JudikaturJustiz4R124/15f

4R124/15f – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
08. September 2015

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht hat durch Senatspräsident Dr. Wilhelm Jeryczynski als Vorsitzenden sowie Mag. Hans Peter Frixeder und Mag. Edeltraud Kraupa in der Rechtssache der klagenden Partei H***** E***** , *****, vertreten durch Mag. Dr. H***** B*****, Rechtsanwalt *****, gegen die beklagte Partei L***** O***** , *****, vertreten durch Dr. T***** L*****, Rechtsanwalt *****, wegen EUR 2.281.400,00, Rechnungslegung (Streitwert EUR 5.000,00) und Feststellung (Streitwert EUR 5.000,00) über die Kostenrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 29. Juli 2015, 31 Cg 18/13b-21, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

I) Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seiner Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

II) Dem Rekurs des Klägers wird Folge gegeben.

Die angefochtene Kostenentscheidung wird dahin abgeändert, dass die Kosten des nichtigen Verfahrens gegenseitig aufgehoben werden.

Die beklagte Partei hat dem Kläger binnen 14 Tagen die mit EUR 299,56 (darin EUR 49,92 USt) bestimmten Rekurskosten zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist nach § 528 Abs 2 Z 3 ZPO jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Der Kläger beantragte am 20. Dezember 2011 zu 31 Nc 20/11k die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Schadenersatzlage, weil er in Heimen ***** misshandelt worden sei. Aufgrund eines vorgelegten psychiatrischen Gutachtens unterbrach das Erstgericht das Verfahren gemäß § 6a ZPO zur Überprüfung der Prozessfähigkeit des Klägers. Mit Beschluss vom 26. April 2012, P 22/12a-12, bestellte das Bezirksgericht P***** den Klagevertreter Mag. Dr. H***** B***** zum Sachwalter für die Vertretung vor Gerichten, soweit die Verfahren im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen stehen.

Mit Beschluss vom 14. Juni 2012, 31 Nc 20/11k-9, bewilligte das Erstgericht dem Kläger die Verfahrenshilfe. Mit Bescheid ***** vom 22. Juni 2012 wurde ihm der Sachwalter Mag. Dr. H***** B***** als Vertreter beigegeben.

Am 23. April 2013 brachte Mag. Dr. B***** die Schadenersatzklage über EUR 2.281.400,00, Rechnungslegung und Feststellung ein. Auf Seite 6 der Klage (= AS 6) sind die Tatsache der Sachwalterbestellung, das Pflegschaftsgericht und dessen Aktenzeichen ausdrücklich angeführt; danach heißt es, durch einen Absatz hervorgehoben, wörtlich:

„Gegenständliche Klage wird von meinem Sachwalter und Verfahrenshelfer eingebracht.“

Die beklagte Partei ging in der Klagebeantwortung auf dieses Vorbringen nicht ein. Es wurde auch in der vorbereitenden Tagsatzung am 9. August 2013 und in den nachfolgenden Schriftsätzen der Parteien nicht thematisiert.

Am 18. Februar 2014 beantragte der Kläger beim nunmehr zuständigen Bezirksgericht G***** die pflegeschaftsgerichtliche Genehmigung der Klage. Diese wurde ihm rechtskräftig verweigert (5 Ob 175/14t vom 28. April 2015).

Mit dem nur im Kostenpunkt angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht das Verfahren als nichtig aufgehoben, die Klage zurückgewiesen und der beklagten Partei die mit EUR 4.842,53 bestimmten Kosten der Klagebeantwortung zugesprochen.

Gegen diese Kostenentscheidung richten sich die Rekurs beider Parteien. Das Land ********** begehrt die Erhöhung des Kostenzuspruchs auf EUR 16.501,28, der Kläger hingegen Kostenaufhebung.

In ihren Rekursbeantwortungen beantragen die Parteien, dem Rekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

I) Der Rekurs der beklagten Partei ist unzulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse, voraus (Kodek in Rechberger 4 Rz 9 Vor § 461 ZPO; Klauser/Kodek 17 E 13 zu § 461 ZPO). Bei der Beschwer unterscheidet man die formelle Beschwer, welche dann vorliegt, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht, und die materielle Beschwer. Diese liegt vor, wenn die (materielle und prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, diese also für ihn ungünstig ausfällt. Die formelle Beschwer reicht nicht immer aus. Widerspricht die angefochtene Entscheidung den vom Rechtsmittelwerber in der Vorinstanz gestellten Antrag, dann ist, wenn die Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung nicht beeinträchtigt wird, sein Rechtsmittel dennoch zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041868; Kodek a.a.O. Rz 10).

Fehlende Beschwer macht ein Rechtsmittel unzulässig (Kodek a.a.O. Rz 9; Klauser/Kodek 17 E 14 zu § 461 ZPO).

Zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz hatte die beklagte Partei nur Kosten für die Klagebeantwortung verzeichnet. Diese wurden ihr mit dem angefochtenen Beschluss in der begehrten Höhe zugesprochen. Die Kostenentscheidung weicht daher von keinem Antrag der beklagten Partei ab, sodass ihr die formelle Beschwer fehlt.

Sie ist aber auch materiell nicht beschwert, weil ihr Anspruch auf Ersatz der übrigen Prozesskosten durch die angefochtene Entscheidung nicht beeinträchtigt wäre. Da ihr vor Zurückweisung der Klage keine Gelegenheit zur Kostenverzeichnung gegeben wurde, wäre der zugleich mit dem Rekurs gestellte Kostenbestimmungsantrag rechtzeitig (M. Bydlinski in Fasching, Kommentar 3 Rz 9 zu § 54 ZPO).

Der Rekurs der beklagten Partei war daher gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels Beschwer als unzulässig zurückzuweisen.

II) Der Rekurs des Klägers ist berechtigt.

Der Rekurswerber gesteht zu, dass ihn an der Einleitung des Verfahrens ohne pflegschaftsgerichtliche Genehmigung ein Verschulden trifft. Mit Recht macht er aber geltend, dass der beklagten Partei ein Verschulden an der Fortsetzung des Verfahrens anzulasten ist, weil sie trotz der ausdrücklichen Behauptung, dass der Klagevertreter auch als Sachwalter des Klägers einschreite, nicht auf die Notwendigkeit einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung der Klage hingewiesen hat. Dass eine solche vorläge, konnte die beklagte Partei nicht ernstlich annehmen, weil wohl kein Pflegschaftsgericht eine solche Klage genehmigen würde. Die Behauptung in der Rekursbeantwortung der beklagten Partei, der Kläger habe das Vorbringen zur Sachwalterschaft in der Klageschrift „versteckt“, ist unzutreffend.

Trifft beide Teile wegen Einleitung und Fortführung eines nichtigen Verfahrens ein Verschulden, so sind die Kosten gemäß § 51 Abs 2 ZPO gegenseitig aufzuheben (Klauser/Kodek 17 E 16 zu § 51 ZPO; Fucik in Rechberger 4 Rz 4 zu § 51 ZPO; M. Bydlinski in Fasching, Kommentar 3 Rz 10 zu § 51; RIS-Justiz RS0035966). Dass die Nichtigkeit zur Klagszurückweisung geführt hat, steht dem nicht entgegen (vgl. 2 Ob 555/76 = SZ 50/76;

3 ObA 9/89; 9 ObA 65/98v). Den von M. Bydlinski (in Fasching, Kommentar 3 Rz 11 zu § 51 ZPO) gesehenen Zwang, wegen des „kostenrechtlichen Verursachungsprinzips“ (gemeint wohl: Erfolgsprinzips) in einem solchen Fall den Kläger - entgegen dem Gesetzeswortlaut - gemäß § 41 ZPO zum Kostenersatz zu verpflichten, vermag das Rekursgericht nicht zu erkennen. § 51 ZPO ist eine Sondernorm, die § 41 ZPO vorgeht und nicht auf den Prozesserfolg, sondern auf das Verschulden der Parteien an der Verursachung der Kosten eines nichtigen Verfahrens abstellt.

In Stattgebung des Rekurses des Klägers waren die Kosten des nichtigen Verfahrens daher gegenseitig aufzuheben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 50, 41 ZPO, 11 RATG. Die Kosten seiner Rekursbeantwortung hat der Kläger selbst zu tragen, weil er auf die Unzulässigkeit des Rekurses der beklagten Partei nicht hingewiesen hat (Klauser/Kodek 17 E 208 zu § 41 ZPO; Fucik in Rechberger 4 Rz 5 zu § 41 ZPO).

Rechtssätze
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