JudikaturJustiz22Bl13/12v

22Bl13/12v – LG Ried/Innkreis Entscheidung

Entscheidung
23. April 2012

Kopf

Das Landesgericht Ried im Innkreis als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Lautner als Vorsitzenden sowie Dr. Rumplmayr und Mag. Oberhuber im Beisein der VB Stanek als Schriftführerin in der Strafsache gegen A***** D***** F***** wegen § 168 StGB über die Berufung der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis wegen Nichtigkeit und Schuld gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis vom 12. Oktober 2011, 4 U 85/06 f-98, nach der in Gegenwart des StA Mag. Zimmer, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Ruth durchgeführten Berufungsverhandlung am 23. April 2012 zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

A***** D***** F***** ist und war auch schon zu den inkriminierten Tatzeitpunkten der Jahre 2006 und 2007 italienischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich.

Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche von vier Mitangeklagten enthält, wurde der Angeklagte von den wider ihn erhobenen Strafanträgen, er habe am 31. März 2006 und 14. März 2007 jeweils in ***** R*****, Spiele, bei denen Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen oder die ausdrücklich verboten sind, nämlich die Glücksspiele „ROULETTE“, „TWO ACES“, „POKER“ und „EASY POKER“ gewerbsmäßig veranstaltet oder zur Abhaltung solcher Spiele veranstaltete Zusammenkünfte gefördert, um auf dieser Veranstaltung oder Zusammenkunft sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zuzuwenden, jeweils gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Das Erstgericht ging dabei von dem auf den Seiten 2, letzter Absatz bis 5, drittletzter Absatz des Ersturteils enthaltenen Sachverhalt aus, auf den vollinhaltlich verwiesen werden kann. Erst im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Erstgericht folgende Feststellungen nachgetragen:

Der Angeklagte hatte sich bei seinem Verteidiger und Rechtsanwalt Dr. Ruth erkundigt, und dieser erklärte ihm, dass es genügen würde, wenn der Angeklagte eine Gastgewerbekonzession habe. Darüber hinaus ist der Angeklagte davon ausgegangen, die zugrunde liegenden Spiele veranstalten zu dürfen, zumal er – und auch schon sein Vorgänger – dies ganz offiziell mit entsprechender Werbung gemacht hat (vgl. zu diesen ergänzenden Feststellungen: Ersturteil: Seite 7, 2. Absatz).

Rechtliche Beurteilung

In rechtlicher Hinsicht nahm das Erstgericht davon ausgehend einen nach § 9 Abs 1 und 2 StGB dem Angeklagten nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum an, welcher zum Freispruch des Angeklagten von beiden Strafanträgen führe.

Gegen beide Freispruchsfakten dieses Urteils richtet sich die rechtzeitige Berufung der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis wegen Nichtigkeit und Schuld zum Nachteil des Angeklagten (ON 100).

Der Angeklagte hat rechtzeitig eine Berufungsgegenausführung erstattet (ON 101).

Der Berufung kommt im Ergebnis keine Berechtigung zu:

Zutreffend zeigt die Berufung schon mit der zum Nachteil des Angeklagten geltend gemachten Rechtsrüge gemäß § 281 Abs 1 Z 9a StPO auf, dass ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen ein dem Angeklagten nicht vorwerfbarer Rechtsirrtum nach § 9 Abs 1 und 2 StGB bezüglich beider inkriminierter Vorfälle vom 31. März 2006 und 14. März 2007 nicht begründbar ist.

Grundsätzlich lägen daher zu beiden Fakten jeweils sämtliche objektiven und subjektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 168 Abs 1 StGB vor, und wird dies vom Angeklagten in der Berufungsgegenausführung auch gar nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt. Vielmehr beruft man sich auf das Urteil des EuGH in der Sache „Engelmann“, welches eine Sanktionierung des Verhaltens des Angeklagten nach § 168 StGB nicht zulasse. Diesem Standpunkt des Angeklagten, mit welchem sich die Staatsanwaltschaft in der Berufung substanziell nicht auseinandergesetzt hat, schließt sich das Berufungsgericht aus nachstehenden Erwägungen an:

- Der vorliegende Sachverhalt ist mit jenem der Strafsache Engelmann in allen wesentlichen Belangen ident. War es dort ein deutscher Staatsbürger, so ist es hier ein italienischer Staatsangehöriger, der in Österreich Spielcasinos mit verbotenen Spielen betrieb, ohne über eine Konzession zu verfügen und ohne sich um eine solche Konzession überhaupt beworben zu haben; dies in beiden Fällen jeweils zu Tatzeitpunkten, als der später vom EuGH für unionsrechtswidrig befundene § 21 des österreichischen Glücksspielgesetzes in Geltung stand.

- Zur Frage der Konsequenzen des Urteils des EuGH vom 9. September 2010 in der RsC 64/08 „Engelmann“ für die Anwendbarkeit des § 168 StGB liegt bislang, soweit auch unter Einsatz von RIS-Justiz überschaubar, eine Entscheidung des OGH nicht vor.

- Vielmehr ist hiezu eine kontroversielle Diskussion zwischen Vertretern der Lehre einerseits und einer gemeinsamen Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz und des Bundesministeriums für Finanzen andererseits entstanden.

Dabei schließt sich das Berufungsgericht den Vertretern der Lehre an, wobei Univ.Prof. DDr. Peter Lewisch im Rahmen dessen Rechtsgutachtens vom 4. November 2010 am überzeugendsten erscheint. Danach kommt Lewisch, der sich unter anderem auch ausführlich mit der gemeinsamen Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz und des Bundesministeriums für Finanzen auseinandergesetzt hat, zum Ergebnis, dass sich aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Engelmann die EU-Rechtswidrigkeit der österreichischen glücks-spielrechtlichen Marktzugangsregeln in den entscheidenden Fragen des Sitzerfordernisses und der intransparenten Vergabe der Konzessionen ohne Ausschreibung ergibt. Die diesbezüglichen Regeln des österreichischen Glücksspielrechts haben daher gegen die Artikel 43 und 49 EG – nunmehr Artikel 49 und 56 AEUV – verstoßen. Diese EU-Rechtswidrigkeit in Bezug auf das österreichische Marktzugangsrecht schlägt auf das strafrechtliche Rechtsdurchsetzungsregime durch: Sind die glücksspielrechtlichen Marktzugangsregeln EU-rechtswidrig, dürfen diese auch nicht im Wege eines Strafverfahrens gemäß § 168 StGB durchgesetzt werden. Es gilt infolge der Vorrangwirkung des EU-Rechts ein unmittelbar EU-rechtlich begründetes Anwendungsverbot konfligierenden Strafrechts. Darauf, ob sich das maßgebliche Sachrecht auch EU-konform ausgestalten ließe, kommt es nicht an. Maßgeblich ist der Verstoß gegen das EU-Recht hier und jetzt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass im Fall Engelmann und auch in allen vergleichbaren Konstellationen § 168 StGB unangewendet zu bleiben hat. Mehr noch: Angesichts der eindeutigen Rechtslage wäre eine Anwendung des § 168 StGB rechtlich unvertretbar (vgl. zu diesem Rechtsgutachten von Lewisch insgesamt: hier im Akt: ON 89: darin Beilage 17; so weiters auch: Franz Leidenmühler in medien und recht 5/10, Seiten 247 ff, vor allem Seite 249: hier im Akt: ON 89: darin Beilage./16; siehe ferner insgesamt zum Urteil des EuGH vom 9. September 2010 in der Rechtssache Engelmann und der gemeinsamen Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz und des Bundesministeriums für Finanzen: jeweils hier im Akt: ON 89: darin Beilagen./1 und ./2).

Wegen der solcherart begründeten Unanwendbarkeit des § 168 StGB ist der Freispruch des Angeklagten von beiden Strafanträgen im Ergebnis berechtigt, sodass der Berufung kein Erfolg beschieden sein kann.

Rechtssätze
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