JudikaturJustiz9ObA206/00k

9ObA206/00k – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Oktober 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Edith Matejka und Oberrat Dr. Walter Wotzel als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Christian Z*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Internationale ***** Gesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. April 2000, GZ 10 Ra 43/00t-16, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 12. November 1999, GZ 13 Cga 66/99s-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S

13.725 (darin enthalten S 2.287,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit der Betriebsratswahl vom 8. bis 10. 10. 1997 Mitglied des Arbeiterbetriebsrates der beklagten Partei, dessen Funktionsperiode sich bis 10. 10. 2001 erstreckt. In einer weiteren Betriebsratswahl wurden am 27. 11. 1998 andere Betriebsräte gewählt. Diese Betriebsratswahl wurde vom (alten) Arbeiterbetriebsrat der beklagten Partei und den damals gewählten Mitgliedern, darunter auch dem Kläger, zu 28 Cga 265/98i des Erstgerichtes angefochten. Mit Urteil vom 2. 6. 1999 wurde festgestellt, dass die Betriebsratswahl vom 27. 11. 1998 nichtig ist. Der Kläger wurde am 31. 3. 1999 fristlos entlassen. Eine Zustimmung des Gerichts zum Ausspruch dieser Entlassung wurde nicht eingeholt.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis über den Tag der rechtsunwirkamen Entlassung vom 31. 3. 1999 hinaus aufrecht weiterbesteht.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt.

Die Entscheidung über die Nichtigkeit der (weiteren) Betriebsratswahl entfalte gemäß § 61 Abs 1 Z 5 ASGG eine vorläufige Feststellungswirkung und sei verbindlich, sodass der Kläger bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens vorläufigen Entlassungsschutz genieße und daher ohne vorhergehende Zustimmung des Gerichtes nicht hätte entlassen werden dürfen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge.

Es verneinte die Notwendigkeit der Unterbrechung dieses Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung der Klage über die Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Das erstgerichtliche Feststellungsurteil, das der Klage auf Nichtigerklärung der Betriebsratswahl stattgebe, sei ungachtet der fehlenden formellen Rechtskraft verbindlich und binde Gerichte und Parteien in allen Folgestreitigkeiten. Die Wirkung des klagestattgebenden ersten Urteiles nach § 61 ASGG erstrecke sich auch bei Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 2 ASGG auf jedermann. Eine allseitige Rechtskraft- bzw Tatbestandswirkung sei bei solchen Rechtsstreitigkeiten die Folge, zumal sie sich nicht nur auf einen namentlich bestimmten Arbeitnehmer beziehen. Es sei daher auch der Betriebsinhaber daran gebunden. Die Nichtigkeit der Betriebsratswahl des neu gewählten Betriebsrates habe zur Folge, dass die Funktionsdauer des alten nicht erloschen sei und der Kläger daher weiterhin Mitglied des Betriebsrats sei und Entlassungsschutz im Sinne des § 120 ArbVG genieße. Ungeachtet des Rückwirkungsausschlusses des § 62 Abs 3 ASGG sei eine Rückwirkung nicht ausgeschlossen, wenn sich die Wirkung unmittelbar aus dem materiellen Recht ergebe. Die festgestellte Nichtigkeit bestehe daher nicht erst vom Zeitpunkt der Wirksamkeit des Urteiles, sondern vom Beginn der Wahl an. Daraus folge die Rechtsunwirksamkeit aller Rechtshandlungen, die der als Betriebsrat bezeichnete Personenkreis zwischen Wahl und Feststellung de Nichtigkeit vorgenommen habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssache an das Gericht erster Instanz mit dem Auftrag zurückzuverweisen, das Verfahren gemäß § 190 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens 28 Cga 265/98i des ASG Wien zu unterbrechen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag verbunden mit dem Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens durch den Obersten Gerichtshof gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit im Falle der vorläufigen Verbindlichkeit eines ersten klagestattgebenden Urteiles erster Instanz in Ansehung des klagegegenständlichen Rechtsverhältnisses schon aufgrund des § 61 Abs 1 ASGG ungeachtet des Fehlens der formellen Rechtskraft des Urteiles vom Bestehen des festgestellten Rechtsverhältnisses auszugehen ist - hier von der Nichtigkeit der Betriebsratswahl - (Kuderna ASGG2 388). Im vorliegenden Fall ist nämlich zu berücksichtigen, dass inzwischen auch die formelle Rechtskraft der die Betriebsratswahl für nichtig erklärenden Entscheidung erster Instanz eingetreten ist. Der Oberste Gerichtshof gab mit Urteil vom 7. 9. 2000, GZ 8 ObA 80/00y, der Revision des im Vorprozess beklagten (neuen) Betriebsrates gegen das die Entscheidung erster Instanz bestätigende Urteil der zweiten Instanz nicht Folge. Die von der Revisionswerberin als wesentlich angesehene und beantragte Unterbrechung dieses Verfahrens ist daher nicht mehr von Bedeutung und durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes überholt.

Die Bindung in Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 2 ArbVG ist, weil die Urteile sich kraft des ihnen zugrunde liegenden materiellen Rechtsverhältnisses nicht auf einen mit individuellen Merkmalen umschriebenen Personenkreis beziehen, nicht nur für die Prozessparteien, sondern auch für den Betriebsinhaber und dessen Betrieb gegeben, für den eine Betriebsratswahl Wirksamkeit entfaltet. Solchen Urteilen kommt ungeachtet der Einhaltung der Bekanntmachungsvorschrift des § 62 Abs 2 ASGG allseitige Rechtskraftbzw Tatbestandswirkung zu (Kuderna aaO 410; 8 ObA 80/00y mit ausführlicher Begründung).

Während § 61 Abs 2a ArbVG bei einem klagestattgebenden Urteil erster Instanz im Falle der Anfechtung einer Betriebsratswahl nach § 59 Abs 1 ArbVG dahin Vorsorge trifft, dass der (fehlerhaft) gewählte Betriebsrat seine Tätigkeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtungsklage längstens bis zum Ablauf seiner Funktionsdauer fortführt und die Gültigkeit seiner Rechtshandlungen auch durch die Bestätigung der Anfechtung der Betriebsratswahl nach § 61 Abs 3 ArbVG nicht berührt wird, ist bei Nichtigkeit einer Betriebsratswahl die Rechtsunwirksamkeit aller Rechtshandlungen, die der als Betriebsrat bezeichnete Personenkreis zwischen der "Wahl" und der Feststellung der Nichtigkeit getätigt hat, die Folge (Floretta in Floretta/Strasser, Handkommentar zum ArbVG2 344; Arb 11.067). In diesem Falle findet keine rechtliche Beendigung der Tätigkeitsdauer statt, weil diese niemals wirksam begonnen hatte (Strasser/Jabornegg, ArbVG3, 224).

Die Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl bewirkt, dass die bereits bestehende Rechtslage deklarativ festgestellt wird. Die Nichtigkeit besteht daher nicht nur vom Zeitpunkt der Wirksamkeit des Urteiles an, sondern ab Beginn der Wahl. Die Rückwirkung ergibt sich daher schon aus dem materiellen Recht (Kuderna ASGG2 413 f). Der "alte" Betriebsrat, dessen Funktionsperiode noch offen ist, besteht daher mit voller Rechtstellung seiner Mitglieder weiter. Die Vorentscheidung entfaltet aufgrund ihrer materiellen Rechtskraft jetzt jedenfalls (endgültig) Bindungswirkung (Fasching Lehrbuch2 Rz 1497; SZ 70/60; 5 Ob 12/99x, 6 Ob 88/99f). Daraus folgt, dass die Entlassung des Klägers ohne Zustimmung des Gerichtes unwirksam war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.