JudikaturJustizBsw40021/98

Bsw40021/98 – AUSL EKMR Entscheidung

Entscheidung
10. September 1998

Kopf

Europäische Kommission für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache H. A. R. gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 10.9.1998, Bsw. 40021/98.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Disziplinarverfahren und Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht.

Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. ist Rechtsanwalt in Innsbruck. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 11.2.1994 wurde er vom Vorwurf freigesprochen, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen zu haben, indem er einem Klienten eine offensichtlich überhöhte Honorarnote gestellt und diese mit einer Honorarklage über ATS 195.215.60,- geltend gemacht habe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kammeranwalt Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK). Mit Bescheid der OBDK vom 20.5.1996 wurde der Bf. für schuldig erkannt, das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen zu haben, indem er einem Klienten eine offensichtlich überhöhte Honorarnote gestellt und über eine Honorarklage über ATS 195.215.60,- geltend gemacht hat. Er wurde hiefür zu einer Geldstrafe von ATS 20.000,-

sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten beider Instanzen verurteilt.

Eine Bsw. an den VfGH wurde von diesem am 9.6.1997 abgewiesen: Die bloße Zugehörigkeit von Mitgliedern der OBDK zur selben Rechtsanwaltskammer wie ein Disziplinarbeschuldigter erwecke keine Zweifel an deren Unparteilichkeit. Ebensowenig verletze die unterlassene Vernehmung eines nach Ansicht des Bf.

entscheidungsrelevanten Zeugen, seines Kanzleikollegen, dessen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, da sich aus den vorgelegten Akten ergibt, dass der Bf. die Einvernahme dieses Zeugen in der Verhandlung vor der OBDK nicht einmal angeregt hatte.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet, dass entgegen Art. 6 (1) EMRK seine Sache nicht in billiger Weise von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht gehört wurde, da zwei Mitglieder der OBDK - wie er - Mitglieder der Tiroler Rechtsanwaltskammer waren.

Disziplinarverfahren sind normalerweise weder ein Streit über zivile Rechte und Verpflichtungen noch eine Überprüfung der Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage. Sie fallen daher im allgemeinen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK. Im vorliegenden Fall hatte die OBDK dem Bf. eine Geldstrafe auferlegt. Ob Art. 6 (1) EMRK auch unter solchen Umständen anwendbar ist, kann offengelassen werden, da die Bsw. aus folgenden Gründen jedenfalls unzulässig ist: Das Vorhandensein richterlicher Mitglieder, die die Hälfte der Sitze einnehmen und auch den Präsidenten stellen, bietet eine sichere Gewähr für die Unparteilichkeit der OBDK. Die Mitgliedschaft von zwei Rechtsanwälten macht für sich allein genommen die OBDK noch nicht parteilich. Die persönliche Unparteilichkeit jedes Mitglieds muss ihrerseits bis zum Beweis des Gegenteils angenommen werden. Was die unterlassene Einvernahme des früheren Konzipienten und späteren Kanzleipartners des Bf. betrifft, so obliegt es den innerstaatlichen Gerichten, die ihnen vorliegenden Beweise zu würdigen. Bereits der VfGH hatte festgestellt, dass der Bf. die Einvernahme seines Partners im Verfahren vor der OBDK nicht einmal angeregt hatte. Die Bsw. ist unzulässig (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung der EKMR vom 10.9.1998, Bsw. 40021/98, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1998, 214) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/98_6/H.A.R..pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.