JudikaturVwGhRa 2021/21/0336

Ra 2021/21/0336 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
11. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der S A, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2021, W171 2247859 1/7E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Revisionswerberin, eine 1991 geborene nigerianische Staatsangehörige, stellte nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 4. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Beschwerdeweg mit dem am 23. April 2021 (in Abwesenheit der unentschuldigt nicht erschienenen Revisionswerberin) mündlich verkündeten und mit 12. Mai 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis rechtskräftig abwies und aussprach, dass ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde. Unter einem wurde gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Nigeria zulässig sei, und ihr eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

2 Am 22. Oktober 2021 wurde die Revisionswerberin die im Bundesgebiet verblieben war und der weder an ihrem gemeldeten Hauptwohnsitz in Wien noch an ihrem gemeldeten Nebenwohnsitz in Graz Ladungen zugestellt werden konnten im Zuge einer Schwerpunktüberprüfung im Rotlichtmilieu in Graz einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen und festgenommen.

3 Mit Mandatsbescheid vom selben Tag ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen die Revisionswerberin nach ihrer Vernehmung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an.

4 Die gegen den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. November 2021 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 iVm § 22a Abs. 1 BFA VG als unbegründet ab, es stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen, und es traf diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich die Revision gegen das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung, weil sich das BVwG keinen persönlichen Eindruck von der Revisionswerberin verschafft und ihr keine Möglichkeit gegeben habe, „persönliches Vorbringen“ zum Ausreichen der Verhängung eines gelinderen Mittels zu erstatten.

9 Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass nicht in allen Fällen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks erforderlich ist, um die konkrete Fluchtgefahr insbesondere im Hinblick auf eine mangelnde Vertrauenswürdigkeit des betreffenden Fremden beurteilen zu können. Sie lässt sich vielmehr auch aus einem einschlägigen Vorverhalten ableiten (vgl. etwa VwGH 5.11.2020, Ra 2020/21/0287, Rn. 19, mwN).

10 Vor diesem Hintergrund stützte sich das BVwG zutreffend darauf, dass die Revisionswerberin in der Vergangenheit unstrittig für Behörden und das Verwaltungsgericht trotz (anwaltlicher) Vertretung und aufrechter Meldung im Bundesgebiet nicht erreichbar war und Ladungen keine Folge leistete. Zu Recht nahm das BVwG demzufolge aber auch an, die Revisionswerberin habe ungeachtet ihrer „zum Schein“ bestehenden Meldeadressen über keinen gesicherten Wohnsitz verfügt. Überdies berücksichtigte das BVwG ebenfalls zutreffend, dass die Revisionswerberin ihren ausdrücklichen Angaben zufolge nicht bereit ist, der rechtskräftig auferlegten Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Angesichts dieses Vorverhaltens und der fehlenden sozialen Verankerung in Österreich durfte das BVwG entgegen der Meinung in der Revision trotz der Erwerbstätigkeit der Revisionswerberin als Prostituierte und der deshalb gegebenen Selbsterhaltungsfähigkeit in vertretbarer Weise (weiterhin) das Vorliegen von Fluchtgefahr annehmen, die für das Ausreichen eines gelinderen Mittels erforderliche Kooperationsbereitschaft der Revisionswerberin verneinen, insoweit auch einen geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG annehmen und damit von der Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ausgehen.

11 Mit dem weiteren Vorbringen, es sei der im Übrigen bereits im Beschwerdeverfahren anwaltlich vertretenen Revisionswerberin mangels Durchführung einer Verhandlung nicht möglich gewesen, „persönliches Vorbringen“ zum Ausreichen der Anordnung eines gelinderen Mittels zu erstatten, wird schon mangels einer diesbezüglichen Konkretisierung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt. Außerdem bleibt die Revision eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb ein entsprechendes Vorbringen nicht spätestens in der im Rahmen des vom BVwG eingeräumten Parteiengehörs erstatteten Stellungnahme vom 5. November 2021 dargetan wurde (siehe dazu, dass eine Verhandlung nicht durchgeführt werden muss, um bisher nicht erstattetes Vorbringen zu ermöglichen, VwGH 23.2.2017, Ra 2017/21/0009, Rn. 11, und darauf Bezug nehmend VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0127, Rn. 9).

12 Weiters führt die Revision wie auch schon in der Beschwerde ins Treffen, die Revisionswerberin sei aufgrund ihrer Berufstätigkeit im Bereich von Sexdienstleistungen „sichtbares Opfer“ des internationalen Menschenhandels geworden und sie habe deshalb am 28. Oktober 2021 einen Antrag nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gestellt, sodass ihre Abschiebung unzulässig sei und die Schubhaft „nicht Bestand haben“ könne.

13 Dieses Vorbringen ist aber schon deshalb nicht zielführend, weil ein solcher aus der Aktenlage im Übrigen nicht ersichtlicher Antrag nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 58 Abs. 13 AsylG 2005 kein Aufenthalts oder Bleiberecht begründet, der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegensteht und daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG, also insbesondere auch in Bezug auf eine Abschiebung, keine aufschiebende Wirkung entfalten kann. Die von der Revisionswerberin erkennbar vertretene Auffassung, dass die Stellung eines solchen Antrages einer Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung per se entgegenstehe, trifft somit nicht zu. Es hätte vielmehr einer konkreten Darlegung der Gründe für die Antragstellung bedurft, um einerseits deren Erfolgsaussichten beurteilen und andererseits allenfalls Überlegungen in Richtung Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft anstellen zu können. Das wurde von der Revisionswerberin unterlassen, wobei in der erwähnten Stellungnahme vom 5. November 2021 (ebenso wie in der Revision) diesbezüglich überhaupt keine Konkretisierung vorgenommen wurde und der in der Beschwerde enthaltene bloße Hinweis auf eine „Vermittlung zur Prostitutionsausübung aus Nigeria“ hierfür jedenfalls nicht ausreichte, sodass dem BVwG insoweit kein Verfahrensfehler anzulasten ist.

14 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 11. April 2024

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