JudikaturJustiz32Bs20/24m

32Bs20/24m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
18. April 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberst Turner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache der A* wegen Nichtgewährung eines Strafvollzugs in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (im Weiteren: eüH) über deren Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 12. Dezember 2023, GZ 192 Bl 13/23s 7, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen .

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht einer Beschwerde der A* vom 24. Mai 2023 (Beilage 2 im eüH-Akt) gegen den Bescheid des Leiters der Justizanstalt Wien Simmering vom 11. Mai 2023, GZ 2023/0185, mit dem deren Antrag auf Vollzug der mit Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. April 2022, AZ 31 Hv 5/22p, sowie vom 13. Jänner 2023, AZ 111 Hv 75/22w, verhängten unbedingten Freiheitsstrafen von insgesamt sechs Monaten in Form des eüH abgewiesen worden war (Beilage 3 im eüH Akt), nicht Folge.

Das Vollzugsgericht ging wortwörtlich vom folgenden Sachverhalt aus:

Die Beschwerdeführerin A* wurde am ** geboren und ist deutsche Staatsangehörige. Sie wurde mit den hg Urteilen vom 6.4.2022, rechtskräftig seit 18.4.2022, zu 31 Hv 5/22p wegen §§ 15, 269 Abs 1, erster Fall, 83 Abs 1, 84 Abs 2, 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten und vom 13.01.2023, rechtskräftig seit 17.1.2023 zu 111 Hv 75/22w wegen § 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der zu 31 Hv 5/22p verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten bedingt nachgesehen. Auf Grundlage der genannten Urteile ist daher insgesamt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu vollziehen.

Der Strafregisterauszug der Beschwerdeführerin weist neben den beiden genannten eine weitere Verurteilung wegen §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB vom 23.6.2020 auf (ON 1.7).

Mit am 13.2.2023 eingelangtem Antrag vom 7.2.2023 (ON 1.9) stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Aufnahme in den elektronisch überwachten Hausarrest. Darin gab sie an, Mindestsicherung in Höhe von EUR 1.098,95 monatlich „bzw zukünftig Job ~ 1400 €“ an Einkommen zu beziehen. Sie legte dem Antrag ein Vermögensbekenntnis bei, in dem sie Fixkosten für ihren Wohnort von € 558,20 monatlich sowie Unterhaltsverpflichtungen von € 50,00 monatlich angab und mit Beilagen teilweise bescheinigte. Eine Beschäftigung führte sie nicht an, an weiteren Pflichten führte sie zweiwöchige Besuchskontakte über das Wochenende ihres älteren Sohns, ein- bis zweimalige Besuchskontakt pro Monat ihres jüngeren Sohns sowie Aufsicht und Pflege zweier Katzen an.

Die Beschwerdeführerin erschien zu vom Verein Neustart angesetzten Terminen zur Erhebung am 3.3., 13.3. und 29.3. nicht, zum Termin am 21.3.2023 mit Verspätung, sodass die Erhebung durch den Verein Neustart nicht vollständig durchgeführt werden konnte. Zum Zeitpunkt der Erhebung hatte die Beschwerdeführerin keine geregelte Tagesstruktur und ging keiner Beschäftigung nach. Angesprochen auf ihre psychische Situation und Suchtproblematiken gab sie an, erneut rückfällig geworden zu sein und wieder Alkohol zu konsumieren. (ON 1.4)

Der Beschwerdeführerin wurde am 29.3.2023 zum Parteiengehör am 17.4.2023 geladen. Sie erschien nicht zu diesem Termin. Mit Email vom 28.4.2023 entschuldigte die Beschwerdeführerin ihr Fernbleiben, es sei zu einer „Verkettung einer Reihe ungünstiger Umstände“ gekommen, sie bitte um einen neuen Termin. Am selben Tag entschuldigte sie per Email ebenfalls ihr Fernbleiben von zwei Untersuchungsterminen bei der aufgrund ihres Antrags um Haftaufschub bestellten Sachverständigen. (ON 1.5)

Mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid (ON 1.3) lehnte der Leiter der Justizanstalt Wien Simmering den Antrag ab. Der Bescheid wurde der Verurteilten am 16.05.2023 durch Hinterlegung zur Abholung zugestellt.

Dagegen richtet sich die am 30.5.2023 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingelangte Beschwerde der Verurteilten (ON 1.2), worin sie zusammengefasst ausführt, dass sie nun einer Teilzeittätigkeit als persönliche Assistentin im Ausmaß von 20 bis 25 Stunden pro Woche nachgehe und damit EUR 1.300,- bis EUR 1.700,- netto monatlich ins Verdienen bringe sowie seit dem 23.4.2023 abstinent sei. Daher treffe die den angefochtenen Bescheid tragende Argumentation nicht mehr zu.

Der Anstaltsleiter äußerte sich mit Stellungnahme vom 12.06.2023 (ON 1.1) ablehnend zur Beschwerde. Auch die nun vorgetragene Verbesserung der Situation der Beschwerdeführerin sei nicht ausreichend, um angesichts ihrer einschlägigen Vorstrafenbelastung und den durch ihr Verhalten im gegenständlichen Verfahren hervorgerufenen Zweifeln an ihrer Kooperationsbereitschaft und Verlässlichkeit von einer positiven Missbrauchsprognose auszugehen.

Der mit Nacherhebungen auf Basis des Beschwerdevorbringens beauftragte Verein Neustart berichtete am 6.9.2022 (ON 3), dass kein Kontakt zur Beschwerdeführerin aufgenommen werden konnte. Sie habe weder auf telefonische Anfragen noch auf eine schriftliche Einladung reagiert, weshalb weiterhin nicht von einer Zuverlässigkeit in der nötigen Termineinhaltung für den elektronisch überwachten Hausarrest ausgegangen werden könne.

Die Beschwerdeführerin behob das ihr mit Rückschein zugestellte Schreiben, mit dem ihr die Stellungnahme des Anstaltsleiters und der Bericht des Vereins Neustart zur allfälligen Äußerung übermittelt wurden, nicht (ON 4). Am 24.10.2023 teilte sie telefonisch mit, dass ihr Personalausweis gestohlen wurde und sie daher keine RSa-Sendungen abholen könne, sie ersuche um Zustellung ohne Zustellnachweis. Am folgenden Tag wurde das Schreiben erneut ohne Rückschein abgefertigt. Die Beschwerdeführerin äußerte sich auch in der Folge nicht.

Es kann nicht festgestellt werden, ob die Beschwerdeführerin seit der Antragstellung am 13.2.2023 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. Es kann nicht festgestellt werden, ob seit der Antragstellung am 13.2.2023 eine Verbesserung der Suchtproblematik der Beschwerdeführerin eingetreten ist. Es kann nicht festgestellt werden, ob die Wohnung der Beschwerdeführerin für den Vollzug im elektronisch überwachten Hausarrest geeignet ist.

Beweiswürdigend stützte sich das Erstgericht auf die aktenmäßig erfassten Vorgänge, die bei den einzelnen Konstatierungen zitierten Fundstellen, insbesondere die Erhebungsberichte des Vereins Neustart sowie die Eingaben der Beschwerdeführerin. Die von A* behaupteten Änderungen ihrer Situation seit Erlassung des bekämpften Bescheids hätten nicht festgestellt werden können, da sie keine Bescheinigungsmittel vorgelegt habe, für den Verein Neustart nicht erreichbar gewesen sei und von ihrem Parteiengehör nicht Gebrauch gemacht habe. Hingegen bestätige der Umstand, dass sie schon den Termin zum Parteiengehör in der Vollzugsanstalt nicht wahrgenommen habe und auch im Beschwerdeverfahren für den Verein Neustart nicht erreichbar gewesen sei, die im Erhebungsbericht des Vereins Neustart dargestellte Unzuverlässigkeit und nicht erfolgte Bewältigung der Suchtgiftproblematik der Beschwerdeführerin, der es trotz dem in ihren Eingaben zum Ausdruck gebrachten Bewusstsein für die Bedeutung des Verfahrens nicht gelungen sei, sich daran zu beteiligen.

Rechtlich erwog das Vollzugsgericht, dass die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen keiner geeigneten Beschäftigung nachgehe. Selbst die behauptete Beschäftigung im Ausmaß vom 20 bis 25 Stunden pro Woche läge an der Grenze des Ausmaßes, dass die für den Vollzug in Form des eüH notwendige Tagesstruktur gewährleiste. Die angeführte Versorgung der Katzen und die Besuchskontakte zu ihren Kindern (etwa zweimal monatlich) würden keine ausreichenden ergänzenden strukturierenden Umstände darstellen, wenn man die behauptete Beschäftigung annehme. Es sei viel mehr davon auszugehen, dass A* weiterhin lediglich Sozialhilfe beziehe, sodass die Voraussetzungen nach § 156c Abs 1 Z 2 lit b bis d StVG nicht vorlägen.

Weiters ging das Erstgericht davon aus, dass A* die persönliche Eignung für die Durchführung eines eüH nicht habe. Es sei ihr in der Vergangenheit bereits die Rechtswohltat der bedingten Strafnachsicht gewährt worden. Sie habe selbst gegenüber dem Verein Neustart ihre Suchtproblematik für ihre Verurteilungen verantwortlich gemacht und zugestanden erneut rückfällig geworden zu sein, ihre nachlässige Beteiligung am Verfahren in weiterer Folge lasse befürchten, dass sie ihre Sucht weiterhin nicht im Griff habe, insbesondere die mangelnde Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Verein Neustart lasse erheblich Zweifel an der Bereitschaft zur Einhaltung der mit dem eüH verbundenen Bedingungen entstehen.

Sohin liege auch die Voraussetzung nach § 156c Abs 1 Z 4 StVG nicht vor.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der A*. Sie müsse sich wegen eines gebrochenen Hand- sowie Fußgelenks operieren lassen, um überhaupt einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Die Operationen seien für Jänner 2024 geplant, erfahrungsgemäß wäre der Gips dann bis zu sechs Wochen zu tragen. Sie würde das zunächst erledigen, damit sie beweisen könne, dass sie dem eüH gerecht werde. Sie habe zwei Söhne (sieben und ein Jahr alt), drei Katzen und einen sehr lieben Freund, sie sei in einem sozialen Umfeld integriert und gäbe sich größte Mühe, dass dies weiter so bleibe (ON 11).

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 leg. cit. wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, wenn das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Die Bewilligung eines Vollzugs im eüH hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 16a Abs 3 StVG, wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen dieser Vollzugsform abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Dabei zu treffende Ermessensentscheidungen bewirken gemäß § 16a Abs 2 leg. cit. keine Rechtswidrigkeit, insbesondere, weil die Einschätzung, ob die Gefahr besteht, der Verurteilte werde die Vollzugsform des eüH missbrauchen, eine Prognoseentscheidung darstellt, bei welcher den Strafvollzugsbehörden innerhalb der gesetzlichen Parameter ein Beurteilungsspielraum zukommt.

Die Vollzugsform des eüH setzt ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Kooperationsbereitschaft voraus. Im Rahmen der nach § 156c Abs 1 Z 4 StVG aufzustellenden Risikoprognose hinsichtlich eines Missbrauchs des eüH stellen bereits begangene strafbare Handlungen Risikofaktoren dar, die gemäß § 156c Abs 1 Z 4 StVG neben den Wohnverhältnissen und dem sozialen Umfeld des Verurteilten in die Beurteilung der Missbrauchsgefahr einzufließen haben. Darüber hinaus sind etwa die Gefährlichkeit des Betroffenen, Art und Beweggrund der Anlasstat oder früherer Verurteilungen, der nunmehrige Lebenswandel und die Chancen auf ein redliches Fortkommen nach der Haft als weitere Aspekte zu berücksichtigen. Dabei besteht für die Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum, innerhalb dessen die Entscheidung anhand der gesetzlichen Kriterien zu begründen ist ( Drexler/Weger , StVG 5 § 156c Rz 14 mwN). Die Gewährung eines eüH ist mit einem entsprechenden Vertrauensvorschuss verbunden, zumal keine dem geschlossenen Vollzug vergleichbare physische Überwachungsmöglichkeit besteht. Missbrauchsgefahr liegt demnach dann vor, wenn jeweils aufgrund konkreter Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Verurteilter den eüH zur Begehung einer strafbaren Handlung ausnützt, flüchten wird oder diese Vollzugsform im konkreten Fall sonst nicht mit den Vollzugszwecken (§ 20) in Einklang gebracht werden kann ( Drexler/Weger, aaO Rz 15 mwN). Gefahrenträchtig ist etwa eine negative Verlässlichkeitsprognose, wenn also der Antragsteller nur eine mangelnde Kooperationsbereitschaft bzw Paktfähigkeit zeigt ( Drexler/Weger, aaO Rz 15/1 mwN).

Das Beschwerdevorbringen der A* vermag nichts an den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ändern.

Bei der Behauptung nunmehr operiert werden zu müssen und daher keiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, handelt es sich um eine Neuerungen, die im Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht Wien unzulässig ist (vgl Pieber in WK 2 StVG § 121a Rz 3; OLG Wien 33 Bs 226/16a uva). Im Übrigen vermag ihr Vorbringen nichts daran zu ändern, dass nach den Feststellungen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Vollzugsgerichts keine geeignete Beschäftigung gegeben war. Zwar können medizinisch notwendige Maßnahmen in bestimmten Einzelfallkonstellationen grundsätzlich durchaus beim Zeitausmaß der Beschäftigung berücksichtigt werden, sie können aber nicht schon allein wegen ihrer medizinischen Notwendigkeit selbst zur Beschäftigung oder Teil der Beschäftigung werden ( Walser , Recht und Wirklichkeit des elektronisch überwachten Hausarrests S 145 mwN). Es wäre nämlich unsachlich, den Resozialisierungsgedanken bei gesundheitlich beeinträchtigten (im Vergleich zu gesunden) Personen durch die pauschale Einstufung von Therapien, Gruppenkursen (ohne Aus- oder Fortbildungscharakter) und ähnlichen, ausschließlich (oder zumindest vorrangig) die Gesundheit fördernden Maßnahmen derart hintanzustellen. Gesundheitsbezogene Maßnahmen können somit zwar (einzelfallbezogen) beim Beschäftigungsausmaß zu berücksichtigende Umstände darstellen, sie dürfen allerdings nicht die Wiedereingliederung der Person, welche einen der zentralen Punkte des eüH darstellt, ersetzen (Oberlandesgericht Wien, AZ 32 Bs 407/22w).

Darüber hinaus vermag sie mit ihrem Vorbringen die Feststellungen, wonach sie nicht ausreichend verlässlich sei und daher die Voraussetzungen des § 156c Abs 1 Z 4 StVG nicht erfülle, nicht in Frage zu stellen, zumal diese auf einer vorbildlichen Beweiswürdigung gründen.

Da die in §§ 156b und 156c StVG genannten Voraussetzungen für die Gewährung eines eüH nach den Intentionen des Gesetzgebers kumulativ vorliegen müssten und bereits das Fehlen auch nur einer dieser Voraussetzungen zur Ablehnung des Antrags führt, war dem Rechtsmittel ein Erfolg zu versagen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen