JudikaturVwGhRa 2022/02/0094

Ra 2022/02/0094 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Graz, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 29. März 2022, LVwG 30.2 172/2021 8, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: K, vertreten durch die Lindner Rock Rechtsanwälte OG in 8043 Graz, Mariatrosterstraße 87a), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Straferkenntnis des (damaligen) Bürgermeisters der Stadt Graz vom 15. Dezember 2020 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe am 24. November 2019 mit einem dem Kennzeichnen nach bestimmten PKW zu einem näher bestimmten Zeitpunkt und an einem konkret genannten Ort einen Gehsteig benützt, obwohl die Benützung von Gehsteigen, Gehwegen und Schutzinseln mit Fahrzeugen aller Art verboten sei. Er habe dadurch § 8 Abs. 4 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe von € 55, (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag) verhängt wurde.

2 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte im Wesentlichen vor, bei dem Grundstück des Tatortes handle es sich nicht um eine Straße mit öffentlichem Verkehr im Sinn des § 1 Abs. 1 StVO, weil es im Eigentum der Dienstgeberin des Mitbeteiligten stehe und als Privatgrundstück durch im Boden verankerte Poller von der übrigen Fläche getrennt werde. Somit würden sich die Befugnisse der Behörden und Organe der Straßenaufsicht auf diese Fläche nicht erstrecken.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark (Verwaltungsgericht) wurde der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 erster Fall VStG eingestellt. Es sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.

4 Das Verwaltungsgericht stellte in seiner Entscheidung soweit für den Revisionsfall maßgeblich fest, der Mitbeteiligte habe das gegenständliche Fahrzeug auf einem im Eigentum seiner Dienstgeberin, der M GmbH, stehenden Grundstück unter dem Gebäudekomplex hinter den im Boden verankerten Pollern abgestellt. Die Liegenschaft der M GmbH sei teilweise verbaut, wobei ein Teil des Gebäudes als „Überbau“ ausgeführt worden sei, sodass dieser Teil nicht vollflächig mit dem Boden verbunden sei und von Säulen getragen werde. Aus dem Gebäude führe eine Treppe vom Obergeschoß auf die gepflasterte Fläche unter dem Gebäude. Die restliche nicht verbaute Fläche sei gepflastert und mit größeren Betonerhebungen bedeckt. Um das Grundstück herum sei „ein Gehsteig ersichtlich, der zu den Fahrbahnteilen hin durch die oben erwähnten Poller das Grundstück abgrenzt.“ Die überbaute Fläche schließe mit einer Seite unmittelbar an den mit der Grundfläche verbundenen Gebäudekomplex an und erstrecke sich dann in spitzer Form Richtung unverbauter Fläche. Am unmittelbar auf der Fläche unter dem Gebäudekomplex gelegenen Tatort habe sich zur Tatzeit kein Hinweisschild auf ein Privatgrundstück oder ein Verbot des Betretens und Befahrens für Unbefugte befunden. Allerdings sei aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um eine überbaute Fläche handle und sich dort eine aus dem Gebäude herunterführende Treppe befinde, deutlich erkennbar, dass es sich bei dieser überbauten Fläche unter dem Gebäudekomplex um Privateigentum handle und es sei unschwer erkennbar, dass diese Fläche quasi zum Gebäude gehöre selbst wenn man als Fußgänger an sich die Möglichkeit habe, unter dem Gebäude durchzugehen. Demgegenüber biete sich die Möglichkeit eines „Gehweges“ auf dem nicht überbauten Teil der Fläche an, wobei sich auch auf diesem Teil durch eine Änderung in der Verlegung der Pflastersteine eine Vorgabe des gewünschten Verlaufes eines Gehweges ergebe, weil die senkrecht im Boden verankerten und aufgestellten „Pfeiler/Poller eine Abgrenzung zum Gehsteig bzw. zu jener Fläche, die für Fußgänger zum Queren des Grundstückes grundsätzlich gedacht“ sei, darstellten. Überdies sei auf der nicht überbauten Fläche und somit außerhalb des unmittelbaren Tatortes ein eventuell auch als Radweg nutzbarer Gehweg durch eine Markierung in Form einer weißen Pflasterung sichtbar gemacht. Im Ergebnis sei der gegenständliche PKW „im Sinne der privaten Parkmöglichkeit richtig“ abgestellt gewesen und „ragte auch nicht über die mit den Pfeilern markierte Grenze des Gehsteiges hinaus“ (gemeint offenbar: ragte nicht in den Gehsteig hinein).

5 In der rechtlichen Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, im vorliegenden Fall sei ausschließlich strittig, ob das verfahrensgegenständliche Fahrzeug auf einem Gehsteig abgestellt gewesen sei oder nicht. Da der konkrete Tatort nicht als Gehsteig qualifiziert werden könne, sei der Tatvorwurf unrichtig. Ob der Mitbeteiligte möglicherweise dafür zu bestrafen gewesen sei, dass er einen bestimmten Teil des Gehsteiges habe überfahren müssen, könne dahingestellt bleiben. Deshalb sei das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen.

6 Dagegen richtet sich die Revision der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Graz wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

7 Der Mitbeteiligte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision „unter den gesetzlichen Kostenfolgen“ keine Folge zu geben und das angefochtene Erkenntnis zu bestätigen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht weiche von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 1 Abs. 1 StVO ab, weil es sich bei der Fläche, auf welcher der Mitbeteiligte das gegenständliche Fahrzeug abgestellt habe, mangels Hinweis auf ein Privatgrundstück oder auf den Ausschluss des Fahrzeug und Fußgängerverkehrs um eine Straße mit öffentlichem Verkehr handle.

9 Verwaltungsübertretungen nach § 8 Abs. 4 StVO sind gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von bis zu € 726, , im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen, weshalb die Voraussetzungen für eine zulässige Revision im Sinne des § 25a Abs. 4 Z 1 VwGG nicht erfüllt sind. Dies gilt allerdings nur für Revisionen wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B VG), nicht jedoch für Amtsrevisionen zur Sicherung der Einheit und Gesetzmäßigkeit der Vollziehung. Amtsrevisionen sind demnach nicht von der „Bagatellgrenze“ des § 25a Abs. 4 VwGG erfasst und unabhängig von der Höhe der verhängten Strafe und des Strafrahmens möglich (vgl. sinngemäß VwGH 18.3.2022, Ra 2020/02/0137, mwN). Die vorliegende Amtsrevision ist daher nicht absolut unzulässig.

10 Sie ist vielmehr im Sinne der Zulassungsbegründung zulässig und begründet.

11 Gemäß § 1 Abs. 1 StVO gilt die StVO für Straßen mit öffentlichem Verkehr. Als solche gelten Straßen, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können.

12 Dem angefochtenen Erkenntnis liegt die Feststellung zu Grunde, dass die Fläche, auf welcher der gegenständliche PKW im Tatzeitpunkt abgestellt war, im Eigentum der M GmbH steht.

13 Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass eine Qualifizierung der zu beurteilenden Verkehrsfläche als Gehsteig im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 10 StVO schon deshalb ausscheide, weil eine „private Parkmöglichkeit“ vorliege, die aufgrund den Umstands, dass es sich um eine überbaute Fläche handle und sich dort eine aus dem Gebäude herunterführenden Treppe befinde, deutlich als solche zu erkennen sei.

14 Damit verkennt das Verwaltungsgericht allerdings die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 1 Abs. 1 StVO, wonach auch ein im Eigentum eines Privaten stehender Parkplatz eine Straße mit öffentlichem Verkehr ist, wenn nicht durch eine entsprechende Kennzeichnung oder Abschrankung erkennbar ist, dass das Gegenteil zutrifft (vgl. etwa VwGH 13.4.2017, Ro 2017/02/0015, mwN).

15 Da das Verwaltungsgericht jedoch festgestellt hat, dass sich auf der in Rede stehenden Verkehrsfläche zur Tatzeit keine Kennzeichnung derselben als Privatgrundstück befand und auch die beschriebenen Poller, welche eine Zufahrt zum Tatort unstrittig nicht hinderten, für sich alleine keine Abschrankung im Sinne der genannten Bestimmung darstellen (vgl. etwa VwGH 18.10.1999, 96/17/0349), wird diesen Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht entsprochen.

16 Da das Verwaltungsgericht in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Vorliegen einer Straße mit öffentlichem Verkehr im Sinn des § 1 Abs. 1 StVO verneint hat, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Schon deshalb kommt es auf die in der Revision angesprochenen Grenzen der in Rede stehenden Parzellen und ob demnach das Fahrzeug auf öffentlichem oder privatem Grund gestanden sei, nicht mehr an.

17 Darüber hinaus begründete das Verwaltungsgericht das seiner Ansicht nach richtige Abstellen Fahrzeuges damit, dass es nicht in die mit den Pollern markierte Grenze des Gehsteiges geragt habe und somit nicht auf einem Gehsteig abgestellt gewesen sei.

18 Gemäß § 2 Abs. 1 Z 10 StVO handelt es sich bei einem Gehsteig um einen für den Fußgängerverkehr bestimmten, von der Fahrbahn durch Randsteine, Bodenmarkierungen oder dergleichen abgegrenzten Teil der Straße.

19 Diese Begriffsbestimmung lässt mit ihrer demonstrativen Aufzählung „durch Randsteine, Bodenmarkierungen oder dergleichen“ erkennen, dass ein Gehsteig sowohl durch bauliche Maßnahmen als auch durch das bloße Anbringen von Bodenmarkierungen geschaffen werden kann (vgl. VwGH 5.10.2023, Ra 2023/02/0143, mwN). Die rechtliche Qualifikation eines Straßenteiles als Gehsteig hängt somit von solchen tatsächlichen Gegebenheiten ab, aus denen sich die Bestimmung für den Fußgängerverkehr und eine Abgrenzung gegenüber der Fahrbahn entsprechend der angeführten demonstrativen Aufzählung ergibt (vgl. VwGH 27.6.1990, 89/03/0230, mwN).

20 Die Bestimmung eines Teiles der Straße für den Fußgängerverkehr richtet sich ausschließlich nach den äußeren Merkmalen, die für jedermann deutlich erkennbar sind (vgl. VwGH 21.10.1992, 92/02/0218, mwN).

21 Die Einstufung eines Straßenteiles als Gehsteig stellt stets eine rechtliche Beurteilung dar, die aufgrund der getroffenen Feststellungen zu erfolgen hat (vgl. VwGH 26.8.2020, Ra 2019/02/0118).

22 Die in den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses enthaltenen Hinweise auf Abgrenzungen des Gehsteiges durch Poller sind nicht hinreichend klar, weil sich daraus nicht eindeutig ergibt, zu welchen Fahrbahnteilen hin diese Abgrenzung erfolgen soll. Insbesonders ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmbar, ob das Verwaltungsgericht davon ausging, dass und warum es sich bei der unter dem Gebäudekomplex befindlichen Fläche um eine Fahrbahn handeln sollte. Auch der von der Revision angesprochene Verlauf der Poller über die gesamte Fläche wird vom Verwaltungsgericht nicht in seine Überlegungen einbezogen. Schließlich ist nicht ersichtlich, ob sich die Grenzen des Gebäudekomplexes mit der vom Verwaltungsgericht zur Abgrenzung des Gehsteiges ebenso erwähnten Änderung der Pflasterung und mit dem Verlauf der Poller decken.

23 Daher reichen die im angefochtenen Erkenntnis enthaltenen Feststellungen über die Abgrenzung des Gehsteiges nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Mitbeteiligte den PKW auf einem Gehsteig im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 10 StVO abstellte oder nicht.

24 Indem das Verwaltungsgericht trotz der unzureichenden Feststellungen vom Nichtvorliegen des Abstellens des Fahrzeuges auf einem Gehsteig ausging, belastete es sein Erkenntnis auch aus diesem Grund mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 8. April 2024

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