JudikaturJustiz22R155/05f

22R155/05f – LG Salzburg Entscheidung

Entscheidung
20. Juli 2005

Kopf

Das Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Dr. Hemetsberger als Vorsitzenden sowie DDr. Aichinger und Dr. Singer in der Rechtssache des Klägers J***** R***** vertreten durch Dr. Bernhard Wörgötter, Rechtsanwalt in 6380 St. Johann in Tirol, gegen die Beklagte J***** M***** vertreten durch Dr. Georg Santer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wegen € 946,50 s.A., über die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Saalfelden vom 14.4.2005, 2 C 135/05f - 4, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit €

222,34 (darin € 37,06 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Der Kläger begehrt jenen Betrag, den er als Arbeitgeber für seinen Dienstnehmer habe aufwenden müssen, weil sich dieser Pflegeurlaub genommen habe, um seine durch die Beklagte verletzte Ehefrau betreuen zu können.

Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung wegen Vorliegens eines bloß mittelbaren und daher nicht ersatzfähigen Schadens. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das Klagebegehren abgewiesen. Es ging dabei von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Am 4.1.2002 ereignete sich im Skigebiet S***** bei U***** ein Snowboardunfall, wobei G***** R***** und die unachtsame Beklagte zusammen stießen. Im durch G***** R***** beim Bezirksgericht Saalfelden zu 2 C 1226/02t gegen die Beklagte angestrengten Verfahren schlossen die dortigen Prozessparteien den Vergleich, dass die Beklagte der G***** R***** für alle Folgen aus dem Unfall hafte. Verletzungsbedingt war G***** R***** vom 4.1. bis 12.2.2002 arbeitsunfähig und teilweise auch zur Haushaltsführung nicht in der Lage. Ihr Ehemann, der beim Kläger unselbstständig beschäftigt ist, nahm zum Zwecke der notwendigen Betreuung seiner Gattin deshalb vom

7. bis 18.1.2002 für jeweils 5 Stunden pro Werktag Pflegefreistellungsurlaub, insgesamt somit 50 Stunden. Der Ausfall seines Arbeitnehmers verursachte dem Kläger stündliche Kosten von €

18,93 an Bruttolohn und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, insgesamt daher € 946,50.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass „jedermann" im Sinne des § 1295 ABGB nicht wörtlich zu verstehen sei, sondern sich mit Ausnahme des hier nicht gegebenen Falles des § 1327 ABGB nur auf den unmittelbar durch die rechtswidrige Handlung Verletzten bzw. nur auf den aus dem hier nicht gegebenen vertraglichen Schuldverhältnis Berechtigten beziehe, nicht hingegen auf einen nur mittelbar geschädigten Dritten. Die Grenze zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden bestimme sich nach dem Schutzzweck der verletzten Norm. Diese müsse den Schutz des Geschädigten bezwecken. Ein ersatzfähiger mittelbarer Schaden liege nur dann vor, wenn der Schaden eine typische Folge, die die übertretene Norm verhindern sollte, sei, aber den Schaden aufgrund gesetzlicher Bestimmungen ausnahmsweise wirtschaftlich ein Dritter zu tragen habe. Fälle solcher Schadensverlagerung im Deliktsrecht gebe es etwa in Fällen der Lohnfortzahlung. Der vorliegende Fall unterscheide sich von den Lohnfortzahlungsfällen aber dadurch, dass nicht G***** R***** die verletzte Dienstnehmerin des Klägers sei, sondern ihr Ehemann. Dessen wirtschaftliche Interessen habe die Beklagte aber nicht verletzt, sie habe sich ihm gegenüber überhaupt nicht rechtswidrig verhalten. Der Kläger als Arbeitgeber des Ehemannes der verletzten G***** R***** stehe überhaupt am Ende der durch den Unfall ausgelösten Kausalkette. Er habe nicht etwa deshalb einen Schaden erlitten, weil eine gesetzliche Bestimmung automatisch den Antritt des Pflegeurlaubs durch den Ehemann von G***** R***** anordne, sondern weil sich kraft dessen autonomer Entscheidung der Dienstnehmer des Klägers entschlossen habe, die gesetzliche Möglichkeit einer Pflegefreistellung in Anspruch zu nehmen. § 16 Abs. 1 Z 1 UrlaubsG spreche in diesem Sinne nur von einem Anspruch auf Pflegefreistellung, der zu beantragen sei, während etwa die Entgeltfortzahlung nach den §§ 2 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz und § 8 Abs. 1 Angestelltengesetz vom Behalten des Anspruches, also einer ex lege ohne gesonderte Antragstellung erfolgende Lohnfortzahlung, sprächen. Der Kläger sei daher nur mittelbar Geschädigter und habe daher keinerlei Ersatzanspruch gegen die Beklagte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf vollinhaltliche Klagsstattgebung.

Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Eine Ausnahme vom schadenersatzrechtlichen Grundsatz, wonach nur der unmittelbar Geschädigte Anspruch auf Schadenersatz hat, liegt vor, wenn ein Dritter aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder rechtsgeschäftlicher Regelung den Schaden des Verletzten zu tragen hat, wodurch der Schaden ja nicht behoben, sondern bloß auf den Dritten überwälzt und der Schädiger von seiner Ersatzpflicht nicht befreit wurde. Denn durch die infolge eines besonderen Rechtsverhältnisses ausgeübte Schadensverlagerung allein soll der verantwortliche Schädiger nicht entlastet werden, wenn er dem Schaden näher steht, als der am Schadenseintritt unbeteiligte Dritte. Es wird also kein Schaden in die Betrachtung einbezogen, der nicht ohnehin normalerweise beim unmittelbar Geschädigten eintritt und daher zu ersetzen wäre. Handelt es sich jedoch um einen Schaden, der begrifflich nur beim Dritten und nicht typischerweise beim Geschädigten eintreten kann, so liegt keine Schadensverlagerung, sondern ein Drittschaden vor (Vrba, Lampelmayer, Wulff-Gegenbaur:

Schadenersatz in der Praxis², Abschnitt A, Kapitel I, RZ 6 mwN; Danzl: Mittelbare Schäden im Schadenersatzrecht, in: ZVR 2002, 363 ff; Koziol: Österreichisches Haftpflichtrecht, Band I³, RZ 13/3 ff). Von einem derartigen Drittschaden ist im vorliegenden Fall schon deshalb auszugehen, weil der Dritte (Kläger als Arbeitgeber des Ehemannes der Geschädigten) aufgrund des § 16 Abs. 1 Z 1 UrlaubsG nicht den Schaden der Verletzten zu ersetzen, sondern ihrem Ehemann Entgeltfortzahlung infolge Pflegefreistellung zu leisten hat. Ein derartiger Entgeltfortzahlungsanspruch infolge Pflegefreistellung des Ehemannes der Geschädigten kann aber typischerweise nicht bei der Geschädigten selbst eintreten, da sie nicht Arbeitnehmerin des Klägers ist; es besteht auch sonst keine Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger und der Geschädigten. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, aus der auch die Entgeltfortzahlungsverpflichtung gem. § 16 UrlaubsG abgeleitet wird, besteht aber grundsätzlich nur gegenüber dem Arbeitnehmer; sie kann in der Regel nicht auf Dritte und damit auch nicht auf die Angehörigen des Arbeitnehmers erstreckt werden (1 Ob 60/04m; Danzl: aaO, insbesondere S. 373).

Durch die fehlende Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger (Arbeitgeber) und der Geschädigten unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt grundsätzlich von den klassischen Lohnfortzahlungsfällen, mit denen der Berufungswerber argumentiert. In den typischen Lohnfortzahlungsfällen wird ein - ohne Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber eintretender - Schaden des Arbeitnehmers (Verdienstentgang) durch die gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen des Arbeitgebers abgewendet, sodass eine bloße Schadensverlagerung vorliegt. Es geht nämlich um den Schaden, der typischerweise beim unmittelbar Geschädigten eintritt (Verdienstentgang), im besonderen Fall aber durch ein Rechtsverhältnis auf einen Dritten (Arbeitgeber) überwälzt wird.

Im vorliegenden Fall hingegen wird ein Schaden (ohne Lohnfortzahlung eintretender Verdienstentgang des Ehemannes der Geschädigten) in die Betrachtung einbezogen, der bei der unmittelbar Geschädigten nicht eingetreten und daher nicht zu ersetzen gewesen wäre. Damit handelt es sich aber um einen zusätzlichen und nicht um einen überwälzten Schaden (Koziol: Österreichisches Haftpflichtrecht, Band I³, RZ 13/13).

Dementsprechend hat auch das LGZ Wien in seiner durchaus vergleichbaren Entscheidung vom 20.10.1998, 34 R 330/98a, veröffentlicht in EFSlg 87.336, ausgesprochen, dass kein Anspruch des Arbeitgebers gegen den an einem Verkehrsunfall schuldigen Autolenker besteht, obwohl der Arbeitnehmer während der Pflegefreistellung (für die verletzte Ehegattin) Lohnfortzahlung erhielt. Das LGZ Wien hat dies damit begründet, dass die Einbuße des Arbeitgebers „viel weiter" vom ursprünglichen Schaden entfernt liegt, als dies bei Lohnfortzahlung an den unmittelbar Verletzten (hier: die pflegebedürftige Gattin) der Fall sei. In concreto hätte nicht einmal der in den herkömmlichen Konstellationen mittelbar Geschädigte (hier: der pflegende Ehemann) einen Vermögensschaden erlitten, weshalb ein solcher auch nicht auf den klagenden Arbeitgeber überwälzt werden könne (EFSlg 87.336).

Die Entscheidung wurde zwar von Thomas Rabl in seinem Aufsatz „Lohnfortzahlung während des Pflegeurlaubs - Drittschadensliquidation?" in ecolex 1999, 148, kritisiert. Die Argumente Rabls vermögen das Berufungsgericht aber schon deshalb nicht zu überzeugen, weil der Anspruch der Geschädigten auf Pflegekosten nach § 1325 ABGB nicht mit dem Entgeltfortzahlungsanspruch ihres Ehemannes gem. § 16 UrlaubsG, der einen allfälligen Verdienstentgang ihres Ehemannes verhindern soll, gleichgesetzt werden kann, da insoweit keine kongruente Deckung gegeben ist. Dafür spricht auch der Umstand, dass der Schädiger nach der ständigen Rechtsprechung auch dann zum Ersatz des Pflegebedarfes verpflichtet ist, wenn die Pflegeleistungen kostenlos (insbesondere von Angehörigen) erbracht werden, also tatsächlich keine Kosten entstehen (Reischauer in Rummel³, RZ 12a zu § 1325 ABGB; Harrer in Schwimann², RZ 14 f zu § 1325 ABGB). Der Schädiger wird also durch die Entgeltfortzahlung im Sinne des § 16 UrlaubsG keinesfalls von seiner Pflicht zum Ersatz des Pflegeaufwandes nach § 1325 ABGB befreit. Die Lohnfortzahlung gem. § 16 UrlaubsG an den pflegenden Ehemann der Geschädigten führt daher - im Gegensatz zu den klassischen Lohnfortzahlungsfällen - zu keiner Entlastung des Schädigers. Gerade eine solche soll aber durch die Fälle der Drittschadensliquidation verhindert werden. Damit gehen aber auch die Berufungsausführungen ins Leere, die versuchen, den Pflegeaufwand der Geschädigten mit dem Entgeltfortzahlungsanspruch ihres Ehemannes gem. § 16 UrlaubsG gleichzusetzen.

Dazu kommt, dass der pflegende Ehemann keinesfalls unmittelbar geschädigt ist, weil die einschlägigen Pistenregelungen - um deren Übertretung ging es im vorliegenden Fall - nur auf den Schutz der jeweiligen Pistenbenützer (und nicht dritter Personen bzw. ihrer Angehörigen) abzielen. Würden die Vorschriften, die den Schutz der körperlichen Unversehrtheit bezwecken, stets auch den Schutz der Angehörigen der Verletzten im Auge haben, so wäre § 1327 ABGB überflüssig (Koziol: Österreichisches Haftpflichtrecht, Band I³, RZ 13/20 mwN; EFSlg 87.336). Die Normen, welche die Beklagte verletzt hat, bezwecken somit gerade nicht auch den Schutz der Interessen des Ersatz fordernden Klägers. Die Nichtberücksichtigung dieser eingrenzenden Wirkung des Rechtswidrigkeitszusammenhanges hätte die Uferlosigkeit schadenersatzrechtlicher Haftungsansprüche zur Folge, die wiederum zu einer - von der Rechtsordnung nicht erwünschten - Ausdehnung des Kreises der zur Erhebung von Schadenersatzansprüchen Berechtigten führen würde (1 Ob 60/04m).

Mit diesen Grundsätzen steht die - ausgewogen und sorgfältig begründete - Entscheidung des Erstgerichtes in Einklang, sodass der Berufung ein Erfolg versagt bleiben musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Gem. § 23 Abs. 10 RATG waren der Beklagten aber nur 60 % (nicht die verzeichneten 180 %) Einheitssatz zuzusprechen.

Schon aufgrund des Streitwertes ist jeder weitere Rechtszug ausgeschlossen (§ 502 Abs. 2 ZPO).

Landesgericht Salzburg