JudikaturJustiz2R64/93

2R64/93 – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
28. April 1993

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht hat durch die Richter Dr. Wolfgang Kossak als Senatspräsidenten sowie Dr. Reinhold Schaumüller und Dr. Johannes Payrhuber in der Rechtssache der klagenden Partei C. R., Studentin, vertreten durch Dr. Michael Pallauf, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1.) W. R., Student, 2.) H. R., Geschäftsfrau, und 3.) Versicherungs-AG., 4020 Linz, alle vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 77.863,23 s.A. und Feststellung (Streitwert S 30.000,--), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 29.12.1992, 6 Cg 205/92-10, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung der klagenden Partei wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es als Zwischenurteil (hinsichtlich des Leistungsbegehrens) und als Teilurteil (hinsichtlich des Feststellungsbegehrens) zu lauten hat:

"Das Leistungsbegehren des Inhalts, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin den Betrag von S 77.863,23 samt 4 % Zinsen seit Klagstag binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.

Es wird festgestellt, daß die beklagten Parteien der Klägerin zur ungeteilten Hand für alle Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 29.9.1990 auf der Attersee Bundesstraße bei Strkm 22,935 zu 25 % ersatzpflichtig sind, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei mit der Versicherungssumme des mit der zweitbeklagten Partei abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrages für den PKW Mercedes Benz 230 E, begrenzt ist.

Die Kostenentscheidung wird dem Endurteil vorbehalten."

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind wie weitere Kosten des Verfahrens zu behandeln.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 29.9.1990 gegen 14.50 Uhr ereignete sich auf der Attersee Bundesstraße bei Strkm 22,935 ein Verkehrsunfall, an welchem einerseits die Klägerin, andererseits der Erstbeklagte als Lenker von PKWs beteiligt waren. Die zweitbeklagte Partei war Halter, die drittbeklagte Partei war Haftpflichtversicherer des vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges.

Die Klägerin fuhr von Unterach kommend in Richtung Attersee. Kurz vor der Ortschaft Parschallen überholte sie ein vor ihr fahrendes Fahrzeug. Während des Überholmanövers kam es zum Zusammenstoß mit dem aus der Gegenrichtung kommenden, vom Erstbeklagten gelenkten PKW.

Die klagende Partei stellte das im Spruch ersichtliche Feststellungsbegehren und beantragte den Zuspruch eines Betrages von S 77.863,23 s.A. als Schadenersatz für die beim Unfall erlittenen Verletzungen bzw. Sachschäden und brachte hiezu vor, den Erstbeklagten treffe am Zustandekommen des Unfalles ein 25 %iges Mitverschulden. Er sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und zwar auch schon im Ortsgebiet von Parschallen. Hätte der Erstbeklagte die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h im Ortsgebiet von Parschallen eingehalten, hätte er sein Fahrzeug bei unvermittelter Reaktion auf das klägerische Fahrzeug anhalten und den Unfall vermeiden können.

Die beklagten Parteien bestritten, beantragten kostenpflichtige Klagsabweisung und wendeten ein, die Klägerin treffe das alleinige Verschulden am Zustandekommen des gegenständlichen Verkehrsunfalles, da sie mit zu geringer Geschwindigkeit in einer unübersichtlichen Linkskurve überholt habe. Das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von Parschallen sei unerheblich, da es einerseits am Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle, andererseits hätte sich der Unfall auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in derselben Art und Weise ereignet.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Es traf die auf Seiten 3 und 4 des Urteiles festgehaltenen unbekämpften Sachverhaltsfeststellungen, auf die verwiesen wird (§ 500 a ZPO).

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß ein Mitverschulden des Erstbeklagten nicht vorliege. Ein von ihm zu verantwortender Reaktionsverzug sei von der klagenden Partei nicht bewiesen worden. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von Parschallen könne dem Erstbeklagten nicht als Mitverschulden angelastet werden, da sich der Unfall außerhalb des Ortsgebietes auf einer Freilandstraße ereignete, während sich der Schutzzweck des § 20 Abs.2 StVO lediglich auf die spezifischen Gefahren des Ortsgebietes erstrecke.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der klagenden Partei aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben wird; in eventu das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die beklagten Parteien haben Berufungsbeantwortung erstattet und darin den Antrag gestellt, der Berufung der klagenden Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Berufung der klagenden Partei kommt Berechtigung zu. Zwar entspricht es der ständigen Judikatur, daß zwischen einer Überschreitung der im Ortsgebiet geltenden Höchstgeschwindigkeit und einem Unfall, der mit der kurz darauf auf einer Freilandstraße eingehaltenen hohen Geschwindigkeit zusammenhängt, kein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht (vgl. dazu Gerhard-Terlitza, StVO, § 20 Abs.2, Anm. 227).

Das Erstgericht hat sich bei seiner rechtlichen Beurteilung jedoch nur mit der Bestimmung des § 20 Abs.2 StVO befaßt. Auf die Frage, ob der Erstbeklagte durch das Fahren mit einer derart hohen Geschwindigkeit gegen die Bestimmung des § 20 Abs.1 StVO verstoßen hat, wurde nicht eingegangen.

Gemäß § 20 Abs.1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen. Schutzzweck der Bestimmung des § 20 Abs.1 StVO ist die Hintanhaltung von Kollisionen mit auf der Fahrbahn befindlichen Hindernissen, die dadurch entstehen, daß aufgrund einer zu hohen Geschwindigkeit des Fahrzeugs, bei der die Sichtstrecke kürzer als der Anhalteweg ist, nicht mehr die Möglichkeit eines rechtzeitigen Anhaltens oder Ausweichens besteht. So muß etwa ein Kraftfahrer, der sich einer unübersichtlichen Kurve nähert, immer damit rechnen, daß er plötzlich vor einer Situation steht, die ihn zu einem brüsken Bremsen veranlaßt, was er bei der Wahl seiner Fahrgeschwindigkeit zu berücksichtigen hat (ZVR 1959/162).

Im vorliegenden Fall konnte der Erstbeklagte bei Annäherung an die Unfallstelle, nämlich zum Zeitpunkt des Bremsentschlusses, ein an der Kurveninnenseite entgegenkommendes Fahrzeug (lediglich) auf etwa 40 m vor dem Zusammenstoßpunkt sehen. Trotz dieser geringen Sichtweite hat der Erstbeklagte eine Geschwindigkeit gewählt, bei der der Anhalteweg objektiv nicht ausreichte (SV-Gutachten in U 240/90 BG Frankenmarkt S. 65-67), und damit gegen die Bestimmung des § 20 Abs.1 verstoßen. Er hätte, da es sich um die Übertretung einer Schutznorm handelt, behaupten und beweisen müssen, daß der Schaden bei Einhaltung einer zulässigen Geschwindigkeit in gleichem Umfang eingetreten wäre. Die nach den örtlichen Verhältnissen gemäß § 20 (1) StVO zulässige Geschwindigkeit lag jedenfalls unter 100 km/h, da diese Höchstgeschwindigkeit nur bei optimalen Freilandverhältnissen ausgeschöpft werden darf; diese waren aber erst 48 m nach dem offiziellen Ortsende einer Fremdenverkehrsgemeinde und vor dem Beginn einer unübersichtlichen Kurve sicherlich nicht gegeben.

Da er sich also selbst rechtswidrig verhalten hat, kann sich der Erstbeklagte auch nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen (Gerhard-Terlitza, StVO, § 3, Anm. 26a; Benes-Messiner, StVO8, § 3, E. 33, 34, 40).

Ein Mitverschulden des Erstbeklagten ist daher zu bejahen, wobei eine Verschuldensaufteilung von 3:1 zu Lasten der klagenden Partei im Hinblick auf die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten beider Verkehrsteilnehmer bewirkten Gefahr gerechtfertigt erscheint.

Da das Berufungsgericht demnach die erstgerichtliche Entscheidung im Sinn eines stattgebenden Teil-Zwischen-Urteiles abändert, ist ein Eingehen auf die übrigen Ausführungen in der Berufung nicht notwendig. Ein Feststellungsinteresse der Klägerin wurde nicht bestritten (AS 12). Für die Erlassung eines Endurteiles hinsichtlich des Leistungsbegehrens fehlt es an den Voraussetzungen, da das Erstgericht keine Feststellungen hinsichtlich der erlittenen Schäden traf.

Eine Vorgangsweise im Sinn des § 496 Abs.3 ZPO ist im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Das Berufungsgericht hat statt einer Zurückweisung die in erster Instanz gepflogene Verhandlung zwar zu ergänzen, doch ist es nicht verpflichtet, das gesamte Beweisverfahren zur Anspruchshöhe durchzuführen (Stohanzl, ZPO14, § 496, E. 38).

Das Erstgericht wird also nach Verfahrensergänzung, insbesonders nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, über das Klagebegehren in seinem Pkt.1.) durch Endurteil zu entscheiden haben.

Gemäß § 393 Abs.4 ZPO iVm § 52 Abs.2 ZPO war die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz dem Endurteil vorzubehalten.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf die §§ 50, 40, 393 Abs.4 und 52 Abs.2 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 502 Abs.1 ZPO für die Zulässigkeit der Revision liegen nicht vor, weil das Berufungsgericht von der zu § 20

(1) StVO entwickelten oberstgerichtlichen Spruchpraxis nicht abgewichen ist und dadurch die nach wie vor trotz der Entscheidung Anw. 1993, 273 brisant gebliebene Frage einer (teilweisen) zivilgerichtlichen Bindung an ein Strafgerichtserkenntnis im vorliegenden Fall irrelevant ist.

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