JudikaturJustiz7Bs64/20s

7Bs64/20s – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 2020

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Gföllner als Vorsitzende, Dr. Ganglberger-Roitinger und Mag. Fischer, LL.B. in der Strafsache gegen G***** K***** und andere wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 2 lit a FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Salzburg gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 17. März 2020, 35 Hv 30/19b-35, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Landesgericht Salzburg die Fortsetzung des Hauptverfahrens aufgetragen.

Text

Begründung:

Beim Landesgericht Salzburg behängt zu 35 Hv 30/19b ein Strafverfahren unter anderem gegen nachstehend genannte Personen wegen der Finanzvergehen der Abgabenhinter-ziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 und Abs 2 lit a, 13 Abs 1 FinStrG.

Nach den gegen die Angeklagten von der Staatsanwaltschaft Salzburg eingebrachten Anklageschriften haben sie jeweils als Bauherr vorsätzlich durch Vereinbarung und Leistung von Schwarzzahlungen an die Ing. T***** W***** GmbH Co KG dazu beigetragen, dass Ing. T***** W***** im Amtsbereich des Finanzamtes Salzburg-Land als für die abgabenrechtlichen Belange verantwortlicher handelsrechtlicher Geschäftsführer der ***** Ing. T***** W***** GmbH (*****) und als Kommanditist der ***** Ing. T***** W***** GmbH Co KG (*****), jeweils mit Sitz in *****, *****, oder als für seine abgabenrechtlichen Belange Verantwortlicher des***** Einzelunternehmens vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abgabe von dem § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen oder unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Abgabe einer unrichtigen Umsatz- bzw. Einkommensteuererklärung Abgaben verkürzt, nämlich

1. G***** K***** im Jahr 2011 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 10.735,00 Umsatzsteuer für 05/2011 und 11/2011 in Höhe von insgesamt EUR 1.789,16 (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11);

2. DI I***** F***** im Zeitraum 2011 bis 2012 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 49.000,00 Umsatzsteuer für 09/2011, 10/2011, 12/2011 und 03/2012 in Höhe von insgesamt EUR 8.166,67 (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11 in ON 13);

3. M***** B***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2009 in ***** ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 2.189,64 Umsatzsteuer und Einkommensteuer für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt EUR 813,94 (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11 in ON 14);

4. C***** K***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2009 in ***** ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 4.268,49 Umsatzsteuer und Einkommensteuer für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt EUR 1.586,70 (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11 in ON 15);

5. M***** und J***** K***** gemeinsam als Mittäter zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2011 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 16.240,00 Umsatzsteuer für das Jahr 2011 in Höhe von EUR 2.706,67, wobei es beim Versuch geblieben sei (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 12 in ON 16);

6. S***** L*****-K***** im Jahr 2012 in ***** durch Schwarzzahlung von zumindest EUR 5.010,00 Umsatzsteuer für 03/2012 in Höhe von insgesamt EUR 835,00 (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11 in ON 17);

7. G***** S***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2009 in ***** ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 3.394,90 Umsatzsteuer und Einkommensteuer für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt EUR 1.121,63 (Anklageschrift vom 23. Oktober 2019, ON 11 in ON 18);

8. H***** S***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2011 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 13.380,00 Umsatzsteuer für das Jahr 2011 in Höhe von EUR 2.230,00, wobei es beim Versuch geblieben sei (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11 in ON 20);

9. I***** W***** im Jahr 2009 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 18.077,39 Umsatzsteuer für das Jahr 2009 in Höhe von EUR 3.012,90 (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11 in ON 21);

10. W***** Z***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2010 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 12.000,00 Umsatzsteuer und Einkommensteuer für das Jahr 2010 in Höhe von insgesamt EUR 4.387,44, wobei es teilweise beim Versuch geblieben sei (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11 in ON 22);

11. B***** V***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2010 in ***** ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 9.386,34 Umsatzsteuer und Einkommensteuer für das Jahr 2010 in Höhe von insgesamt EUR 3.496,24, wobei es teilweise beim Versuch geblieben sei (Anklageschrift vom 24. Oktober 2019, ON 11 in ON 23);

12. J***** und M***** S***** gemeinsam als Mittäter zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2009 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 15.721,88 Umsatzsteuer und Einkommensteuer für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt EUR 5.844,19 (Anklageschrift vom 25. Oktober 2019, ON 12 in ON 24);

13. H***** L***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2009 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 2.007,15 Umsatz-steuer und Einkommensteuer für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt EUR 746,11 (Anklageschrift vom 25. Oktober 2019, ON 11 in ON 25);

14. H***** K***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2009 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 11.047,85 Umsatzsteuer und Einkommensteuer für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt EUR 4.106,75 (Anklageschrift vom 25. Oktober 2019, ON 11 in ON 26);

15. F***** J***** E***** zu nicht näher bekannten Zeiten im Jahr 2009 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von insgesamt EUR 6.452,15 Umsatzsteuer und Einkommensteuer für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt EUR 2.398,42 (Anklage-schrift vom 25. Oktober 2019, ON 11 in ON 28);

16. N***** und D***** B***** gemeinsam als Mittäter im Jahr 2012 in ***** und andernorts durch Schwarzzahlung von EUR 10.000,00 Umsatzsteuer für 05/2012 in Höhe von insgesamt EUR 1.666,67 (Anklageschrift vom 25. Oktober 2019, ON 12 in ON 29).

Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Erstgericht das Strafverfahren gegen oben genannte Angeklagte jeweils wegen geringfügigen Verschuldens nach § 25 Abs 1 FinStrG ein. Als schuldmildernd zu berücksichtigen seien die untergeordnete Tatbeteiligung, die von den Angeklagten nicht zu vertretende lange Verfahrensdauer, das lange Zurückliegen der angeklagten Taten und seitherige Wohlverhalten der Angeklagten, die vollständige Schadensgutmachung durch den unmittelbaren Täter, die geständige bzw. zumindest zur Wahrheitsfindung beitragende Einlassung der Angeklagten sowie deren bisheriger ordentliche Lebenswandel. Teilweise sei es auch beim Versuch geblieben. Angesichts des geringen strafbestimmenden Wertbetrages von EUR 746,11 bis EUR 8.166,67 sei zudem das Erfolgsunrecht (noch) gering.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Anordnung der Durchführung der Hauptverhandlung begehrt. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die den Angeklagten zur Last liegenden Verkürzungsbeträge jeweils deutlich über der – auch hier maßgeblichen – Geringfügigkeitsgrenze bei Vermögensdelikten liegen und daher keine unbedeutenden Folgen im Sinne des § 25 Abs 1 FinStrG darstellen würden (ON 36).

Die Angeklagten K*****, K*****, L*****-K***** (nunmehr K*****-L*****), W*****, Z*****, S***** und K***** erstatteten Gegenausführung.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist klarzustellen, dass die Bestimmung über das Absehen von der Strafe nach § 25 Abs 1 erster Satz FinStrG ausschließlich den verwaltungsbehördlichen Kompetenzbereich betrifft. Im gerichtlichen Finanzstrafverfahren gelangt die Bestimmung über die Einstellung wegen Geringfügigkeit nach § 191 StPO zur Anwendung. Dies auch dann, wenn sich die Zuständigkeit des Gerichtes – so wie hier – ausschließlich auf § 53 Abs 4 FinStrG gründet (vgl. Lässig in Höpfel/Ratz , WK² FinStrG § 25 Rz 1; Winkler in Tannert/Kotschnigg , FinStrG § 25 Rz 9, 15; Kalcher in Reger/Judmaier/Kalcher/Kuroki , FinStrG 4 Bd. II § 25 Rz 36; 14 Os 136/92, 9 Os 58/84, 11 Os 37/83, 9 Os 34/83, 12 Os 26/83 zu den durch § 191 StPO ersetzenden § 42 StGB [BGBl I Nr. 93/2007]).

Gemäß § 191 Abs 1 StPO iVm § 195 Abs 1, 203 FinStrG hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer nur mit Geldstrafe und/oder einer drei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Finanzstraftat abzusehen und das Ermittlungsverfahren einzustellen, wenn in Abwägung der Schuld, der Folgen der Tat und des Verhaltens des Beschuldigten nach der Tat, insbesondere im Hinblick auf eine allfällige Schadensgut-machung, sowie weiterer Umstände, die auf die Strafbemessung Einfluss hätten, der Störwert der Tat als gering anzusehen wäre und eine Bestrafung nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Nach Abs 2 leg cit hat das Gericht unter denselben Voraussetzungen das Verfahren bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

Unter „Störwert der Tat“ werden alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit verstanden, somit auch Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen (vgl. Schroll in Fuchs/Ratz , WK StPO § 191 Rz 31). Die Frage der unbedeutenden Folgen darf daher nicht ausschließlich nach den Folgen des Finanzvergehens, die beim Täter eingetreten sind, beurteilt werden, sondern es sind dabei auch alle anderen steuerlichen Folgen und typische Begleitschäden zu berücksichtigen (vgl. Kalcher , aaO § 25 Rz 6).

Wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend aufgezeigt kann sich die Beurteilung, was unter unbedeutenden Folgen zu verstehen ist, im Finanzstrafrecht nicht wesentlich von den für Vermögensdelikte entwickelten Kriterien entfernen (vgl. RIS-Justiz RS0086370). Danach hat sich eine Obergrenze von rund EUR 100,00 etabliert (vgl. Salimi in Höpfel/Ratz , WK² StGB § 141 Rz 21; RIS-Justiz RS0120079).

Ausgehend davon und unter Berücksichtigung des mit einer Abgabenhinterziehung (gerade) im Baugewerbe verbundenen sozialen Störwerts können die Folgen der hier zu bewertenden Taten entgegen der Ansicht des Erstgerichtes nicht (mehr) als unbedeutend bezeichnet werden.

Neben den Erfordernissen des geringen Störwerts der Tat setzt das Geringfügigkeitskorrektiv nach § 191 StPO zudem voraus, dass eine Bestrafung weder aus spezial- noch generalpräventiven Gründen geboten erscheint. Eine Verfahrenseinstellung ist daher unzulässig, wenn das Unterbleiben einer Bestrafung in anderen Abgabepflichtigen die Neigung zu gleichartigen oder anderen Delikten verstärken könnte; wenn sie also geeignet ist, das Finanzvergehen hinsichtlich der zu erwartenden Folgen zu bagatellisieren und damit die allgemein abschreckende Wirkung der im Gesetz erwähnten Strafdrohung zu paralysieren (vgl. Kalcher , aaO § 25 Rz 40). Gerade bei sogenannten „Massendelikten“, worunter auch Finanzvergehen zu zählen sind, sieht die Rechtsprechung die Bestrafung als generalpräventive Notwendigkeit (vgl. Winkler , aaO § 25 Rz 47).

Dass es sich bei Schwarzzahlungen an Bauunternehmen um keine Einzelfälle handelt, zeigt bereits die Anzahl der angeklagten – teils bereits rechtskräftig verurteilten – Bauherren in gegenständlichem Verfahrenskomplex rund um die Ing. T***** W***** GmbH Co KG, weshalb einer Verfahrenseinstellung nach § 191 StPO auch generalpräventive Gründe entgegenstehen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

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