JudikaturJustiz32Bs54/24m

32Bs54/24m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
18. März 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen § 84 Abs 4 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft Wien wegen Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Dezember 2023, GZ 32 Hv 28/23d 60.2, sowie deren Beschwerde gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach der am 18. März 2024 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Seidl, im Beisein der Richterin Dr. Vetter und des Richters Dr. Farkas als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Staatsanwältin Mag. Weber, LL.M. WU als Vertreterin der Oberstaatsanwaltschaft sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* und seines Verteidigers Mag. Florian Kreiner durchgeführten Berufungsverhandlung

I. zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben und die verhängte Freiheitsstrafe auf drei Jahre erhöht.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II. den

Beschluss

gefasst:

Aus Anlass der Abänderung der über A* verhängten Freiheitsstrafe werden die gemäß § 494a StPO gefassten Beschlüsse aufgehoben und wie folgt entschieden:

Gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO iVm § 53 Abs 1 StGB wird die mit Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 10. November 2022, AZ 6 U 75/22s, gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.

Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO iVm § 53 Abs 1 StGB wird vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. Juli 2021, AZ 12 Hv 22/21w, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen.

Mit ihrer Beschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde A* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (I./) und des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und 2 Z 1 und 2 StGB (II./) schuldig erkannt und hiefür unter aktenkonformer Anrechnung der Vorhaft und Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 84 Abs 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt.

Weiters wurde A* gemäß § 366 Abs 2 StPO iVm § 369 Abs 1 StPO schuldig erkannt, der Privatbeteiligten B* 5.000 Euro samt 4% Zinsen seit 13. Dezember 2023 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Darüber hinaus fasste das Erstgericht gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO den Beschluss auf Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 10. November 2022, GZ 6 U 75/22s 26, gewährten bedingten Strafnachsicht. Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO wurde vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. Juli 2021, GZ 12 Hv 22/21w 65, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* in ** B*

I./ am 24. Jänner 2023 am Körper verletzt und dadurch an sich schwere Körperverletzungen sowie eine mehr als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit herbeigeführt, indem er ihr mehrere Faustschläge ins Gesicht und auf den Rücken versetzte, sie an den Haaren packte und durch den Raum zur Tür zerrte und in weiterer Folge versuchte, ihren Kopf gegen einen Türstock zu schlagen, wodurch diese einen unverschobenen Bruch des Nasenbeines, diverse Schwellungen und Blutunterlaufungen im Bereich des Kopfes, einen Rippenbruch sowie eine Luftfüllung der linken Brusthöhle erlitt;

II./ im Zeitraum von 24. Jänner 2023 bis zumindest 2. Mai 2023 widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er in einer Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt

A./ ihre räumliche Nähe aufsuchte, indem er regelmäßig bei ihrer Wohnung auftauchte und auf der Straße oder vor dem Wohnhaus auf sie wartete, ihr Blumen hinterlegte sowie ihr in ein Lokal hinterherging;

B./ im Wege einer Telekommunikation Kontakt zu ihr herstellte, indem er ihr beinahe täglich von über 200 verschiedenen Telefonnummern unzählige Text- und Sprachnachrichten schickte und sie beinahe täglich anrief, wobei er sofort über eine neue Nummer Kontakt zu ihr aufnahm, nachdem sie eine Nummer blockiert hatte und dabei bis zu zwölf verschiedene Telefonnummern pro Tag verwendete.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht das reumütige Geständnis zu II./ als mildernd, erschwerend hingegen das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, die fünf einschlägigen Vorstrafen, den raschen Rückfall sowie die außerordentliche Faktenvielzahl bei der beharrlichen Verfolgung (gemeint: die über die Begründung der Tatbestandsmäßigkeit nach § 107a StGB hinausgehende Vielzahl an einzelnen Verfolgungs handlungen).

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 61), in weiterer Folge zu ON 64 ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft Wien wegen Strafe. Gegen den Beschluss auf Absehen des Widerrufs der dem Angeklagten mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. Juli 2021, AZ 12 Hv 22/21w, gewährten bedingten Strafnachsicht wendet sich deren Beschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Fallaktuell sind beim Angeklagten die Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall (gemäß § 39 Abs 1a StGB) gegeben. Denn der Angeklagte wurde mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. Juli 2021 zu AZ 12 Hv 22/21w (unter anderem) wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall und Abs 2 SMG zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt (vgl ON 65 im bezughabenden Akt). Ferner wurde er mit Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 10. November 2022 zu AZ 6 U 75/22s unter anderem wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB ebenso zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt (ON 26 im bezughabenden Akt). Solcherart wurde der Angeklagte schon zweimal wegen vorsätzlicher strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben (dazu zählt auch ein Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG - vgl RIS-Justiz RS0091972 [insb T6 und T7]; Leukauf/Steininger/Tipold , StGB 4 § 71 Rz 3; Jerabek/Ropper in WK 2 § 71 Rz 8) zu Freiheitsstrafen verurteilt. Bereits mit dem vom nunmehrigen Schuldspruch erfassten Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (Tat vom 24. Jänner 2023) beging er (nach Vollendung des 19. Lebensjahres) wiederum eine gegen das Rechtsgut der körperlichen Integrität gerichtete vorsätzliche strafbare Handlung. Rückfallsverjährung (§ 39 Abs 2 StGB) ist nicht eingetreten.

Weiters ist der Staatsanwaltschaft beizupflichten, dass der Tatangriff zu I./ bei einer Gesamtbetrachtung (wuchtiger Faustschlag ins Gesicht, gefolgt von mehreren kräftigen Faustschlägen (auch) gegen das Gesicht, Versuch den Kopf des Opfers gegen den Türstock zu schlagen, weitere Gewalthandlungen, obwohl das Opfer erkennbar Blut verlor) tatsächlich unter Einsatz eines außergewöhnlich hohen Ausmaßes an Gewalt (§ 33 Abs 2 Z 5 StGB; Riffel in WK² § 32 Rz 67) gesetzt wurde. Dieser Erschwerungsgrund orientiert sich nämlich an der „schweren Gewalt“, die sich nach der Judikatur zu § 104a Abs 4 StGB und § 106 Abs 3 StGB als Anwendung überlegener physischer Kraft, die auf die Überwindung eines wirklichen oder auch nur zu erwartenden Widerstandes des Opfers gerichtet ist und einen höheren Grad der Intensität oder Gefährlichkeit erreicht. Als schwere Gewalt sind demnach brutale oder rücksichtslose Aggressionshandlungen zu verstehen, beispielsweise solche, mit denen in der Regel Lebensgefahr verbunden ist ( Riffel in WK² § 33 Rz 34; Schwaighofer in WK² § 106 Rz 24). Demnach sieht die Rechtsprechung etwa auch Schläge und Tritte gegen das Gesicht und den Körper als außergewöhnliche Gewalt an ( Flora in WK² § 39a Rz 10 mwN; 12 Os 64/23p).

Nachdem dieser Erschwerungsgrund deckungsgleich mit § 39a Abs 1 Z 3 StGB ist und das Erstgericht bei der Sanktionsfindung ausdrücklich von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe ausging (US 11), hat es auch den Umstand, dass die Bestimmung des § 39a Abs 1 Z 3 StGB die Strafuntergrenze zwingend erhöht (vgl 12 Os 7/21b, 11 Os 16/22w [Rz 12], 14 Os 52/23p; OLG Wien 32 Bs 173/23k), unbeachtet gelassen.

Gemäß § 295 StPO enthält das Urteil des Berufungsgerichts der Sache nach stets einen eigenständigen Sanktionsausspruch, der jenen des Erstgerichts ersetzt (vgl RIS-Justiz RS0127710, RS0109969, RS0120535; vgl Ratz , WK-StPO § 295 Rz 2, 4). Solcherart hatte das Berufungsgericht bei der Strafbemessung nicht von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe, sondern richtigerweise nach § 84 Abs 4 StGB iVm § 39a Abs 1 Z 3, Abs 2 Z 3 StGB sowie § 39 Abs 1a StGB von einem Strafrahmen von einem bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe auszugehen ( Riffel in WK² § 32 Rz 55/12 und 55/13; RIS-Justiz RS0133600).

Überdies fällt die dreifache Verwirklichung der Qualifikation des § 84 Abs 4 StGB (in Form einer an sich schweren Körperverletzung, die eine 24 Tage übersteigende Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge hatte US 5) zusätzlich erschwerend ins Gewicht.

Wie von der Staatsanwaltschaft weiters zutreffend aufgezeigt, ist die teilweise Tatbegehung während eines anhängigen Strafverfahrens zusätzlich aggravierend zu berücksichtigen. Der Angeklagte erlangte nämlich laut Amtsvermerk ON 2.12 bereits am 25. Jänner 2023 Kenntnis von dem gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren. Seine Beschuldigteneinvernahme zum Vorwurf der schweren Körperverletzung erfolgte am 5. Februar 2023 (ON 5.4). Dennoch setzte er beginnend mit 24. Jänner 2023 bis zumindest 2. Mai 2023 (II.) die im Rahmen der beharrlichen Verfolgung zum Nachteil der B* abgeurteilten Übergriffe.

Weiters fällt auch die Tatbegehung während zweier offener Probezeiten im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen zusätzlich aggravierend ins Gewicht (RIS Justiz RS0090597).

Bei objektiver Abwägung der solcherart ergänzten Strafzumessungslage erweist sich die vorliegend verhängte Unrechtsfolge ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe schon mit Blick auf die Deliktskumulierung und den Unrechtsgehalt der Tat als nicht schuld- und tatangemessen. In Stattgebung der Berufung war daher die Sanktion auf ein allen Strafzwecken gerecht werdendes Ausmaß von drei Jahren Freiheitsstrafe zu erhöhen, das nicht nur dem vorliegenden Milderungsgrund, sondern auch (innerhalb der schuldadäquaten Strafe zu berücksichtigenden) Belangen der Generalprävention (vgl Fabrizy/Michael Kwapinski/Oshidari StGB 14 § 32 Rz 7) hinreichend Rechnung trägt. Es ist nämlich zu verdeutlichen, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in dem nach der Gewalttat (I./) nicht nur ein Betretungsverbot missachtet, sondern auch gegen eine einstweilige Verfügung verstoßen (US 6) und die Tathandlung zu II./ gesetzt wurde, die gewünschte abschreckende Wirkung nicht nur gegenüber dem einschlägig vorbestraften Angeklagten, sondern auch gegenüber potentiellen Tätern erzielt werden kann.

Aufgrund der Abänderung des Strafausspruchs waren die gefassten erstgerichtlichen Beschlüsse aufzuheben und mit der neuen Straffestsetzung eine neue Entscheidung im Sinne des § 494a StPO zu treffen (RIS Justiz RS0101886; RS0100194; 12 Os 85/19w; Jerabek, WK StPO § 498 Rz 8).

Da der Angeklagte die mehrfach gebotenen Resozialisierungschancen nicht nachhaltig für ein normangepasstes Leben zu nützen verstand, sondern ungeachtet bereits erfahrenen Haftübels (zuletzt befand er sich im Jahr 2021 rund zwei Monate zu AZ 12 Hv 22/21w des Landesgericht Eisenstadt in Untersuchungshaft) und trotz offener Probezeiten erneut delinquierte, war gemäß § 494a Abs 1 Z 4 iVm § 53 Abs 1 StGB die mit Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 10. November 2022, GZ 6 U 75/22s 26, gewährte bedingte Strafnachsicht zu widerrufen, um ein künftiges Wohlverhalten einigermaßen wirksam sicherzustellen.

Mit Blick auf die nunmehr zu verbüßende, spürbare Freiheitsstrafe konnte hingegen vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. Juli 2021, GZ 12 Hv 22/21w 65, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen werden.

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