JudikaturJustiz9Bs179/19s

9Bs179/19s – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
10. Juli 2019

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch den Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden und die Richterinnen Mag. Kuranda sowie Mag. Höpfl in der Strafsache gegen E***** G***** wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Linz gegen den Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichts Linz vom 14. Juni 2019, 23 Hv 15/19g-6, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Strafantrag vom 5. Juni 2019 (ON 4) legt die Staatsanwaltschaft Linz dem am 18. April 1997 geborenen E***** G***** die Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (I./), der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 StGB (II./) und der Urkundenfälschung als Bestimmungstäter nach §§ 12 zweiter Fall, 223 Abs 1 StGB (III./) zur Last.

Demnach habe E***** G***** in Linz im Jahr 2018

I./ zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 19. September 2018 eine Urkunde, über die er nicht oder nicht alleine verfügen durfte, unterdrückt, wobei er mit dem Vorsatz handelte, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebracht werde, indem er den vom Magistrat Linz für A***** I***** O*****, geboren am 23. Oktober 1962, ausgestellten Aktivpass, den dieser verloren hatte, in einer Straßenbahn auffand und ihn für sich behielt;

II./ eine falsche Urkunde mit dem Vorsatz hergestellt oder eine echte Urkunde mit dem Vorsatz verfälscht, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebracht werde, wobei er die Tathandlung in Beziehung auf eine inländische öffentliche Urkunde begangen habe, indem er auf dem zu I./ unterdrückten Aktivpass des A***** I***** O***** das Original-Foto durch sein eigenes Bild ersetzte;

III./ einen anderen dazu bestimmt, eine falsche Urkunde mit dem Vorsatz herzustellen, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebracht werde, indem er einen unbekannten Täter arabischer Herkunft zur Herstellung eines totalgefälschten Verkäuferausweises der „Kupfermuckn“ veranlasste, wobei er für den Erhalt desselben einen Preis von EUR 20,00 bezahlte.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. Juni 2019 (ON 6) erklärte sich der Einzelrichter des Landesgerichtes Linz im Strafverfahren gegen E***** G***** wegen der genannten Vergehen sachlich unzuständig. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass die Ausstellung eines Aktivpasses (vgl II./) vom Magistrat Linz in Ausübung der Privatwirtschaftsverwaltung, nicht jedoch im Rahmen der – für öffentliche Urkunden im Sinne des § 224 StGB – erforderlichen Hoheitsverwaltung erfolgt sei, weshalb es sich lediglich um eine Urkunde im Sinne des § 223 StGB handle. Für das Vergehen der Fälschung einer Urkunde nach § 223 Abs 1 StGB sei das Bezirksgericht sachlich zuständig.

Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde der Staatsanwaltschaft Linz (ON 7), mit der sie begehrt, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Landesgericht Linz die Anordnung einer Hauptverhandlung aufzutragen. Der Aktivpass würde nur bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen vom Linzer Magistrat als hoheitliche Autorität ausgestellt, weshalb es sich um eine öffentliche – in Hoheitsverwaltung – ausgestellte Urkunde handeln würde.

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 485 Abs 1 Z 1 StPO hat das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung zu prüfen und im Falle seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit gemäß § 450 StPO vorzugehen.

Die amtswegige Überprüfung des Strafantrages durch den Einzelrichter dient dem Schutz der Interessen des Angeklagten, auch zur Vermeidung eines Unzuständigkeitsurteils ( Philipp , WK-StPO § 485 Rz 1), weil ihm selbst – im Gegensatz zum Verfahren vor dem Kollegialgericht – ein Einspruchsrecht nicht zusteht.

Bezugspunkt sowohl der örtlichen als auch sachlichen Zuständigkeitsprüfung ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand (Sachverhalt). Für den Fall des § 485 Abs 1 Z 1 StPO bedeutet das, dass der Einzelrichter die rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts als derart vorgegebenen Prozessgegenstand selbständig anhand der Verdachtslage vorzunehmen hat, wie sie sich aus dem Strafantrag in Verbindung mit dem Inhalt der Ermittlungsakten ergibt ( Bauer, WK-StPO § 450 Rz 2, Birklbauer, aaO § 212 Rz 26/1; 14 Ns 14/17w).

Das die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichtes begründende Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach § 224 StGB pönalisiert die Urkundenfälschung (§ 223 StGB) in Beziehung auf eine inländische öffentliche Urkunde, eine ausländische öffentliche Urkunde, wenn sie durch Gesetz oder zwischenstaatlichen Vertrag inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt ist, eine letztwillige Verfügung oder ein nicht in § 237 StGB genanntes Wertpapier. Ausgehend vom dreigliedrigen Urkundenbegriff handelt es sich bei inländischen öffentlichen Urkunden um mit qualifizierter Beweiskraft ausgestattete Urkunden, die ein Beamter innerhalb seiner Amtsbefugnisse oder eine mit öffentlichem Glauben versehene Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form errichtet hat ( Kienapfel/Schroll, WK 2 StGB § 224 Rz 7). Aus dem Begriff der öffentlichen Urkunde scheiden strafrechtlich alle Urkunden aus, die von Bediensteten selbständiger Wirtschaftskörper oder überhaupt öffentlicher Unternehmen ausgestellt werden: Dem Aussteller fehlt die Beamteneigenschaft im Sinne des § 74 Abs 1 Z 4 StGB. Es scheiden aber auch jene Urkunden aus, die zwar von einem Beamten errichtet wurden, aber in gleicher oder ähnlicher Weise im privaten Rechtsverkehr auch von einem Nichtbeamten ausgestellt werden können: Der Beamte tritt nicht unter Einsatz amtsspezifischer (hoheitlicher) Autorität auf; die Urkunde mag eine amtliche sein, ist aber keine öffentliche Urkunde. Das werden alle Urkunden im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung sein, aber auch jene Urkunden, die zwar im Bereich der Hoheitsverwaltung errichtet wurden, aber ihrer Art, ihrem Inhalt und ihrer rechtlichen Zweckbestimmung nach nicht Ausdruck jener staatlichen Autorität sind, derentwegen amtlich errichtete Urkunden nach allgemeiner Auffassung der Rechtsgemeinschaft erhöhten Echtheitsschutz und strafrechtlichen Wahrheitsschutz verdienen ( Tipold in Leukauf/Steininger, StGB 4 § 224 Rz 4a mwN). Nimmt der Staat also nicht als Träger hoheitlicher Autorität, sondern wie ein Privatmann auf der Basis von Gleichberechtigung am Rechtsverkehr teil, sind die dabei entstehenden Urkunden a priori keine öffentlichen, sondern gewöhnliche gemäß § 223 StGB ( Kienapfel/Schroll , aaO § 224 Rz 21). Unter Privatwirtschaftsverwaltung ist jener Bereich staatlicher Tätigkeit zu verstehen, in dem zwischen Staat und anderen Rechtsobjekten rechtliche Gleichwertigkeit besteht, der Staat also als Träger subjektiver Rechte handelt und sich zur Erreichung seines Verwaltungsziels nur jener Rechtsinstitute bedienen kann, die auch den Normenunterworfenen zur Verfügung stehen (zB Klage bei Gericht). Der jeweilige Rechtsträger (Bund, Land oder Gemeinde) handelt in diesem Bereich „wie ein Privater“, er tätigt Rechtsgeschäfte (etwa Abschluss von Mietverträgen, Einkauf von Büromaterial, Inanspruchnahme von Dienstleistungen, wie Malerarbeiten) oder betreibt ein Gewerbe ( Marek/Jerabek , Korruption und Amtsmissbrauch 11 , § 302 Rz 11).

Beim Aktivpass handelt es sich um einen Ermäßigungsausweis für einkommensschwächere Einwohner der Stadt Linz. Er berechtigt zu Begünstigungen bei vielen Betrieben der Stadt Linz sowie anderen Einrichtungen in Linz. Nach dem im Internet veröffentlichten Serviceguide des Magistrats der Stadt Linz sind Voraussetzungen für die Erlangung eines Aktivpasses das vollendete 18. Lebensjahr, ein Hauptwohnsitz in Linz und ein monatliches Nettoeinkommen von bis zu EUR 1.229,00 (Richtsatz 2018) bzw bis zu EUR 1.254,00 (Richtsatz 2019) und erfordert einen aktuellen Einkommensnachweis, einen Lichtbildausweis sowie ein Foto. Er kann bei den Servicestellen des Magistrats der Stadt Linz und in den städtischen Bibliotheken erworben werden (siehe dazu https://www.linz.at/Serviceguide/ viewChapter.phpchapter_id=121421 ). Der Aktivpass, der die Teilnahme auch einkommensschwächerer Linzerinnen und Linzer am gesellschaftlichen Leben insofern fördert, als bei zahlreichen Einrichtungen Ermäßigungen in Anspruch genommen werden können, stellt damit eine – auf einem Beschluss des Gemeinderats basierende - freiwillige Sozialleistung der Stadt Linz dar, weil jene Unternehmen (insbesondere auch solche, an denen die Stadt Linz wirtschaftlich beteiligt ist), die den Aktivpass akzeptieren, Leistungen zu geringeren Preisen gegenüber den sich mit einem Aktivpass ausweisenden Personen erbringen, wodurch die Einnahmen dieser Unternehmen verringert werden. Die Ausstellung des Aktivpasses ist daher nicht der Hoheitsverwaltung zuzurechnen, weil es sich – wie vom Erstgericht zutreffend ausgeführt – um einen Akt der Privatwirtschaftsverwaltung handelt (ähnlich dem Bereich der Subventionsgewährung, sofern das Gesetz keinen subjektiven Rechtsanspruch normiert, etwa Wohnbauförderung oder Beihilfengewährung; vgl Marek/Jerabek , Korruption und Amtsmissbrauch 11 , § 302 Rz  27). Unabhängig davon, dass der Aktivpass nach seinem äußeren Erscheinungsbild (Aussteller ist der Magistrat Linz; er ist mit einem Lichtbild versehen) und seinem Namen („Pass“) einer öffentlichen Urkunde ähnelt, unterliegt er somit nicht dem erhöhten Echtheitsschutz und dem strafrechtlichen Wahrheitsschutz des § 224 StGB, sondern handelt es sich dabei um eine einfache Urkunde im Sinne des §  74 Abs 1 Z 7 StGB, weshalb die unter II./ angeklagte Tat unter den Tatbestand des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 zu subsumieren ist.

Demgemäß obliegt das Hauptverfahren wegen der im vorliegenden Strafantrag angeklagten Straftaten gemäß § 30 Abs 1 StPO dem Bezirksgericht.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Rechtssätze
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