JudikaturJustiz4Ob197/22g

4Ob197/22g – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Schwarzenbacher, Dr. Tarmann Prentner, MMag. Matzka und Mag. Istjan, LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*, vertreten durch Dr. Heinz Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. G*, vertreten durch Dr. Georg S. Mayer, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. September 2022, GZ 33 R 63/22k 74, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Dem klagenden Verein gehören hunderte Rechtsanwälte an; zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben gehört die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der österreichischen Rechtsanwaltschaft, insbesondere im Rahmen des UWG. Der Beklagte hat auf die Berechtigung zur Aus übung der Rechtsanwaltschaft per (richtig:) 31. 1. 2019 verzichtet.

[2] Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, sich als „Rechtsanwalt em“ zu bezeichnen.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1. In einer Überschreitung des Klagebegehrens iSd § 405 ZPO läge nach ständiger Rechtsprechung eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ( RS0041089 ; RS0041240 ), hier also des Berufungsurteils.

[4] 1.2. Eine solche liegt hier nicht vor. Mit der im Unterlassungsbegehren enthaltenen und vom Berufungsgericht nicht in sein Urteil aufgenommenen Wendung „gegenüber der klagenden Partei“ wird bloß die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass der in UWG-Sachen ergangene zivilgerichtliche Unterlassungstitel Verpflichtungen nur zwischen den Verfahrensparteien schafft (vgl RS0041567 , RS0041572 ). Durch das Weglassen dieser weitgehend inhaltsleeren Wendung werden Geltung und Tragweite von Begehren oder Urteilstenor nicht berührt. Eine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts stellt sich nicht.

[5] 2.1. Zum geschäftlichen Verkehr im Sinne des Wettbewerbsrechts genügt jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit, soweit sie über eine rein private oder amtliche Tätigkeit hinausgeht. Gewinnabsicht ist nicht unbedingt erforderlich. Es genügt eine selbstständige zu wirtschaftlichen Zwecken vorgenommene Tätigkeit, in der eine Teilnahme am Erwerbsleben zum Ausdruck kommt ( RS0077485 ; RS0077522 ). Zum Bereich des geschäftlichen Verkehrs zählt jede Tätigkeit, die irgendwie der Förderung eines beliebigen Geschäftszwecks dient, der auch ein fremder sein kann ( 4 Ob 122/93 , 4 Ob 47/22y); auch wer zu Gunsten Dritter in den Marktablauf eingreift, handelt im geschäftlichen Verkehr (vgl 9 ObA 231/90).

[6] Daher kann nach der Rechtsprechung etwa auch ein Verein, dessen satzungsmäßiger Zweck an sich nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgerichtet ist, diese Voraussetzung erfüllen ( RS0077522 [T1]), etwa indem er seinen Mitgliedern Düngemittel oder Saatgut zur Verfügung stellt ( 4 Ob 56/90 ; 4 Ob 120/93 ), für sie Schriftverkehr in steuerlichen Angelegenheiten erledigt ( 4 Ob 154/04g ), oder eine „Schuldnerberatung“ vornimmt ( 4 Ob 205/06k ), die notwendigerweise auch Rechtsberatung ist ( 4 Ob 148/05a ), und den Mitgliedern dadurch Vorteile bringt, dass sie sich die Inanspruchnahme hierzu befugter Personen ersparen (vgl 4 Ob 71/92 ).

[7] 2.2. Nach den Feststellungen trat der Beklagte in Schreiben, die anwaltlichen Schriftstücken äußerlich weitgehend glichen, gegenüber Verwaltungsbehörden (durch Erstattung einer Vorstellung), aber auch gegenüber einem – von ihm als „Kollege“ titulierten und „mit kollegialen Grüßen“ um „kollegiale Rückantwort“ zu einem Vergleichsanbot ersuchten – anwaltlichen Parteienvertreter teils als Rechtsanwalt, teils als „Rechtsanwalt em“ auf. Er verfolgte und vertrat mit seinen Eingaben finanzielle, zivil- und verwaltungsrechtliche Interessen von durch ihn schon vor 2019 anwaltlich vertretenen, mit ihm befreundeten Personen, von denen er sich teils unter Verwendung einer verkehrsüblichen anwaltlichen Drucksorte Vollmacht erteilen ließ und sich darauf auch gegenüber Außenstehenden berief.

[8] 2.3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Beklagte damit im geschäftlichen Verkehr handelte, hält sich im Einzelfall im Rahmen der Rechtsprechung, zumal sich sein angeblich bloß „privates“ Handeln nicht auf etwa die Erteilung von Rat oder interne Formulierungshilfen beschränkte, sondern er unter Verwendung seiner früheren Berufsbezeichnung – mit oder ohne Zusatz „em“ – nach außen hin als Parteienvertreter auftrat. Auch wenn der Beklagte nach den Feststellungen kein Honorar dafür verlangte oder bezog, ersparten sich die von ihm vertretenen Personen die Inanspruchnahme von befugten Rechtsanwälten, deren sie sich zur Erreichung ihrer Anliegen und Ziele sonst hätten bedienen müssen. Der Beklagte trachtete erkennbar danach, seinen Interventionen durch den Hinweis auf seine Befugnis als Rechtsanwalt erhöhtes Gewicht zu verleihen; er stellte sich damit in unmittelbaren Wettbewerb mit jener tatsächlich zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft befugten Berufsgruppe, die der Kläger vertritt (vgl 4 Ob 154/04g ). Eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung wird von der Revision nicht aufgezeigt.

[9] 3.1. Ein lauterkeitsrechtlich relevanter Rechtsbruch liegt nur vor, wenn er auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht. Die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht ist aufgrund des Wortlauts und des offenkundigen Zwecks der angeblich verletzten Norm und gegebenenfalls der dazu ergangenen Entscheidungen der zuständigen Behörden und Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu beurteilen (RS0077771; RS0123239).

[10] Bei Beurteilung der lauterkeitsrechtlichen Vertretbarkeit einer Rechtsansicht durch den Obersten Gerichtshof sind zwei Prüfungsstufen zu unterscheiden: Schon auf der ersten – für die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach § 1 UWG maßgebenden – Stufe geht es nur um die Frage nach einer vertretbaren Auslegung der Normen, um die Verwirklichung eines zurechenbaren Rechtsbruchs bejahen oder verneinen zu können. Auf der zweiten – für die zulässige Anfechtung eines Urteils beim Obersten Gerichtshof gemäß § 502 Abs 1 ZPO hinzutretenden – Stufe geht es sodann nicht um die Frage, ob das Berufungsgericht jene Vertretbarkeitsfrage richtig, sondern nur, ob es sie ohne eine krasse Fehlbeurteilung gelöst hat (RS0124004; 4 Ob 95/21f).

[11] 3.2. Das Berufungsgericht erachtete einen Verstoß gegen § 8 Abs 4 RAO als gegeben: Ziel dieser Bestimmung sei es jedenfalls, dass niemand, der die Berufsvoraussetzungen nicht erfülle, Dritten gegenüber mit dem Begriff „Rechtsanwalt“ Informationen in Bezug auf die eigene Person verbinde. Auch die Bezeichnung „Rechtsanwalt em“ enthalte immer noch einen Hinweis auf die frühere Befähigung, als Rechtsanwalt aufzutreten. Es hielt es nicht für vertretbar, dass ein früherer Rechtsanwalt mit guten Gründen der Auffassung sein könnte, zur festgestellten Verwendung der Bezeichnung „Rechtsanwalt“, mit oder ohne Zusatz „em“, im Auftreten nach außen in rechtlicher Vertretung von Dritten und der Verfolgung von deren Interessen berechtigt zu sein; dies ergebe sich auch nicht aus der Adressierung als emeritierter Rechtsanwalt im gesellschaftlichen oder Briefverkehr.

[12] 3.3. Indem die Revision den Prozessstandpunkt des Beklagten wiederholt, dass er doch gute Gründe gehabt habe, sich dazu als berechtigt zu sehen und nicht dem § 8 Abs 4 RAO zuwider gehandelt zu haben, macht er keine Unvertretbarkeit der entgegengesetzten Beurteilung seines Verhaltens durch das Gericht zweiter Instanz geltend; er zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf ( RS0124004 [T20]).

[13] 4. Auf die sonstigen vom Berufungsgericht erwogenen und bejahten Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs – insbesondere die Eignung, den Wettbewerb in spürbarer Weise zu beeinflussen (vgl RS0120712 , RS0117605 ) – kommt die Revision nicht konkret zurück; mit der bloßen Erwähnung im Rahmen der Ausführungen zur Zulässigkeit, das Berufungsgericht habe die wettbewerbsrechtliche Erheblichkeitsschwelle „obendrein falsch beurteilt“, wird ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

[14] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtssätze
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