JudikaturJustiz22Bs332/23v

22Bs332/23v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
06. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat in der Übergabesache des A* zur Strafverfolgung an Ungarn über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. Dezember 2023, GZ 319 HR 27/23x 18, nach der am 6. Februar 2024 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Mathes, im Beisein der Richter Mag. Hahn und Mag. Gruber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Wallenschewski sowie in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers Mag. Köhler durchgeführten öffentlichen Übergabeverhandlung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Beim Landesgericht für Strafsachen Wien ist aufgrund Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Szeged vom 14. September 2023, AZ 10.Bny.1906/2023/3, ein Übergabeverfahren gegen den am ** geborenen serbischen Staatsangehörigen A* zur Strafverfolgung anhängig.

Nach dem Inhalt des Europäischen Haftbefehls liegt dem Betroffenen zusammengefasst zur Last, er habe am 29. August 2021 im Bereich von ** in Ungarn als Fahrer des KFZ der Marke ** mit dem österreichischen behördlichen Kennzeichen ** acht illegale Migranten, die sich als afghanische Staatsbürger ausgegeben haben und ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Ungarn nicht nachweisen konnten, im Lagerraum des KFZ mit dem Vorsatz, sie durch Ungarn Richtung Westeuropa zu transportieren, befördert.

Er ist sohin der Straftat des Menschenschmuggels nach § 353 Abs 1 und Abs 2 des ungarischen Strafgesetzbuchs mit einer Strafdrohung von zwei bis zu acht Jahren Freiheitsstrafe verdächtig (ON 4.2.7).

Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligte das Erstgericht die Übergabe des A* an die ungarischen Behörden zur Strafverfolgung unter Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität (1.) und schob gemäß § 25 Abs 1 Z 3 und 6 EU-JZG die tatsächliche Übergabe bis zur Beendigung der Untersuchungshaft und einer allfällig daran anschließenden Strafhaft im Verfahren zu AZ 45 Hv 45/23 z des Landesgerichts für Strafsachen Wien auf (2.).

Dagegen richtet sich die unmittelbar nach Verkündung angemeldete und fristgerecht zur Ausführung gelangte Beschwerde des Betroffenen (ON 17, ON 20), mit welcher er ein unter Missachtung des Artikel 6 EMRK stattfindendes Verfahren in Ungarn behauptet, seine Verteidigungsrechte missachtet sieht, weil ihm bislang noch kein Verteidiger in Ungarn beigegeben wurde und er die Haftbedingungen „vom Hören-Sagen“ als gegen Artikel 3 EMRK verstoßend erachtet.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt Berechtigung nicht zu.

Die der dem Europäischen Haftbefehl zugrundeliegenden Straftat wurde von der ausstellenden Justizbehörde einer der in Anhang I, Teil A, des EU-JZG angeführten Kategorie von Straftaten, nämlich der Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt zugeordnet und ist nach dem Recht des Ausstellungsstaats mit einer Freiheitsstrafe, deren Obergrenze mindestens drei Jahre, nämlich acht Jahre beträgt, bedroht, sodass die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 EU-JZG vorliegen. Nach österreichischem Recht ist die Tat nach § 114 FPG strafbar.

Die Verfahrensgarantien des Artikel 6 EMRK können für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung dann Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass ihr im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens droht (RIS-Justiz RS0123200; Göth Flemmich WK 2 ARHG § 19 Rz 14 f). Es sind substanziierte Gründe für eine drohende Verletzung von Artikel 6 EMRK im Strafverfahren des ersuchenden Staates vorzubringen, ein pauschaler Einwand mangelnder Rechtsstaatlichkeit genügt nicht.

Wenn der Beschwerdeführer eine fundamentale Verletzung der Verfahrensgarantien des Artikel 6 EMRK infolge der zunächst nicht erfolgten Bestellung eines Verteidigers im Sinne des § 16a Abs 1 Z 5 EU JZG bemängelt, ist ihm zu entgegnen, dass aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen der Mitgliedstaaten folgt, dass diese - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - jeden Europäischen Haftbefehl nach diesem Grundsatz und gemäß den Bestimmungen des EuHB RB vollstrecken müssen. Die Justizbehörden können daher die Vollstreckung eines solchen Haftbefehls grundsätzlich nur aus den Gründen verweigern, die in den Artikel 3, 4 und 4a EuHB RB abschließend aufgezählt sind. Die genannten Bestimmungen sehen aber - im Übrigen auch die in Umsetzung des EuHB RB ergangenen Vorschriften des EU JZG - die Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls selbst bei einem Verstoß gegen § 16a Abs 1 Z 5 EU JZG nicht vor (vgl. 12 Os 102/19w mwN).

Der bloß geäußerte Wunsch des Betroffenen sich vor Übergabe mit einem ungarischen Rechtsbeistand beraten zu wollen, steht der Bewilligung der Übergabe nicht entgegen (§ 21 Abs 2 a iVm § 16 a Abs 1 Z 5 EU-JZG).

Eine hier Übergabe kann für den Aufenthaltsstaat auch eine Verletzung der EMRK bedeuten, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer der EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein könnte (vgl. EGMR 7.7.1989 14038/88, Soering/Vereinigtes Königreich EUGRZ 1989, 314; RIS-Justiz RS0123201; Grabenwater/Pabel EMRK 6 § 20 Rz 40 ff mwN).

Die vollstreckende Justizbehörde hat, sofern sie über objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben verfügt, die das Vorliegen systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffender Mängel der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat belegen, konkret und genau zu prüfen, ob es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die Person, gegen die sich ein zum Zweck der Strafverfolgung oder der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe erlassener Haftbefehl richtet, aufgrund der Bedingungen ihrer Inhaftierung in diesem Mitgliedstaat einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt sein wird, falls sie ihm übergeben wird (EuGH vom 5. April 2016, C 404/15 und C 659/15 PPU; EuGH vom 25. Juli 2018, C 220/18 PPU). Solche liegen in keiner Weise vor.

Überdies ist bei Übergabe an – wie hier – Konventionsstaaten die Verantwortlichkeit des ausliefernden Staats eingeschränkt, weil der Betroffene im Zielstaat Rechtsschutz gegen Konventionsverletzungen erlangen kann. Eine Mitverantwortung des ausliefernden Staats besteht nur dann, wenn dem Betroffenen nach seiner Übergabe Folter oder sonstige schwere oder irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz – auch durch den EGMR – nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (RIS-Justiz RS0123229 insb. T1 und T6).

Letztlich ist zu der vom Beschwerdeführer behaupteten Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung auszuführen, dass nach ständiger Rechtsprechung des EGMR der Beschwerdeführer die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen hat, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Demnach muss ein konkretes Risiko bestehen, die betroffene Person würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Artikel 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt, und dies anhand stichhaltiger Gründe belegbar sein (RIS Justiz RS0123229). Ein solcher Nachweis erfolgte seitens des Rechtsmittelwerbers jedoch nicht. Die bloße Vorgabe, er habe gehört, dass in Ungarn die Haftbedingungen unmenschlich seien reicht nicht hin.

Der erstgerichtliche Beschluss begegnet auch im Übrigen keine Bedenken, sodass die Übergabe des Beschwerdeführers zulässig ist und dessen Beschwerde daher ein Erfolg zu versagen war.

Gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Rechtssätze
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