JudikaturJustiz112Ds10/21g

112Ds10/21g – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
25. April 2022

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Mag a . Kohlroser als Vorsitzende, die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Kraschowetz-Kandolf sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Mag a . Berzkovics in der Disziplinarsache gegen die Richterin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien A* nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Dr.Kirschenhofer als Vertreter der Oberstaatsanwaltschaft Graz als Disziplinaranwalt und der Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

A* ist schuldig,

sie hat als Richterin des Landesgerichts A* im Verfahren C* unter Missachtung der in § 415 ZPO vorgesehenen Frist das Urteil erst mehr als 8 Monate nach Schluss der Verhandlung ausgefertigt sowie im Verfahren D* einen mehrjährigen unbegründeten Verfahrensstillstand zu verantworten und dadurch die in § 57 Abs 1 RStDG normierte Pflicht, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft zu erfüllen und die ihr übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, verletzt.

Sie hat hierdurch ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG begangen.

Über die Beschuldigte wird eine Geldstrafe in Höhe eines Monatsbezugs verhängt.

Sie hat die mit EUR 300,00 bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.

Text

gründe:

A* ist Richterin des Landesgerichts B* und leitet dort zu 50 % die Gerichtsabteilung E* (Cg-Sachen) und ist darüber hinaus als Mitglied der Senatsabteilung F* zu 50 % in bestandrechtlichen R-Sachen eingesetzt.

Nach dem Inhalt der Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichts G* vom 30. März 2021 wird der Beschuldigten angelastet, ungeachtet einer mit der Präsidentin des Landesgerichts B* getroffenen Zielvereinbarung zur Aufarbeitung bzw. Vermeidung von Urteilsrückständen (Sechs-Monats-Urteile) im Verfahren C* das Urteil erst mehr als acht Monate nach Schluss der Verhandlung ausgefertigt zu haben. Des Weiteren sei im Verfahren D* eine besonders eklatante Missachtung der Verpflichtung zur zügigen Erledigung der Amtsgeschäfte zutage getreten, weil es nach der Tagsatzung vom 19. Oktober 2015 zu einem mehrjährigen unbegründeten Verfahrensstillstand gekommen sei, der lediglich durch die (nicht dem Prozessfortschritt dienende) Zustellung der Protokollabschrift an die Parteien im August 2016 und die zweimalige Versendung des Aktes an die AUVA zur kurzfristigen Einsichtnahme im November 2016 und Mai 2018 unterbrochen worden sei. Erst der Beschluss vom 12. Februar 2019, mit dem ein Sachverständiger bestellt worden sei, habe den Stillstand beendet.

Die Beschuldigte verantwortet sich zum Ausfertigungsrückstand im Akt C* dergestalt, dass sie weitere Entscheidungen habe ausfertigen müssen und in den Weihnachtsfeiertagen 2020 erkrankt gewesen sei. Wegen des Corona-Lockdowns habe sie neben der Ausfertigung von Rechtsmittelentscheidungen und Cg-Urteilen montags ganztägig verhandelt. Sie habe im Hinblick auf die mit der Präsidentin des Landesgerichts getroffene Vereinbarung darüber hinaus keine Urteilsrückstände über sechs Monate mehr. Den Verfahrensstillstand im Akt D* könne sie sich selbst nicht erklären; die Angelegenheit tue ihr leid. Während des gesamten Verfahrensstillstands hätten sich keine Parteienvertreter bei ihr gemeldet. Es habe auch keine telefonischen oder schriftlichen Urgenzen gegeben. Im Übrigen verwies sie auf ihre schwierige private Situation. Eine Supervision habe sie nicht in Anspruch genommen, weil sie dafür Zeit hätte aufwenden müssen, die sie für die Aktenerledigung habe verwenden wollen.

Auf Antrag des Disziplinaranwalts wurde die Disziplinarsache wegen des konkreten Verdachts einer Verletzung des § 57 RStDG durch das der Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten mit Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 7. März 2022 (ON 14) gemäß § 123 Abs 4 2. Fall RStDG zur mündlichen Verhandlung verwiesen.

Zur Person der Beschuldigten:

A* ist am ** geboren, seit 1. Februar 1993 Richterin und seit 1. Februar 2007 beim Landesgericht B* tätig. Nach kurzer Zeit als zu 100 % ausgelastete Cg-Richterin wurde sie ab 1. Juni 2007 als Leiterin der Gerichtsabteilung E* (50 % Cg-Sachen) und als Mitglied der Senatsabteilung F* (50 % bestandrechtliche R-Sachen) eingesetzt. Mit Beschluss des Personalsenats des Landesgerichts für Zivilrechtssachen vom 10. Juni 2020 wurde die Dienstbeschreibung von A* von zuletzt „ausgezeichnet“ auf „sehr gut“ herabgesetzt. Eine disziplinarrechtliche Verurteilung erfolgte bislang nicht. Ihr Bruttomonatsbezug betrug im Monat April 2022 (ohne anteilige Sonderzahlung und Aufwandsentschädigung) EUR 7.920,40.

Zur Sache:

Die richterliche Tätigkeit von A* ist bereits seit vielen Jahren Gegenstand einer besonderen regelmäßigen und engmaschigen Dienstaufsicht. Immer wieder traten in der Vergangenheit Ausfertigungsrückstände entweder in Cg- oder R-Sachen auf. Durch persönliche Gesprächsangebote, Berichtsaufträge, Zuteilung von Rechtspraktikanten und Richteramtsanwärtern sowie Entlastungsmaßnahmen durch den Personalsenat wurden Hilfestellungen gegeben. Ihre Cg-Abteilung war auch durch eine erhebliche Anzahl an überlangen Verfahren auffällig. Ebenso waren Verfahrensstillstände Gegenstand von Berichtsaufträgen. Eine Mehrzahl längerer Phasen von Untätigkeit im Verfahren I*, die auch das Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz im August 2019 zur Prüfung disziplinärer Konsequenzen aufzeigte, war letztlich Grund für die Stellung eines Antrags auf Neubeschreibung durch die Präsidentin des Landesgerichts B* gemäß § 51 Abs 3 RStDG und die Herabsetzung der Dienstbeurteilung durch den Personalsenat. Hinsichtlich der Qualität der Tätigkeit gab es keine Bemängelungen; diese wurde zusammenfassend als ausgezeichnet dargestellt.

Am 7. September 2020 kam es zu einem Gespräch zwischen dem Präsidenten des Oberlandesgerichts G* und der Beschuldigten aus Anlass einer Nachschau nach §§ 95 f Geo. Die Beschuldigte verwies auf ihre seit 2014 bestehenden privaten Probleme, nämlich ihre Ehescheidung, die Pflegebedürftigkeit ihres Vaters und die Erkrankung ihrer Mutter. Dies hätte sie an einer rückstandsfreien Arbeitsbewältigung gehindert. Psychotherapie oder Supervision habe sie nicht in Anspruch genommen, weil sie dies als Schwäche empfunden hätte. Seit dem Frühjahr 2020 hätten sich ihre privaten Belastungen jedoch drastisch reduziert, sodass einer verzögerungsfreien Arbeitsleistung nichts mehr im Wege stehe. Mit der Präsidentin des Landesgerichts B* sei daher vereinbart worden, dass bis jedenfalls Ende Oktober 2020 alle 6-Monats-Urteile ausgefertigt sein würden.

1. Zum Verfahren C* des Landesgerichtes B*:

Schluss der Verhandlung war am 6. Juli 2020; das Protokoll wurde am 13. Juli 2020 übertragen. Entsprechend der Zielvereinbarung fertigte A* die Urteile in den bereits vor dem 6. Juli 2020 geschlossenen Verfahren J*, sowie die älteren Entscheidungen im Senat F* R (unter anderem K*) aus. Die Ausfertigung des Urteils im Verfahren C* plante sie im Verlauf des Dezember 2020. Von 4. Dezember bis 13. Dezember 2020 konsumierte sie Urlaub (zur Verhinderung des Verfalls), ließ einen restlichen Urlaubsanspruch verfallen und erkrankte gegen Ende Dezember 2020 an einer Wundrose im Gesicht. Vom 4. Jänner bis 13. Jänner 2021 befand sie sich im Krankenstand und musste in weiterer Folge noch rund einen Monat lang medikamentös behandelt werden. Im Jänner 2021 erledigte sie zwei Rechtsmittelakten und ein Cg-Urteil, im Februar 2021 fünf Rechtsmittelakten. Von 18. Jänner bis 22. März 2021 verhandelte sie jeden Montag ganztägig. Das ca. 53 Seiten umfassende Urteil im Akt C* wurde am 11. März 2021 der Geschäftsabteilung übergeben und abgefertigt und vom Oberlandesgericht G* mit Urteil vom 27.Juli 2021, L*, bestätigt.

Die Beschuldigte, die in Kenntnis der Ausfertigungsfrist und der noch ausständigen, ursprünglich für Dezember 2020 (fünf Monate nach Schluss der Verhandlung) geplanten Ausfertigung des Urteils war, diktierte das Urteil – nach Ende des vom 4. bis 13.Jänner dauernden Krankenstandes – erst am 1. März 2021, sodass dieses erst am 11. März 2021 von der Geschäftsabteilung abgefertigt wurde, wodurch sie sich mit der - weiteren - Verzögerung abfand.

2. Zum Verfahren D* des Landesgerichtes B*:

Die zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage am 12. Juli 2013 noch minderjährige Klägerin machte gegen sechs Beklagte Schadenersatzansprüche sowie ein Begehren auf Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden aus dem Unfallereignis vom 16. Juli 2010 geltend, bei dem ihr Vater anlässlich eines Arbeitsunfalls tödlich verunglückte. Am 27. Jänner 2014 (nach Verbesserung der Klage durch den Klagsvertreter, einem Zwischenverfahren über die sachliche Zuständigkeit hinsichtlich der Erst- und Drittbeklagten und Einbringung der Klagebeantwortungen) fand eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, weitere am 27. April 2015, am 9. Juli 2015 und schließlich am 19. Oktober 2015. Das Diktat des Protokolls langte am 20. Oktober 2015 in der Schreibabteilung ein und wurde am 5. November 2015 geschrieben. Am 12. August 2016 (nächster Schritt) wurde verfügt, dass je eine Protokollabschrift an die Parteienvertreter und an die Nebenintervenientenvertreterin zugestellt wird. Der Akt wurde sodann auf 1. September wegen Urlaubs kalendiert; in Klammern wurde beigefügt: SV-Best.-Beschluss. In weiterer Folge ersuchte die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt mit Schreiben vom 24. November 2016 um Übermittlung des Aktes zur kurzfristigen Einsichtnahme, dem entsprochen wurde. Der Akt wurde sodann einlangend am 16. Dezember 2016 rückgemittelt. Ein weiteres Ersuchen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt um Aktenübersendung erging am 7. Februar 2018, welches mit Schreiben vom 27. Februar 2018, 27. März 2018, 10. April 2018 und 25. Mai 2018 urgiert wurde. Letztlich wurde der am 29. Mai 2018 sodann übermittelte Akt – einlangend am 25. Juni 2018 – rückgemittelt. Schritte, die dem Prozessfortschritt gedient hätten, wurden seit der letzten Verhandlung nicht gesetzt. Erst am 12. Februar 2019 verfügte die Beschuldigte die Übermittlung des Entwurfs des Sachverständigenbestellungsbeschlusses vom 11. Februar 2019 an die Parteien und die Nebenintervenientin und trug diesen auf bzw. stellte ihnen frei, binnen einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses allfällige ergänzende zweckdienliche Fragen, die sie an den Sachverständigen stellen möchten bzw. von diesem beantwortet haben wollen, zu formulieren und bekanntzugeben. In weiterer Folge wurde aufgrund des Verfahrensstillstands von den Beklagten und der Nebenintervenientin ein Verjährungseinwand erhoben. Eine für 2. Dezember 2019 anberaumte Tagsatzung wurde auf den 2. März 2020 verlegt, in der sodann die Verhandlung zur Entscheidung über den Einwand der nichtgehörigen Fortsetzung des Verfahrens bzw. der Verjährung geschlossen wurde. Grund für die Verlegung der Tagsatzung war, dass über den für die Klägerin bestellten Verfahrenshilfevertreter die Disziplinarstrafe der (befristeten) Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verhängt wurde und eine Umbestellung erfolgen musste. Mit Zwischenurteil vom 24. Juli 2020 stellte das Erstgericht fest, dass das Klagebegehren nicht verjährt sei. Das Urteil wurde am 31. August 2020 abgefertigt. Das Oberlandesgericht G* gab den dagegen erhobenen Berufungen mit Urteil vom 29. Jänner 2021, M*, Folge und änderte das Zwischenurteil in ein klagsabweisendes Endurteil ab, weil der Verjährungseinwand als berechtigt erachtet wurde. Ausgesprochen wurde, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 5.000 übersteigt, nicht aber EUR 30.000. Die Revision wurde zugelassen. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes langte am 1.Februar 2021 beim Landesgericht B* ein. Der Akt mit der dagegen erhobene Revision langte samt den Revisionsbeantwortungen am 1. April 2021 beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser gab der Revision mit Zwischenurteil vom 5. August 2021, N*, Folge und stellte das Zwischenurteil des Erstgerichts wieder her. Der Akt langte am 21. September 2021 beim Landesgericht B* ein. Mit Beschluss vom 23. November 2021 wurde von der Beschuldigten ein Sachverständiger bestellt, der unter einem ersucht wurde, binnen 12 Wochen ab Zustellung des Beschlusses Befund und Gutachten zu erstatten. Der Beschluss wurde noch am selben Tag an die Parteienvertreter und die Nebenintervenientenvertreterin abgefertigt. Der Sachverständige teilte mit Schreiben vom 2. Dezember 2021 die Höhe der zu erwartenden Gebühren mit, sowie weiters, dass er sich im Jänner 2022 einer Operation unterziehen müsse und mit der Fertigstellung des Gutachtens spätestens Mitte März 2022 zu rechnen sein werde. Nach Einholung von Äußerungen der Parteien erstreckte die Beschuldigte die Frist zur Erstellung des Gutachtens bis Mitte März 2022. Das Gutachten samt Gebührennote wurde dem Gericht schon am 14. Februar 2022 elektronisch übermittelt. Am 15. Februar 2022 wurde mit Beschluss die Zustellung des Gutachtens an die Parteien verfügt und eine Frist zur Äußerung zum Gebührenanspruch des Sachverständigen bestimmt. Weiters wurden die Parteien aufgefordert, binnen 14 Tagen bekanntzugeben, ob die Ladung des Sachverständigen zur nächsten Tagsatzung beantragt wird. Der Beschluss wurde am 16. Februar 2022 abgefertigt. In weiterer Folge langten sodann Äußerungen und Anträge, sowie ergänzende Kostenvorschüsse ein.

Zu den privaten Schwierigkeiten der Beschuldigten: Ab dem Jahr 2015 traten kumulativ Schwierigkeiten und erhebliche Belastungen im privaten Bereich auf. Ihr Ehemann, der sie im Jahr zuvor verlassen hatte, drängte auf eine verletzende Art und Weise auf eine Ehescheidung, zu der es im Jahr 2018 kam. Der Gesundheitszustand ihres Vaters verschlechterte sich ab dem Jahr 2015 rapide; er wurde schließlich zum Pflegefall und verstarb im Jahr 2020. Auch ihre Mutter kämpfte mit gravierenden gesundheitlichen Problemen. Die Beschuldigte hatte die Betreuungslast zu tragen und leistete ihren Eltern Hilfestellung. Zuletzt übernahm sie für ihren Vater die gesetzliche Erwachsenenvertretung.

Dass im Akt D* nichts weiterging, war für die Beschuldigte durchwegs aus der Prüfliste ersichtlich; sie hatte den Akt, der sich im Zeitraum des Stillstands nur knapp zwei Monate zur Akteneinsicht bei der AUVA befand, auch öfters in der Hand, machte aber keine das Verfahren vorantreibende Erledigung. Ihr war die – lang andauernde – Verfahrensverzögerung daher bewusst; sie fand sich mit ihr ab. Sie ergriff auch keine Maßnahmen, wie die Inanspruchnahme einer Psychotherapie, eines Coachings oder einer Supervision.

Seit 1. April 2021 weist die monatliche Prüfliste keine Urteilsrückstände der Beschuldigten von mehr als sechs Monaten auf. Auch in der Rechtsmittelabteilung blieb kein Akt über sechs Monate unerledigt, sodass die Entwicklung in beiden Abteilungen als positiv zu betrachten ist.

Die getroffenen Feststellungen, insbesondere auch zur subjektiven Tatseite, stützen sich auf die Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichts G*, die Urkunden Beilagen ./1 bis 10, die von der Beschuldigten vorgelegten Registerauswertungen, die schriftliche Stellungnahme der Beschuldigten und deren umfassend geständige Verantwortung sowohl anlässlich der Einvernahme vom 14. September 2021 als auch in der Disziplinarverhandlung am 25. April 2022, den in Kopie beigeschafften Akt D* und das Schreiben der Präsidentin des Landesgerichtes B* vom 19. April 2022.

Rechtliche Beurteilung

Rechtliche Beurteilung:

Nach den getroffenen Feststellungen hat die Beschuldigte gegen die in § 57 Abs 1 RStDG normierten Pflichten verstoßen, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft zu erfüllen und die ihr übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen. Um Verfahrensverzögerungen das Gewicht eines Dienstvergehens zu verleihen, ist Vorsatz oder auffallende Sorglosigkeit erforderlich (RIS-Justiz RS0117052 [T2]). Wer als Richter vorsätzlich Verfahren verzögert, handelt auch dann seiner aus § 57 Abs 1 2. Satz RStDG abzuleitenden Verpflichtung zu (objektiv) raschest möglicher Erledigung zuwider, wenn er in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, es aber unterlässt, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner vollen Leistungsfähigkeit (sei es organisatorischer, sei es medizinisch-therapeutischer Art) zu ergreifen oder gar bei Unfähigkeit zur Pflichterfüllung als Richter die gebotenen Schritte zu setzen (RIS-Justiz RS0117052 [T3], RS0072510 [T1], RS0122949, RG0000116, Ds 5/07, 2 Ds 2/19w).

Bei der Beschuldigten gab es auch in der Vergangenheit immer wieder Rückstände, die zu Maßnahmen der – engmaschig erforderlichen – Dienstaufsicht führten, woraus sich die Verpflichtung ergibt, den Arbeitsstil zu überdenken. Zuletzt musste ein Aufarbeitungsplan zwecks Vermeidung von Ausfertigungsrückständen von Urteilen vereinbart werden. Für die verzögerte Ausfertigung des Urteils im Verfahren C*, die ungeachtet des vereinbarten Aufarbeitungsplans mehr als 8 Monate nach Schluss der Verhandlung entgegen der Bestimmung des § 415 ZPO erfolgte, findet sich keine sachliche Rechtfertigung, auch wenn sich die Beschuldigte vom 4. Jänner bis 13. Jänner 2021 im Krankenstand befand. Der Verstoß stellt daher jedenfalls einen disziplinarrechtlich relevanten Tatbestand her.

Als weitaus gravierender erweist sich der Verfahrensstillstand im Verfahren D*, in dem zwischen 19. Oktober 2015 und 12. Februar 2019 kein Schritt gesetzt wurde, der dem Prozessfortgang gedient hätte. Dieser führte zum Nachteil der Parteien dazu, dass die Beklagten und die Nebenintervenientin einen Verjährungseinwand erhoben, der in drei Instanzen – verbunden mit einer weiteren Verfahrensverzögerung und mit entsprechenden Verfahrenskosten für die Parteien – entschieden wurde. Dieser Stillstand kann auch nicht durch die schwierige private Situation gerechtfertigt werden, zumal, wie bereits dargestellt wurde, zu verlangen ist, dass geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der vollen Leistungsfähigkeit ergriffen werden. Dahingehend hat die Beschuldigte jedoch keine Überlegungen angestellt.

Zusammenfassend ist der Beschuldigten daher ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG vorzuwerfen.

Bei der Bestimmung der Disziplinarstrafe ist nach § 101 Abs 2 RStDG im einzelnen Fall auf die Schwere des Dienstvergehens und die daraus entstehenden Nachteile sowie auf den Grad des Verschuldens und das gesamte bisherige Verhalten des Richters Bedacht zu nehmen. Dabei sind unter Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung gemäß §§ 32ff StGB auch Erwägungen der General- und Spezialprävention anzustellen (Ds 9/09, Ds 27/13, 2 Ds 6/17f, 2 Ds 2/19w, 2 Ds 2/21y). Bei der Beurteilung von disziplinären Erledigungsverzögerungen als Dienstvergehen ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (Ds 10/09, 2 Ds 3/19t).

Bei der Strafzumessung sind erschwerend das Zusammentreffen zweier Pflichtwidrigkeiten und der lange mit erheblichen Konsequenzen für die Parteien verbundene Tatzeitraum im Verfahren D*, mildernd hingegen das reumütige und umfassende Geständnis, die disziplinäre Unbescholtenheit sowie der Umstand, dass die Entwicklung sowohl in der Cg-Abteilung als auch in Bezug auf die Referententätigkeit im R-Senat positiv ist.

Diesen Strafzumessungsgründen sowie den Erfordernissen der General- und Spezialprävention Rechnung tragend kann mit einem Verweis gemäß § 104 Abs 1 lit a RStDG nicht mehr das Auslangen gefunden werden, sondern bedarf es der Verhängung einer Geldstrafe in der Höhe eines Monatsbezugs gemäß § 104 Abs 1 lit b RStDG.

Die Entscheidung über die Kosten des Disziplinarverfahrens ist in § 137 Abs 2 RStDG begründet. Dabei wurde auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie auf den Verfahrensumfang Bedacht genommen.

Oberlandesgericht Graz als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte

Graz, 25.April 2022

Mag a .Karin Kohlroser, Senatspräsidentin

Elektronische Ausfertigung

gemäß § 79 GOG

Rechtssätze
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