JudikaturJustiz9Bs54/13z

9Bs54/13z – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
13. März 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden, Dr. Mor bitzer und Mag.a Reinberg in der Strafsache gegen M***** R***** wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall und Abs 2 Z 3 SMG und wei terer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des M***** R***** gegen den Beschluss der Haft- und Rechtsschutzrichterin des Landesgerichtes Linz vom 8. Februar 2013, 19 Hr 402/12h- 36, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Aus Anlass der Beschwerde werden die Beschlüsse der Einzelrichterin des Landesgerichtes Linz vom 8. Februar 2013 (ON 36) und vom 12. Februar 2013 (ON 39) ersatzlos aufgehoben.

Text

BEGRÜNDUNG:

In dem zu 6 St 174/12b der Staatsanwaltschaft Linz anhängigen Ermittlungsverfahren gegen M***** R***** wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall und Abs 2 Z 3 SMG sowie weiterer strafbarer Handlungen wurde nach dessen Festnahme am 2. November 2012 die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 1 und 2 Z 3 lit a und b StPO verhängt und zuletzt von diesem Beschwerdegericht am 1 4. Jänner 2013 mit Wirksamkeit bis 14. März 2013 fortgesetzt (ON 34).

Am 7. Februar 2013 berichtete die Justizanstalt Linz, dass betreffend M***** R***** eine Strafvollzugsanordnung des Bezirksgerichtes Linz zu 17 U 83/12i wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe von vierzig Tagen aufliegt. Zugleich ersuchte die Justizanstalt um Beschlussfassung gemäß § 173 Abs 4 StPO (ON 35).

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Untersuchungshaft zur Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe von vierzig Tagen zu 17 U 83/12i BG Linz unter Hinweis auf den erwähnten Bericht der Justizanstalt Linz vom 7. Februar 2013 gemäß § 173 Abs 4 StPO unterbrochen. Dieser Beschluss wurde am 8. Februar 2013 der Justizanstalt, dem Verteidiger, der Staatsanwaltschaft und dem Bezirksgericht Linz zugestellt (S 21 in ON 1).

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, mit der er die ersatzlose Aufhebung dieser Entscheidung begehrt, weil die dem Strafvollzug zugrunde liegende Anordnung des Bezirksgerichtes Linz dem Beschwerdeführer nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei (ON 42).

Am 11. Februar 2013 berichtete die Justizanstalt Linz zudem der Einzelrichterin des Landesgerichtes Linz, dass betreffend M***** R***** mehrere Strafvollzugsanordnungen der Bundespolizeidirektion Linz über insgesamt neunundachtzig Tage, elf Stunden und zwölf Minuten Ersatzfreiheitsstrafe aufliegen und ersuchte neuerlich um Beschlussfassung gemäß § 173 Abs 4 StPO (ON 38).

Auch diesbezüglich entschied das Erstgericht zur Verbüßung dieser Ersatzfreiheitsstrafen die Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 4 StPO zu unterbrechen (ON 39).

Die Beschwerde ist nicht zulässig. Aus Anlass der Beschwerde waren die Beschlüsse vom 8. und 12. Februar 2013 ersatzlos aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 173 Abs 4 StPO darf die Untersuchungshaft nicht verhängt, aufrecht erhalten oder fortgesetzt werden, wenn die Haftzwecke auch durch eine gleichzeitige Strafhaft oder auf andere Art erreicht werden können. Im Fall der Strafhaft hat die Staatsanwaltschaft die Abweichungen vom Vollzug anzuordnen, die für die Zwecke der Untersuchungshaft unentbehrlich sind. Wird die Untersuchungshaft dennoch verhängt, so tritt eine Unterbrechung des Strafvollzuges ein.

Steht somit eine Haft anderer Art zum Vollzug an, vermag oft auch deren Vollzug den Haftzwecken zu dienen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Strafhaft oder eine Haft anderer Art iSd § 173 Abs 4 StPO (so zB eine von der Verwaltungsbehörde verhängte (Ersatz-)Freiheitsstrafe oder eine gerichtliche Beugehaft iSd § 93 Abs 4 StPO) keine Untersuchungshaft darstellt, sodass eine solche Haft bei Berechnung der Haftfristen (§ 178 StPO) außer Betracht bleibt (vgl 14 Os 176/94; JBl 1996, 333). Eine Haftfrist (§ 175 StPO) fällt daher bei Anordnung eines Strafvollzugs nach § 173 Abs 4 StPO nicht weg, sondern wird lediglich in ihrem Fortlauf gehemmt (15 Os 84/94; EvBl 1994/176, 818 = RZ 1995/72, 250; 14 Os 176/94; JBl 1996, 333). Die daraus resultierende Änderung des Ablauftages (§ 175 Abs 1 StPO) ist kundzumachen (15 Os 84/94; EvBl 1994/176, 818 = RZ 1995/72, 205; 14 Os 176/94; JBl 1996, 393). Diese Kundmachung hat bloß deklarative Bedeutung. Mit dem Ende des Vollzugs nach § 173 Abs 4 StPO setzt somit die Wirksamkeit eines Untersuchungshaftbeschlusses wieder ein (14 Os 176/94; JBl 1996, 393; vgl Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 60, 61).

Abgesehen davon, dass demnach durch den Vollzug einer Haft anderer Art die verhängte Untersuchungshaft nicht unterbrochen, sondern nur die aktuelle Haftfrist gehemmt wird, entspricht auch die von der Einzelrichterin aus Anlass des Vollzuges von Freiheitsstrafen mit Beschluss angeordnete Unterbrechung der Untersuchungshaft aus folgenden Erwägungen nicht dem Gesetz:

Gemäß § 7 Abs 1 StVG und § 397 letzter Satz StPO steht die Anordnung des Vollzugs des Strafurteiles dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichtes (Einzelrichter, Bezirksrichter) zu. Nach § 3 Abs 1 StVG ist der Strafvollzug anzuordnen und die nach § 9 StVG zur Einleitung oder Durchführung des Strafvollzuges zuständige Anstalt von der Anordnung zu verständigen. Nach § 3 Abs 2 StVG ist nur ein Verurteilter, der sich auf freiem Fuß befindet und die Strafe nicht sofort antritt, schriftlich aufzufordern, die Strafe binnen einem Monat nach der Zustellung anzutreten.

Befindet sich der Verurteilte bei Einlangen der Vollzugsanordnung bereits in der für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständigen Anstalt in Haft (zB in Untersuchungshaft oder in Verwaltungshaft), ist er – sofort - in den Strafvollzug zu übernehmen (§ 3 Abs 4 StVG). Die Justizanstalt hat jedoch davon die zuständige Staatsanwaltschaft und das zuständige Gericht unverzüglich zu verständigen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Staatsanwaltschaft gemäß § 173 Abs 4 StPO zur Erreichung der Haftzwecke allfällige Abweichungen vom Vollzug (im Ermittlungsverfahren) anordnen oder (im Hauptverfahren) beantragen kann. Im Ermittlungsverfahren können derartige Anordnungen durch Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO durch das Gericht überprüft werden; im Hauptverfahren wird das zuständige Gericht über Antrag der Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Beschluss (§ 86 Abs 1 StPO) zu fassen haben, der beim zuständigen Rechtsmittelgericht angefochten werden kann. Im Ermittlungsverfahren hat der zuständige Haftrichter aufgrund der Mitteilung der Justizanstalt den Angeklagten lediglich (deklarativ) davon in Kenntnis zu setzen, wann die durch den Vollzug einer Haft anderer Art gehemmte Haftfrist - bezogen auf die letzte Entscheidung über die Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft - endet.

Wird hingegen die Strafvollzugsanordnung einer Person auf freiem Fuß zugestellt, die danach (innerhalb der Monatsfrist zum Antritt der Freiheitsstrafe) wegen einer anderen Straftat festgenommen wird, so hat die Justizanstalt den Festgenommenen bei Einlieferung darüber zu informieren, dass er die Möglichkeit habe - sollte die Monatsfrist zum Antritt der Strafe noch nicht abgelaufen sein -, diese Freiheitsstrafe sofort anzutreten. In diesem Fall müsste die Justizanstalt gleichzeitig mit der Übermittlung des Haftberichtes die zuständige Staatsanwaltschaft davon informieren, um dieser die Entscheidungsmöglichkeit einzuräumen, ob - mit Blick auf den Strafvollzug - die Verhängung der Untersuchungshaft iSd § 173 Abs 4 letzter Satz StPO zur Erreichung der angestrebten Haftzwecke notwendig ist oder ob der Strafvollzug mit Blick auf das anhängige Ermittlungsverfahren eine Verhängung der Untersuchungshaft nicht mehr erforderlich macht. Will der Festgenommene die Strafhaft nicht sofort antreten, ist er erst nach Ablauf der Monatsfrist in den Strafvollzug zu übernehmen, was wiederum – für den Fall einer aufrechten Untersuchungshaft - der Staatsanwaltschaft und dem zuständigen Gericht von der Justizanstalt zu berichten ist. Dadurch bleibt auch die Möglichkeit zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen nach § 3a StVG erhalten.

Nachdem der angefochtene Beschluss nur die deklarative Mitteilung enthält, dass die Untersuchungshaft durch den Strafvollzug unterbrochen wurde (richtig: der Fortlauf der Haftfrist gehemmt wurde), somit tatsächlich kein anfechtbarer Beschluss nach § 86 Abs 1 StPO vorliegt, ist eine Beschwerde dagegen unzulässig. Aus Anlass der Beschwerde waren jedoch die – vom Gesetz nicht vorgesehenen - Entscheidungen der Einzelrichterin vom 8. und 12. Februar 2013 (ON 36, 39) ersatzlos zu kassieren. Fallbezogen kann die Staatsanwaltschaft Linz nur prüfen, inwieweit Anordnungen abweichend vom Vollzug zu treffen sind, um die konkreten Haftzwecke nicht zu vereiteln.

Soweit der Beschwerdeführer inhaltlich einwendet, dass eine rechtswirksame Zustellung zum Strafantritt nicht vorläge, verkennt er einerseits, dass er diesen Einwand bei jenem Gericht vorbringen müsste, welches den Strafvollzug angeordnet hat, er zudem von dieser Anordnung spätestens in der Justizanstalt informiert wurde und dass die Aufforderung zum Antritt einer Freiheitsstrafe - wie auch die Strafvollzugsanordnung - nach einhelliger Rechtsprechung mangels Geltung der Bestimmungen der Strafprozessordnung (§ 7 Abs 2 StVG bestimmt die sinngemäße Geltung der StPO für das Verfahren nach §§ 4 - 6 StVG) nicht mit Rechtsmittel bekämpfbar ist (vgl auch Lässig, WK-StPO § 409 Rz 7).

Abgesehen davon ist eine Ersatzfreiheitsstrafe nur in Vollzug zu setzen, wenn und soweit die Geldstrafe oder der Wertersatz nicht eingebracht werden konnten (§ 12 Abs 2 GEG; § 230 FinStrG), sodann aber wie andere Freiheitsstrafen nach den Bestimmungen des StVG anzuordnen und zu vollziehen (§ 409 Abs 3 StPO). Mit der Verständigung der Anstalt von der Anordnung des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe sind ihr das (nach einer teilweisen Bezahlung oder Einbringung der Geldstrafe errechnete) Ausmaß der zu vollziehenden Ersatzfreiheitsstrafe und die aushaftende Geldstrafe bekannt zu geben. Die Bestimmung, dass der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe zu unterbleiben hat, soweit der Verurteilte die ausständige Geldstrafe erlegt oder durch eine öffentliche Urkunde deren Bezahlung nachweist (Abs 1 dritter Satz), gilt sowohl für das Gericht als auch für die Vollzugsbehörde. Weist der Verurteilte nach Erlassung der Vollzugsanordnung die (teilweise) Bezahlung dem Gericht nach oder wird das Gericht vom Rechnungsführer davon verständigt, widerruft es die Vollzugsanordnung oder (arg „soweit“) berichtigt sie. Wird die Geldstrafe bei Strafantritt oder während des Vollzugs bei der Vollzugsbehörde erlegt oder wird dieser die Bezahlung nachgewiesen, ist dieser Umstand von der Vollzugsbehörde zu berücksichtigen und gegebenenfalls der Verurteilte von ihr zu entlassen. Der Nachweis der Bezahlung der Geldstrafe hat durch eine öffentliche Urkunde zu erfolgen. In Betracht kommt primär die Bestätigung des Rechnungsführers des Gerichts. Ein von einer Bank bestätigter Überweisungsauftrag, ein Einzahlungs- oder ein Postüberweisungsschein stellen keine öffentlichen Urkunden dar (Pieber in WK2 StVG § 3 Rz 13,14).

RECHTSMITTELBELEHRUNG:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Rechtssätze
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