JudikaturJustiz8Bs357/22v

8Bs357/22v – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch den Senatspräsidenten Mag. Ohrnhofer als Vorsitzenden, die Richterin Mag. a Schwingenschuh und den Richter Mag. Riffel in der Strafvollzugssache des A* wegen vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Einreiseverbots oder Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. Dezember 2022, GZ 23 BE 339/22f-4, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

In Stattgebung der Beschwerde wird der Antrag des A* vom 14. November 2022 auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots gemäß § 133a StVG (ON 1 S 3) abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

begründung:

[1] A*, Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, verbüßt in der Justizanstalt Graz-Karlau eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren aus dem Urteil des Landesgerichts Linz vom 6. März 2019, AZ 34 Hv 183/18t.

[2] Die errechnete Strafzeit endet am 21. Juni 2025; zwei Drittel werden am 21. Februar 2023 verbüßt sein (ON 1 S 7).

[3] Soweit hier von Bedeutung sprach das Erstgericht im zweiten Spruchpunkt des angefochtenen Beschlusses in Stattgebung des Antrags des Strafgefangenen aus, dass aufgrund des gegen ihn ausgesprochenen Aufenthaltsverbots (ON 1 S 1 ff) zum Zwei-Drittel-Stichtag gemäß § 133a StVG vorläufig vom weiteren Strafvollzug abgesehen wird (ON 4).

[4] Dagegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, in welcher als rechtliches Hindernis (§ 133a Abs 1 Z 3 StVG) geltend gemacht wird, dass aufgrund eines Europäischen Haftbefehls (EHB) zur Strafverfolgung des Amtsgerichts Freiburg vom 19. Mai 2022, AZ Gs 395/19, am 30. November 2022 ein Übergabeverfahren zu AZ 4 HR 355/22b des Landesgerichts für Strafsachen Graz (AZ 24 HSt 131/22v der Staatsanwaltschaft Graz) eingeleitet wurde (ON 5).

Rechtliche Beurteilung

[5] Diese Beschwerde ist erfolgreich.

[6] Voranzustellen ist, dass sich aus dem elektronischen Aktensystem Justiz 3.0 ergibt, dass derzeit das in Rn 4 bezeichnete Übergabeverfahren wegen des dort genannten EHB (Gegenstand: schwerer Raub; Strafdrohung im ersuchenden Staat: 15 Jahre) anhängig ist (vgl OZ 5 der elektronischen Akten AZ 4 HR 355/22b des Landesgerichts für Strafsachen Graz). Der Strafgefangene hat als dort Betroffener Kenntnis vom Übergabeverfahren, wurde darin bislang zweimal vernommen (jeweils unter Beiziehung einer Dolmetscherin; einmal im Beisein einer Verteidigerin), über den Gegenstand und seine Rechte belehrt und hat die Zustimmung zur vereinfachten Übergabe verweigert (OZ 6; OZ 7 S 3 der elektronischen Akten). Ferner ist aktenkundig, dass der Strafgefangene seinerzeit von Kroatien unter dem Vorbehalt der Spezialität an Österreich übergeben worden sein könnte und zuletzt Kroatien gemäß § 31 Abs 5 EU-JZG um Zustimmung zur Übergabe an Deutschland ersucht wurde (OZ 4; OZ 9 der elektronischen Akten).

[7] Dem Strafgefangenen wurde die Beschwerde der Staatsanwaltschaft samt einer Übersetzung in serbischer Sprache vom Beschwerdegericht zur allfälligen Stellungnahme binnen sieben Tagen gemäß § 89 Abs 5 StPO zugestellt (vgl Zustellnachweis 11. Jänner 2023; zur von ihm angeregten Beiziehung eines Dolmetschers für Serbisch im Verfahren über die bedingte Entlassung vgl ON 1 S 43 der Beiakten AZ 23 BE 338/22h des Landesgerichts für Strafsachen Graz). Der solcherart umfassend – insbesondere vom Beschwerdegrund „anhängiges Übergabeverfahren als mögliches rechtliches Hindernis für die Maßnahme nach § 133a StVG‟ – in einer für ihn verständlichen Sprache in Kenntnis gesetzte Strafgefangene hat innerhalb der Frist gemäß § 89 Abs 5 StPO keine Stellungnahme zur Beschwerde abgegeben. Solcherart wurde das Recht des Strafgefangenen auf Information und rechtliches Gehör gewahrt.

In der Sache:

[8] Ein vorliegender EHB begründet für den ersuchten Staat die Verpflichtung, ein Übergabeverfahren durchzuführen und gegebenenfalls die Übergabe der betroffenen Person an den ersuchenden Staat durch Übergabehaft zu sichern (§ 18 Abs 1 EU-JZG; Hinterhofer in WK² EU-JZG § 18 Rz 4 f).

[9] Aufgrund dieser Übergabe- und der darauf bezogenen Sicherungsverpflichtung betonen bereits die GMat, dass die Maßnahme gemäß § 133a StVG subsidiär ist, „soweit die Annahme gerechtfertigt ist, dass Maßnahmen anderer Art in concreto tatsächlich erfolgen können (Vorgehen nach EU-JZG […])‟ (302 BlgNR 23. GP 14 f; zur Subsidiarität vgl 12 Os 131/08v: „Den Gesetzesmaterialien zufolge [...] soll die Bestimmung gegenüber Maßnahmen anderer Art grundsätzlich subsidiär sein und ihre Anwendung daher nur insoweit in Betracht kommen, als ein Vorgehen nach dem EU-JZG […] nicht möglich wären‟ ). Das Vorliegen eines aufrechten EHB, über den noch nicht rechtskräftig abschlägig abgesprochen wurde, rechtfertigt solcherart die Annahme, dass die damit angestrebten, gegenüber § 133a StVG prävalierenden Maßnahmen „Übergabe‟ und „Sicherung der Übergabe‟ (nicht bloß hypothetisch, sondern) „in concreto tatsächlich erfolgen können‟ . Daraus folgt, dass (nicht erst ein mit rechtskräftiger Bewilligung beendetes, sondern) bereits ein (zumindest) aufgrund eines EHB anhängiges Übergabeverfahren ein rechtliches Hindernis iSd § 133a Abs 1 Z 3 StVG darstellt (idS auch OLG Wien 23 Bs 32/21z). Auch die Subsidiarität der Übergabehaft im Verhältnis zur Strafhaft (§ 18 Abs 2 EU-JZG iVm § 19 Abs 2 erster Satz ARHG) spricht für dieses Ergebnis, würde sonst doch die zur Sicherung taugende, solcherart vom Gesetz für vorrangig erklärte Strafhaft vorzeitig beendet werden, nur um sie sogleich durch die sekundäre Maßnahme „Übergabehaft‟ zu ersetzen.

[10] Aufgrund des zum Zeitpunkt dieser Entscheidung bestehenden rechtlichen Hindernisses „anhängiges Übergabeverfahren‟ (§ 133a Abs 1 Z 3 StVG) ist somit – in Abänderung des zweiten Spruchpunktes des angefochtenen Beschlusses – der Antrag des Strafgefangenen auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG (ON 1 S 3) abzuweisen.

[11] Der Ausschluss weiterer Rechtsmittel folgt aus § 17 Abs 1 Z 3 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO.