JudikaturJustiz10ObS247/02z

10ObS247/02z – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Dezember 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johannes Denk (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Aloisia F*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Ernst Hagen, Dr. Günther Hagen, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei Vorarlberger Gebietskrankenkasse, Jahngasse 4, 6850 Dornbirn, vertreten durch Dr. Paul Sutterlüty und andere, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Ersatz von Transportkosten (EUR 283,42), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Mai 2002, GZ 25 Rs 37/02f-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. Oktober 2001, GZ 35 Cgs 345/01y-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Maximilian F*****, der am 20. 2. 1988 geborene Sohn der Klägerin, verunglückte am 16. 1. 2001 anlässlich einer Schulveranstaltung beim Schifahren in Lech am Arlberg. Er wurde von der dortigen Pistenrettung versorgt und mittels Akja ins Tal abtransportiert. Maximilian F***** war als Angehöriger der bei der beklagten Partei pflichtversicherten Klägerin gemäß § 123 ASVG anspruchsberechtigt. Die Kostenträgerin der eingeschrittenen Pistenrettung, die Gemeinde L*****, verlangte daraufhin von Maximilian F***** mit Rechnung vom 9. 3. 2001 für die „Erstversorgung an der Unfallstelle und Vorbereitung zum Abtransport in die Praxis Dr. B*****" den Betrag von S 3.900,-- (inkl. 20 % Umsatzsteuer). Darunter sind ausschließlich die Bergungskosten von der Schipiste (Unfallstelle) in das Tal zu verstehen. Der Rechnungsbetrag wurde von Maximilian F***** oder der Klägerin am 27. 4. 2001 bezahlt.

Mit Bescheid vom 12. 7. 2001 hat die beklagte Vorarlberger Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin auf Erstattung der Kosten für die Bergung von Maximilian F***** im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass dem Grunde nach keine Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers bestehe, weil Transportkosten nach der Satzung der beklagten Partei nur in bestimmten Fällen (Rettungswagen, Flugtransporte, privates Kraftfahrzeug) ersetzt würden. Überdies seien Bergungskosten und die Kosten der Beförderung bis ins Tal bei Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik nicht zu ersetzen. Dies gelte auch für Arbeitsunfälle (Schülerunfälle).

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren zum Teil zurück und in dem im Revisionsverfahren allein noch relevanten Umfang von EUR 283,42 ab. Im Hinblick auf die Ausschlussbestimmung des § 131 Abs 4 ASVG, wonach die Bergungskosten und die Kosten der Beförderung bis ins Tal bei Unfällen in Ausübung von Sport nicht zu ersetzen seien, bestehe keine Kostenerstattungsverpflichtung der beklagten Partei. Vielmehr bestehe eine Kostentragungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass sich die bei Vorliegen eines Arbeitsunfalles bestehende Vorleistungspflicht des Krankenversicherungsträgers (§ 191 Abs 1 ASVG) auf jene Leistungen beschränke, die nach dem Leistungsrecht der Krankenversicherung vorgesehen und daher ersatzfähig seien. Aus dem Umstand, dass der Leistungskatalog der Unfallversicherung partiell anders strukturiert und umfangreicher sei als jener der Krankenversicherung, könne also nicht gefolgert werden, dass auch Leistungen, die im Leistungsrecht der Krankenversicherung nicht vorgesehen seien, Gegenstand der Vorleistungspflicht des Krankenversicherungsträgers nach Arbeitsunfällen oder bei Berufskrankheiten seien. Der gegenständliche Unfall habe sich unbeschadet seiner Qualifikation als Arbeitsunfall im Rahmen der Sportausübung ereignet und falle daher unter die Ausschlussbestimmung des § 131 Abs 4 ASVG, sodass die Bergungskosten und die Kosten der Beförderung bis ins Tal nicht ersatzfähig seien. Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Frage, ob auch Arbeitsunfälle unter den Ausschlusstatbestand des § 131 Abs 4 ASVG (Unfälle „in Ausübung von Sport und Touristik") fallen können, bisher nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Judikatur war.

Die Revision ist auch im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Unstrittig ist, dass der Sohn der Klägerin einen Arbeitsunfall (Schülerunfall) nach § 175 Abs 5 Z 1 ASVG erlitten hat. Nach § 191 Abs 1 ASVG besteht Anspruch auf Unfallheilbehandlung, wenn und soweit der Versehrte nicht auf die entsprechenden Leistungen aus einer gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch hat bzw für ihn kein solcher Anspruch besteht. Der Versehrte hat daher grundsätzlich keinen Anspruch auf Unfallheilbehandlung, soweit er die in Betracht kommenden Leistungen aus der Krankenversicherung beanspruchen kann. Zweck dieser Vorleistungspflicht des Krankenversicherungsträgers ist es, Doppelleistungen von Krankenversicherung und Unfallversicherung sowie Kostenabwälzungen zu vermeiden. Aus diesem Grund darf es keine Rolle spielen, auf welcher Grundlage Ansprüche aus der Krankenversicherung bestehen. Die weit gefasste Bestimmung des § 191 Abs 1 ASVG stellt auf das Bestehen des Anspruches aus "einer gesetzlichen Unfallversicherung" ab. Es ist daher im konkreten Fall ohne Belang, dass der Sohn der Klägerin in der Unfallversicherung selbst versichert und anspruchsberechtigt war, während er in der Krankenversicherung als Angehöriger mit der Klägerin mitversichert war, woraus sich auch die Aktivlegitimation der Klägerin ergibt (§ 123 Abs 1 ASVG).

Die Leistungspflicht der Krankenversicherung ergibt sich (ausschließlich) aus dem Zweiten Teil des ASVG (§§ 116 - 171 ASVG). Nur in Bezug auf die im Zweiten Teil des ASVG vorgesehenen Leistungen kann daher eine Vorleistungspflicht des Krankenversicherungsträgers bestehen.

Im Zweiten Teil des ASVG ist auch die Bestimmung des § 131 Abs 4 ASVG enthalten, wonach bei „Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik" Bergungskosten und die Kosten der Beförderung bis ins Tal nicht ersetzt werden. Diese Bestimmung wurde bereits in die Stammfassung des ASVG, BGBl 1955/189 aufgenommen. Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (RV 599 BlgNR VII. GP 53) und der Bericht des Ausschusses für Soziales (613 BlgNR VII. GP 16) begründen die Regelung nicht.

Aufgrund dieser Bestimmung haben die Krankenversicherungsträger vor der 32. ASVG-Novelle die Übernahme solcher Kosten nach Unfällen, die sich bei Skikursen, Schullandwochen und dergleichen ereignen, stets abgelehnt (vgl den Inhalt der Empfehlung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 7. 7. 1977, Zl 32-54.2/77 U/Rm, betreffend Übernahme von Kosten der Beförderung bis ins Tal bei Unfällen im Rahmen von Schulveranstaltungen [Skikursen und dgl]). Zu beachten ist jedoch, dass seit der 32. ASVG-Novelle in der Schülerunfallversicherung ua auch solche Unfälle als Arbeitsunfälle gelten, die sich bei der Teilnahme an Schulveranstaltungen wie Schulskikursen und Schullandwochen ereignen, und zwar unabhängig von der Verpflichtung zur Teilnahme (§ 175 Abs 5 Z 1 ASVG).

Das Ziel der Regelung des § 131 Abs 4 ASVG liegt darin, die doch höheren Kosten eines Krankentransports im unwegsamen Gebirge demjenigen anzulasten, der sich freiwillig und zu Erholungszwecken der allgemein bekannten Gefahr der Berge ausgesetzt hat (Pfeffer, ZAS 1997, 118 [120] in der Anmerkung zu ZAS 1997/14 = SSV-NF 10/125). Der allgemein gefasste Begriff "Unfälle" ist daher teleologisch auf Freizeitunfälle zu reduzieren, wie auch die Formulierung "in Ausübung von Sport und Touristik" nahelegt. Arbeitsunfälle wie "Schülerunfälle" oder Unfälle im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit eines Skilehrers oder eines Bergführers sind dagegen nicht vom Ausschluss erfasst (ebenso die Empfehlung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 7. 7. 1977, Zl 32-54.2/77).

Der Ausschluss des § 131 Abs 4 ASVG gilt daher nicht für Arbeitsunfälle, weshalb eine Vorleistungspflicht des Krankenversicherungsträgers anzunehmen ist (§ 191 Abs 1 ASVG).

§ 131 Abs 3 Satz 3 ASVG ermächtigt die Satzung zur Regelung, ob und inwieweit im Fall erster Hilfeleistung auch die notwendigen Reise(Fahrt)kosten übernommen werden. In vergleichbarer Weise hat die Satzung gemäß § 135 Abs 5 iVm Abs 4 zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Transport eines gehunfähig erkrankten Versicherten zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe gewährt werden kann. § 144 Abs 5 ASVG sieht Entsprechendes für die Kostenübernahme im Zusammenhang mit der Beförderung in eine Krankenanstalt vor. Nach der auf § 131 Abs 3 ASVG Bezug nehmenden Bestimmung des § 27 Abs 2 der Satzung der Vorarlberger Gebietskrankenkasse werden im Fall erster Hilfeleistung die notwendigen Transportkosten nach den entsprechenden vertraglich festgelegten Tarifsätzen erstattet. Besteht keine vertragliche Regelung, erfolgt die Erstattung in der Höhe der zuletzt in Geltung gestandenen Tarife.

Ausgehend von der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass eine Vorleistungspflicht der beklagten Partei nicht bestehe, blieb im Verfahren bisher ungeprüft, ob solche vertraglich festgelegte Tarifsätze bestehen oder bestanden. Ist das Bestehen solcher Tarifsätze (allenfalls das frühere Bestehen) feststellbar, sind diese für die Höhe des der Klägerin zustehenden Kostenersatzes maßgeblich. Fehlt es an derartigen Tarifsätzen, hat sich die Höhe des Kostenersatzes an den für vergleichbare Leistungen festgelegten Tarifen zu orientieren (VfGH 17. 10. 1998, V 81/97, SozSi 1998, 961, Kletter; SSV-NF 14/45, 14/89; 10 ObS 125/01g). Welche tariflich erfasste Leistung nun mit der im konkreten Fall angefallenen (Transport)Leistung vergleichbar ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und stellt in erster Linie eine Tatfrage dar.

Das Verfahren erweist sich daher in diesem Punkt als ergänzungsbedürftig. Wegen der dargelegten Feststellungsmängel sind die Urteile beider Vorinstanzen aufzuheben. Die Rechtssache ist zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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