JudikaturJustiz22R379/08d

22R379/08d – LG Wels Entscheidung

Entscheidung
19. November 2008

Kopf

Das Landesgericht Wels hat durch Dr. Pramendorfer als Vorsitzenden und durch die weiteren Richter Dr. Obermaier und Dr. Lengauer im Beweissicherungsverfahren der Antragstellerin Mag. Manuela P*****, Magistratsbeamtin, Dr.-A*****, 4600 Wels, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die Antragsgegnerin MR-Service **********, 4020 Linz, vertreten durch GKP Gabl Kogler Papesch Leitner Rechtsanwälte EG, Linz, wegen € 4.323,01 s.A., über den Kostenrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 8. Oktober 2008, 5 Nc 12/08x-11, den

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die von der Antragstellerin der Antragsgegnerin zu ersetzenden Kosten insgesamt mit € 310,27 (darin € 51,71 USt) bestimmt werden.

Die Antragstellerin hat ihre Rekurskosten vorläufig selbst zu tragen. Die Antragsgegnerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung endgültig selbst zu tragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Begründung

Im vorliegenden Beweissicherungsverfahren fand die Befundaufnahme des Sachverständigen am 30.7.2008 in Wels statt. Am 20.8.2008 langte der Befund des Sachverständigen ein (ON 8). Am 16.9.2008 langte eine Eingabe der Antragsgegnerin ein, mit der sie Außerungskosten nach TP

3. A., die Teilnahme an der Befundaufnahme (TP 3.A.) zuzüglich doppelter Einheitssatz (120 %) und für diese Eingabe Kosten nach TP 1, zusammen brutto € 736,87, verzeichnete.

Mit dem angefochtenen Beschluss bestimmte das Erstgericht diese Kosten mit € 439,46, wobei die Äußerungskosten zur Gänze aberkannt wurden.

Dagegen richtet sich der Kostenrekurs der Antragstellerin, wonach die Kosten der Antragsgegnerin nur mit € 297,40 zu bestimmen seien (Rekursstreitwert € 142,06). Für die Befundaufnahme gebühre nur der einfache Einheitssatz (60 %). Für die „Urkundenvorlage" sei kein Kostenersatz vorgesehen.

Die Antragsgegnerin erstattete eine Rekursbeantwortung. Es sei nicht einzusehen, dass für die Teilnahme an auswärtigen Befundaufnahmen nicht - wie bei Gerichtsverhandlungen - der doppelte Einheitssatz verzeichnet werden könne. Andernfalls müsste das Honorar nach TP 9 (€ 72,24) zuzüglich einfacher Einheitssatz zuerkannt werden. Ein Kostenbestimmungsantrag sei auch im Rahmen des § 388 Abs 3 ZPO ersatzfähig.

Der Rekurs ist nur teilweise berechtigt.

Text

B e s c h l u s s

gefasst:

Rechtliche Beurteilung

1. Da der Zuspruch von Kosten nach TP 3.A.III RATG zuzüglich 60 % Einheitssatz unbekämpft blieb, sind die Vorfragen der rechtzeitigen Verzeichnung und der Anwendbarkeit der TP 3.A.III RATG der rekursgerichtlichen Prüfungsbefugnis entzogen.

2. Die Antragstellerin stützt sich auf die von Obermaier, Kostenhandbuch Rz 603, vertretene und richtig zitierte Ansicht, dass zu TP 3.A.III nur der einfache Einheitssatz gebühre. Diese Auffassung gründete auf § 23 Abs 5 RATG in der damaligen Fassung. Nach dem Erscheinen des zitierten Kostenhandbuchs wurde mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 (BRÄG 2008, BGBl I 2007/111) auch das anwaltliche Tarifrecht geändert, sodass schon deshalb die zitierte Lehrmeinung nicht ungeprüft übernommen werden kann. Die frühere Rechtslage und ihre Änderungen stellen sich folgendermaßen dar:

2.1. Die frühere Rechtslage sah für auswärtige Leistungen des Rechtsanwalts, insbesondere für die Teilnahme an der Befundaufnahme eines Sachverständigen, die Entlohnung nach der Tarifpost 7 des RATG „für die ganze mit der Ausführung des Geschäfts verbrachte Zeit" vor, sohin auch für die Reise- und Wartezeiten ein- und dieselbe Entlohnung wie für die Hauptleistung. Mit Erkenntnis des VfGH vom 21.6.2004, G 198/01 (Kundmachung BGBl I 2004/85) wurde diese Wortfolge „für die ganze mit der Ausführung des Geschäfts verbrachte Zeit" aufgehoben. Der VfGH führte im Punkt 2.2.3. dieses Erkenntnisses aus, „... dass es im System gründet, wenn ... entsprechend hohe Kosten für Wegzeiten auflaufen. Dies wäre mit einer entsprechenden Regelung ohne Schwierigkeit zu vermeiden (zB einer solchen, die eine unterschiedliche Höhe der Honorierung für Zeiten der Vornahme des eigentlichen Geschäftes und der Wegzeit vorsieht). Die Honorierung der Wegzeit in jedem Fall in gleicher Höhe wie die Zeit der Vornahme des eigentlichen Geschäftes ist unsachlich und verstößt somit gegen den Gleichheitssatz."

Mit Art V Z 4 der EO-Nov 2005 (BGBl I 2005/68) wurde daraufhin das Honorar nach Tarifpost 7 RATG weiterhin zeitabhängig belassen, jedoch auf die mit der Ausführung der Hauptleistung verbrachte Zeit eingeschränkt und zugleich wurde für die Reisezeit die Tarifpost 9 RATG geändert, wonach jetzt ein von der Dauer der Hauptleistung und vom Streitwert unabhängiger Pauschalsatz je begonnener Stunde Reisezeit gebührt. Diese Entschädigung für die Reisezeit ersetzt nunmehr die frühere Entlohnung nach TP 7. Demgemäß führten die ErläutRV zur EO-Nov 2005, S 13 f, zu ihrem Art V Z 4 (TP 7, 9 RATG) aus: Im Bereich der Tarifpost 7 hat sich ein Änderungsbedarf aufgrund des Erkenntnisses des VfGH vom 21.6.2004 ... ergeben ... Mit der vorgeschlagenen Neuregelung soll den Bedenken des VfGH angemessen Rechnung getragen werden. Die Wegzeit ist demnach nicht mehr nach TP 7, sondern vielmehr nach dem Fixbetrag der TP 9 Z 4 RATG – wie beim Sachverständigen unabhängig von der Höhe des Streitwertes - zu entlohnen ...

2.2. § 23 Abs 5 RATG, der weder durch das WohnAußStrBeglG (BGBl I 2003/113) noch durch die ZVN 2004 BGBl I 2004/128 verändert worden war, hatte - damit sowohl vor wie auch nach Schaffung der TP 3.A.III unverändert - gelautet: „Für Leistungen, die unter die Tarifpost 3 Abschnitt A Z. II ... fallen, ist der auf diese Leistung entfallende Teil des Einheitssatzes doppelt zuzusprechen, wenn der Rechtsanwalt die Leistung an einem Ort außerhalb des Sitzes seiner Kanzlei vornimmt ..."

Mit dem BRÄG 2008 wurde § 23 Abs 5 RATG dahin geändert, dass er nunmehr lautet: „Für Leistungen, die unter die Tarifpost3 A Abschnitt II ... fallen, ist der auf diese Leistung entfallende Teil des Einheitssatzes doppelt zuzusprechen, wenn der Rechtsanwalt die Leistung an einem Ort außerhalb des Sitzes seiner Kanzlei vornimmt. Festzuhalten ist, dass § 23 Abs 5 RATG niemals einen doppelten Einheitssatz für die unter Tarifpost 7 RATG fallenden anwaltlichen Leistungen vorgesehen hatte; er sieht ihn in der nunmehrigen Fassung für Leistungen, die nach dieser Tarifpost zu verrechnen sind, weiterhin nicht vor.

2.3. Die erst mit der EO-Nov 2005 (BGBl I Nr 2005/68) neu geschaffene TP 3.A.III hatte gelautet: „III. In allen Verfahren für die Teilnahme an der Befundaufnahme durch Sachverständige...".

Diese Bestimmung wurde mit dem BRÄG 2008 geändert, sie lautet nunmehr: „III. Für die Teilnahme an der Befundaufnahme durch Sachverständige gebührt in allen Verfahren die im Abschnitt II festgesetzte Entlohnung ...".

2.4. Die ErläutRV führen zu den Änderungen des § 23 Abs 5 und der Tarifposten 3 B Abschnitt I a, II, 3 C Abschnitt II RATG aus: Mit den vorgeschlagenen Änderungen soll eine einheitliche Bezeichnung der Gliederungseinheiten innerhalb der Tarifposten des RATG sichergestellt werden.

Sie führen weiters zur Änderung der Tarifpost 3 A Abschnitt III aus:

Von Teilen der Rechtsprechung und der Lehre ... wird zu dieser Regelung aber vertreten, dass die Teilnahme des Rechtsanwalts an der Befundaufnahme nicht entsprechend der Verhandlungsteilnahme des Rechtsanwalts, sondern als zeitunabhängige Pauschale nach der TP 3 A RATG zu honorieren sei. Dabei wird zwar übersehen, dass es keinen isolierten Ansatz „nach TP 3 A RATG" gibt, sondern es sich dabei immer um eine Entlohnung nach dem I. oder II. Abschnitt der TP 3 A RATG handelt; warum sich der III. Abschnitt der TP 3 A RATG insofern aber jedenfalls auf Abschnitt I und nicht auf Abschnitt II derselben Tarifposten beziehen soll, bleibt unklar. Dessen ungeachtet scheint aber eine gesetzliche Klarstellung im angeführten Sinn geboten ...

2.5. Im Begutachtungsverfahren zum BRÄG war darauf hingewiesen worden, dass es wünschenswert wäre, wenn die Leistungen nach Tarifpost 3.A.III ebenfalls ausdrücklich im § 23 Abs 5 RATG aufgezählt wären (vgl etwa www.rakwien.at/import/documents/berufsaenderungsgesetz.pdf). Danach kann nicht angenommen werden, dem Gesetzgeber des BRÄG 2008 wäre diese Problematik des doppelten bzw einfachen Einheitssatzes nicht bekannt gewesen.

2.6. Als Zwischenergebnis war damit festzuhalten: Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut wie auch nach den Materialien sollte hinsichtlich der Tarifpost 3.A.III und hinsichtlich des § 23 Abs 5 RATG keine inhaltliche Änderung erfolgen, es sollten nur die Gliederungseinheiten einheitlich bezeichnet werden und es sollte klargestellt werden, dass die Tarifpost 3.A.III zeitabhängig zu verstehen ist. Im § 23 Abs 5 RATG ist für die Anwendbarkeit des doppelten Einheitssatzes weiterhin nur die Leistung nach „Tarifpost 3 A Abschnitt II" mit systemkonformer Gliederung aufgezählt, nicht jedoch die Leistung nach „Tarifpost 3 A Abschnitt III".

3.1. Im Geltungsbereich der zitierten Normen in ihrer Fassung vor dem BRÄG 2008 wurde von folgenden Gerichten zweiter Instanz - soweit überblickbar - die Auffassung vertreten, dass zur Tarifpost 3.A.III wegen seiner Nichtaufzählung im § 23 Abs 5 RATG nur der einfache Einheitssatz gebühre: LG Eisenstadt, 13 R 14/06s; LG Feldkirch, 3 R 204/06z; 3 R 221/06g; LG Salzburg, 22 R 217/07b; 22 R 309/07f; LG Wels, 23 R 231/06v. Diese Ansicht wird teilweise auch erstinstanzlich bei Kostenentscheidungen im Beweissicherungsverfahren vertreten (vgl etwa BG Mödling, 14 Nc 13/08b-19 [unbekämpft]). Die gegenteilige Ansicht - doppelter Einheitssatz - wurde hingegen vom OLG Linz vertreten (3 R 197/06w; 4 R 220/07m).

3.2. Nach dem In-Kraft-Treten des BRÄG 2008 vertrat das OLG Linz zu 4 R 38/08y weiterhin die Ansicht, zur Tarifpost 3.A.III gebühre der doppelte Einheitssatz, weil Abschnitt III nur als Ergänzung des Abschnitts II zu lesen sei. Diese Entscheidung wurde von Thiele auf seiner Homepage www.eurolawyer. at/pdf/OLG-Linz-4-R-28-08y.pdf zustimmend kommentiert mit Hinweis darauf, dass er in Anwaltskosten² (2008), 233, die Auffassung vertritt, es liege bei der Nichtaufzählung der Tarifpost 3.A.III im § 23 Abs 5 RATG ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers vor, wonach eine Analogie geboten sei.

Das LG Innsbruck vertrat in seinem Beschluss vom 5.11.2008, 4 R 453/08h, unter Bezug auf die Tarifpost 3.A.III idF des BRÄG 2008 die Ansicht, Punkt III der TP 3.A. enthalte einen Globalverweis auf dessen Punkt II iVm § 23 Abs 5 RATG, weshalb der doppelte Einheitssatz gebühre.

Die gegenteilige Auffassung (nur einfacher Einheitssatz) wurde - auch nach In-Kraft-Treten des BRÄG 2008 - weiterhin vom LG Wels (23 R 183/08p) und von Obermaier, Tarifpost 2, 3 und § 11 RATG, RZ 2008, 222ff (§ 23 Abs 5 RATG sei nach wie vor unverändert geblieben, zudem gebühre nach der Systematik des RATG niemals ein doppelter Einheitssatz, wenn Reisekosten zu verrechnen sind) vertreten.

4. Das Landesgericht Wels hält nach Prüfung der durch das BRÄG 2008 geschaffenen Rechtslage weiterhin an seiner bisherigen Rechtsansicht fest. Zu den gegenteiligen Ansichten und zur Begründung dieser Entscheidung war auszuführen:

4.1. Die Ansicht des OLG Linz, Abschnitt A.III sei nur als Ergänzung des Abschnitts A.II zu lesen, hält einer Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil für eine legistisch solcherart erfolgende „Ergänzung" des Abschnitts A.II kein Anlass bestanden hätte. Abschnitt A.III wäre problemlos etwa als Ziffer 3 des Abschnitts A.II in das anwaltliche Tarifrecht einzufügen gewesen, wäre das gewollt gewesen. Insbesondere steht einer solchen Interpretation auch die aus den ErläutRV zum BRÄG 2008 unmissverständlich hervorgehende Absicht des Gesetzgebers entgegen, einheitliche Bezeichnung der Gliederungseinheiten innerhalb der Tarifposten des RATG sicherzustellen (oben 2.4.). Diese einheitliche Bezeichnung der Gliederungseinheiten innerhalb der Tarifposten des RATG wäre gerade dann nicht nur „nicht sichergestellt", sondern geradezu unterlaufen, wäre der Abschnitt A.III nur ein Anhang oder Bestandtteil des Abschnitts A.II.

4.2. Dass Tarifpost 3.A.III einen „Generalverweis" auf die in Abschnitt A.II geregelte Entlohnung enthält, ist richtig. Die Entlohnung nach Abschnitt A.II regelt den - nunmehr eindeutig zeitabhängigen (oben 2.3, 2.4.) - Ansatz, zu dem für jede weitere für die Verrichtung der Hauptleistung begonnene Stunde die Hälfte dieser Entlohnung gebührt. Die Frage, ob überhaupt und, wenn ja, in welcher Höhe ein Einheitssatz gebührt, ist in der Tarifpost 3 des RATG überhaupt nicht geregelt. Der Verweis auf das Honorar nach Tarifpost

3. A.II trifft damit zu Fragen des Einheitssatzes keine Aussagen.

4.3. Auch der Ansicht Thieles, die Nichtaufzählung des Abschnitts A.III im § 23 Abs 5 RATG sei ein Redaktionsversehen oder es sei § 23 Abs 5 RATG im Weg einer Analogie auch für die Tarifpost 3.A.III anzuwenden, ist nicht beizutreten:

§ 23 Abs 5 RATG ist - ebenso wie § 23 Abs 6 RATG - als Ausnahme vom im § 23 Abs 1 RATG angeordneten einfachen Einheitssatz taxativ zu verstehen (vgl OLG Wien, 7 Ra 16/99w = RIS-Justiz RW0000298). Auch eine taxative Aufzählung schließt eine vorsichtige Analogie - auch für Ausnahmeregeln - nicht aus (4 Ob 230/02f; 6 Ob 254/05d; 4 Ob 149/07a; RIS-Justiz RS0008839). Eine Analogie erfordert jedoch immer das Bestehen einer planwidrigen Gesetzeslücke (4 Ob 86/02d; 9 Ob 16/06b; 6 Ob 110/07f; 10 ObS 152/07m; 2 Ob 241/07s). Eine solche Gesetzeslücke kann im Fehlen der Tarifpost 3.A.III im § 23 Abs 5 RATG nicht erblickt werden. Einerseits hat der Gesetzgeber des BRÄG 2008 die Problematik der damaligen Fassung der Tarifpost

3. A.III dahin erkannt, dass sie eine zeitabhängige Honorierung nicht oder wenigstens nicht ausdrücklich vorsah, wonach er diese Frage - und nur diese - durch den diesbezüglichen Verweis auf das Honorar nach Abschnitt A.II nunmehr geregelt hat, ohne dabei auch § 23 Abs 5 RATG in dem von der Rekursgegnerin gewünschten Sinn zu novellieren, obwohl ihm diese Frage bekannt sein musste (vgl oben 2.5.). Ein noch dazu zweimaliges (bei der EO-Nov 2005 und beim BRÄG 2008) Redaktionsversehen des Gesetzgebers, wie das Thiele meint, ist jedenfalls deshalb, weil diese Frage bei der Gesetzwerdung des BRÄG 2008 im Begutachtungsverfahren ausdrücklich releviert wurde, ohne dass dies auch zu einer Änderung des § 23 Abs 5 RATG geführt hätte, auszuschließen. Damit liegt weder ein Versehen des Gesetzgebers noch ein Übersehen dieser Problemstellung, sohin auch keine planwidrige Regelungslücke vor.

4.4. Insbesondere folgt gerade aus der Entstehungsgeschichte der nunmehrigen Tarifposten 3.A.III, 7 und 9, dass der doppelte Einheitssatz als Abgeltung des anwaltlichen Reiseaufwands zumindest für die nicht in einer Verhandlungstätigkeit bei Gericht bestehenden auswärtigen Leistungen dem Rechtsanwalt nicht zustehen soll:

Der einfache Einheitssatz dient nicht dazu, den Reiseaufwand des Anwalts abzudecken (§ 23 Abs 1 RATG). Seine Abgeltung wird im § 23 Abs 5 RATG dahin geregelt, dass der Rechtsanwalt nach seiner Wahl entweder den doppelten Einheitssatz oder den einfachen Einheitssatz zuzüglich der Reisekosten und der Zeitversäumnis (Tarifpost 9 RATG) verrechnen darf. Bei auswärtigen Verhandlungen dient der doppelte Einheitssatz damit ausschließlich der pauschalen Abgeltung des Reiseaufwands.

1 Gerade die Honorierung der Reisezeit gleich der mit der Hauptleistung verbrachten Zeit wurde vom VfGH als unsachlich und damit gleichheitswidrig beurteilt (oben 2.1.). Mit den Änderungen der TP 7 und 9 RATG durch die EO-Nov 2005 wurde nach den ErläutRV diesen Bedenken des VfGH Rechnung getragen, Wegzeiten sind - wie bei den Sachverständigengebühren - unabhängig von der Höhe des Streitwerts und unabhängig vom Tarif für die Hauptleistung zu honorieren (vgl oben 2.1.). Eine streitwertunabhängige Entlohnung der Reisezeit, wie dies im zitierten Erkenntnis des VfGH vom 21.6.2004 als sachgerechte Regelung dem Gesetzgeber vorgegeben worden war, läge aber gerade dann nicht vor, wenn sie wiederum abhängig vom Streitwert durch Zubilligung des doppelten (an Stelle des einfachen) Einheitssatzes zur Hauptleistung geregelt worden wäre. Hierauf wurde bereits vom LG Salzburg zu 22 R 309/07f hingewiesen. Dieser Ansicht kann das Rekursgericht nur beitreten: Aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmungen des anwaltlichen Honorarrechts und insbesondere aus dem zitierten Erkenntnis des VfGH folgt, dass eine streitwertabhängige Honorierung der anwaltlichen Reisezeit gleichheits- und verfassungswidrig wäre.

Noch deutlicher wird die Gleichheits- und demnach Verfassungswidrigkeit einer solchen Interpetation durch die nunmehrige Klarstellung der Zeitabhängigkeit des Honorars nach Tarifpost 3.A.III. Damit ist die Entlohnung für den Reiseaufwand jetzt auch abhängig von der Dauer der Hauptleistung; sie wäre umso höher, je länger die Hauptleistung (Befundaufnahme) dauern würde.

4.5. Neben der Gesetzgebung ist auch die Vollziehung durch den verfassungsmäßig verankerten Gleichheitsgrundsatz (Art 2 StGG; Art 7 B-VG) gebunden, der heute als umfassendes Willkürverbot verstanden wird (Walter/Mayer, Grundriss des österr Bundesverfassungsrechts8 Rz 1354; 1 Ob 151/98g). Zur Vermeidung interpretativer Widersprüche zum Verfassungsrecht trifft dabei die Gerichte grundsätzlich die Pflicht zu einer demgemäß immer gebotenen, dem äußerst möglichen Wortsinn eines Gesetzeswortlauts nicht widersprechenden verfassungskonformen Auslegung (Bydlinski in Rummel3 § 6 ABGB Rz 21; P. Bydlinski in KKB² § 6 ABGB Rz 4 je mwN). Wenn zwei oder mehrere Auslegungsvarianten (denk-)möglich sind, gebührt der verfassungskonformen Auslegung der Vorrang, weil davon auszugehen ist, dass der Gesetz- oder Verordnungsgeber bemüht ist, Verfassungswidrigkeiten in einfachen Gesetzen oder Verordnungen zu vermeiden (vgl zum Gleichheitsgebot: 9 ObA 125/98f; 2 Ob 41/00v; 9 ObA 149/07p).

Daraus folgt, dass § 23 Abs 5 RATG sowohl im Zug der EO-Nov 2005 wie auch - nochmals - im Zug des BRÄG 2008 vom Gesetzgeber bewusst nicht um die Leistungen nach Tarifpost 3.A.III (und auch nicht um jene nach Tarifpost 7) RATG erweitert wurde, weil dies neuerlich eine von der Dauer der Hauptleistung und von der Höhe des Streitwerts abhängige und somit wiederum eine gleichheitswidrige (unsachliche) Abgeltung bewirkt hätte. Der Anwalt hat demnach zumindest im Anwendungsbereich der Tarifpost 3.A.III kein Wahlrecht, ob er den doppelten Einheitssatz oder den Anspruch auf seinen Reiseaufwand nach Tarifpost 9 RATG geltend macht.

Ob das im § 23 Abs 5 RATG angeordnete Wahlrecht des Anwalts für gerichtliche Tagsatzungen überhaupt verfassungskonform ist, hatte der VfGH im zitierten Erkenntnis mangels Anfechtung nicht zu prüfen; diese Frage stellte sich auch für das Rekursgericht nicht, weil seiner Entscheidung keine gerichtliche Tagsatzung zu Grunde lag.

5. Da die Rekursgegnerin weder Kosten nach TP 9 verzeichnet noch deren weg- und zeitabhängige Tatumstände bescheinigt hat (§ 54 Abs 1 ZPO), kommt eine diesbezügliche „Umdeutung" ihrer Kostennote nicht in Betracht. Es liegt keine Honorarreduktion zu Folge Einstufung einer als solche feststehenden Leistung in eine niedrigere Tarifpost vor (zB für eine Klage nur TP 2 statt TP 3.A. RATG) vor, sondern ein nicht einmal aktenkundiger, weg- und zeitabhängiger Vorgang, der damit in seinen einzelnen Ansätzen (gefahren Kilometer und hiefür verbrachte Zeit) verzeichnet und - da nicht aktenkundig - bescheinigt werden muss. Sie hätte beides - doppelter Einheitssatz und Kosten nach Tarifpost 9 RATG - verzeichnen können (7 Ob 250/05y). Hat sie das unterlassen, so gebührt kein „ersatzweises" Honorar an Stelle des doppelten Einheitssatzes. Der Rekurs ist damit in der Frage des Einheitssatzes berechtigt.

6. Da die Antragsgegnerin das Kostenverzeichnis an den Sachverständigen bei der Befundaufnahme nicht wirksam übergeben kann, muss er beim für das Verfahren zuständigen Gericht einen Kostenbestimmungsantrag stellen (Angst in Angst² §141 EO Rz 9b; Rassi in Fasching/Konecny2 § 388 ZPO Rz 24; Obermaier, Tarifpost 2, 3 und § 11 RATG, RZ 2008, 222ff), der somit Teil des dortigen Kostenbestimmungs- und nicht des eigentlichen Beweissicherungsverfahrens ist. Damit ist er auch im Anwendungsbereich des § 388 Abs 3 ZPO nach TP 1 RATG auf der Bemessungsgrundlage des zuerkannten Kostenbetrags ersatzfähig (LG Eisenstadt, 13 R 14/06s).

7. Die Kosten der Antragsgegnerin errechnen sich danach wie folgt:

Befundaufnahme, TP 3.A.III, ½ 154,90

60 % Einheitssatz 92,94

20 % USt 49,57

Summe 297,41 Kostenbestimmungsantrag, TP 1 6,70

60 % Einheitssatz 4,02

20 % USt 2,14

Summe 12,86

Gesamtsumme

310,27

8. Die Ersatzfähigkeit der Kosten eines Kostenrekurses richtet sich nach den Kostennormen der Verfahrensart, in der er erhoben wird. So gebühren etwa in Sozialrechtssachen (§ 77 ASGG), in Enteignungsentschädigungsverfahren (§ 44 EisbEG) oder im zivilgerichtlichen Wiedereinsetzungsverfahren (§ 154 ZPO) niemals dem Sozialversicherer, dem Enteigner oder dem Wiedereinsetzungswerber Kosten, auch wenn er mit seinem Kostenrekurs erfolgreich ist (Obermaier, TP 2, 3 und § 11 RATG, RZ 2008, 222 mwN). Im vorliegenden Fall ist ein sofortiger Kostenersatzanspruch des Antragstellers im Beweissicherungsverfahren nach § 388 Abs 3 ZPO ausgeschlossen, wonach sie erst in der Hauptsache als vorprozessuale Kosten verzeichnet werden können (Rechberger in Rechberger³ § 388 ZPO Rz 5; hg 22 R 36/04g).

Im Kostenpunkt ist ein weiterer Rechtszug jedenfalls ausgeschlossen (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO).

Landesgericht Wels, Abt. 22,

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