JudikaturJustiz10ObS195/93

10ObS195/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Oktober 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Hübner und Friederike Grasmuk in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach M***** B*****, ***** vertreten durch Dr.Walter Strigl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen 133.288,50 S (Aufrechnung), aus Anlaß der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. April 1993, GZ 8 Rs 120/92-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 31. Juli 1992, GZ 31 Cgs 10/92-10, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Entscheidungen der Vorinstanzen sowie das von diesen geführte Verfahren werden als nichtig aufgehoben.

Die Klage wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des nichtigen Verfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 26. Jänner 1987 wurde M***** B***** eine Witwenpension nach ihrem verstorbenen Ehegatten A***** B***** in der Höhe von 817,80 S zuerkannt. Sie hatte überdies Anspruch auf eine Witwenpension aus der italienischen Sozialversicherung, deren Höhe im Bescheidzeitpunkt nicht feststand. Mit Bescheid vom 1.April 1987 wurde M***** B***** ab 1.Jänner 1987 eine Ausgleichszulage zur Pension gewährt. Dieser Bescheid hatte im übrigen (auszugsweise) folgenden Inhalt: "Sie werden verpflichtet, die Zahlungsaufnahme des italienischen Versicherungsträgers binnen 14 Tagen zu melden sowie die italienische Nachzahlung zur Verrechnung mit dem entstehenden Überbezug an Ausgleichszulage zur Verfügung zu halten." Mit Bescheid des italienischen Versicherungsträgers (Nationalinstitut für soziale Fürsorge) vom 25.September 1989 wurde die italienische Witwenpension festgestellt. Mit Bescheid vom 23. April 1990 stellte die beklagte Partei fest, daß M***** B***** ab 1. Jänner 1987 zur Pension keine Ausgleichszulage gebühre, weshalb eine Überzahlung von 196.343,20 S entstanden sei. Die beklagte Partei forderte die Überzahlung zurück. Gegen diesen Bescheid erhob M***** B***** Klage. Das darin erhobene Begehren, auf Weitergewährung der Ausgleichszulage ließ sie im Lauf des Verfahrens fallen. Ihrem aufrecht erhaltenen Begehren auf Feststellung, daß sie nicht verpflichtet sei, den Betrag von 196.343,20 S zurückzuzahlen, wurde rechtskräftig stattgegeben. Im Jahr 1990 überwies der italienische Versicherungsträger an die beklagte Partei (als österreichischen Versicherungsträger) im Sinne des Art 38 AbkSozSi-Italien eine Rentennachzahlung in der Höhe von 133.288,50 S.

Die beklagte Partei erließ am 18.Oktober 1991 und am 9.Dezember 1991 gleichlautende Bescheide, womit die Aufrechnung des Überweisungsbetrages zur teilweisen Abdeckung der mit Bescheid vom 23. April 1990 festgestellten Überzahlung an Ausgleichszulage ausgesprochen wurde.

Der Bescheid vom 18.Oktober 1991 konnte am M***** B***** an ihrer früheren Anschrift in V*****, ***** nicht zugestellt werden; die eingeschriebene Postsendung wurde von der Empfängerin nicht behoben. Am 29.Oktober 1991 teilten die Klagevertreter mit, daß sich die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen bei ihrer Schwester in L***** befinde. Gleichzeitig ersuchten sie um die Übersendung einer Kopie des Bescheides vom 18.Oktober 1991. Die beklagte Partei übermittelte am 8.November 1991 eine Bescheidkopie an die Vertreter der Klägerin. Die Zustellung des Bescheides vom 9.Dezember 1991 wurde an die von den Klagevertretern bekanntgegebene Adresse in L***** verfügt. Am 26. November 1991 war die neuerliche Zustellung des Bescheides vom 18. Oktober 1991 an M***** B***** per Anschrift in L***** angeordnet worden.

Am 16.Dezember 1991 gaben die Klagevertreter bekannt, daß M***** B***** am 23.November 1991 in Villach verstorben sei; mit Schreiben vom 17.Dezember 1991 wiesen sie darauf hin, daß im Hinblick auf das Ableben M***** B*****'s eine wirksame Zustellung des Bescheides vom 9. Dezember 1991 an diese ausgeschlossen sei.

Mit der beim Erstgericht am 18.Jänner 1992 eingelangten Klage begehrt die Verlassenschaft nach M***** B*****, vertreten durch den erbl. Sohn, der sich als Alleinerbe bezeichnet, festzustellen, daß die mit den Bescheiden vom 18.Oktober 1991 und 9.Dezember 1991 ausgesprochene Heranziehung der italienischen Rentennachzahlung von 133.288,50 S zur teilweisen Abdeckung der mit Bescheid vom 23.April 1990 festgestellten Überzahlung an Ausgleichszulage unzulässig sei. M***** B***** sei keine Verletzung der Meldepflicht vorzuwerfen, sie habe den Betrag gutgläubig verbraucht. Die Aufrechnung finde auch in den Bestimmungen des AbkSozSi-Italien keine Deckung. Als Vorschuß im Sinne des Art 38 des Abkommens könne nur eine Leistung angesehen werden, die nach Art 5 gebühre, dies treffe aber für die Ausgleichszulage nicht zu.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Einbehaltung der Nachzahlung finde ihre Grundlage in Art 38 des Abkommens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Ausgleichszulage, die M***** B***** bis zum Zeitpunkt der Gewährung der Leistung aus der italienischen Sozialversicherung gewährt worden sei, sei als Vorschuß im Sinne Art 38 AbkSozSi-Italien zu qualifizieren. Die beklagte Partei sei daher berechtigt, die Nachzahlung einzubehalten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge, wobei es im wesentlichen der rechtlichen Begründung des Erstgerichtes beitrat.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß ihrem Begehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Aus Anlaß des Revisionsverfahrens war zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erhebung der Klage durch die einschreitende Verlassenschaft gegeben sind.

Gemäß § 67 Abs 1 ASGG kann, abgesehen von dem hier nicht in Frage kommenden Fall der Säumnisklage, in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 - 8 ASGG eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. Voraussetzung für die Einbringung der Klage ist sohin die Erlassung eines Bescheides über den den Gegenstand der Klage bildenden Anspruch. Gemäß § 357 Abs 1 ASVG sind im Verfahren vor dem Versicherungsträger u.a. die Bestimmungen der §§ 58, 59 bis 61 und 62 Abs 4 AVG über Inhalt und Form der Bescheide anzuwenden. Bescheide im Verwaltungsverfahren müssen allerdings, um als erlassen zu gelten, in der vorgeschriebenen Weise nach außen mitgeteilt werden (VfSlg 2117/51). Diese Entscheidung nimmt zwar auf die Bestimmungen des § 62 Abs 1 bis 3 AVG Bezug, in dem die Form der Mitteilung des Ergebnisses des Verwaltungsverfahrens geregelt ist. Die Möglichkeit, Bescheide auch mündlich mitzuteilen, besteht im Verwaltungsverfahren nicht. Die Unanwendbarkeit der Abs 1 bis 3 des § 62 AVG begründet im Verein mit den auch im Verfahren vor den Versicherungsträgern anwendbaren § 58 Abs 3 und § 18 Abs 4 AVG die Verpflichtung, stets schriftliche Bescheide zu erlassen (Oberndorfer Tomandl SV-System 6. ErgLfg 667). Dies ändert aber nichst an dem Grundsatz, daß die Erlassung eines Bescheides dessen Mitteilung an die Partei zur Voraussetzung hat; ein Bescheid ist daher im Verfahren vor den Versicherungsträgern nur dann erlassen im Sinne des Gesetzes, wenn die schriftliche Ausfertigung der Partei zugestellt wurde.

Gemäß dem, zufolge der Verweisungsnorm des § 357 Abs 1 ASVG im Verfahren vor den Versicherungsträgern anzuwendenden § 10 AVG können sich die Parteien im Verfahren durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Amtsvermerk. Schreitet ein Rechtsanwalt oder Notar ein, so ersetzt die Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis. Im Verfahren vor der beklagten Partei sind die Klagevertreter für die M***** B***** eingeschritten. Sie haben für sie Ersuchen um Aufklärung und Auszahlung an die beklagte Partei gerichtet und der beklagten Partei Mitteilungen zum Sachverhalt erstattet. Eine Vollmacht wurde nach dem Inhalt der Akten nicht vorgelegt. Auch dafür, daß vor der beklagten Partei mündlich Vollmacht erteilt worden wäre, ergibt sich aus den Akten kein Anhaltspunkt. Die Klagevertreter haben sich in ihren Eingaben auch nicht auf eine ihnen erteilte Vollmacht berufen. Ob der Umstand, daß die Klagevertreter in ihren Eingaben M***** B***** als ihre "Mandantin" bezeichneten, die ausdrückliche Berufung auf eine Vollmachtserteilung zu ersetzen vermag, kann unerörtert bleiben. In ihrem Schreiben vom 29.Oktober 1991 gaben sie nämlich eine neue Anschrift der Pensionsberechtigten bekannt, ersuchten bei Zustellungen hierauf Bedacht zu nehmen und unabhängig von der Zustellung an M***** B***** eine Kopie des Bescheides formlos an sie zu übermitteln. Damit brachten die Klagevertreter klar zum Ausdruck, daß sie nicht zur Empfangnahme von Zustellungen von Bescheiden bevollmächtigt seien. Da sohin von einer wirksamen Bevollmächtigung der Klagevertreter nicht ausgegangen werden kann, konnte der Übersendung einer Ausfertigung des Bescheides vom 18.Oktober 1991 an sie, die noch vor dem Tod der Klägerin erfolgte, nicht die Wirkung der Zustellung an M***** B***** zukommen. An diese selbst wurde dieser Bescheid jedoch nicht zugestellt; eine im Pensionsakt getroffene Verfügung zur neuerlichen Zustellung nach dem Fehlbericht ist mit 26.November 1991 datiert, sohin mit einem Zeitpunkt, zu dem M***** B***** schon verstorben war. Im Sinne der obigen Ausführungen wurde der Bescheid vom 18.Oktober 1991 daher noch nicht wirksam erlassen. Eine Zustellung des Bescheides vom 9.Dezember 1991 konnte an M***** B***** naturgemäß überhaupt nicht erfolgen, da sie bereits vor Bescheiderlassung verstorben ist.

Die Rechtsnachfolge bzw. die Berechtigung zur Fortführung des Verfahrens ist im Sozialversicherungsrecht abweichend vom bürgerlichen Recht geregelt. Gemäß § 408 ASVG, der sich auf das Verfahren vor dem Versicherungsträger bezieht, sind dann, wenn das Verfahren zur Feststellung eines Leistungsanspruches vor dem Versicherungsträger beim Tode des Anspruchsberechtigten oder Anspruchswerbers noch nicht abgeschlossen ist, zur Fortsetzung des Verfahrens nacheinander der Ehegatte, die leiblichen Kinder, die Wahlkinder, die Stiefkinder, der Vater, die Mutter, die Geschwister berechtigt, alle diese Personen jedoch nur, wenn sie mit dem Anspruchsberechtigten zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Durch diese Bestimmung wird allerdings die subsidiäre Anwendung der Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes nicht ausgeschlossen (SSV-NF 2/100). Aus dem Begriff "zur Fortsetzung des Verfahrens .... berechtigt", ergibt sich, daß die betreffende Person eine Erklärung dahin abzugeben hat, daß sie das Verfahren fortsetze. Bei Vorliegen der aufgrund des § 408 ASVG zu beurteilenden Berechtigung des Erklärenden hiezu hat der Versicherungsträger das Verfahren mit diesem fortzusetzen. Dieser ist sodann Partei des Verfahrens; der Bescheid ist an ihn zu erlassen. Aufgrund dieses Bescheides steht ihm sodann die Klage an das Arbeits- und Sozialgericht offen.

Für eine Erklärung der Verlassenschaft, das Verfahren fortzusetzen, fehlt jeder Anhaltspunkt; es wurde lediglich mitgeteilt, daß M***** B***** verstorben ist. Es bestand daher vorerst auch kein Anlaß zur Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Verfahrens durch die Verlassenschaft gegeben sind (SSV-NF 2/100) oder ob primär Fortsetzungsberechtigte im Sinne des § 408 ASVG vorhanden sind, die die Verlassenschaft von der Fortsetzungsberechtigung ausschließen würden. Es liegt auch lediglich ein auf die verstorbene M***** B***** lautender Bescheid vor; bei Fortsetzung des Verfahrens vor der beklagten Partei durch eine hiezu befugte Person wäre diese Bescheidadressat. Auch eine Zustellung an die Verlassenschaft ist nicht aktenkundig.

Da keiner der als Grundlage für die Klage in Frage kommenden Bescheide wirksam zugestellt wurde - worauf im übrigen die Klagevertreter in ihrem Schreiben vom 17.Dezember 1991 zutreffend verwiesen haben -, wurde ein Bescheid bisher nicht erlassen. Es fehlt daher an einer wesentlichen Voraussetzung für die Erhebung der Klage. Gemäß § 73 ASGG ist die Klage in diesem Fall in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen. Es war daher das von den Vorinstanzen über die Klage geführte Verfahren für nichtig zu erklären und mit der Zurückweisung der Klage vorzugehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.