JudikaturVwGhRa 2022/21/0024

Ra 2022/21/0024 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
11. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des A K, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen das am 28. Oktober 2021 mündlich verkündete und mit 4. Jänner 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G306 2247560 1/16E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte in Österreich im Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 7. Jänner 2020 abgewiesen wurde. Unter einem wurde ausgesprochen, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, es wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

2 In der Folge reiste der Revisionswerber nach Frankreich weiter, wo er Ende Jänner und Mitte Februar 2020 teils unter einer Aliasidentität weitere Anträge auf internationalen Schutz stellte. Einem auf die Bestimmungen der Dublin III VO gestützten Wiederaufnahmegesuch der französischen Behörden stimmte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Schreiben vom 3. März 2020 zu. In der Folge kam es jedoch nicht zur Überstellung des Revisionswerbers nach Österreich.

3 Am 8. Oktober 2020 stellte der Revisionswerber in Deutschland einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, über den am 18. Mai 2021 eine negative Entscheidung erging.

4 Im August 2021 wurde der Revisionswerber aufgrund eines internationalen Haftbefehls von Deutschland nach Österreich überstellt. Daraufhin wurde er hier in Untersuchungshaft angehalten, aus der er am 5. Oktober 2021 infolge eines gerichtlichen Freispruches entlassen wurde.

5 Am 18. Oktober 2021 stellte der Revisionswerber in Österreich einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Mit Schreiben des BFA vom selben Tag wurde ihm mitgeteilt, dass Konsultationen gemäß der Dublin III VO mit den französischen Behörden geführt werden.

6 Mit Mandatsbescheid des BFA (ebenfalls) vom 18. Oktober 2021 wurde gegen den Revisionswerber gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III VO iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Überstellungsverfahrens angeordnet und ab 18:00 Uhr desselben Tages vollzogen.

7 Mit dem angefochtenen am 28. Oktober 2021 mündlich verkündeten und mit 4. Jänner 2022 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis wies das BVwG die gegen den Schubhaftbescheid vom 18. Oktober 2021 und die darauf gegründete Anhaltung gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin III VO iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG und § 22a Abs. 1 BFA VG als unbegründet ab, es stellte nach § 22a Abs. 3 BFA VG fest, dass gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin III VO iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Entscheidungszeitpunkt vorlägen, und verpflichtete den Revisionswerber zum Aufwandersatz an den Bund. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 In dieser Hinsicht richtet sich der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung der Revision gegen die Annahme des BVwG, es sei erhebliche Fluchtgefahr vorgelegen, und macht geltend, er habe im Verfahren wiederholt seine Bereitschaft kundgetan, freiwillig nach Deutschland, wo ihm aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan eine Berechtigung zum Aufenthalt samt Erlaubnis zur Aufnahme einer Beschäftigung erteilt worden sei, auszureisen.

12 Gemäß dem im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage herangezogenen § 76 Abs. 2 Z 3 FPG darf Schubhaft angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III VO vorliegen. Danach dürfen Personen, die dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegen, zwar nicht allein deshalb in Haft genommen werden, jedoch „zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren“ dann, wenn nach einer Einzelfallprüfung „erhebliche Fluchtgefahr“ besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen (vgl. etwa VwGH 5.10.2022, Ra 2019/21/0414, Rn. 12, mwN).

13 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde bereits dargelegt, dass die Frage, ob konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von (erheblicher) Fluchtgefahr auszugehen sei, stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde. Das gilt sinngemäß auch für die Frage, ob von einem Sicherungsbedarf auszugehen ist, dem nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne, und auch für die Frage, ob sich die Schubhaft nach Abwägung der wechselseitigen Interessen als verhältnismäßig erweist (siehe z.B. erneut VwGH 5.10.2022, Ra 2019/21/0414, nunmehr Rn. 14, mwN).

14 Das BFA und das BVwG stützten die Annahme einer nicht durch gelindere Mittel abwendbaren erheblichen Fluchtgefahr vor allem darauf, dass der Revisionswerber statt seiner aufgrund der gegen ihn erlassenen rechtskräftigen und durchsetzbaren Rückkehrentscheidung bestehenden Ausreiseverpflichtung nachzukommen in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union gereist ist und dort teilweise unter Angabe falscher Identitätsdaten weitere Anträge auf internationalen Schutz gestellt hat, während seines Aufenthaltes in Österreich nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft nicht gemeldet war, für die Behörden nicht greifbar gewesen ist und überdies in Österreich über keine soziale oder familiäre Verankerung verfügt. Im Hinblick darauf war die vom BVwG nach mündlicher Verhandlung getroffene Annahme, die Fluchtgefahrtatbestände des § 76 Abs. 3 Z 3, Z 6 lit. a und b und Z 9 FPG (der Sache nach auch der Z 1) seien erfüllt und es bestehe im konkreten Fall erhebliche Fluchtgefahr, jedenfalls auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung, eine Wohnmöglichkeit bei einem Bekannten zu haben nicht unvertretbar.

15 Die in der Revision ins Treffen geführte Bereitschaft des Revisionswerbers, freiwillig nach Deutschland auszureisen, ist indes nicht zielführend. Denn nach dem Stand des Verfahrens im Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides vom 18. Oktober 2021 und des Fortsetzungsausspruches des BVwG vom 28. Oktober 2021 wurden ausgehend von der vertretbaren Annahme, die Zuständigkeit für den Antrag auf internationalen Schutz sei nach der Dublin III VO offenbar wegen seinerzeitigen Ablaufes der Überstellungsfrist bzw. Selbsteintritts Frankreichs (siehe Rn. 2) auf Frankreich übergegangen und das Verfahren dort noch anhängig Konsultationen mit Frankreich geführt (zum weiteren Verfahrensgang nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses, auf den sich der Revisionswerber in der gegenständlichen Revision auch bezieht, siehe das Erkenntnis VwGH 11.4.2024, Ra 2022/21/0025, 0039). Das BFA nahm somit primär eine Überstellung des Revisionswerbers nach Frankreich in Aussicht, was dem Revisionswerber auch zur Kenntnis gebracht worden war. Die Zulässigkeit dieser Vorgangsweise wird in der Revision auch nicht mehr in Frage gestellt. Die vom BVwG auf Grundlage vertretbarer Beweiswürdigung (zur diesbezüglichen Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls siehe etwa VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0056, Rn. 12, mwN) getroffene Feststellung, der Revisionswerber sei nicht bereit, nach Frankreich zurückzukehren, wird in der Revision aber ebenfalls nicht beanstandet.

16 Die Revision war daher nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 11. April 2024

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen