JudikaturJustizBsw30240/96

Bsw30240/96 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
02. Mai 1997

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache D. gegen das Vereinigte Königreich, Urteil vom 2.5.1997, Bsw. 30240/96.

Spruch

Art. 3 EMRK, Art. 13 EMRK - Drohende Abschiebung eines AIDS-Kranken. Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle der Abeschiebung des Bf. nach St. Kitts (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 2 EMRK und Art. 8 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf., ein Staatsangehöriger von St. Kitts (ein Staat in der Karibik), wurde im Jänner 1993 bei der Einreise in das Vereinigte Königreich festgenommen, da er eine größere Menge Kokain bei sich führte. Er wurde daraufhin zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Bei einer ärztlichen Untersuchung im August 1994 wurde festgestellt, dass der Bf., mittlerweile in Haft, HIV-positiv sei und bereits an AIDS leide. Der Bf. erhielt medizinische Betreuung, sein Zustand verschlechterte sich jedoch stetig. Eine Untersuchung vom Juni 1996 ergab, dass der Bf. nur mehr acht bis zwölf Monate zu leben habe. Bereits im Jänner 1996, nur wenige Tage vor seiner bedingten Entlassung, ordneten die Einwanderungsbehörden seine Ausweisung an. Alle Rechtsmittel dagegen blieben erfolglos. Der Bf. musste mittlerweile in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Es blieb unbestritten, dass wegen der ua. von der WHO (Anm: Der GH verweist auf den WHO Report on "Health Conditions in the Americas", 1994 Volume II) festgestellten faktischen Unmöglichkeit, in St. Kitts die für den Bf. notwendige ärztliche Betreuung vorzufinden, sich seine ohnehin schon sehr geringe Lebenserwartung bei einer Abschiebung dorthin weiter reduzieren würde.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet, seine Abschiebung nach St. Kitts würde Art. 3 EMRK (hier: Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung), Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) sowie Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens) verletzen. Ferner behauptet er eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz). Im Hinblick auf den absoluten Charakter des durch Art. 3 EMRK garantierten Rechtes ist es unerheblich, welche Verfehlungen der Bf. begangen hat. Für die Prüfung, ob eine Abschiebung Art. 3 EMRK verletze, spielt es keine Rolle, ob die drohende Gefahr unmittelbar von staatlicher Seite ausgeht. Eine Begrenzung dieser Art würde die Aushöhlung des absoluten Charakters des durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechtes bedeuten.

Eine Abschiebung des Bf. in seinem derzeitigen Zustand würde, im Hinblick auf die ihn in seiner Heimat erwartende Situation, eine Verletzung v. Art. 3 EMRK bedeuten. Dass der Bf. noch unter halbwegs menschenwürdigen Bedingungen leben kann, ist auf die medizinische Betreuung im Vereinigten Königreich zurückzuführen. Eine Abschiebung nach St. Kitts hätte unweigerlich den Tod des Bf. unter qualvollsten Umständen zur Folge und wäre deswegen eine unmenschliche Behandlung iSd. Art. 3 EMRK (einstimmig).

Wie bereits in anderen Urteilen gegen das Vereinigte Königreich (vgl. Soering/UK, Urteil v. 7.7.1989, A/161, Vilvarajah ua UK/, Urteil v. 30.10.1991, A/215). wird auch hier festgehalten, dass die richterliche Überprüfung von Verwaltungsakten im Zusammenhang mit Ausweisungen und Abschiebungen eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz iSd. Art. 13 EMRK darstellt. Keine Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 2 EMRK und Art. 8 EMRK (einstimmig).

Anm.: Vgl. insb. die - vom GH zitierten - ähnlich gelagerten Fälle Soering/UK, Urteil v. 7.7.1989, A/161, Vilvarajah ua./GB, Urteil v.

30.10.1991, A/215 (= NL 92/1/7), Chahal/UK, Urteil v. 15.11.1996 (=

NL 96/6/8), Ahmed/A, Urteil v. 17.12.1996 (= NL 97/1/7).

Anm.: Die Kms. hat in ihrem Ber. v.15.10.1996 festgestellt, dass eine Abschiebung des Bf. nach St. Kitts Art. 3 EMRK verletzen würde (11:7 Stimmen). Ferner liegt keine Verletzung von Art. 13 EMRK vor (13:5 Stimmen); keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 2 EMRK und Art. 8 EMRK (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 2.5.1997, Bsw. 30240/96, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1997, 93) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/97_3/D..pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.