JudikaturJustiz13dBl512/95

13dBl512/95 – LG für Strafsachen Wien Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 1995

Kopf

Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht hat durch HR.Dr.Otto Bemmer als Vorsitzenden, Landesgerichtsvizepräsident HR.Dr.Otto Deibner und HR.Dr.Klaus Bohe (Berichterstatter) als beisitzende Richter in der Strafsache gegen M***** wegen Vergehens nach § 1 Abs. 1 lit. a und c PornoG über die seitens des Angeklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 25.1.1995, 9 U 1080/94-13, wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe erhobene Berufung nach der am 28.7.1995 in Gegenwart von Rechtspraktikant Mag.Georg Tomic als Schriftführer, des öffentlichen Anklägers Staatsanwalt Dr.Willibald Schors, des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwalt Dr.Georg Zwolanek durchgeführten öffentlichen Verhandlung am selben Tag zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit wird das angefochtene Urteil zur Gänze aufgehoben. Das Berufungsgericht erkennt in der Sache selbst zu Recht:

M***** wird von dem wider ihn erhobenen Strafantrag, er habe von 1992 bis 17.3.1994 in Wien vorsätzlich unzüchtige Laufbilder, nämlich eine unbekannte Anzahl Videobänder, die einen mit dem zu Standblatt 152/94 des Bezirksgerichtes Donaustadt als Postzahl 5 sichergestellten identen Inhalt hatten, in gewinnsüchtiger Absicht hergestellt, zum Zwecke der Verbreitung vorrätig gehalten, anderen angeboten und ihnen überlassen,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die Schuld- und Strafberufung des Angeklagten wird auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde M***** des Vergehens nach § 1 Abs. 1 lit. a und c PornoG schuldig erkannt und nach Abs. 2 leg. cit. zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen verurteilt, diese Strafe jedoch gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen; überdies wurde auf Einziehung der Kassette Nr. 5 der zu Standblatt 152/94 des Bezirksgerichtes Donaustadt erliegenden Depositen erkannt.

Dagegen wendet sich die lediglich seitens des Angeklagten rechtzeitig angemeldete und nach Zustellung der Urteilsausfertigung fristgerecht zur schriftlichen Darstellung gelangte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe.

Das Rechtsmittelgericht hat bei der gemäß § 473 Abs. 2 StPO gebotenen Bedachtnahme auf die schon dem Ersturteil zur Verfügung stehenden Beweise, nach Besichtigung der allein verfahrensgegenständlich verbliebenen Kassette Nr. 5 und nach zusätzlicher Vernehmung des Angeklagten wie folgt erwogen:

Die Nichtigkeitsberufung verweist unter dem Titel des formellen Nichtigkeitsgrundes nach § 468 Abs. 1 Z 3 in Verbindung mit § 260 StPO darauf, daß die dem Angeklagten zur Last liegende Tat in dem allein der Rechtskraft zugänglichen Urteilsspruch nicht hinreichend konkretisiert sei, werde doch dort die Tat unter Bezugnahme auf hartpornographische Videokassetten umschrieben und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Angeklagte habe zumindest einen Videofilm unzüchtigen Inhalts hergestellt, vorrätig gehalten, angeboten und anderen überlassen.

Das Berufungsgericht hat diese Undeutlichkeit dahin zu korrigieren, daß sich der vom Erstgericht gemeinte Umfang der Straftat und daher auch das Berufungsverfahren nunmehr ausschließlich auf die Kassette Nr. 5 des Standblattes 152/94 des Bezirksgerichtes Donaustadt bezieht. Denn schon aus dem in der Hauptverhandlung erster Instanz verlesenen Aktenvermerk vom 24.1.1995 (Seite 30 des Aktes) ist ersichtlich, daß die Erstrichterin lediglich einige der in diesem Videofilm enthaltenen Szenen als tatbestandsbegründend angesehen hat. Das Erstgericht hat es demnach - von der Anklagebehörde nicht gerügt - zwar unterlassen, hinsichtlich der restlichen vom Strafantrag umfaßten Videobänder (Postz. 1 bis 4, 7, 8 des Standblattes 152/94) mit einem Freispruch vorzugehen, und überdies unerörtert gelassen, daß sich der Strafantrag von vorn herein nicht auf das Band Postz. 6 erstreckt hat; doch ist dieser Sachverhalt vom Rechtsmittelgericht nur aus Gründen der Klarstellung aufzuzeigen, um so den Umfang der weiteren Erörterungen vorweg abzustecken.

Die Mängelrüge vermeint, es fehle an Feststellungen, ob die Kassette Nr. 5 ausschließlich aus Szenen lesbischen, hartpornographischen Inhaltes bestehe, und stellt unter dem Titel der Rechtsrüge nach § 281 Abs. 1 Z 9 a StPO in Frage, ob die in dieser Kassette enthaltenen Szenen zufolge der gewandelten Wertvorstellungen objektiv rechtlich überhaupt noch als tatbestandsbegründend angesehen werden können.

Das Rechtsmittelgericht geht zunächst von der Aktenlage aus, wonach das Band 5 laut Aktenvermerk vom 15.6.1994, Seite 3 m verso,

a) 3 Thai-Frauen mit einer übergewichtigen Europäerin bei lesbischem und hartem Petting,

c) eine Thai-Frau und eine übergewichtige Europäerin bei lesbischem Cunnilingus zeige und

zufolge des korrigierenden weiteren Aktenvermerks vom 24.1.1995 Seite 3 o verso darstelle, wie

b) zwei Thai-Frauen mit einer dritten "geschlechtlich manipulieren (hartes Petting, jedoch ohne Gewalt)".

Die Abspielung des Bandes 5 auf dem hiergerichtlichen Videogerät und die Besichtigung der Wiedergabe durch den Berufungssenat haben ergeben, daß während der folgenden Zählerstandanzeigen nachstehende Szenen zur Darstellung gelangen:

Von Zählerstand 0,0 bis 0,12 wird ein Mundverkehr einer Frau an einem Mann dargestellt,

ab 0,16 ein Cunnilingus eines Mannes an einer Frau, die in der Folge im Genitalbereich offenbar mit Mayonnaise, diversen Säften und Honig beschmiert wird, was bis 0,20 des Zählerstandes andauert.

Bei 0,26 zieht die Frau heftig an einem Ring, der nach Art eines Ohrringes durch ihre rechte Brustwarze gesteckt ist.

Bei 0,34 wird der Mundverkehr einer Frau an einem Mann dargestellt, was bis 0,36 des Zählerstandes andauert und mit der Ejakulation des Mannes endet.

Bei 0,43 des Zählerstandes vollführen zwei Thai-Frauen an einer im Akt als "korpulente Europäerin" bezeichneten anderen Frau intensive Berührungen des äußeren Genitales durch;

ab 0,45 kommt die dritte Thai hinzu, welche sodann bis 0,46 einen Cunnilingus an der "Europäerin" durchführt.

Bei 0,48 bis 0,49 intime Massage einer Thai an einer anderen;

bei 0,50 intensives Reiben des Geschlechtsteils einer Thai an jenem der "Europäerin", was bis 0,51 fortdauert und sodann zu einer bis 0,54 dauernden intensiven Handmassage des Genitales der "Europäerin" durch die Thai führt;

bei 0,54 Handmanipulationen am Genitale der "Europäerin" durch eine Thai, was bei 0,56 mit dem Einführen eines Fingers in die Scheide der "Europäerin" endet. Während der ganzen Zeit gleichzeitig intensives Belecken der Brüste der "Europäerin" durch die Thai;

bei 0,58 Vaginalmanipulationen der 2. Thai bei gleichzeitiger Manipulationen der Brust der Europäerin durch eine dritte Thai;

bei 1,01 Vaginalmassage der zweiten Thai während bis 1,02 eine zweite und dritte Thai die Brüste der "Europäerin" intensiv bearbeiten;

bei 1,03 führen zwei Thai Vaginalmassagen an der "Europäerin" durch, was bis 1,05 andauert;

von 1,05 bis 1,13, dann von 1,14 bis 1,29 werden im wesentlichen Selbstbefriedigungsszenen der "Europäerin" gezeigt, die dann ab 1,29 einen Mundverkehr an einem Mann bis 1,32 durchführt. Dort nimmt sie das errektierte Glied eines Mannes bis 1,43 zwischen ihre Brüste und führt bei 1,35 einen Mundverkehr mit intensiven gleichzeitigen Handmanipulationen durch, was zur Ejakulation des Mannes führt;

bei 1,37 Masturbation des Mannes mit anschließendem Mundverkehr durch die "Europäerin";

ab 1,39 bis 1,45 Selbstbefriedigungsszenen der Frau mittels einer offenbar Melanzani-Frucht;

ab 1,47 drei Thai in einer Art Strip-Tanz ohne gegenseitige Manipulationen, mit Ausnahme von 1,48 wo kurze gegenseitige Intimberührungen stattfinden;

bei 1,50 kurze Berührung der Genitale gegenseitig, ab 1,51 zu dritt intensive Genitalmassage von zwei Thai-Frauen an einer dritten, wobei jedoch - entgegen dem Aktenvermerk vom 5.6.1994, Seite 3 m verso - keine ernstliche Gewalt angewendet wird;

bei 1,53 im wesentlichen Selbstbefriedigung einer Thai, dann intensives Küssen der Brust einer Thai durch eine andere bis 1,54, dann intensiver abwechselnder intimer Berührungskontakt der drei Thai-Frauen mit Kulmination bei 1,58 bis 2,00;

bei Zählerstand 2,00 (entsprechend einer Laufzeit von bisher 2 Stunden) Szenenwechsel und zunächst Striptease-Darstellung einer weiteren - nicht korpulenten - "Europäerin", welche ab 2,04 Masturbationsakte mittels eines Vibrators bis 2,12 durchführt;

bei 2,12 Geschlechtsakt zwischen einem Mann und einer Frau, bei 2,14 Mundverkehr der Frau, bei 2,15 intensive Manipulation am Genitale der Frau mit Cunnilingus des Mannes, bei 2,16 intensive Manipulation der Frau mit anschließendem Mundverkehr am Mann, bei 2,17 bis 2,18 gleichzeitiges Küssen und Belecken der jeweiligen Geschlechtsorgane, bei 2,19 bis 2,21 Cunnilingus an der Frau, bei 2,21 innere Scheidenmassage an der Frau mittels Fingers des Mannes bis 2,28, ab da Mundverkehr der Frau, Anal(?)verkehr, Geschlechtsverkehr im Reitsitz bis 2,41;

ab 2,42 Szenenwechsel mit eingeblendetem Datum 13.3.1992, wobei eine Thai an der eingangs erwähnten "Europäerin" Cunnilingus bis 2,56 durchführt;

bei 2,57 Szenenwechsel, gegenseitige Manipulation eines Mannes und einer Frau (Thai) ab 3,01 kommt eine zweite Thai hinzu, die einen Mundverkehr am Mann durchführt, was bis zum Bandende bei Zählerstand 3,05 fortdauert.

Das Berufungsgericht, welches sich im Rahmen der gegenständlichen Entscheidung nicht mit der rechtlichen Einordnung von Laufbändern zu befassen hat, welche sadistische, masochistische, im Sinn des § 220 StGB widernatürliche oder sonst gemäß dem § 201 bis 212 StGB schon nach allgemeinem Strafrecht tatbestandsbegründende unzüchtige Szenen enthalten, obliegt lediglich die Beurteilung gewaltlos ausgeführter gleichgeschlechtlicher Sexualpraktiken zwischen Frauen, die einer allgemeinen Strafbarkeit des Grunddeliktes deshalb entzogen sind, weil diese Strafbarkeit durch § 209 StGB auf männliche Täter eingeschränkt wurde (EvBl. 1982/35).

Die hiezu publizierte oberstgerichtliche Judikatur bietet folgendes an kasuistischer Fallgestaltung orientierte Bild:

Während EvBl. 1979/163 und Richterzeitung 1979/51 generell schon die nicht schon flüchtige Manipulation am äußeren Genitale einer gleichgeschlechtlichen Partnerin als tatbestandsmäßig angesehen haben, wird doch der vereinzelt gebliebene Kuß einer Frau am Scheideneingang einer anderen als noch tolerabel bezeichnet; lediglich längere Filmszenen, während welcher sich Frauen gegenseitig betastet und am Geschlechtsteil massiert haben, würden das Tatbild herstellen. In 11 Os 115/86 und 11 Os 76/88 wurde das Lecken des Geschlechtsteiles und der Afterregion auch das Streicheln und Massieren des Geschlechtsteiles einer anderen Frau als tatbildlich angesehen. EvBl. 1981/52 erachtet, daß intensive gleichgeschlechtliche Unzuchtsakte, die keine anderen, nämlich keine ethisch vertretbaren zwischenmenschlichen Beziehungen, und damit keinen natürlichen Lebensvorgang darstellen, das Tatbild verwirklichen, zumal dabei die Sexualpraktik auf sich selbst reduziert und als Mittel der geschlechtlichen Erregung des Betrachters anreißerisch mißbraucht werde (so schon LSK 1979/172 EvBl 1979/231 und zahlreiche weitere Entscheidungen bei Mayerhofer-Rieder 3. Auflage Seite 903 ff). Ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofes hat zu SSt 51/51 (= Richterzeitung 1981/20) auf die durch den Straftatbestand nach § 1 PornoG einzudämmende propagandistische Wirkung homosexueller Handlungen angestellt, ein Argument, dem durch § 209 StGB in der geltenden Fassung und die hiedurch bewirkte Einschränkung auf männliche Unzuchtstäter nach Vollendung des 19. Lebensjahres und auf Opfer, die das 14., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, angesichts der Straflosstellung weiblicher Täter der Boden entzogen ist.

Schon der Vergleich der soeben auszugsweise zitierten oberstgerichtlichen Entscheidungen läßt erkennen, daß insoferne objektiv nachvollziehbare Kriterien für die Abgrenzung von nach § 1 PornoG strafbarer harter von strafrechtlich noch nicht faßbarer sonstiger Pornographie fehlen, und jeweils Wertungsfragen vorgelagert sind, welche an unbestimmten Begriffen wie "massiv", "nicht bloß flüchtig", "auf sich selbst reduziert und anreißerisch verzerrt" festgemacht sind.

Dem steht das Erfordernis einer sowohl für präsumtive Täter wie auch für Gerichte in gleicher Weise sicher durchschaubaren, weil gesetzestechnisch klar ausformulierten Begriffsbestimmung gegenüber, welche derzeit mangelt, sodaß die normativen Elemente des Gesetzestextes und der zitierten oberstgerichtlichen Entscheidung im Wege der Auslegungen ermittelt werden müssen. Bei Interpretation des Begriffes der Unzüchtigkeit ist insbesondere auf die allgemeine Einsicht in die Strafbarkeit eines Verhaltens Bedacht zu nehmen. Denn das Strafrecht soll als Garant eines ethischen Minimums und als ultima ratio der Hintanhaltung erheblich sozialschädlicher Verhaltensweisen nur klar umrissene Sachverhalte erfassen. Die rechtliche Interpretation muß am durchschnittlichen Verhalten repräsentativer Schichten der rechtsgetreuen Bevölkerung orientiert sein und darf nicht zu einer der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung wesensfremden Ausgrenzung jenes Verhaltens führen, dessen Rechtswidrigkeit zumindest im Zweifel nicht oder nicht klar erkannt werden kann (SSt 46/50, Richterzeitung 1976/128).

Das Maß und die Intensität des so in einem strafrechtsfreien Raum Tolerablen unterliegt der gesellschaftlichen Entwicklung der Zeit und ist im konkreten Zusammenhang und bezogen auf die Gegenwart dahin zusammenzufassen, daß der Trend zu weitgehend freier Gestaltung des Privatlebens eine stets steigende Tendenz aufweist. So betrachtet erscheinen die um Maximierung des Bereichs der Unzüchtigkeit bemühten, schon 10 bis 15 Jahre zurückliegenden oberstgerichtlichen Entscheidungen durch den Zeitablauf überholt. Berücksichtigt man aus dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung die allgemein tolerierten Aktivitäten (homosexueller und) lesbischer Gruppierungen, welche bereits den Charakter von Interessensvertretungen aller nicht hetherosexuell veranlangten Menschen annehmen und deren Funktionäre in den Rang öffentlicher Diskussionsteilnehmer und Meinungsbildner aufgestiegen sind, kann die Darstellung auf sich selbst reduzierter und durch keine sonstigen Attribute qualifizierter gleichgeschlechtlicher Betätigung als um nichts sozialschädlicher als die bloße Darstellung hetherosexuellen Geschlechtsverkehrs aufgefaßt werden.

Rechtliche Beurteilung

Es war daher schon aus diesen Erwägungen das angefochtene Urteil in Stattgebung der Nichtigkeitsberufung zur Gänze aufzuheben und in der Sache selbst mit Freispruch vorzugehen, während die Schuld- und Strafberufung des Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen war. Da der Freispruch auf den Mangel objektiver Tatbildlichkeit gegründet ist, bedurfte es keines in § 26 Abs. 3 StGB gegründeten Einziehungserkenntnisses.

Landesgericht für Strafsachen Wien

Landesgerichtsstraße 11, 1082 Wien

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen