JudikaturJustizBsw54934/00

Bsw54934/00 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2006

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Gabriele Weber und Cesar Richard Saravia gegen Deutschland, Zulässigkeitsentscheidung vom 29.6.2006, Bsw. 54934/00.

Spruch

Art. 8 EMRK, Art. 5 Abs. 2 EMRK - Befugnis des BND zur Überwachung der Telekommunikation.

Unzulässigkeit der Beschwerde (mehrheitlich).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die vorliegende Beschwerde betrifft einige Bestimmungen des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13.8.1968 (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz – G 10) in der Fassung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28.10.1994.

Sie bezieht sich insbesondere auf die Ausweitung der Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Bezug auf die Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs im Zuge der so genannten strategischen Überwachung sowie auf die Verwertung dadurch erlangter personenbezogener Daten und deren Übermittlung an andere Behörden. Die strategische Überwachung zielt auf die Sammlung von Informationen durch die Überwachung der Telekommunikationsbeziehungen, um ernste Gefahren für die Bundesrepublik Deutschland, wie bewaffnete Angriffe auf ihr Staatsgebiet, internationale terroristische Anschläge oder bestimmte andere schwerwiegende Straftaten zu erkennen und abzuwehren. Die ErstBf. ist deutsche Staatsbürgerin und lebt in Montevideo. Sie ist als freie Journalistin regelmäßig für verschiedene deutsche und ausländische Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen tätig. Sie recherchiert insbesondere über Bereiche, die vom Bundesnachrichtendienst überwacht werden, wie Rüstung, Kriegsvorbereitungen, Drogen- und Waffenschmuggel und Geldwäsche. Der ZweitBf., ein Staatsangehöriger Uruguays, nahm während der Abwesenheit der ErstBf. Nachrichten für sie an ihrem und seinem eigenen Telefonanschluss entgegen.

Am 19.11.1995 brachten die Bf. eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein, mit der sie einige Bestimmungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, mit denen das G 10-Gesetz geändert wurde, bekämpften. Sie machten unter anderem eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses und der Pressefreiheit geltend. In teilweiser Stattgebung der Beschwerde der ErstBf. erklärte das BVerfG mit Urteil vom 14.7.1999 einige Bestimmungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes für unvereinbar mit dem GG. (Anm.: BVerfG 14.7.1999, 1 BvR 2420/94 u.a., EuGRZ 1999, 389.) Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, bis 30.6.2001 einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen. Die Beschwerde des ZweitBf. wurde als unzulässig zurückgewiesen, da die bloße Entgegennahme von Telefonaten für die ErstBf. für den Nachweis einer direkten Betroffenheit durch die angefochtenen Bestimmungen nicht ausreiche. Am 29.6.2001 trat eine neue Fassung des G 10-Gesetzes in Kraft, die dem Urteil des BVerfG entsprach.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz), Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) und Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz).

Zu den Beschwerdepunkten unter Art. 8 EMRK:

Die Bf. bringen vor, einige Bestimmungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, mit dem das G 10-Gesetz geändert wurde, würden sie in ihren durch Art. 8 EMRK geschützten Rechten verletzen. Die Beschwerde richtet sich gegen fünf Maßnahmen: die strategische Überwachung (Anm.: Gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 1 Z. 1 G 10-Gesetz durfte auf Antrag des BND eine Überwachung und Aufzeichnung nicht leitungsgebundener Fernmeldebeziehungen zur Sammlung von Informationen über Sachverhalte angeordnet werden, deren Kenntnis zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs, internationaler terroristischer Anschläge, der Proliferation, dem Suchtgiftschmuggel nach Deutschland, im Ausland begangener Geldfälschungen sowie der Geldwäsche im Zusammenhang mit den genannten Handlungen notwendig war.); die Übermittlung und Verwendung personenbezogener Daten im Rahmen der Berichtspflicht des BND gegenüber der Bundesregierung (Anm.: Nach § 3 Abs. 3 2. Satz G 10-Gesetz iVm. § 12 BND-Gesetz war im Rahmen der Berichtspflicht des BND gegenüber der Bundesregierung auch die Übermittlung personenbezogener Daten zulässig.); die Übermittlung personenbezogener Daten an die Verfassungsschutz- und andere Behörden (Anm.: Gemäß § 3 Abs. 5 G 10-Gesetz waren die nach § 3 Abs. 1 G 10-Gesetz erlangten Daten vollständig zur Verhinderung, Aufklärung oder Verfolgung der in § 3 Abs. 3 G 10-Gesetz näher bezeichneten Straftaten den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Amt für den Militärischen Abschirmdienst, dem Zollkriminalamt, dem Bundesausfuhramt, den Staatsanwaltschaften und den Polizeien zu übermitteln, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich war.); die Vernichtung personenbezogener Daten (Anm.: Wie § 3 Abs. 6 und Abs. 7 iVm. § 7 Abs. 4 G 10-Gesetz bestimmte, waren die durch eine strategische Überwachungsmaßnahme erlangten Daten unter Aufsicht eines Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt unverzüglich zu vernichten bzw. zu löschen, sobald sie nicht mehr für die Zwecke der Überwachung erforderlich waren.) und schließlich das Unterbleiben einer Mitteilung über die Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses an die Betroffenen. (Anm.: Gemäß § 3 Abs. 8

G 10-Gesetz war Betroffenen, deren Daten durch eine Überwachungsmaßnahme erlangt wurden, die Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung und der Verwendung der Daten ausgeschlossen werden konnte. Eine Mitteilung unterblieb jedoch, wenn die Daten vom BND bzw. von der Behörde, an die sie übermittelt wurden, binnen drei Monaten nach ihrer Erlangung bzw. Übermittlung vernichtet wurden.)

1. Zum Vorliegen eines Eingriffs:

Die Regierung und die Bf. stimmen dahingehend überein, dass die Bestimmungen des G 10-Gesetzes, soweit sie die Überwachung von Telekommunikation erlaubten, in das durch Art. 10 EMRK geschützte Fernmeldegeheimnis eingriffen.

Wie der GH in ähnlichen Fällen bereits festgestellt hat, bringt das bloße Bestehen eines Gesetzes, das eine geheime Überwachung der Telekommunikation erlaubt, als solche für alle Personen, auf die sie Anwendung finden können, die Gefahr einer Überwachung mit sich. Diese Gefahr greift notwendigerweise in die Freiheit der Kommunikation zwischen Benützern von Telekommunikationseinrichtungen ein und stellt daher unabhängig von irgendwelchen tatsächlich gegen sie ergriffenen Maßnahmen als solche einen Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte der Bf. dar.

Daneben begründet die Übermittlung der Daten an andere Behörden und die Verwendung durch diese einen weiteren, gesonderten Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte der Bf.

2. Zur Rechtfertigung des Eingriffs:

Solche Eingriffe sind gerechtfertigt iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, einem legitimen Ziel dienen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen.

a) War der Eingriff gesetzlich vorgesehen?

Die Bf. behaupten, das G 10-Gesetz sei keine gültige rechtliche Grundlage für den Eingriff, da durch die Überwachung der Telekommunikation unrechtmäßig in die Souveränität jener Staaten eingegriffen würde, in denen sich die überwachten Personen aufhielten.

Die Bf. haben nicht schlüssig nachgewiesen, dass die deutschen Behörden durch die Maßnahmen strategischer Überwachung in die völkerrechtlich geschützte territoriale Souveränität fremder Staaten eingegriffen haben.

Die Bf. bringen außerdem vor, § 5 Abs. 3 G 10-Gesetz sei keine gültige Grundlage für die Übermittlung von durch die Überwachung gewonnenen Informationen an die Verfassungsschutzbehörden, da Art. 73 Z. 1 GG den Bundesgesetzgeber nicht zum Erlass einer solchen Bestimmung ermächtige.

Das BVerfG stellte in seinem Urteil zum vorliegenden Fall fest, dass seine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz in auswärtigen Angelegenheiten nach Art. 73 Z. 1 GG den Bund auch zur Regelung der in § 3 Abs. 5 G 10-Gesetz normierten Angelegenheiten ermächtige. Diese Auslegung zeigt keine offensichtliche Missachtung des GG oder Willkür in seiner Auslegung. Nach Ansicht des GH bestand daher eine ausreichende rechtliche Grundlage für die angefochtene Maßnahme. Was die Qualität dieser rechtlichen Grundlage – insbesondere ihre Vorhersehbarkeit – betrifft, stellt der GH fest, dass § 3 Abs. 1 G 10-Gesetz in klarer und präziser Weise die Straftaten bezeichnet, die Anlass für die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation geben konnten. Die Voraussetzungen für eine strategische Überwachung nannten auch die Kategorien von Personen, deren Telefon abgehört werden durfte: die betroffene Person musste an einem internationalen Telefongespräch via Satellit oder Richtfunk teilnehmen und einen bestimmten Suchbegriff verwendet haben. Das Abhören eines Telefons konnte für die Dauer von höchstens drei Monaten angeordnet werden. Das Verfahren zur Prüfung und Verwendung der gewonnenen Informationen und zur Vernichtung der Daten war im G 10-Gesetz detailliert geregelt.

Der GH kommt daher zu dem Schluss, dass die angefochtenen Bestimmungen des G 10-Gesetzes die nach der ständigen Rechtsprechung des GH erforderlichen Schutzvorkehrungen gegen willkürliche Eingriffe enthielten und den Bürgern ausreichend deutlich machten, unter welchen Umständen und Voraussetzungen die Behörden zu Überwachungsmaßnahmen ermächtigt waren. Die Eingriffe in das Recht der Bf. auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz waren daher gesetzlich vorgesehen iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK.

b) Zweck und Notwendigkeit der Eingriffe:

Der GH teilt die Ansicht der Regierung, dass die Bestimmungen den legitimen Zielen der nationalen Sicherheit bzw. der Verhütung von Straftaten dienten. Es bleibt zu prüfen, ob die Eingriffe in einer demokratischen Gesellschaft notwendig waren, um diese Ziele zu erreichen. Der GH wird zuerst prüfen, ob die fraglichen Eingriffe verhältnismäßig zu dem von der jeweiligen Bestimmung verfolgten Ziel waren und sodann eine Gesamtbeurteilung vornehmen.

• Strategische Überwachung nach § 3 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 1 Z. 2 G 10-Gesetz:

Wie der GH feststellt, musste eine Reihe restriktiver Voraussetzungen erfüllt sein, bevor eine Maßnahme der strategischen Überwachung ergriffen werden durfte. Solche Maßnahmen konnten nur in Bezug auf bestimmte schwerwiegende Straftaten genehmigt werden. In Bezug auf im Ausland begangene Geldfälschungen wurde die Schwelle für Abhörmaßnahmen vom BVerfG dahingehend angehoben, dass eine solche Straftat nur im Falle einer Bedrohung der Geldwertstabilität schwerwiegend genug sei, um eine Überwachung zu rechtfertigen. Eine Überwachung konnte nur auf begründeten Antrag des Leiters des BND oder dessen Stellvertreters und nur dann angeordnet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf anderem Wege aussichtslos oder wesentlich erschwert gewesen wäre. Zuständig für die Anordnung der Überwachung war der vom Bundeskanzler beauftragte Bundesminister bzw. die zuständige oberste Landesbehörde mit Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Der Minister musste zudem die Zustimmung der G 10-Kommission einholen. Es bestand somit ein Verfahren um sicherzustellen, dass Maßnahmen nicht wahllos, regelwidrig oder ohne angemessene Erwägungen angeordnet würden. Das Gesetz enthielt zudem in Bezug auf die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen und die Verwendung der gewonnenen Daten detaillierte Regelungen gegen einen Missbrauch. Die Anordnung einer Überwachung blieb höchstens drei Monate in Kraft und konnte nur verlängert werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen weiterhin erfüllt waren. Was die Verwendung von personenbezogenen Daten betrifft, stärkte das BVerfG die bestehenden Sicherungen durch die Entscheidung, dass solche Daten als aus einer strategischen Fernmeldekontrolle stammend gekennzeichnet werden mussten und zu keinen anderen als den in § 3 Abs. 1 G 10-Gesetz genannten Gründen verwendet werden durften. Das Gesetz enthielt überdies genaue Bestimmungen über die Speicherung und Löschung der Daten. Was die Kontrolle und Überprüfung der Überwachungsmaßnahmen betrifft, stellt der GH fest, dass das G 10-Gesetz die unabhängige Kontrolle durch zwei Einrichtungen vorsah: das Parlamentarische Kontrollgremium und die G 10-Kommission. Der GH hat bereits in seinem Urteil Klass u. a./D festgestellt, dass dieses seither im Wesentlichen unverändert gebliebene Kontrollsystem dafür sorgt, dass der durch das angefochtene Gesetz begründete Eingriff im Rahmen dessen bleibt, was in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Er sieht keinen Grund, im vorliegenden Fall von dieser Schlussfolgerung abzuweichen. Die strategische Überwachung nach § 3 Abs. 1 G 10-Gesetz war somit in einen legislativen Kontext gebettet, der erhebliche Schutzvorkehrungen gegen einen Missbrauch vorsah.

Rechtssätze
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