JudikaturJustizBsw9929/12

Bsw9929/12 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
27. Mai 2014

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer II, Beschwerdesache Buchs gg. die Schweiz, Urteil vom 27.5.2014, Bsw. 9929/12.

Spruch

Art. 8 EMRK, Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK, Art. 5 7. Prot. EMRK - Kein gemeinsames Sorgerecht nach Scheidung.

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 8 EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 5 7.Prot. EMRK (mehrheitlich).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Beim Bf. handelt es sich um den Vater von drei Kindern. Seine älteste Tochter stammt aus einer früheren Beziehung und lebt bei ihm. 1995 heiratete der Bf. seine nunmehrige Exfrau; 1996 und 1999 wurden zwei gemeinsame Kinder geboren.

Der Bf. und seine Frau trennten sich 2002. Die Trennung wurde am 16.5.2002 vom Zivilgericht des Gerichtsbezirks Ost-Waadt (im Folgenden: »das Zivilgericht«) ausgesprochen und der Mutter wurde die Obhut für ihre beiden Kinder gewährt. Der Bf. bekam umfassende Kontaktrechte zugesprochen.

Am 17.1.2006 reichten der Bf. und seine Frau beim genannten Zivilgericht einen gemeinsamen Antrag auf Scheidung ein. Beide ersuchten um die alleinige elterliche Sorge und Obhut für die Kinder. Das Gericht holte eine Expertenmeinung ein, die empfahl, die elterliche Sorge der Mutter zu übertragen und dem Bf. umfassende Kontaktrechte zu gewähren. Ein zweites Gutachten bestätigte das erste am 31.3.2008. Nachdem das Gericht verschiedene Zeugen befragt hatte, sprach es am 15.12.2009 die Scheidung des Paares aus und erkannte der Mutter die elterliche Sorge und Obhut zu, während es die umfassenden Kontaktrechte des Bf. aufrechterhielt.

Der Bf. ging gegen dieses Urteil in Berufung und rügte, dass die Gewährung der elterlichen Sorge für seine Exfrau nicht im Einklang mit dem Urteil des GH im Fall Zaunegger/D stünde. Es könne einem Vater nicht die elterliche Sorge entzogen werden, der seine Fähigkeiten als Elternteil umfangreich unter Beweis gestellt hätte. Das Berufungsgericht des Kantons Vaud wies die Berufung des Bf. am 9.2.2010 ab, da gemäß Art. 133 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) die elterliche Sorge bei einer Scheidung nur einem Elternteil zuerkannt werden könne. Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge würde hingegen gemäß Art. 133 Abs. 3 ZGB einen gemeinsamen Antrag beider Elternteile erfordern, wohingegen eine geteilte Betreuung einem Elternteil, der dieser widerspricht – wie die Mutter im vorliegenden Fall – nicht auferlegt werden könne.

Die Berufung des Bf. an das Schweizerische Bundesgericht wurde von diesem am 11.8.2011 abgewiesen. Das Gericht kam insbesondere zum Schluss, dass der Fall des Bf. nicht mit dem Fall Zaunegger/D verglichen werden könne, weil kein Anzeichen dafür vorliege, dass er bei der Entscheidung über die elterliche Sorge im Vergleich zur Kindesmutter unterschiedlich behandelt worden wäre.

Am 21.6.2013 nahm das Schweizer Parlament Änderungen der Bestimmungen des ZGB zur elterlichen Sorge an, die am 1.7.2014 in Kraft traten. Diesen zufolge wird die gemeinsame elterliche Sorge die Regel sein, unabhängig vom Personenstand der Eltern. Die Fortsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung wird daher nicht länger einen gemeinsamen Antrag der Eltern erfordern. Wenn der Richter befindet, dass es dem Kindeswohl entspricht, kann er die elterliche Sorge jedoch immer noch nur einem Elternteil zuerkennen. Die Durchführungsbestimmungen dieser Anpassung des ZGB sehen zudem vor, dass in Fällen, die unter dem (früheren) Art. 133 ZGB entschieden wurden und wo die elterliche Sorge nur einem Elternteil zuerkannt worden war, der andere Elternteil oder beide zusammen bei der Kinderschutzbehörde die gemeinsame elterliche Sorge beantragen können. Weiters kann auch der Elternteil, dem die elterliche Sorge im Scheidungsverfahren entzogen worden ist, aus eigenem Antrieb das Gericht anrufen, wenn die Scheidung nach dem 1.7.2009 zum Abschluss gebracht wurde.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. rügt eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Familienlebens) alleine und iVm. Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) durch die Entscheidungen der nationalen Gerichte. Insbesondere würde die Anwendung von Art. 133 ZGB betreffend die gemeinsame elterliche Sorge eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gegenüber geschiedenen Vätern darstellen. Er rügt weiters eine Verletzung von Art. 5 7. Prot. EMRK (Gleichberechtigung der Ehegatten).

Zur Anwendbarkeit von Art. 37 Abs. 1 lit. b EMRK

Mit Schreiben vom 21.1.2014 hat die Regierung den GH ersucht, den gegenständlichen Fall gemäß Art. 37 Abs. 1 lit. b EMRK aus seinem Register zu streichen. Sie stützte sich auf den Umstand, dass am 1.7.2014 die Änderungen der Bestimmungen des ZGB zur elterlichen Sorge in Kraft treten werden und der Bf. dann für ein Jahr die Möglichkeit haben wird, bei der zuständigen Behörde die gemeinsame elterliche Sorge zu beantragen. Da die Zuerkennung von elterlicher Sorge im Fall des Bf. damit von den nationalen Behörden erneut untersucht würde, sei der gegenständliche Fall beigelegt.

(27) Um festzustellen, ob dem Antrag der Regierung stattgegeben werden kann, muss der GH nacheinander zwei Fragen beantworten: erstens, ob die direkt vom Bf. gerügten Umstände weiterbestehen; und zweitens, ob den Auswirkungen einer möglichen Verletzung der Konvention aufgrund dieser Umstände abgeholfen wurde.

(28) Der Bf. hat im vorliegenden Fall zwei spezielle Beschwerden vorgebracht. Zuallererst hat er gerügt, dass die nationalen Entscheidungen, die eine gemeinsame elterliche Sorge verweigern, das Recht auf Achtung seines Familienlebens unter Art. 8 EMRK verletzt hätten. Zweitens hat er sich unter Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK darüber beschwert, dass die Anwendung von Art. 133 ZGB betreffend die gemeinsame elterliche Sorge eine ungerechtfertigte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gegenüber geschiedenen Vätern darstellte.

(29) Im Hinblick auf beide Beschwerden ist es erforderlich festzustellen, ob die nationalen Entscheidungen, die dem Bf. eine gemeinsame elterliche Sorge verweigerten, nach dem Inkrafttreten der geänderten Bestimmungen des ZGB zur gemeinsamen elterlichen Sorge am 1.7.2014 weiterbestehen werden. Der GH muss sodann überlegen, ob die von den Behörden geplanten Maßnahmen eine Abhilfe für die Rügen des Bf. darstellen. In diesem Zusammenhang hat der GH zu entscheiden, ob die nationalen Behörden die gerügte Situation angemessen und ausreichend wiedergutgemacht haben.

(30) Für den GH ist klar, dass die vom Bf. gerügte Situation weiterbesteht. Während die Änderungen der Bestimmungen des ZGB zur gemeinsamen elterlichen Sorge und die Durchführungsbestimmungen von Bedeutung sein mögen, um die Anwendbarkeit von Art. 8 EMRK und von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK für die Zeit ab 1.7.2014 festzustellen, haben diese als solche keine Auswirkungen auf die Anwendung von Art. 37 Abs. 1 lit. b EMRK, da sie die Zuerkennung der elterlichen Sorge an den Bf. ohne weitere Schritte nicht ändern werden. Um die Frage der gemeinsamen elterlichen Sorge von den nationalen Behörden erneut beurteilt zu bekommen, müsste der Bf. ein nationales Verfahren einleiten, dessen Ausgang ungewiss wäre.

(31) Zusätzlich beobachtet der GH, dass die gesetzlichen Änderungen erst am 1.7.2014 in Kraft treten werden. Deshalb kann nicht gesagt werden, dass diese Maßnahmen geeignet sind, angemessene und ausreichende Wiedergutmachung für die Auswirkungen möglicher Verletzungen von Art. 8 EMRK und Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK zu bieten, was die Zeit zwischen der rechtskräftigen Entscheidung im gegenständlichen Fall und dem 1.7.2014 anbelangt. Weiters ist eines der Kinder des Bf. nun achtzehn Jahre und das andere fünfzehn Jahre alt. Die fraglichen gesetzlichen Änderungen werden deshalb keine rechtlichen Auswirkungen haben, zumindest was die Beziehung des Bf. zu seinem ersten Kind betrifft.

(32) Daraus folgt, dass die Bedingungen für die Anwendung von Art. 37 Abs. 1 lit. b EMRK, soweit die Beschwerden unter Art. 8 EMRK und Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK betroffen sind, nicht erfüllt wurden.

(33) Da die Sache daher noch nicht beigelegt ist und es nicht nötig ist, genauer zu untersuchen, ob Art. 37 Abs. 1 EMRK in fine auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, weist der GH dementsprechend den Antrag der Regierung zurück, die Beschwerde aus seinem Register zu streichen.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK

Die Regierung brachte vor, der Bf. hätte die nationalen Rechtsbehelfe im Hinblick auf eine Verletzung von Art. 8 EMRK alleine nicht erschöpft. Er hätte in seiner Berufung an das Bundesgericht keine Konventionsbestimmungen angeführt, sondern lediglich auf den Fall Zaunegger/D verwiesen, wo der GH eine Verletzung von Art. 14 mit Art. 8 EMRK gemeinsam festgestellt hatte.

(38) Der Bf., der vor dem Bundesgericht nicht anwaltlich vertreten war, verwies auf den Fall Zaunegger/D, weil dieser mit seinem Fall vergleichbar war, da er auch die Frage der gemeinsamen elterlichen Sorge betraf. Als Laie berief er sich nicht auf irgendwelche Konventionsbestimmungen. Da er aber inhaltlich rügte, dass jeder Vater in der Lage sein sollte, um die gemeinsame elterliche Sorge anzusuchen, auch wenn die Mutter sich dagegen ausspricht, befindet der GH entgegen den Ausführungen der Regierung, dass der Bf. nicht nur behauptete, im Vergleich zu seiner Frau unter Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK diskriminiert worden zu sein, sondern sich ebenfalls auf sein Recht auf Achtung des Familienlebens allein berufen hat. Der GH stellt daher fest, dass der Bf. im Hinblick auf Art. 8 EMRK die Erfordernisse von Art. 35 Abs. 1 EMRK erfüllt hat, und weist die Einrede der Regierung zurück.

(39) Die Beschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet und muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Die entscheidende Frage ist, ob die Entscheidungen der nationalen Gerichte als »notwendig in einer demokratischen Gesellschaft« angesehen werden können.

(52) Im vorliegenden Fall stellt der GH fest, dass die nationalen Gerichte die Fragen der Zuerkennung der elterlichen Sorge und der Kontaktrechte sorgfältig bedachten. Sie bekräftigten, dass die Kinder für eine harmonische Entwicklung grundsätzlich Kontakt mit beiden Eltern haben müssen, soweit dies im Einklang mit dem Kindeswohl steht. Dementsprechend stellten die nationalen Gerichte fest, dass dort, wo zwischen den Eltern ein Konflikt zu bestehen schien – wie im gegenständlichen Fall –, es nicht im Kindeswohl liegen würde, eine gemeinsame elterliche Sorge zuzuerkennen. Sie berücksichtigten nicht nur den Umstand, dass die Kindesmutter dagegen war, sondern auch die Schwierigkeiten des Bf., die Trennung von seiner Frau zu akzeptieren, sein Beharren auf der Anerkennung seiner Rechte und seine Versuche, die Kindesmutter unter Druck zu setzen. Sie schenkten auch der Bereitschaft der Mutter Beachtung, mit dem Bf. bei der Ausübung von dessen umfassenden Kontaktrechten zu kooperieren, und sie legten besonderes Augenmerk auf die Loyalitätskonflikte, in denen die Kinder gegenüber ihren Eltern gefangen waren. Das Zivilgericht stützte sich auf zwei Expertenmeinungen sowie auf die Beweise von Seiten der Eltern und Zeugen in der Verhandlung. Das Urteil des Zivilgerichts wurde vom Berufungsgericht und dem Bundesgericht bestätigt.

(53) Während Art. 8 EMRK keine expliziten verfahrensrechtlichen Erfordernisse enthält, muss der Entscheidungsfindungsprozess für Eingriffsmaßnahmen gerecht sein und die gebührende Achtung der von Art. 8 EMRK geschützten Interessen sicherstellen. Der GH muss daher entscheiden, ob der Bf. unter Berücksichtigung der Umstände des Falles und insbesondere der Wichtigkeit der zu treffenden Entscheidungen insgesamt gesehen in einem ausreichenden Maß am Entscheidungsfindungsprozess beteiligt war, um ihm den erforderlichen Schutz seiner Interessen zu gewährleisten.

(54) Der Bf. wurde vor allem im erstinstanzlichen Verfahren zu unterschiedlichen Gelegenheiten von Experten befragt und hatte – unterstützt von einem Anwalt – die Gelegenheit, seine Argumente schriftlich und mündlich vor dem Zivilgericht vorzubringen. Was das Verfahren vor dem Berufungsgericht betrifft, hatte der Bf. die Gelegenheit, schriftlich alle Ansichten vorzubringen, die seiner Meinung nach für den Ausgang des Verfahrens entscheidend waren.

(55) Im Lichte der vorangehenden Ausführungen und unter Berücksichtigung der gründlichen Beurteilung des Kindeswohls durch die nationalen Gerichte ist der GH zufriedengestellt, dass die strittigen Entscheidungen auf Gründe gestützt wurden, die nicht nur stichhaltig, sondern auch ausreichend für die Zwecke von Art. 8 Abs. 2 EMRK waren. Auch wurden die Art. 8 EMRK impliziten verfahrensrechtlichen Erfordernisse erfüllt und wurde der Bf. in den Entscheidungsfindungsprozess ausreichend eingebunden, um ihm den erforderlichen Schutz seiner Interessen zu gewährleisten. Die nationalen Behörden handelten daher innerhalb des ihnen in solchen Angelegenheiten zukommenden Beurteilungsspielraums, als sie der Kindesmutter die elterliche Sorge zusprachen und dem Bf. umfassende Kontaktrechte gewährten. Weiters befindet der GH, dass der Ausschluss der gemeinsamen elterlichen Sorge, wo einer der Elternteile dem widerspricht, ebenfalls in den Ermessensspielraum fällt, wenn man den mangelnden Konsens in diesem Bereich berücksichtigt, sowie die Umstände, dass die Experten feststellten, dass eine gemeinsame Sorge unter den speziellen Gegebenheiten nicht wünschenswert war, und dass der Bf. jedenfalls umfassende Kontaktrechte genoss.

(56) Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK

(58) Diese Beschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet und auch aus keinem anderen Grund unzulässig und muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

(68) Im vorliegenden Fall rügte der Bf. in seiner Eigenschaft als Vater im Wesentlichen, dass er im Verhältnis zur Kindesmutter unter Verletzung von Art. 8 und Art. 14 EMRK ungleich behandelt worden wäre, weil er keine Möglichkeit gehabt hätte, in einem Scheidungsverfahren ohne Zustimmung derselben die gemeinsame elterliche Sorge zu erhalten.

(69) Der Bf. hat nicht näher ausgeführt, in welchem Ausmaß er im Vergleich zu Vätern von unehelichen Kindern unterschiedlich behandelt worden wäre. Wie von der Regierung nachgewiesen, hatte nach dem geltenden Schweizer Recht kein Vater, egal ob verheiratet oder nicht, die Möglichkeit, die gemeinsame elterliche Sorge zu beantragen, wenn die Kindesmutter dem widersprach. Der Bf. hat daher seine Rüge wegen ungleicher Behandlung im Vergleich zu anderen Vätern in ähnlichen Situationen nicht ausreichend begründet. Der GH wird deshalb damit fortfahren, den gegenständlichen Fall gemäß Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK nur unter dem Aspekt einer ungleichen Behandlung wegen des Geschlechts zu beurteilen.

(70) In dieser Hinsicht beobachtet der GH, dass der Wortlaut der einschlägigen Bestimmung des Schweizer Rechts keine unterschiedlichen Standards für die Zuerkennung der alleinigen elterlichen Sorge für die Mutter oder den Vater anwendet. Unter Art. 133 Abs. 1 ZGB haben beide Elternteile das Recht, die alleinige elterliche Sorge zu beantragen. Wenn sie das tun – wie im vorliegenden Fall – evaluieren die nationalen Gerichte alle relevanten Umstände und die elterlichen Fähigkeiten der Parteien, um die geeignetste, im Kindeswohl gelegene Lösung zu finden.

(71) Wie vom Bf. behauptet war es den nationalen Gerichten jedoch auf Basis der geltenden nationalen Bestimmung unmöglich, ihm die gemeinsame elterliche Sorge zuzuerkennen, weil die Kindesmutter dagegen war. Entgegen dem Fall Zaunegger/D, der einen Vater eines unehelichen Kindes betraf, behielt jedoch nicht die Mutter ohne einen gemeinsamen Antrag die alleinige elterliche Sorge und besaß damit das Recht, dem Antrag des Bf. auf gemeinsame elterliche Sorge zu widersprechen. Ohne gemeinsamen Antrag behielten beide Eltern für den Lauf des Scheidungsverfahrens die gemeinsame elterliche Sorge und hatten das Recht, bei den nationalen Gerichten um die alleinige elterliche Sorge anzusuchen.

(72) Die Regierung hat überzeugend nachgewiesen, dass die Begründung hinter dem Erfordernis eines gemeinsamen Antrags auf gemeinsame elterliche Sorge war, die Eltern zu zwingen, ihre Bereitschaft zu zeigen, in Kindessachen auch nach der Scheidung zu kooperieren. Beide Eltern wurden insofern gleich behandelt, als beide das Recht hatten, der gemeinsamen elterlichen Sorge zu widersprechen. Der GH ist daher zufriedengestellt, dass das Erfordernis eines gemeinsamen Antrags nicht aus einer Unterscheidung auf Grund des Geschlechts der Eltern resultiert, so dass weder im Gesetz noch in den dieses anwendenden Entscheidungen eine ungleiche Behandlung erfolgte.

(73) Keine Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 7. Prot.EMRK

(74) Der Bf. rügt, er hätte hinsichtlich der Zuerkennung der elterlichen Sorge im Scheidungsverfahren nicht die gleichen Rechte genossen wie seine Exfrau.

(77) Da die Berufungen des Bf. bei den nationalen Gerichten wie auch seine Beschwerde an den GH nicht sehr gut begründet waren und er sich vor den nationalen Instanzen nicht auf irgendwelche Konventionsartikel stützte, stimmt der GH mit der Regierung überein, dass er die innerstaatlichen Rechtsbehelfe im Hinblick auf seine Beschwerde nach Art. 5 7. Prot. EMRK nicht erschöpft hat.

(78) Dieser Teil der Beschwerde ist daher als unzulässig zurückzuweisen (mehrheitlich).

Vom GH zitierte Judikatur:

Elsholz/D v. 13.7.2000 (GK) = NL 2000, 143 = EuGRZ 2001, 595 = ÖJZ 2002, 71

T. P. und K. M./GB v. 10.5.2001 (GK)

Zaunegger/D v. 3.12.2009 = NL 2009, 348 = EuGRZ 2010, 42 = ÖJZ 2010, 138

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 27.5.2014, Bsw. 9929/12, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2014, 233) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/14_3/Buchs.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

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