JudikaturJustiz15Os109/21z

15Os109/21z – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. April 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers * S* gegen die Antragsgegnerin K* GmbH Co KG wegen § 7 Abs 1 MedienG, AZ 5 Hv 57/20d des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung des Antragstellers und der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Antrag wird im Umfang der Anfechtung des Urteils des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. Februar 2021, AZ 10 Bs 367/20a, stattgegeben, es wird dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Graz verwiesen.

Soweit sich der Antrag gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 6. Oktober 2020, GZ 5 Hv 57/20d 9, richtet, wird er zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] In der Medienrechtssache des Antragstellers * S* gegen die Antragsgegnerin K* GmbH Co KG wegen § 7 Abs 1 MedienG sprach das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Urteil vom 6. Oktober 2020, GZ 5 Hv 57/20d 9, aus, dass die Antragsgegnerin am 13. Juni 2020 in G* durch die Veröffentlichung des Artikels „Potenzmittel auf * Kosten? S* wehrt sich: Habe Mittel krankheitsbedingt eingenommen“ auf ihrer Website www.k*.at und die darin wiedergegebene Behauptung des Inhalts, „zwischen 2015 und 2018 soll S* Mittel um insgesamt 8.000 Euro eingekauft haben. Fast zwei Drittel davon gingen für Potenzmittel drauf …“, sowie die Nennung des Medikaments „Cialis“ in einem Medium den höchstpersönlichen Lebensbereich des Antragstellers in einer Weise erörtert habe, die geeignet sei, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Es verpflichtete die Antragsgegnerin nach § 7 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung in der Höhe von 5.000 Euro.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat der Artikel folgenden Text:

„Nach der Veröffentlichung des * Videos tauchen immer neue Belege für Privatausgaben von * S* auf, die er über die Partei abgerechnet haben soll. Dieses Mal sollen es Diät- und Potenzmittel gewesen sein.

* S* soll in seiner Zeit als * Chef auch Potenz- und Diätmittel der eigenen Partei verrechnet haben, berichtet die Kr*. Zwischen 2015 und 2018 soll S* um insgesamt 8.000 Euro eingekauft haben. Fast zwei Drittel davon gingen für Potenzmittel drauf, auch Diätmittel sind in den Aufzeichnungen einer Wiener Apotheke zu finden. S*s Anwalt bestreitet nicht den Kauf, verweist allerdings darauf, dass sein Mandant die Rechnung später beglichen habe. Seit Ibiza sind immer wieder Belege aufgetaucht, wonach der Ex-*-Chef auch private Ausgaben der Partei verrechnet hatte. Ein ehemaliger S* Leibwächter soll gegenüber den Behörden ausgepackt haben.

Die Kr* berichtete auf Seite 1 über die Causa und druckte auch einen Beleg von der Apotheke * mit ab. Aus dem geht hervor, dass S* das Mittel Cialis erworben hatte.

S* schießt auf Facebook gegen die 'Kr*'.

'Ärztlich verschreibungspflichtige Medikamente gegen Prostatahyperplasie als Potenzmittel zu bezeichnen, um mich öffentlich zu demütigen, hat mit Journalismus nichts mehr zu tun. Es gibt nichts Schäbigeres als über Kranke zu berichten, unabhängig von der Frage, ob die Person in der Öffentlichkeit steht', schrieb S* am Freitag auf Facebook. Bei einer benignen Prostatahyperplasie handelt es sich um eine gutartige Vergrößerung der Vorsteherdrüse, die unter anderem zu Beschwerden beim Wasserlassen führen kann. Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil kann dazu eingesetzt werden, diese Beschwerden zu lindern. Gleichzeitig wird es allerdings auch gegen erektile Dysfunktion eingesetzt, erfährt man auf M*“ (US 4).

[2] Im Fließtext des inkriminierten Artikels wurde auch ein Screenshot des genannten Facebook Eintrags des * S* abgedruckt.

[3] Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 17. Februar 2021, AZ 10 Bs 367/20a (unter inhaltlicher Abweisung der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld), „dahin Folge, dass der Entschädigungsbetrag mit 3.000 Euro bemessen wird“.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen diese Urteile richtet sich der auf die Behauptung einer Verletzung des Art 10 MRK gestützte Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO in Verbindung mit § 41 Abs 1 MedienG (RIS Justiz RS0122228).

[5] Die Gerichte hätten das (vorangegangene) Verhalten des * S* nicht berücksichtigt und so zu Unrecht eine „Betroffenheit“ angenommen; weiters sei der Ausschlussgrund des § 7 Abs 2 Z 2 MedienG gegeben.

[6] I./ Soweit sich der Antrag gegen das (mit Berufung bekämpfte) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 6. Oktober 2020, GZ 5 Hv 57/20d 9, richtet, war er zurückzuweisen, weil Erneuerungsanträge nur gegen letztinstanzliche Entscheidungen nach Ausschöpfung des Instanzenzugs zulässig sind (RIS-Justiz RS0124739 [T2, T4]).

[7] II./ Im Fall konfligierender Grundrechte, hier des Rechts des Antragstellers auf Achtung des Privat und Familienlebens nach Art 8 Abs 1 MRK einerseits und des Rechts der Antragsgegnerin auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK andererseits, ist eine Interessensabwägung nach den vom EGMR dazu entwickelten Kriterien vorzunehmen: Maßgeblich sind demnach der Beitrag der Veröffentlichung zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, die Rolle oder Funktion der betroffenen Person, der Gegenstand der Berichterstattung, das frühere Verhalten der Person, Inhalt und Form der Veröffentlichung, die Art und Weise, wie die Information erlangt wurde, sowie deren Wahrheitsgehalt (vgl EGMR 7. 2. 2012, 39954/08, Axel Springer AG/Deutschland ; RIS Justiz RS0129575; Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 23 Rz 49). Auch Politiker oder sonst allgemein bekannte Personen haben Anspruch darauf, dass ihre Privatsphäre geschützt wird (RIS Justiz RS0077903), wobei zu Gunsten der Pressefreiheit zu berücksichtigen ist, ob die betreffende Person selbst bestimmte Inhalte öffentlich gemacht hat (vgl EGMR 18. 3. 2008, 39954/08, Kulis/Polen; Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 23 Rz 47; Meyer Ladewig/ Nettesheim/von Raumer , EMRK 4 Art 10 Rn 46; 6 Ob 71/10z).

[8] Der höchstpersönliche Lebensbereich im Sinn des § 7 MedienG, der sich insoweit mit dem des Privat und Familienlebens im Sinn des Art 8 MRK deckt, umfasst solche Angelegenheiten, deren Kenntnisnahme durch Außenstehende die persönliche Integrität im besonderen Maße berührt. Dazu gehört jedenfalls die Intimsphäre eines Menschen, das sind seine körperlichen (zB Gesundheitszustand, Krankenbehandlungen usw) und geistigen Befindlichkeiten, sein Sexualverhalten, seine persönliche Identität und sein Verhalten im engsten Familienkreis ( Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal MedienG 4 § 7 Rz 6 ff). Wer allerdings Informationen aus seinem Privatleben bewusst an eine mediale oder sonst große Öffentlichkeit adressiert, hat seinen höchstpersönlichen Lebensbereich verlassen und kann sich nicht mehr auf den Schutz des § 7 MedienG berufen ( Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal MedienG 4 § 7 Rz 14a; Rami in WK 2 MedienG § 7 Rz 5; 15 Os 81/09i zur „Privatöffentlichkeit“).

[9] Das gilt auch dann, wenn der Betroffene – wie hier – Informationen über Belange des höchstpersönlichen Lebensbereichs (Verschreibung und Bezug eines bestimmten Medikaments, unabhängig davon, ob es gegen Prostatahyperplasie oder erektile Dysfunktion eingesetzt wird) aus den Medien aufnimmt, sie kommentiert und sich so an einer Diskussion über Details seines Intimlebens beteiligt. Dadurch hat er über sein Recht, über das der Öffentlichkeit eröffnete Persönlichkeitsbild selbst zu bestimmen, disponiert und sich so seines Schutzes vor medialer Indiskretion begeben. Darauf, wie danach über diesen Umstand berichtet wird, kommt es im Übrigen nicht mehr an (vgl Zöchbauer MR 2021, 120 [Entscheidungsbesprechung]).

[10] Indem der Antragsteller den Bezug des Medikaments nicht bestritt (zur Verbreitung bloßer Gerüchte vgl EGMR 4. 6. 2009, 21277/05, Standard Verlags GmbH/Österreich ), sondern die Veröffentlichung zum Anlass nahm, eine Debatte über den Umgang einer auflagenstarken Tageszeitung mit seiner Person zu initiieren („mit unlauterem Journalismus den Krieg erklärt“, „glaubt, allmächtig in diesem Land zu sein“), hat er zudem eine private Angelegenheit mit seiner Position als Politiker verbunden und so zum Teil einer öffentlichen Debatte gemacht (EGMR 18. 3. 2008, 39954/08, Kulis/Polen Rn 48).

[11] Dem Antrag war daher – entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur – stattzugeben, das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 17. Februar 2021 aufzuheben und Verfahrenserneuerung anzuordnen.

Rechtssätze
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