JudikaturVwGhRa 2022/12/0138

Ra 2022/12/0138 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und Hofrätin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrätin Dr. Holzinger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag. a Havas, über die Revision des W G H, vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 10. März 2021, VGW 002/V/011/13016/2020, VGW 002/V/011/13017/2020, betreffend Beschlagnahme und Einziehung nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid vom 25. August 2020 ordnete die Landespolizeidirektion Wien gegenüber dem Revisionswerber sowie einer weiteren Person als Inhaber der verfahrensgegenständlichen Geräte gemäß § 53 Abs. 1 Glücksspielgesetz (GSpG) die Beschlagnahme von sechs näher bezeichneten Glücksspielautomaten bzw. Eingriffsgegenständen und des Inhaltes der Gerätekassenlade (Spruchpunkt 1) sowie gemäß § 54 Abs. 1 GSpG die Einziehung der Glücksspielautomaten bzw. Eingriffsgegenstände (Spruchpunkt 2) an.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers und des weiteren, ebenfalls als Inhaber der Geräte behandelten Beschwerdeführers in Spruchpunkt I.) und den Antrag auf Aberkennung der Parteistellung beider Beschwerdeführer in Spruchpunkt II. als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig (Spruchpunkt III.).

4 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die verfahrensgegenständlichen Eingriffsgegenstände seien probebespielt worden, wobei diesbezüglich auf die Gerätedokumentation der Finanzpolizei zu verweisen sei, wonach auf den beschlagnahmten Geräten ein virtuelles Walzenspiel mit näher konkretisiertem Spielplan und Höchstgewinn sowie Mindest und Höchsteinsätzen habe gespielt werden können. Eine Bewilligung oder Konzession nach dem GSpG sei nicht vorgelegen. Dagegen, dass vorliegend ein illegales Glücksspiel betrieben worden sei, sei im Verfahren auch nichts eingewendet worden. Der Revisionswerber sei Inhaber der Eingriffsgegenstände gewesen, weil ihm (und der weiteren als Inhaberin behandelten Person) die Verfügungsgewalt für die Ermöglichung des illegalen Spielbetriebes oblegen sei. Dies ergebe sich aus der Niederschrift über die Einvernahme des im gegenständlichen Lokal anwesenden Zeugen I, dessen Aussage mangels Greifbarkeit des Zeugen I habe verlesen werden können. Dieser habe sich als Mitarbeiter des Revisionswerbers ausgegeben und ihn, wenn auch nach anfänglichem Zögern und kurzer Unterbrechung, unter Wahrheitspflicht als Inhaber bezeichnet. Die Inhabereigenschaft werde außerdem durch einen näher bezeichneten Chatverlauf bestätigt. Die Beschwerde und der Antrag des Revisionswerbers auf Aberkennung der Parteistellung seien somit abzuweisen gewesen. Diese Vorgehensweise sei so das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe diverser Berichte zur Situation im nationalen Glücksspielsektor auch unionsrechtskonform.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge es wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufheben. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Soweit der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision vorbringt, das Verwaltungsgericht verstoße gegen die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weil die Inhabereigenschaft nicht ausreiche, um Parteistellung im Einziehungsverfahren gemäß § 54 GSpG zu erlangen, kann dem nicht beigetreten werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 11. September 2015, Ro 2015/17/0001, mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, bereits ausgesprochen, dass sich die Rechtsauffassung, wonach über die Rechte des Inhabers des Glücksspielgeräts bzw. des Veranstalters bereits im Beschlagnahmeverfahren derart abschließend abgesprochen worden sei, dass ihnen im Einziehungsverfahren keine Parteistellung mehr zukäme, als unrichtig erweist. Die Beurteilung des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall, den Revisionswerber für die Frage der Inhabereigenschaft dem Verfahren als Partei zuzuziehen, erfolgte daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

7 Die Revision ist jedoch aufgrund des nachstehenden Vorbringens zulässig und berechtigt.

8 Der Revisionswerber macht weiters geltend, das angefochtene Erkenntnis verstoße gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, weil der einzige für die Frage der Inhabereigenschaft des Revisionswerbers in Betracht kommende Zeuge I in der mündlichen Verhandlung nicht einvernommen worden sei. Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 VwGVG für die Verlesung der Vernehmung des Zeugen I seien nicht vorgelegen.

9 Eingangs ist festzuhalten, dass gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen sind. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof schon vielfach ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben. Weiters sprach der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt aus, dass die bloße Zitierung von Beweisergebnissen nicht hinreichend ist, um den Anforderungen an die Begründungspflicht gerecht zu werden (vgl. etwa VwGH 10.11.2023, Ra 2021/05/0100, mwN).

10 Zweck der mündlichen Verhandlung ist es (und zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts gehört es), im Fall zu klärender bzw. einander widersprechender prozessrelevanter Behauptungen, dem auch im § 44 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der mündlichen Verhandlung die Vorschrift des § 46 Abs. 1 VwGVG zu beachten, wonach in der Verhandlung die zur Entscheidung der Rechtssache erforderlichen Beweise aufzunehmen sind. Das Verwaltungsgericht darf sich demnach nicht mit einem mittelbaren Beweis zufrieden geben, wenn der Aufnahme eines unmittelbaren Beweises kein tatsächliches Hindernis entgegensteht. Die Unmittelbarkeit in Hinblick auf die Aussage eines Zeugen (bzw. einer Partei) verlangt damit dessen (deren) Einvernahme vor dem erkennenden Verwaltungsgericht. Es bedarf daher einer Rechtfertigung, wenn sich das Verwaltungsgericht auf Zeugen oder Beteiligteneinvernahmen stützt, die nicht unmittelbar in der Verhandlung erfolgt sind, sondern in der Verhandlung bloß mittelbar im Wege der Verlesung früherer Aussagen vorgekommen sind (vgl. in diesem Sinn VwGH 6.9.2023, Ra 2021/08/0018, mwN).

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Behörde (und nichts Anderes gilt für das Verwaltungsgericht) die Einvernahme eines Zeugen nicht allein deshalb unterlassen, weil dieser trotz Ladung nicht erscheint. Vielmehr ist es Pflicht der Behörde (bzw. des Verwaltungsgerichts), einen allenfalls unwilligen Zeugen zum Erscheinen und zur Aussage zu zwingen (vgl. VwGH 10.11.2022, Ra 2021/22/0213, mwN).

12 Soweit das Verwaltungsgericht die Inhabereigenschaft des Revisionswerbers auf eine näher bezeichnete, im verwaltungsbehördlichen Verfahren aufgenommene Niederschrift stützt, aus der hervorgehe, dass der Zeuge I den Revisionswerber unter Wahrheitspflicht „als Inhaber“ bezeichnet habe, und das Unterbleiben der Einvernahme des Zeugen I in der mündlichen Verhandlung damit begründet, dass dieser für die Behörde (gemeint offenbar: das Verwaltungsgericht) nicht greifbar gewesen sei, weshalb dessen Aussage habe verlesen werden können, trägt es wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt dem Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht ausreichend Rechnung.

13 Ausgehend vom vorliegenden Akteninhalt hat das Verwaltungsgericht zwei Mal versucht, dem Zeugen I die Ladung zur mündlichen Verhandlung an dessen zu diesem Zeitpunkt aufrechte Meldeadresse zuzustellen. Die Ladungen wurden jedoch beide Male mit dem Vermerk „nicht behoben“ retourniert. Anstrengungen, den Zeugen I zum Erscheinen und zur Aussage in der mündlichen Verhandlung zu zwingen, hat das Verwaltungsgericht laut Akteninhalt nicht unternommen. Auf die Einvernahme des Zeugen I in der mündlichen Verhandlung zur Klärung des Sachverhaltes wäre es schon deshalb angekommen, weil sich das Verwaltungsgericht tragend auf dessen Aussage gestützt und daraus abgeleitet hat, der Revisionswerber sei Inhaber der Glücksspielgeräte gewesen, was von diesem ausdrücklich bestritten wurde. Er brachte vor, den Zeugen nicht zu kennen.

14 Daran vermag auch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf einen vom Telefon des Zeugen I abfotografierten Chatverlauf, der so das Verwaltungsgericht die Annahme der Inhabereigenschaft des Revisionswerbers stützen solle, nichts zu ändern. In diesem Zusammenhang erfüllt die Begründung des Verwaltungsgerichts, die eine klare Trennung von Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung vermissen lässt, die in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Begründungspflicht nicht, weil aus ihr weder der Inhalt des Chatverlaufs hervorgeht, noch beweiswürdigend dargelegt wird, weshalb dieser die Annahme bestätige, der Revisionswerber sei „Inhaber der Glücksspielgeräte mit Verfügungsgewalt“.

15 Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, erweist sich das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund als rechtswidrig.

16 Das angefochtene Erkenntnis ist überdies auch deshalb mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weil das Verwaltungsgericht die Beweisanträge des Revisionswerbers begründungslos übergangen hat. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa VwGH 13.9.2023, Ra 2022/14/0221, mwN). Vor dem Hintergrund der strittigen Frage über die Inhabereigenschaft des Revisionswerbers hätte sich das Verwaltungsgericht daher auch mit den bereits in der Beschwerde gestellten und nicht von vornherein untauglichen Beweisanträgen auseinandersetzen müssen. Die Begründung des Verwaltungsgerichts erweist sich daher auch in dieser Hinsicht als mangelhaft.

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter Abstandnahme von der beantragten Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

18 Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. April 2024

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