JudikaturJustiz32Ns338/23d

32Ns338/23d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberstleutnant Posch Fahrenleitner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des A* im Kompetenzkonflikt zwischen dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts Wien (AZ 193 Bl 38/23z) und dem Landesgericht Linz als Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts Linz (AZ 60 Bl 60/23v) in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Für die Durchführung des Verfahrens ist das Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts Wien zuständig.

Der Akt wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht übermittelt.

Text

Begründung

Dem Akteninhalt folgend erhob A* am 22. Juli 2023 gemäß § 16 Abs 3 Z 1 StVG eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des Leiters der Justizanstalt Stein vom 20. Juli 2023 (ON 8 S 19) wegen Verletzung des subjektiv-öffentlichen Rechts auf wöchentlichen Bezug von Bedarfsgegenständen (§ 34 Abs 1 StVG) beim Landesgericht für Strafsachen Wien (ON 1).

Mit Aktenvermerk vom 4. August 2023 hielt das Landesgericht für Strafsachen Wien fest, dass A* am 2. Mai 2023 in die Justizanstalt Salzburg überstellt worden sei (ON 2). Dies bestätigt die A* betreffende Vollzugsinformation (ON 3). Weiters hielt das Landesgericht für Strafsachen Wien fest, dass der gegenständliche Antrag (gemeint: die Beschwerde ON 1) am 25. Juli 2023 eingelangt sei. Gemäß § 16 Abs 1 und Abs 3 StVG sei das zuständige Vollzugsgericht das in Strafsachen tätige Landesgericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Sprengel die Freiheitsstrafe vollzogen werde. Sohin wurde der Akt dem Landesgericht Linz als Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts Linz übermittelt (ON 2).

Mit Verfügung vom 13. November 2023 legt das Landesgericht Linz (AZ 60 Bl 60/23v) den Akt dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt gemäß § 17 Abs 2 Z 1 StVG iVm § 5 AVG vor. Begründend wird ausgeführt, dass die über A* verhängten Freiheitsstrafen seit 2. Mai 2023 in der Justizanstalt Salzburg vollzogen würden. Das Landesgericht für Strafsachen Wien sei dennoch zuständig, weil sich die Zuständigkeit des Vollzugsgerichts als Beschwerdegericht nach § 16 Abs 3 StVG nach der Vollzugsbehörde erster Instanz richte. Dies sei im vorliegenden Fall der Leiter der Justizanstalt Stein gewesen.

Da die im § 17 Abs 2 Z 1 StVG angeführten Bestimmungen im gerichtlichen Beschwerdeverfahren sinngemäß gelten, entscheidet das Oberlandesgericht Wien als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über einen Zuständigkeitsstreit zwischen zwei Vollzugsgerichten in Bezug auf ein Verfahren nach § 16 Abs 3 StVG ( Pieber in WK 2 StVG § 17 Rz 20).

Vollzugsgericht nach § 16 Abs 1 StVG ist das in Strafsachen tätige Landesgericht, in dessen Sprengel die Freiheitsstrafe vollzogen wird (§ 16 Abs 1 erster Satz StVG).

Für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 1 StVG kommt es in den Fällen der Strafvollzugsortsänderung gemäß § 10 Abs 1 StVG nicht auf das tatsächliche Eintreffen des Strafgefangenen in der zuständigen Justizanstalt an, sondern darauf, welche Justizanstalt zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens nach der Entscheidung der Generaldirektion beim Bundesministerium für Justiz für den Strafvollzug zuständig war (14 Ns 48/20z). Der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens ist der Zeitpunkt der Antragstellung, konkret der Tag des Einlangens des Antrags bei Gericht (RIS-Justiz RS0087500 [T2]; Drexler/Weger , StVG 5 § 16 Rz 3). Wird während des Verfahrens vor diesem Gericht der Strafgefangene in eine nicht im Sprengel des Vollzugsgerichts liegende Strafvollzugsanstalt überstellt, erfolgt keine Änderung der Zuständigkeit des Vollzugsgerichts (RIS-Justiz RS0087504).

In der Lehre wird (was der Position des Landesgerichts für Strafsachen Wien entspricht) vertreten, dass diese Abgrenzungskriterien – lege non distinguente – auch für das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG gelten sollen, sodass nach einem Vollzugsortswechsel ein Gericht ggf auch zur Entscheidung über eine Beschwerde gegen den Leiter einer nicht in seinem Oberlandesgerichtssprengel gelegenen Justizanstalt berufen sein könne ( Pieber in WK 2 StVG § 16 Rz 7).

Rechtliche Beurteilung

Diese Rechtsansicht wird vom Oberlandesgericht Wien nicht geteilt.

Nach § 16 Abs 3 StVG entscheidet das Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Sprengel die Freiheitsstrafe vollzogen wird, über Beschwerden gegen eine Entscheidung oder Anordnung des Anstaltsleiters (Z 1), wegen Verletzung eines subjektiven Rechts durch ein Verhalten des Anstaltsleiters (Z 2) und wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Anstaltsleiter (Z 3). Demnach mag das Gesetz dem Wortlaut nach tatsächlich keine Unterscheidung treffen. Die in Rede stehenden Verfahren nach § 16 Abs 1 und 16 Abs 3 StVG halten aber keinem Vergleich stand.

Während die Verfahren nach § 16 Abs 1 StVG durch einen Antrag beim Vollzugsgericht eingeleitet werden und damit der Tag des Einlangens dieses Antrags bei Gericht als entscheidend für die Zuständigkeit des Gerichts angesehen werden kann, entscheidet das Vollzugsgericht in Verfahren nach § 16 Abs 3 StVG über Beschwerden gegen Entscheidungen, Anordnungen oder ein Verhalten des Anstaltsleiters. Solche Beschwerden sind nach § 121a Z 2 erster Satz StVG bei der Behörde einzubringen, gegen die sich die Beschwerde richtet. Erst wenn der Anstaltsleiter der Beschwerde nicht abhilft, entscheidet das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG (§ 121 Abs 1 StVG). Mit der Vorlage der Beschwerde begibt sich der Anstaltsleiter (als Vollzugsbehörde erster Instanz) des Rechts, Abhilfe zu schaffen, die Zuständigkeit geht auf das Vollzugsgericht über ( Drexler/Weger, aaO § 121 Rz 4). Bereits diese – auf eine zwischenzeitige Vollzugsortsänderung des Beschwerdeführers nicht abstellende - Regelung legt nahe, dass sich die (örtliche) Zuständigkeit des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG nach der Vollzugsbehörde erster Instanz richtet. Aus der Bestimmung des § 11 Abs 2 StVG, der auf den Strafvollzug in der dem Anstaltsleiter unterstellten Anstalt abstellt, wird im Übrigen abgeleitet, dass jegliches Handeln der Strafvollzugsbediensteten in einer Anstalt (unabhängig der dienstrechtlichen Zuordnung) der Aufsicht des jeweiligen Anstaltsleiters unterliegt ( Drexler/Weger , StVG 5 § 11 StVG Rz 5 mit Bezug auf Oberlandesgericht Wien AZ 33 Bs 322/16v und AZ 33 Bs 308/16k).

Einen ähnlichen Grundgedanken bringt im Ordnungsstrafverfahren § 116 Abs 1 letzter Satz StVG zum Ausdruck, der normiert, dass die Zuständigkeit der Vollzugsbehörde erster Instanz erhalten bleibt, wenn der Strafgefangene während eines anhängigen Ordnungsstrafverfahrens in eine andere Anstalt überstellt wird ( Drexler/Weger, aaO § 116 Rz 4). Anderenfalls hätte eine Justizanstalt, die bislang mit der Ordnungswidrigkeit gar nicht befasst war, zu entscheiden, obwohl in der Regel die in Betracht kommenden Beweismittel (insb Zeugen) für die Justizanstalt, in der sich der historische Sachverhalt abgespielt hat, leichter greifbar sind. In diesem Zusammenhang wurde auch judiziert, dass sich die Zuständigkeit des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG als Beschwerdegericht nach der Vollzugsbehörde erster Instanz richtet ( Drexler/Weger , aaO § 116 Rz 4; Landesgericht für Strafsachen Wien, AZ 194 Bl 21/18z; im Ergebnis auch Landesgericht für Strafsachen Graz, AZ 1 Bl 4/17t).

Zu § 6 AVG hat der Verwaltungsgerichtshof vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 im Übrigen angenommen, dass die Zuständigkeit der Berufungsbehörde mit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (zB durch eine niederösterreichische Bezirkshauptmannschaft) in tatsächlicher Hinsicht fixiert war. Nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in Umständen, die schon für die Zuständigkeit der ersten Instanz relevant waren (zB die Verlegung des Wohnsitzes des Fremden nach Oberösterreich), vermochten an der einmal gegebenen funktionellen Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde (zB der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich) nichts mehr zu ändern ( Hengstschläger/Leeb , AVG § 6 Rz 9).

Ausgehend von diesen - den Besonderheiten des Verfahrens vor dem Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG und dem diesem vorgeschalteten Verfahren nach § 120 f StVG, aber auch der Verfahrensökonomie Rechnung tragenden - Prämissen richtet sich die Zuständigkeit des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG nach der Vollzugsbehörde erster Instanz.

Fallkonkret folgt daraus die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts Wien.

Rechtssätze
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