JudikaturJustiz12Rs31/17s

12Rs31/17s – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
08. Juni 2017

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Richter Dr. Klaus Henhofer in der Sozialrechtssache der Klägerin M***** R***** , ***** vertreten durch ihre Tochter Dr. E***** ***** R*****, diese vertreten durch Mag. Josef Hofinger und Dr. Roland Menschick, Rechtsanwälte in Eferding, gegen die Beklagte Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch ihren Angestellten Dr. Peter Dumpfhart, Landesstelle Oberösterreich, wegen Pflegegeld über die Rekurse der Beklagten und des Sachverständigen Dr. W***** Sch***** , gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. März 2017, 16 Cgs 220/16y-12, beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs des Sachverständigen Dr. W***** Sch***** wird nicht Folge gegeben.

Dem Rekurs der Beklagten wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass die Gebühren des Sachverständigen Dr. W***** Sch***** mit EUR 635,00 (anstatt EUR 679,00) bestimmt werden.

Die Änderung der Auszahlungsanordnung wird gemäß § 527 Abs 1 ZPO dem Erstgericht übertragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Über Auftrag des Erstgerichts erstattete der Sachverständige Dr. Sch***** nach Befundaufnahme ein Gutachten über die Pflegebedürftigkeit der Klägerin, das er am 6. März 2017 mit dem elektronischen Dokumenteneinbringungsservice (DES) übermittelte. An Gebühren verzeichnete der Sachverständige EUR 598,88 netto, davon EUR 30,00 für das (erste) Aktenstudium, nochmals EUR 30,00 für das (neuerliche) Aktenstudium nach einem frustranen Hausbesuch, eine Schreibgebühr für das Original von EUR 60,00 (30 Seiten á EUR 2,00) und eine weitere Schreibgebühr von EUR 54,00 für drei Durchschriften (90 Seiten á EUR 0,60). Insgesamt machte der Sachverständige zuzüglich 20 % USt einen Gebührenanspruch von (abgerundet) EUR 718,00 geltend.

In ihrer fristgerechten Äußerung wendete sich die Beklagte gegen die Honorierung des zweiten Aktenstudiums mit der vollen Gebühr von nochmals EUR 30,00 und begehrte insoweit die Festsetzung einer geringeren Gebühr. Außerdem sprach sich die Beklagte im Hinblick auf die elektronische Einbringung des Gutachtens gegen die Schreibgebühr für drei Durchschriften aus, zumal das Gericht das Gutachten den am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmenden Parteien wiederum elektronisch zustelle oder im Bedarfsfall selbst ausdrucke.

In seiner Gegenäußerung machte der Sachverständige geltend, nach dem frustranen Hausbesuch seien bis zum Termin der neuerlichen Befundaufnahme 42 Tage verstrichen. Nach diesem langen Zeitraum sei ihm der Akteninhalt auch nicht mehr ansatzweise geläufig gewesen, weshalb ein neuerliches Aktenstudium erforderlich gewesen sei; eine bloße Auffrischung habe nicht genügt, um eine qualitätsvolle Untersuchung und Begutachtung durchführen zu können. Zur Schreibgebühr brachte der Sachverständige vor, er benötige auch im Zeitalter der elektronischen Gutachtensübermittlung drei Ausdrucke, nämlich einen für den Handakt als Grundlage für den Hausbesuch, einen weiteren Ausdruck zum Zweck der Korrektur des Gutachtensentwurfs und schließlich einen dritten Ausdruck zur physischen Archivierung, da die elektronische Speicherung über einen langen Zeitraum nicht verlässlich sei und eine Suchfunktion im DES fehle. Durch die Schreibgebühr solle jener Aufwand ersetzt werden, den der Sachverständige für das Schreiben habe. Dieser Aufwand könne im Zuge der elektronischen Dateneinbringung nicht plötzlich ersatzlos gestrichen werden; auch wenn das physische Gutachten in Papierform verschwinde, bleibe der Aufwand für den Sachverständigen der gleiche, insbesondere auch finanziell. Sollte dem Sachverständigen die Schreibgebühr für drei Durchschriften nach § 31 Abs 1 Z 3 GebAG nicht zuerkannt werden, beanspruche er denselben Betrag als Mühewaltungsgebühr nach § 34 Abs 3 Z 2 GebAG, da die elektronische Übermittlung selbst im Idealfall auch für einen geübten Anwender einen Zeitaufwand von zumindest zehn Minuten erfordere.

Das Erstgericht billigte dem Sachverständigen für das zweite Aktenstudium die Hälfte der unstrittigen Grundgebühr von EUR 30,00 zu, insgesamt daher für das Aktenstudium EUR 45,00 netto, und veranschlagte neben der (ebenfalls unstrittigen) Schreibgebühr für das Original das Gutachtens weitere EUR 36,00 für zwei Durchschriften (60 Seiten á EUR 0,60). Zuzüglich 20 % USt bestimmte das Erstgericht die Gebühren des Sachverständigen auf diese Weise mit (abgerundet) EUR 679,00.

In der Begründung führte das Erstgericht dazu aus, beim neuerlichen Aktenstudium vor dem zweiten Hausbesuch sei ein gewisser Wiedererkennungseffekt zu erwarten, weshalb dafür - auch im Hinblick auf den überschaubaren Umfang des Akts - nur die Hälfte der verzeichneten Gebühr angemessen sei.

Die Schreibgebühr für Durchschriften des Gutachtens stehe dem Sachverständigen im vorliegenden Fall - trotz elektronischer Einbringung - zweimal zu, und zwar einmal zum Zwecke der Korrektur des Gutachtens und ein weiteres Mal für die Archivierung. Die verzeichnete dritte Durchschrift zur Vorbereitung des Hausbesuchs sei hingegen nicht nachvollziehbar, weil zu diesem Zeitpunkt das Gutachten noch gar nicht erstellt sei. Eine Honorierung der Übermittlung des Gutachtens im Wege des elektronischen Dokumenteneinbringungsservices nach § 34 Abs 3 Z 2 GebAG komme nicht in Betracht, weil die Mühewaltung des medizinischen Sachverständigen mit der zuerkannten Gebühr nach § 43 Abs 1 Z 1 lit d GebAG zur Gänze abgegolten werde.

Gegen diesen Gebührenbeschluss richtet sich einerseits der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Sachverständigen für das Aktenstudium „weniger als EUR 44,90, allerdings auch maximal die gesetzlich vorgegebenen EUR 44,90“ zuzusprechen und keine Kosten für die beiden vom Erstgericht berücksichtigten Durchschriften des Gutachtens. Der Sachverständige strebt mit seinem Rekurs hingegen den Zuspruch von weiteren EUR 40,00 als Mühewaltungsgebühr nach § 34 Abs 3 Z 2 GebAG für den aufwändigen Vorgang der Übermittlung des Gutachtens mit dem elektronischen Dokumenteneinbringungsservice an.

Der Rekurs des Sachverständigen ist nicht, jener der Beklagten nur teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Zum Aktenstudium:

Die hier verzeichnete Gebühr von EUR 30,00 für das Studium eines durchschnittlichen Akts in Sozialrechtssachen ist zwischen den Parteien des Rekursverfahrens nicht strittig und bewegt sich im Rahmen der ständigen Judikatur. Fraglich ist aber, ob und in welcher Höhe dem Sachverständigen diese Gebühr ein weiteres Mal zusteht, nachdem aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen der zur Befundaufnahme vorgesehene Untersuchungstermin (Hausbesuch) ergebnislos geblieben war und deshalb in einem zeitlichen Abstand von sechs Wochen ein neuerliches Aktenstudium zur Vorbereitung auf den neu angesetzten Termin der Befundaufnahme erforderlich wurde.

Die Beklagte geht offenbar selbst - und im Einklang mit der Judikatur in Kumulierungsfällen - zutreffend davon aus, dass der hier auf die beschriebene Weise verursachte Mehraufwand des Sachverständigen gebührenrechtlich nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben könne, meint aber, die Ausmittlung der Gebühr mit weiteren EUR 15,00 sei im konkreten Fall unangemessen hoch und überschreite sogar (wenn auch nur geringfügig) den vom Gesetz (§ 36 GebAG) vorgesehenen Höchstbetrag von EUR 44,90. Nachvollziehbare und stichhältige Argumente gegen die erstrichterliche Bemessung vermag die Beklagte allerdings nicht darzulegen. Sie beschränkt sich vielmehr auf den Hinweis, dass es sich bei der Gebührenbestimmung um eine vom Gericht zu lösende Rechtsfrage handle, der hier zu beurteilende Akt insgesamt nicht sehr umfangreich sei und eine bloße Wiederauffrischung daher genügt habe. Genau davon ist aber auch das Erstgericht ausgegangen und hat durchaus vertretbar den neuen Aufwand mit der Hälfte des (unstrittigen) ursprünglichen Aufwands eingeschätzt. Diese Ausmittlung ist mit Blick auf den nach sechs Wochen wohl noch vorhandenen „Wiedererkennungseffekt“ lebensnah, wird nun auch vom Sachverständigen akzeptiert und bedarf keiner Korrektur durch das Rechtsmittelgericht.

Dass durch das Erfordernis eines neuerlichen Aktenstudiums der für das (erste) Studium eines Aktenbands gesetzlich festgelegte Grenzbetrag überschritten werden kann, ist eine notwendige Folge der im Einzelfall sachlich gebotenen Mehrfachhonorierung; der gesetzliche Gebührenrahmen für einzelne Leistungen beschränkt nicht die Gebührenbestimmung für mehrfach erbrachte Leistungen.

2. Zur Schreibgebühr für zwei Durchschriften:

Das Erstgericht billigte dem Sachverständigen - neben dem Original - den Ausdruck von zwei weiteren Exemplaren des Gutachtens zu, nämlich einmal zum Zwecke der Korrektur der Übertragung und ein anderes Mal zur (sicheren) Archivierung. Die ursprünglich verzeichnete dritte Durchschrift wird vom Sachverständigen im Rekursverfahren nicht mehr begehrt. Die Beklagte meint nun, im Fall der elektronischen Dokumentenübermittlung seien jedenfalls Durchschriften des Gutachtens nicht mehr notwendig, sodass insoweit gar kein zu vergebührender Aufwand bestehe. Dass der Sachverständige aber zumindest Anspruch auf die Schreibgebühr für die Herstellung der „Urschrift“ von EUR 2,00 je Seite hat, weil damit insbesondere auch die Übertragung des Diktats abgegolten wird und dem Sachverständigen ein Ausdruck des elektronisch abgespeicherten Gutachtens für seinen Handakt jedenfalls zuzugestehen ist, zieht die Beklagte - zu Recht - nicht in Zweifel.

Bedenkt man davon ausgehend, dass dieser Ausdruck (oder auch der gesamte Handakt) nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens ohnedies für die „physische“ Archivierung zur Verfügung steht, stellt sich tatsächlich die Frage nach der Notwendigkeit, weitere Ausfertigungen der Urschrift (also der elektronisch abgespeicherten und korrigierten Endfassung) des Gutachtens herzustellen, wie dies in Fällen der nicht elektronischen Einbringung des Gutachtens nach wie vor - in der Regel dreimal, einmal für den Gerichtsakt und je einmal für die beiden Parteien - erforderlich ist. Genau dieser Aufwand entfällt aber bei Übermittlung des Gutachtens im DES, weil diese drei Ausfertigungen nunmehr vom Gericht bzw. von den Parteien selbst (und auf deren eigene Kosten) hergestellt werden. Der korrespondierende Sach- und Personalaufwand für die Herstellung der drei Ausfertigungen im Büro des Sachverständigen entfällt hingegen bei Verwendung des DES zur Gänze, sodass mangels Erbringung einer Leistung insoweit auch kein Gebührenanspruch für die Herstellung von Ausfertigungen bestehen kann.

Dies erkennt offenbar auch der Sachverständige im vorliegenden Fall, will er doch im Wesentlichen aufzeigen, dass der Aufwand für die Herstellung der Ausfertigungen in der Praxis gering sei, sodass deren Wegfall kaum ins Gewicht falle, während sich der plötzliche Entfall der Schreibgebühr für drei Ausfertigungen finanziell unverhältnismäßig stark auswirke. Dies ist richtig, aber eine notwendige Folge der derzeitigen gesetzlichen Regelung, an die der Sachverständige - wie auch das Gericht - gebunden ist.

Die nun ersatzweise vorgebrachten Argumente zur weiteren Rechtfertigung von drei Ausfertigungen trotz Übermittlung des Gutachtens per DES überzeugen nicht: Den Zwecken der Archivierung dient - wie schon oben aufgezeigt - die Urschrift. Allfällige Zwischenausdrucke bzw. Rohfassungen des Gutachtens bis zur Erstellung der endgültigen, korrigierten Fassung sind - wie bisher - von der Pauschalgebühr für die Herstellung der Reinschrift (Urschrift) erfasst, ohne dass jeder einzelne Schritt der Herstellung extra zu entlohnen ist. Und für die Vorbereitung der Befundaufnahme anlässlich eines Hausbesuches kommt ein Ausdruck des zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erstellten Gutachtens von vornherein nicht in Betracht. Allenfalls diktiert der Sachverständige schon vorweg Auszüge aus dem Gerichtsakt, dem Anstaltsakt und weiteren ihm schon zur Verfügung stehenden medizinischen Unterlagen zur Erleichterung der Befundaufnahme, dieser vorgezogene Aufwand rechtfertigt aber keine zusätzlichen Schreibgebühren.

Der Rekurs der Beklagten ist demnach insoweit berechtigt, als weitere EUR 36,00 als Schreibgebühr für zwei Durchschriften (Ausfertigungen) zuzüglich 20 % USt bei der Gebührenbestimmung unberücksichtigt zu bleiben haben. Daraus ergibt sich (abgerundet) die aus dem Spruch ersichtliche Gesamtgebühr.

3. Zur Mühewaltung für die elektronische Gutachtensübermittlung per DES:

Unabhängig davon, dass der Sachverständige eine derartige Gebühr für Mühewaltung in seiner Kostennote gar nicht geltend gemacht hat, kommt eine zusätzliche Mühewaltungsgebühr im Zusammenhang der Erstellung des Gutachtens schon deshalb nicht in Betracht, weil die dem Sachverständigen zugesprochene Pauschalgebühr nach § 43 Abs 1 Z 1 lit d GebAG nicht nur die körperliche Untersuchung samt Befund, sondern auch die gesamte Mühewaltung im Zusammenhang mit der Erstattung des medizinischen Gutachtens umfasst. Zu unterscheiden davon ist die Mühewaltungsgebühr für die Befundaufnahme anlässlich von Hausbesuchen betreffend die Wohnverhältnisse und das örtliche Umfeld, weil es sich dabei um keine ärztliche Tätigkeit handelt, weshalb der betreffende Mehraufwand nicht von der Mühewaltungsgebühr nach § 43 GebAG umfasst ist (vgl OLG Linz 6. November 2015, 12 Rs 102/15d).

Soweit der Sachverständige zur Rechtfertigung eines weiteren Gebührenanspruchs mit dem nicht unbeträchtlichen Zeitaufwand für die Übermittlung des Gutachtens per DES argumentiert, ist ihm entgegenzuhalten, dass auch eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 32 GebAG grundsätzlich nicht in Betracht kommt, weil diese Gebühr nur für Tätigkeiten außerhalb der Wohnung/Ordination zusteht.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber zwar in § 23a RATG eine Erhöhung der Entlohnung für die von Rechtsanwälten im elektronischen Rechtsverkehr einzubringenden Schriftsätze ausdrücklich vorgesehen hat, aber nicht im Gebührenanspruchsgesetz im Zusammenhang mit der Entlohnung von Sachverständigen, die (freiwillig) am DES teilnehmen. Anders als Rechtsanwälte sind Sachverständige nämlich nicht verpflichtet, ihre Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr durchzuführen und die dafür geschaffenen Übermittlungsmöglichkeiten sind auch nicht ident ( Schmidt , Gebühren auf der Werkbank der Rechtsprechung, Sachverständige 2016, 190 [198]). Eine den Rechtsanwälten vergleichbare Honorierung für Sachverständige hat der Gesetzgeber wohl im Hinblick auf diesen Unterschied bisher nicht vorgesehen und daher offensichtlich auch nicht gewollt (vgl OLG Wien 31. August 2012, 9 Rs 139/12w mwN).

Der Rekurs des Sachverständigen muss aus diesen Gründen erfolglos bleiben.

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 5 ZPO jedenfalls unzulässig.

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen