JudikaturVwGhRa 2020/22/0124

Ra 2020/22/0124 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
28. Dezember 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien gegen das am 28. August 2019 mündlich verkündete und mit 5. April 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW 151/031/4579/2019 11, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: L D in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

1. Der Mitbeteiligten, einer 1997 geborenen mongolischen Staatsangehörigen, wurde erstmals im Mai 2016 eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende gemäß § 64 NAG erteilt, die in der Folge mit Gültigkeit bis 7. Mai 2018 verlängert wurde.

2.1. Am 9. April 2018 stellte die Mitbeteiligte einen weiteren Verlängerungsantrag. Der Landeshauptmann von Wien (Revisionswerber) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 9. Juli 2018 mangels Nachweises des erforderlichen Studienerfolgs ab.

2.2. Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 10. Jänner 2019 legte sie Unterlagen über ihren Schulbesuch seit September 2018 vor. Sie brachte vor, sie gehe nunmehr in eine (näher bezeichnete) Schule und habe daher die Absicht, „dass der Aufenthaltszweck auf ‚Schüler‘ geändert wird“. Im Verhandlungsprotokoll ist weiters festgehalten, dass sie unter einem den Antrag stelle, den Aufenthaltszweck von „Student“ auf „Schüler“ zu ändern.

2.3. Daraufhin hob das Verwaltungsgericht mit am 10. Jänner 2019 mündlich verkündetem Erkenntnis den Bescheid vom 9. Juli 2018 auf. Die Mitbeteiligte habe einen „Zweckänderungsantrag“ gestellt und „folglich“ ihren Verlängerungsantrag vom 9. April 2018 „konkludent zurückgezogen“.

Dieses Erkenntnis erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

2.4. Am 17. Jänner 2019 stellte die Mitbeteiligte (auch) unmittelbar beim Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“.

2.5. Mit Bescheid vom 20. Februar 2019 wies der Revisionswerber den Antrag vom 10./17. Jänner 2019 ab. Die Mitbeteiligte sei zur Inlandsantragstellung nicht berechtigt (gewesen). Weiters seien auch die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG nicht erfüllt.

2.6. Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

3.1. Mit dem angefochtenen am 28. August 2019 mündlich verkündeten und mit 5. April 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde der Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom 20. Februar 2019 Folge und erteilte die beantragte Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ mit einer Gültigkeit von zwölf Monaten.

3.2. Das Verwaltungsgericht traf (bereits oben in Pkt. 1. und 2. enthaltene) Feststellungen zum Verfahrensverlauf.

Weiters stellte es fest, die Mitbeteiligte besuche seit dem Schuljahr 2018/19 ein International Business College in Wien. Sie sei auch für das Schuljahr 2019/20 dort gemeldet und werde dieses absolvieren.

Die Mitbeteiligte verfüge über einen bis 20. April 2020 gültigen Reisepass und habe dessen Verlängerung bereits bei der Mongolischen Botschaft beantragt. Laut einer Bescheinigung der Botschaft könne die Ausstellung des Reisepasses aus technischen Gründen bis zu drei Monate dauern. Es sei davon auszugehen, dass der Reisepass jedenfalls verlängert werde.

Die Mitbeteiligte spreche ausgezeichnet Deutsch. Sie sei strafgerichtlich und verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Sie verfüge über eine ortsübliche Unterkunft im Bundesgebiet. Ein umfassender Krankenversicherungsschutz bestehe bei der K Versicherung, wobei der Vertrag bis 31. Mai 2020 befristet und eine Verlängerung jederzeit möglich sei. Die Mitbeteiligte verfüge bei einer Bank über ein Sparguthaben von € 5.738, und über ein Konto, auf dem laufend Geldbeträge ihrer Eltern eingingen. Sie sei auch bereits für einige Zeit legal geringfügig beschäftigt gewesen und wolle wiederum eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.

3.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, beim gegenständlichen Antrag handle es sich um einen „Zweckänderungsantrag“ gemäß § 24 Abs. 4 NAG, den die Mitbeteiligte im Verlängerungsverfahren betreffend ihren bisherigen Aufenthaltstitel gestellt habe. Es liege daher keine unzulässige Inlandsantragstellung vor. Warum der Revisionswerber dennoch von einem Erstantrag und einer unzulässigen Inlandsantragstellung ausgehe, entziehe sich der Kenntnis des Verwaltungsgerichts.

Die Mitbeteiligte sei als Schülerin des International Business College (einer Handelsakademie) ordentliche Schülerin einer öffentlichen Schule iSd § 63 Abs. 1 Z 1 NAG. Sie verfüge über einen gültigen Reisepass. Ihr Aufenthalt widerstreite nicht öffentlichen Interessen. Sie weise eine ortsübliche Unterkunft und einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz auf. Sie verfüge ferner über ein Sparguthaben und ein von ihren Eltern dotiertes Konto, sodass sie ausreichende Mittel habe, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.

Insgesamt seien somit die allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt und es sei daher der beantragte Aufenthaltstitel „Schüler“ für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen (gewesen).

3.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende außerordentliche Amtsrevision, in der unter anderem releviert wird, das Verwaltungsgericht habe den Aufenthaltstitel zu Unrecht für die Dauer von zwölf Monaten erteilt. Es sei nämlich ein Reisedokument mit einer entsprechenden Gültigkeitsdauer nicht vorgelegen, da der Reisepass nur bis 20. April 2020 gültig gewesen sei; die Bestätigung der Mongolischen Botschaft, wonach die Mitbeteiligte die Verlängerung beantragt habe, reiche insofern nicht aus.

4.2. Die Mitbeteiligte erstattete eine von ihr selbst verfasste Revisionsbeantwortung.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Revision ist bereits aus den oben (Pkt. 4.1.) angeführten Gründen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig und auch berechtigt.

6. Zum Vorwurf der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung für eine über die Gültigkeit des Reisepasses hinausgehende Dauer:

6.1. Gemäß § 20 Abs. 1 NAG sind befristete Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten oder für die in diesem Bundesgesetz bestimmte längere Dauer auszustellen, es sei denn, es wurde eine kürzere Dauer des Aufenthaltstitels beantragt oder das Reisedokument weist nicht die entsprechende Gültigkeitsdauer auf.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen den beantragten Aufenthaltstitel selbst in konstitutiver Weise zu erteilen und tritt diese Wirkung mit der Erlassung des Erkenntnisses ein. Beträgt dabei die Gültigkeit des Reisepasses weniger als die maximal mögliche für den Aufenthaltstitel gültige Aufenthaltsdauer, so ist dieser nur für die Gültigkeitsdauer des Reisepasses auszustellen (vgl. etwa VwGH 18.10.2021, Ra 2018/22/0067, Pkt. 6.2., mwN).

6.2. Vorliegend wurde das angefochtene Erkenntnis der Mitbeteiligten gegenüber durch mündliche Verkündung in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 28. August 2019 erlassen (vgl. etwa VwGH 13.10.2015, Fr 2015/03/0007, Pkt. 5., mwN). Nach der oben aufgezeigten Judikatur wurde daher mit diesem Zeitpunkt der mit einer Gültigkeitsdauer von zwölf Monaten befristete Aufenthaltstitel konstitutiv erteilt.

Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen war der von der Mitbeteiligten vorgelegte Reisepass allerdings nur bis 20. April 2020 gültig. Im Hinblick darauf wäre gemäß § 20 Abs. 1 NAG der befristete Aufenthaltstitel nicht für die maximal mögliche Dauer von zwölf Monaten, sondern lediglich für eine kürzere Dauer längstens bis zum Ablauf der Gültigkeit des Reisepasses zu erteilen gewesen (vgl. etwa auch VwGH 18.4.2018, Ra 2018/22/0019, Rn. 11, mwN).

Dem Umstand, dass die Verlängerung des Reisepasses bereits bei der Mongolischen Botschaft beantragt wurde und von dieser nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts jedenfalls auszugehen gewesen sei (wobei laut Bescheinigung die Ausstellung aus technischen Gründen bis zu drei Monate dauern könne), kommt in dem Zusammenhang keine Relevanz zu und vermag an der aufgezeigten Rechtswidrigkeit nichts zu ändern (vgl. dazu etwa VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0042 bis 0044).

6.3. Nach dem Vorgesagten hat das Verwaltungsgericht daher (bereits) insoweit, als es die beantragte Aufenthaltsbewilligung für eine die Gültigkeit des Reisepasses überschreitende Dauer erteilt hat, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

7. Das angefochtene Erkenntnis war somit schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 28. Dezember 2023

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen