JudikaturJustiz113Ds8/17k

113Ds8/17k – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
04. November 2019

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat durch den Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr in . U. Neundlinger und den Richter Mag. Hasibeder als weitere Mitglieder des Disziplinarsenates in der Disziplinarsache gegen Mag a . U***** wegen eines Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 iVm Art IIa Abs 2 RStDG (§ 158 Z 1 RStDG) nach der am 4. November 2019 in Anwesenheit des Disziplinaranwalts EOStA Dr. Bruno Granzer sowie der Disziplinarbeschuldigten Mag a . U***** und ihres Verteidigers Dr. *****G*****, *****, durchgeführten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Mag a . U***** ist schuldig, sie hat als Erste Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft ***** die sie gemäß § 57 Abs 1 RStDG treffende Pflicht, die ihr übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, dadurch verletzt, dass sie von 4. Februar 2014 bis 30. Oktober 2016 13 Strafverfahren verzögert bearbeitete bzw unbearbeitet ließ und dadurch Verzögerungen zwischen zwei Monaten und zwei Jahren und neun Monaten verursacht hat, und zwar in folgenden Verfahren:

1./ 10 St***** ab 31. Mai 2016 (Verzögerung fünf Monate)

2./ 10 St***** ab 12. Mai 2016 (Verzögerung rund fünfeinhalb Monate)

3./ 10 St***** ab 25. Juli 2016 (Verzögerung gut drei Monate)

4./ 10 St***** ab 12. Jänner 2016 (Verzögerung neuneinhalb Monate)

5./ 10 St***** ab 20. Februar 2014 (Verzögerung rund zwei Jahre und siebeneinhalb Monate)

6./ 10 St***** ab 4. Februar 2014 (Verzögerung knapp zwei Jahre und neun Monate)

7./ 10 St***** zwischen 12. Juni 2015 und 30. Dezember 2015 (Verzögerung rund sechseinhalb Monate) und ab 12. Jänner 2016 (Verzögerung rund neuneinhalb Monate)

8./ 10 St***** ab Dezember 2014 (Verzögerung rund ein Jahr und elf Monate)

9./ 10 St***** ab 20. April 2016 (Verzögerung gut sechs Monate)

10./ 10 St***** ab 9. August 2016 (Verzögerung knapp drei Monate)

11./ 10 St***** ab 27. August 2016 (Verzögerung gut zwei Monate)

12./ 10 St***** ab 8. August 2016 (Verzögerung knapp drei Monate)

13./ 10 St***** ab 29. Juli 2016 (Verzögerung gut drei Monate).

Mag a . U***** hat hiedurch ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 iVm Art IIa Abs 2 RStDG (§ 158 Z 1 RStDG) begangen.

Gemäß § 159 lit b iVm Art IIa RStDG wird über Mag a . U***** eine Geldstrafe in der Höhe von einem Ruhebezug verhängt.

Gemäß §§ 137 Abs 2, 160 Abs 2 iVm Art IIa Abs 2 RStDG hat sie die mit EUR 500,00 bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des Berichtes des Leiters der Staatsanwaltschaft ***** vom 14. Dezember 2016 (ON 1), des Berichtes der Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft ***** über die Arbeitsbelastung bzw den Geschäftsanfall und die Krankenstände/Kuraufenthalte betreffend die Disziplinarbeschuldigte vom 30. August 2017 (ON 17), des von der Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft ***** vorgelegten Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Juli 2018 (ON 25), des psychiatrischen Gutachtens vom 23. August 2018 (ON 30), der Auskunft der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter über den Pensionsbezug der Disziplinarbeschuldigten vom 5. September 2019 (ON 46) iVm der schriftlichen Stellungnahme der Disziplinarbeschuldigten vom 26. Mai 2017 (ON 11), ihrer Aussage vor der Untersuchungskommissärin am 23. Oktober 2017 (ON 19) sowie der Verantwortung der Disziplinarbeschuldigten in der mündlichen Disziplinarverhandlung am 4. November 2019 und nach Einsicht in die im Spruch angeführten Akten der Staatsanwaltschaft ***** wird folgender

SACHVERHALT

festgestellt:

Die am 20. September 1960 geborene Disziplinarbeschuldigte wurde – nach fünfjähriger Tätigkeit bei Eurojust in Den Haag - mit 1. Mai 2011 auf die Planstelle der Ersten Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft ***** ernannt. Sie war Gruppenleiterin und führte das Referat 10 der Staatsanwaltschaft ***** mit der Zuständigkeit für allgemeine Strafsachen, Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland, sofern die Anrufung des Gerichtes erforderlich ist, und Auslieferungs- und Übergabesachen. Der Geschäftsanfall im Referat 10 betrug im Jahr 2014 199 St-, 105 UT-, 65 NSt- und 16 HSt-Akten, im Jahr 2015 180 St-, 108 UT-, 52 NSt- und 19 HSt-Akten; vom 1. Jänner bis 31. Oktober 2016 fielen 79 St-, 41 UT-, 22 NSt- und 22 HSt-Akten an. Die Entlastung der Disziplinarbeschuldigten für die Vertretung des Leiters der Dienststelle betrug im gesamten Zeitraum 20 %. Im Rahmen der Justizverwaltung musste die Disziplinarbeschuldigte den Leiter der Staatsanwaltschaft ***** in seiner Abwesenheit vertreten; zusätzlich hat sie als Erste Staatsanwältin auch Aufgaben der Justizverwaltung wahrgenommen, so zum Beispiel die Betreuung des Archivs (einmal im Jahr), wo sie nachschauen musste, ob alles in Ordnung sei bzw ob Akten zu skartieren seien. Bei dieser Tätigkeit wurde sie von einem Beamten unterstützt. Ihr oblag auch die Aufsicht über die Arbeit von 7 Bezirksanwälten der Staatsanwaltschaft *****; dafür hat sie zirka fünf Tage im Jahr gebraucht. Fallweise hat sie den Leiter der Staatsanwaltschaft bei repräsentativen Veranstaltungen vertreten. Für die Leitung einer staatsanwaltschaftlichen Gruppe (Revisionen) wurden der Disziplinarbeschuldigten in der Zeit vom 1. Jänner 2014 bis 31. Oktober 2016 Entlastungen zwischen 15 und 45 % gewährt. Während ihrer Urlaube und Krankenstände wurden ihr keine neuen Akten / Aktenstücke zugewiesen („einlauffrei gestellt“).

Die Disziplinarbeschuldigte war von November 2012 bis Oktober 2013 mit der Diagnose „Erschöpfungsdepression“ im Krankenstand. Anschließend versah sie ihren Dienst bis 30. Oktober 2016. Vom 1. Jänner 2014 bis 30. Oktober 2016 befand sich die Disziplinarbeschuldigte zu folgenden Zeiten im Krankenstand: 19. Mai, 8. August und 7. November 2014; 19. Jänner, 30. März bis 14. April 2015; 21. bis 22. Jänner, 12. Februar, 16. August bis 2. September 2016. Ab 31. Oktober 2016 befand sie sich erneut im Krankenstand, und zwar bis 13. März 2017, woran ein Kuraufenthalt bis 25. April 2017 und an diesen wiederum ein Krankenstand anschloss. Mit Bescheid der Oberstaatsanwaltschaft ***** vom 5. Jänner 2018 wurde sie gemäß § 14 Abs 1 und 2 BDG 1979 iVm § 206 RStDG wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Eine Beschwerde dagegen wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2018 als unbegründet ab (ON 25).

Die Disziplinarbeschuldigte bezieht eine monatliche Nettopension von EUR 2.441,24 (brutto EUR 3.452,88) und für jedes Kalendervierteljahr eine Sonderzahlung in der Höhe von 50 vH des Monatsbezuges (vgl ON 46). Sie ist Eigentümerin von zwei Drittel einer Liegenschaft in ***** sowie eines Viertelanteils an einer Liegenschaft in ***** in einem ihr nicht bekannten Wert. Die Liegenschaft in ***** ist mit einem Hypothekarkredit in Höhe von insgesamt EUR 400.000,00 belastet. Dafür zahlt die Disziplinarbeschuldigte monatliche Kreditraten in Höhe von EUR 2.200,00. Die zweite Liegenschaft in ***** ist mit einem Wohn- und Fruchtgenussrecht belastet. Die Lebenserhaltungskosten hat sie bis dato durch Erspartes finanziert. Sie hat keine Sorgepflichten und ist strafgerichtlich sowie disziplinarrechtlich unbescholten.

In nachgenannten Verfahren kam es zu folgenden Verzögerungen, wobei sich die jeweils angeführte Dauer wegen des krankheitsbedingten Ausfalls der Disziplinarbeschuldigten ab 31. Oktober 2016 auf den Zeitraum bis 30. Oktober 2016 bezieht:

1./ 10 St*****:

Der von der Disziplinarbeschuldigten wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB eingebrachte Strafantrag vom 28. April 2016 wurde mit Beschluss des Landesgerichtes ***** vom 13. Mai 2016, 16 Hv*****, gemäß §§ 485 Abs 1 Z 2, 212 Z 4 StPO zurückgewiesen. Der Beschluss langte bei der Staatsanwaltschaft am 17. Mai 2016 ein. Die Disziplinarbeschuldigte traf keine Anordnungen und stellte keinen für die Fortführung des Verfahrens erforderlichen Antrag, sodass mit 31. August 2016 der Verlust des Verfolgungsrechts eintrat (§ 485 Abs 2 StPO). Mit Beschluss vom 16. November 2016 wurde das Verfahren gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt.

Der Akt umfasste zum Zeitpunkt der Zurückweisung des Strafantrags 18 Ordnungsnummern. Der zurückgewiesene Strafantrag betraf einen Beschuldigten, drei geschädigte Versicherungsnehmer und acht Versicherungsanträge. Die wesentlichen Mängel, an denen der Strafantrag litt, waren im Zurückweisungsbeschluss konkret bezeichnet. Die Disziplinarbeschuldigte hatte drei Monate Zeit, die vom Gericht vermisste Tatindividualisierung und Klarstellung vorzunehmen.

2./ 10 St*****:

In diesem Ermittlungsverfahren wegen „§§ 269, 89, 105, 125, 126 und 83 StGB“ langten am 29. Dezember 2015 und am 12. Mai 2016 jeweils ein polizeilicher Abschlussbericht gemäß § 100 Abs 2 StPO ein. Trotz mehrmaliger Aufforderungen durch den Leiter der Staatsanwaltschaft erfolgte keine Erledigung. Im Tagebuch befinden sich lediglich ein unvollständiger Entwurf eines Strafantrags und eine von der Disziplinarbeschuldigten nicht unterfertigte Eintragung.

Der Akt umfasste insgesamt 26 Ordnungsnummern und betraf zwei Vorfälle, einen Verkehrsunfall in alkoholisiertem Zustand mit anschließender Flucht mit einem PKW am 27. November 2015 sowie einen Nachbarschaftsstreit am 11. März 2016. Die Disziplinarbeschuldige hatte vom Einlangen des zweiten Abschlussberichtes bis zu ihrem letzten Arbeitstag fünfeinhalb Monate verstreichen lassen, ohne einen Strafantrag fertig zu stellen und einzubringen oder eine sonstige Maßnahme zu setzen.

3./ 10 St*****:

Im Ermittlungsverfahren wegen des Vergehens der schweren Sachbeschädigung §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB bearbeitete die Disziplinarbeschuldigte den Akt nach Ablehnung des von ihr gemäß § 200 Abs 4 StPO unterbreiteten Diversionsanbots durch den Beschuldigten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2016, eingelangt am 25. Juli 2017, gut drei Monate lang nicht weiter.

Der Akt umfasste 30 Ordnungsnummern. Es ging um das Abtragen von Erdreich und die Entfernung eines Baums.

4./ 10 St*****:

Die Disziplinarbeschuldigte ließ zwei Anträge auf Einstellung eines wegen „§§ 146, 147, 156 und 158 StGB“ geführten Ermittlungsverfahrens gemäß § 108 StPO vom 12. Jänner 2016 und vom 8. Juni 2016 - gut neuneinhalb bzw. knapp fünf Monate lang - unerledigt. Nach Einlangen eines Gutachtens wurde ab 22. Juli 2016 - gut drei Monate lang - kein weiterer Verfahrensschritt gesetzt.

Der Akt umfasste 44 Ordnungsnummern, betraf zwei Beschuldigte und die Zuzählung zweier Darlehen von EUR 64.000,00 und EUR 90.000,00 sowie den Verkauf einer Liegenschaft.

5./ 10 St*****:

Am 20. Februar 2014 teilte das Fürstliche Landgericht ***** der Disziplinarbeschuldigten in Reaktion auf deren Ersuchen um Mitteilung des Verfahrensstandes und Übermittlung von Vernehmungsprotokollen zweier Beschuldigter mit, dass diesbezüglich ein formelles Rechtshilfeersuchen übermittelt werden müsse. Ein solches wurde in der Folge nicht gestellt, vielmehr verfügte die Disziplinarbeschuldigte am 18. März 2014 - trotz aufrechten Wohnsitzes eines der Beschuldigten im Inland - die Abbrechung des Verfahrens gemäß § 197 Abs 1 StPO. Nach Verstreichen des weiters verfügten Fristvormerks von einem Jahr blieb der Akt ab 19. März 2015, rund zwei Jahre und siebeneinhalb Monate, unbearbeitet.

Der Akt umfasste zehn Ordnungsnummern, betraf zwei Beschuldigte und die Veruntreuung von Handys.

6./ 10 St*****:

Das Ermittlungsverfahren wegen „§§ 288, 153 StGB“ wurde zunächst gemäß § 197 Abs 1 StPO abgebrochen und der Beschuldigte zur Aufenthaltsermittlung im Inland ausgeschrieben. Nach Bekanntwerden des Aufenthalts des Beschuldigten wurde die zuständige Polizeiinspektion mit weiteren Ermittlungen beauftragt. Der Abschlussbericht langte am 4. Februar 2014 ein. Außer der Veranlassung des Widerrufs der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung am 6. August 2014 und einer Kalendierung auf „1.10.“ erfolgte - knapp zwei Jahre und neun Monate lang - kein weiterer Verfahrensschritt.

Der Akt umfasste 18 Ordnungsnummern, betraf einen Beschuldigten und letztlich nur den Verdacht einer falschen Beweisaussage bei einer Vernehmung in einem Zivilverfahren, in dem der Beschuldigte als Zeuge ausgesagt hatte, in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter der Klägerin den Geschäftsführer der Beklagten beim Weinkauf beraten und dessen Bestellung im Betrag von EUR 8.601,60 entgegengenommen zu haben.

7./ 10 St*****:

In diesem Verfahren wegen „§§ 286 Abs 1, 299 Abs 1 StGB“ wurde einem der Beschuldigten eine diversionelle Erledigung gemäß § 203 Abs 3 StPO unter Übernahme von Pflichten angeboten. Ein nach Ablauf der Probezeit an den Verteidiger des Beschuldigten gerichtetes schriftliches Ersuchen vom 15. April 2015 um Nachweis der Erfüllung der Pflichten blieb ohne Erfolg. Den für 11. Juni 2015 angesetzten Termin zur Einvernahme über die Erfüllung der Pflichten nahm der Beschuldigte nicht wahr, weshalb die Disziplinarbeschuldigte diesen am 12. Juni 2015 telefonisch zur Erfüllung der Pflichten befragte. Nachdem der Beschuldigte angegeben hatte, dass er die Pflichten zum Teil erfüllt habe, zum Teil an diesem Tag erfüllen werde, setzte die Disziplinarbeschuldigte den Kalender „22.6.2015“. Am 30. Dezember 2015 lud sie den Beschuldigten neuerlich für den 26. Jänner 2016. Nachdem die Zustellung nicht gelungen und am 12. Jänner 2016 eine ZMR-Anfrage eingeholt worden war, blieb der Akt neuneinhalb Monate lang unbearbeitet.

Der Akt umfasste 34 Ordnungsnummern. Es ging um die Prüfung der Erfüllung der Pflichten durch den Beschuldigten zur Entscheidung, ob die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung endgültig zurückzutreten oder das Verfahren nachträglich fortzusetzen habe.

8./ 10 St*****:

Die Disziplinarbeschuldigte verfügte in diesem Verfahren wegen des Verdachts des Verbrechens des Betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse nach § 153d Abs 3 StGB am 21. November 2014 die Zustellung einer Mitteilung vom möglichen Rücktritt von der Verfolgung einer Straftat nach Zahlung eines Geldbetrags (§ 200 Abs 4 StPO iVm § 19 VbVG) an den Verteidiger des belangten Verbandes und setzte einen Kalender von 14 Tagen. Der Akt lag ab Dezember 2014 ohne Setzung weiterer Verfahrensschritte - rund ein Jahr und elf Monate - im Zimmer der Disziplinarbeschuldigten.

Der Akt umfasste 15 Ordnungsnummern und die Disziplinarbeschuldigte hätte die rechtzeitige Zahlung des Geldbetrags überwachen und nach Ablauf der 14-tägigen Frist das gerichtliche Strafverfahren einleiten müssen.

9./ 10 St*****:

Nach Einlangen eines polizeilichen Abschlussberichtes wegen „§§ 83, 84 und 107 StGB“ am 20. April 2016 erfolgte - abgesehen von der Übermittlung einer Aktenkopie an den Verteidiger eines der Beschuldigten - trotz mehrerer Urgenzen seitens des Leiters der Staatsanwaltschaft gut sechs Monate lang kein Verfahrensschritt; selbst Behördenersuchen um Aktenübermittlung oder Mitteilung des Verfahrensstandes blieben unbeantwortet.

Der Akt umfasste 23 Ordnungsnummern, davon 18 Behördenersuchen, und betraf fünf Beschuldigte.

10./ 10 St*****:

Das Verfahren wegen „§§ 107 und 144 StGB“ blieb nach dem Einlangen des Abschlussberichtes am 9. August 2016 - knapp drei Monate lang - unbearbeitet.

Der Akt umfasste sieben Ordnungsnummern und betraf den Verdacht gefährlicher Drohungen und Erpressungen durch einen Beschuldigten aus dem Suchtgiftmilieu.

11./ 10 St*****:

Im Ermittlungsverfahren nach den „§§ 162, 133 StGB“ erfolgte nach dem Einlangen des Abschlussberichtes am 27. August 2016 - gut zwei Monate lang - keine Bearbeitung.

Der Akt umfasste 14 Ordnungsnummern und betraf falsche Angaben einer Beschuldigten bei der Abgabe eines Vermögensverzeichnisses sowie die Zueignung von EUR 7.134,00, die sie von der Hausverwaltung zur Zahlung von Elektroinstallationsarbeiten erhalten hatte.

12./ 10 St*****:

Das Verfahren wegen Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 StGB blieb nach dem Einlangen des Abschlussberichtes am 8. August 2016 - knapp drei Monate lang - unbearbeitet.

Der Akt umfasste zwei Ordnungsnummern und betraf zwei Beschuldigte jeweils wegen des Verdachts einer gefährlichen Drohung (des geschiedenen Ehemannes gegen die geschiedene Ehefrau und des Freundes der geschiedenen Ehefrau gegen deren geschiedenen Ehemann).

13./ 10 St*****:

Das Verfahren wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a StGB blieb nach dem Einlangen des Abschlussberichtes am 29. Juli 2016 - gut drei Monate lang - unbearbeitet, obwohl der Anzeiger wiederholt auf die fortdauernde Begehung hingewiesen hatte.

Der Akt umfasste sechs Ordnungsnummern und betraf den Verdacht der beharrlichen Verfolgung eines Mannes durch eine Frau mittels Anrufen, SMS und WhatsApp-Nachrichten.

Bei der Disziplinarbeschuldigten bestand im Tatzeitraum eine Anpassungsstörung im Sinne einer chronifizierten Verbitterungsstörung, nicht jedoch eine depressive Erkrankung. In der Zeit vom 4. Februar 2014 bis 30. Oktober 2016 lag keine Erkrankung vor, die zu einer Aufhebung der Erkenntnis- und/oder Steuerungsfähigkeit der Disziplinarbeschuldigten hätte führen können. Die Schuldfähigkeit war eindeutig gegeben. Die Disziplinarbeschuldigte scheiterte - als eine ursprünglich durchaus leistungswillige Frau - aufgrund ihrer eigenen neurotischen Mechanismen, ihrer mangelnden Desaktualisierungsfähigkeit, ihrer Starre und unhinterfragbaren Vorstellung davon, wie die Welt sowohl idealer - als auch realerweise beschaffen sein sollte, an sich selbst, geriet in immer unvorteilhaftere Situationen und führte diese auch trotz ungestörter Kognition selbst herbei. Ihre Fähigkeit, im Zeitraum vom 4. Februar 2014 bis 30. Oktober 2016 adäquat zu reagieren, war aus psychiatrischer Sicht durch die genannten Faktoren zwar eingeschränkt, aber nicht aufgehoben (vgl ON 30).

BEWEISWÜRDIGUNG:

Die Feststellungen über die persönlichen und finanziellen Verhältnisse der Disziplinarbeschuldigten gründen sich auf deren Angaben und die Auskunft der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter über den Pensionsbezug vom 5. September 2019 (ON 46), jene zur Arbeitsbelastung (Zuständigkeit, Anfall, Entlastung) auf den Bericht des Leiters der Staatsanwaltschaft ***** vom 14. Dezember 2016, 928-001 Jv***** (ON 1) und den Bericht der Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft über die Arbeitsbelastung und die Krankenstände/Kuraufenthalte vom 30. August 2017 (ON 17).

Die Feststellungen über die Verfahrensverzögerungen ergeben sich aus dem Bericht des Leiters der Staatsanwaltschaft ***** vom 14. Dezember 2016, 928-001 Jv*****, und aus den genannten Akten. Die Disziplinarbeschuldigte zieht weder die chronologischen Abläufe in Zweifel noch bestreitet sie, dass es objektiv zu den ihr vorgeworfenen Verzögerungen in der Erledigung der ihr übertragenen Amtsgeschäfte gekommen ist; sie nennt auch keine konkreten Hindernisse, die einer (nicht verzögerten) Bearbeitung der im Spruch genannten Strafverfahren entgegen gestanden wären (ON 11, Seite 1 in ON 19 und Aussage in der Disziplinarverhandlung). Ihre Verantwortung, dass sie an einer Erschöpfungsdepression gelitten und nicht die erforderliche Unterstützung erhalten habe, ist nicht geeignet, die festgestellten Verzögerungen in den im Spruch genannten Akten zu erklären. Aufgrund des schlüssigen Gutachtens der Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie Prim a . Dr in . Adelheid Kastner vom 23. August 2018 (ON 30), auf dem die Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhen, ist davon auszugehen, dass bei der Disziplinarbeschuldigten im fraglichen Zeitraum keine Erkrankung vorlag, die zu einer Aufhebung der Erkenntnis- und/oder Steuerungsfähigkeit hätte führen können. Hinweise darauf, dass die Disziplinarbeschuldigte über Gebühr mit Arbeit belastet gewesen wäre oder keine Unterstützung erhalten hätte, um die im Spruch genannten Akten verzögerungsfrei zu bearbeiten, ergab das Verfahren nicht. Das (zum Teil) jahrelange Unterbleiben der Bearbeitung dieser Akten lässt sich - selbst unter Berücksichtigung der von der Disziplinarbeschuldigten geschilderten psychischen Belastung - mit Blick auf ihre tatsächliche Arbeitsauslastung nicht erklären. Die verzögert oder nicht bearbeiteten Akten waren weder besonders umfangreich noch war ein schwieriger Sachverhalt rechtlich zu beurteilen, sodass eine Bearbeitung / Erledigung jedenfalls auch in wesentlich kürzerer, dem Beschleunigungsgebot in Strafsachen nach § 9 Abs 1 StPO entsprechender Zeit möglich gewesen wäre.

Unter Berücksichtigung der früheren Tätigkeit der Disziplinarbeschuldigten bei Eurojust gilt dies insbesondere für die Verfassung eines Rechtshilfeersuchens an das Fürstliche Landgericht *****, was zwei Jahre und siebeneinhalb Monate unterblieb.

Ein Teil der im Spruch genannten Akten war derart überschaubar, dass Störungen und Unterbrechungen im Arbeitsablauf, aber auch die von der Disziplinarbeschuldigten eingewandte psychische Belastung die rasche weitere Bearbeitung und Erledigung nicht beeinträchtigen konnte.

Bezeichnend für die disziplinäre Vorwerfbarkeit der verzögerten Erledigung der der Disziplinarbeschuldigten übertragenen Amtsgeschäfte ist auch das Verfahren 10 St*****, in dem der von ihr eingebrachte Strafantrag vom 28. April 2016 mit Beschluss des Landesgerichtes ***** vom 13. Mai 2016, 16 Hv*****, gemäß §§ 485 Abs 1 Z 2, 212 Z 4 StPO zurückgewiesen wurde. Der Beschluss langte bei der Staatsanwaltschaft am 17. Mai 2016 ein. Der Akt umfasste zu diesem Zeitpunkt 18 Ordnungsnummern. Der Strafantrag betraf einen Beschuldigten, drei geschädigte Versicherungsnehmer und acht Versicherungsanträge. Die wesentlichen Mängel, an denen der Strafantrag litt, waren im Zurückweisungsbeschluss konkret bezeichnet. Die Disziplinarbeschuldigte hatte drei Monate Zeit, die vom Gericht vermisste Tatindividualisierung und Klarstellung vorzunehmen. Ungeachtet dessen traf die Disziplinarbeschuldigte keine Anordnungen und stellte keinen für die Fortführung des Verfahrens erforderlichen Antrag, sodass mit 31. August 2016 der Verlust des Verfolgungsrechts eintrat (§ 485 Abs 2 StPO), weswegen das Verfahren mit Beschluss vom 16. November 2016 gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt werden musste.

Rechtliche Beurteilung

RECHTLICHE BEURTEILUNG:

Die in § 57 Abs 1 RStDG normierte Pflicht der Staatsanwälte zur ordnungsgemäßen Dienstleistung beinhaltet die Verbindlichkeit, die anhängigen Angelegenheiten so rasch wie möglich zu erledigen. Dazu gehört die möglichst und tunlichst unverzügliche Inangriffnahme aller angefallenen Amtsgeschäfte ebenso wie deren ehebaldige Erledigung aufgrund einer rationellen Arbeitsweise und Arbeitseinteilung. Bei Verfahrens- und Erledigungsverzögerungen ist für die Beurteilung, ob die dadurch verwirklichte Pflichtverletzung ein Dienstvergehen darstellt (§ 101 Abs 1 RStDG), ein strenger Maßstab geboten (Ds 10/09; RIS-Justiz RS0115557; Fellner/Nogratnig, RStDG-GOG § 101 RStDG Anm 15).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so zeigt sich, dass die Disziplinarbeschuldigte, deren Erkenntnis- und Steuerungsfähigkeit nicht aufgehoben war, mit Rücksicht auf Art, Schwere und Wiederholung der durch auffallende Sorglosigkeit verschuldeten Verfahrensverzögerungen ein Dienstvergehen iSd § 101 Abs 1 iVm Art IIa Abs 2 RStDG (§ 158 Z 1 RStDG) zu verantworten hat.

Die - deutlich über das Subsumtionserfordernis hinausgehende - Vielzahl und Dauer der Verzögerungen sowie der Umstand, dass die Tathandlungen von einer stellvertretenden Leiterin einer Staatsanwaltschaft begangen wurden und in einem Fall sogar zum Verlust des Verfolgungsrechts geführt haben, verbieten den von der Disziplinarbeschuldigten angestrebten bloßen Verweis (§ 159 lit a iVm Art IIa Abs 2 RStDG). Trotz der reduzierten Schuldfähigkeit der Disiplinarbeschuldigten und des - spezialpräventive Erfordernisse für eine strengere Strafe per se ausschließenden - Umstands, dass sie sich nunmehr im Ruhestand befindet, bedarf es einer Geldstrafe (§ 159 lit b iVm Art IIa Abs 2 RStDG), um bei einer Ersten Staatsanwältin auch generalpräventiven Bedürfnissen tat- und schuldadäquat Rechnung tragen zu können (vgl RIS-Justiz RS0108407).

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0129298, zuletzt 2 Ds 4/19i, 2 Ds 1/18x) ist eine Geldstrafe nach § 104 Abs 1 lit b RStDG in Monatsbezügen festzusetzen und die ziffernmäßige Berechnung der Strafe keine Frage ihrer Bemessung, sondern ein bloßer Rechenvorgang, der erst beim Vollzug der Geldstrafe erfolgt.

Diese Rechtsansicht vertritt auch der Verwaltungsgerichtshof zu § 92 Abs 1 Z 3 BDG 1979, der eine Geldstrafe in der Höhe von mehr als einem Monatsbezug bis zu fünf Monatsbezügen vorsieht (Erkenntnis vom 15. Februar 2013, 2013/09/0001).

Es ist daher - trotz beachtlicher Argumentation der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof, dass der Wortlaut „in der Höhe von bis zu fünf Monatsbezügen“ nur den Strafrahmen umschreibe, innerhalb dessen die konkrete Strafe auszumessen sei (ON 41) - der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und auch dieses Disziplinargerichts (113 Ds 7/17p, 113 Ds 9/17g, 113 Ds 10/17d) entsprechend, die Geldstrafe in einem Monats(Ruhe)bezug festzusetzen.

Bei der Strafbemessung waren die Vielzahl und Dauer der Verzögerungen sowie der Umstand, dass eine der Verzögerungen zum Verlust des Verfolgungsrechts der Staatsanwaltschaft führte, als erschwerend, die Unbescholtenheit und die infolge der chronifizierten Verbitterungsstörung eingeschränkte Schuldfähigkeit der Disziplinarbeschuldigten sowie ihr Beitrag zur Wahrheitsfindung hingegen als mildernd zu werten.

In Anbetracht dieser besonderen Strafzumessungsgründe und der in spezialpräventiver Hinsicht bedeutsamen Tatsache, dass die mittlerweile eingetretene Dienstunfähigkeit zur Versetzung der Disziplinarbeschuldigten in den Ruhestand führte, ist die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von einem Ruhebezug (brutto) als dem Unrechtsgehalt des Dienstvergehens und der personalen Schuld der Disziplinarbeschuldigten angemessen.

Die Entscheidung über die Kosten des Disziplinarverfahrens gründet sich auf § 137 Abs 2, 160 Abs 2 iVm Art IIa Abs 2 RStDG. Die Höhe entspricht dem Verfahrensaufwand und den Vermögensverhältnissen der Disziplinarbeschuldigten.

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen