obliege. Es habe daher eine sachlich unzuständige Behörde entschieden. Es bestehe weiters keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, welche Behörde zur Erlassung von Maßnahmen in Bezug auf die Beschränkung des Inverkehrbringens der Produkte zuständig sei, wenn ein Produkt als Präsentationsarzneimittel zu qualifizieren sei.

10 Die belangte Behörde erstattete in dem das erstangefochtene Erkenntnis betreffenden Revisionsverfahren eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Revisionssachen erwogen:

11 Die Revisionen sind ausgehend von dem hier vorliegenden Verfahrensgegenstand zur Klärung der Frage der Zuständigkeit zur Anordnung der Anpassung der Kennzeichnung nach § 39 Abs. 1 Z 11 LMSVG in Bezug auf Produkte, die als Präsentationsarzneimittel qualifiziert wurden, zulässig. Sie sind auch begründet.

12 §§ 3 und 39 Lebensmittelsicherheits und Verbraucherschutzgesetz LMSVG, BGBl. I Nr. 13/2006, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 256/2021, lauten auszugsweise:

Begriffsbestimmungen

§ 3. Für dieses Bundesgesetz gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1. Lebensmittel : Lebensmittel gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.

[...]

3. Lebensmittel für spezielle Gruppen : Lebensmittel, die gemäß Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 (ABl. Nr. L 181 vom 29. Juni 2013) in die Lebensmittelkategorien Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung, Getreidebeikost und andere Beikost, Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke oder Tagesrationen für eine gewichtskontrollierende Ernährung einzuordnen sind.

4. Nahrungsergänzungsmittel : Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in Verkehr gebracht werden, d.h. in Form von zB Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen.

[...]

Maßnahmen

§ 39. (1) Bei Wahrnehmung von Verstößen gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften hat der Landeshauptmann mit Bescheid, gegebenenfalls unter einer gleichzeitig zu setzenden angemessenen Frist und unter Ausspruch der notwendigen Bedingungen oder Auflagen, die nach Art des Verstoßes und unter Berücksichtigung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit erforderlichen Maßnahmen zur Mängelbehebung oder Risikominderung anzuordnen, wie insbesondere:

[...]

11. die Anpassung der Kennzeichnung;

[...]“

13 Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (sog. „Lebensmittelbasisverordnung“) in der Fassung der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 lautet auszugsweise:

Artikel 2

Definition von ‚Lebensmittel‘

Im Sinne dieser Verordnung sind ‚Lebensmittel‘ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.

Nicht zu ‚Lebensmitteln‘ gehören:

[...]

d) Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG und 92/73/EWG des Rates,

[...]“

14 Artikel 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (im Folgenden: Richtlinie 2001/83), mit der u.a. gemäß Art. 128 die Richtlinien 65/65/EWG und 92/73/EWG des Rates aufgehoben wurden, in der Fassung der Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011, lauten auszugsweise:

„BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

Artikel 1

Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

[...]

2. Arzneimittel: a) Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder

b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.

[...]

Artikel 2

(1) Diese Richtlinie gilt für Humanarzneimittel, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.

(2) In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von ‚Arzneimittel‘ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.

[...]“

15 § 1 Arzneimittelgesetz AMG, BGBl. Nr. 185/1983, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 8/2022, lautet auszugsweise:

Begriffsbestimmungen

§ 1. (1) ‚Arzneimittel‘ sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die

1. zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind, oder

2. im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, oder

b) als Grundlage für eine medizinische Diagnose zu dienen.

[...]

(3) Keine Arzneimittel sind

1. Lebensmittel gemäß Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl. Nr. L 31 vom 1.2.2002 S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 596/2009, ABl. Nr. L 188 vom 18.7.2009 S. 14,

[...]

(3a) Erfüllt ein Produkt sowohl die Definition des Arzneimittels gemäß Abs. 1 bis 3 als auch die Definition eines in einem anderen Bundesgesetz geregelten Produktes, so sind auf dieses Produkt ausschließlich die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden.

(3b) Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen hat auf Antrag einer Person, die ein Produkt in Verkehr bringen will, festzustellen, ob ein Produkt unter die Definition des Arzneimittels fällt. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen kann auch von Amts wegen feststellen, ob ein Produkt unter die Definition des Arzneimittels fällt. Im Rahmen dieser Verfahren kann es ein Gutachten des Abgrenzungsbeirats gemäß § 49a einholen.

[...]“

16 Die Revisionswerberin hat unstrittig die den gegenständlichen Verfahren zugrundeliegenden Produkte hergestellt bzw. verpackt und als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ in Österreich in Verkehr gebracht.

17 Das Verwaltungsgericht hat die verfahrensgegenständlichen Produkte aufgrund der von der Revisionswerberin der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Produktinformationen und Wirkbeschreibungen „zwingend“ als Präsentationsarzneimittel qualifiziert. Aus ebenfalls näher dargelegten Gründen erfüllten die Produkte wesentliche Voraussetzungen für deren Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nicht. Vielmehr erfüllten sie „geradezu typisch“ die Vorgaben der Einstufung als Nahrungsergänzungsmittel, wären sie nicht tatsächlich als Präsentationsarzneimittel einstufbar.

18 Weder die auf Basis von Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen noch die darauf gestützte Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, bei den verfahrensgegenständlichen Produkten handle es sich um Präsentationsarzneimittel (weshalb eine Einstufung als Nahrungsergänzungsmittel ausscheide), werden mit den vorliegenden Revisionen bekämpft; insbesondere wird nicht behauptet, es läge eine anderslautende Vorfragenentscheidung iSd § 1 Abs. 3b AMG vor.

19 § 1 Abs. 1 AMG umschreibt zwei Arten von Arzneimitteln, nämlich Präsentationsarzneimittel in § 1 Abs. 1 Z 1 AMG einerseits und Funktionsarzneimittel in § 1 Abs. 1 Z 2 AMG andererseits. Diese Begriffe entsprechen den früher üblichen Kategorisierungen von Arzneimitteln kraft „subjektiver“ oder kraft „objektiver Zweckbestimmung“. Das Vorliegen einer dieser beiden Definitionen bedingt unabhängig davon, ob auch die andere bejaht werden kann, schon für sich allein die Einstufung des Produkts als Arzneimittel (vgl. VwGH 17.12.2014, 2012/10/0189; sowie Steinböck in Cerha/Heissenberger/Steinböck , AMG [2020] § 1 Rz 8, mit Verweis auf Judikatur des EuGH).

20 Im Vorabentscheidungsverfahren zum zweitangefochtenen Erkenntnis hat der EuGH festgehalten, dass nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG, wenn Zweifel an der richtigen Qualifizierung der fraglichen Produkte bestehen, der Anwendung des Arzneimittelrechts der Union der Vorrang gebührt, was in Anbetracht der höheren Anforderungen, die sich aus dem Arzneimittelrecht für das Inverkehrbringen von Produkten ergeben, auch dem mit Art. 168 AEUV verfolgten Ziel eines hohen Gesundheitsschutzniveaus entspreche. Diese Bestimmung sei nicht nur auf die Qualifizierung als „Funktionsarzneimittel“ (Art. 1 Z 2 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG), sondern auch auf die Qualifizierung als „Präsentationsarzneimittel“ (Art. 1 Z 2 lit. a dieser Richtlinie) anwendbar (vgl. EuGH 2.3.2023, Kwizda Pharma GmbH , C 760/21, Rn. 34 35). Vor diesem Hintergrund hegt der Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Einstufung der verfahrensgegenständlichen Produkte als Arzneimittel.

21 Gemäß § 6a Abs. 1 Z 1 GESG obliegt die Vollziehung des AMG dem BASG, soweit nach diesem Gesetz die Vollziehung dem BASG zukommt.

22 Ausgehend davon zeigen die Revisionen zutreffend auf, dass hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen, vom Verwaltungsgericht als Präsentationsarzneimittel eingestuften Produkte der in § 1 Abs. 3a AMG enthaltene Anwendungsvorrang zum Tragen kommt und auf die Produkte daher ausschließlich die Bestimmungen des AMG anzuwenden sind. Für die Anordnung einer auf § 39 Abs. 1 Z 11 LMSVG gestützten (lebensmittelrechtlichen) Maßnahme war die belangte Behörde aufgrund des in einem solchen Fall geltenden Vorrangs des Arzneimittelrechts auch wenn die Vorgaben zur Einstufung der Produkte als Nahrungsergänzungsmittel erfüllt gewesen sein sollten nicht zuständig.

23 Hat eine unzuständige Behörde entschieden, so hat das mit Beschwerde angerufene Verwaltungsgericht diese Unzuständigkeit wahrzunehmen und die Entscheidung zu beheben. Eine anstelle dessen erfolgte Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache belastet diese mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit der belangten Behörde hat unabhängig davon zu erfolgen, ob der Rechtsmittelwerber dies im Verfahren eingewendet oder in der Beschwerde releviert hat (VwGH 10.2.2022, Ra 2021/03/0281, mwN).

24 Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidungen der belangten Behörde nicht behoben und daher seine Erkenntnisse in der von ihm amtswegig zu prüfenden Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

25 Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. April 2024

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