JudikaturJustiz10Bs75/14a

10Bs75/14a – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
06. Mai 2014

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr.Sutter (Vorsitz), Mag a .List und Mag a .Roßmann in der Strafsache gegen Ing.C***** H***** wegen des Verdachts des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Graz gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 21.Februar 2014, 5 HR 6/14z-8, in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

BEGRÜNDUNG:

Gegen Ing.C***** H***** war beim Landesgericht für Strafsachen Graz zum AZ: 12 Hv 59/12p ein Verfahren wegen §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weitere strafbare Handlungen anhängig. In der Haupt verhandlung am 11.Oktober 2012 dehnte die Staats anwaltschaft Graz ihre Anklage auf ein im Rahmen der Gutachtens erörterung, von der Anklageschrift nicht umfasstes, neu hervor gekommenes Betrugsfaktum aus (PS 34 der ON 139). Mit Urteil vom 11.Oktober 2012, 12 Hv 59/12p-140, behielt das Landesgericht für Strafsachen Graz der öffentlichen Anklägerin über deren Antrag die selbstständige Verfolgung des ausgedehnten Faktums, dessen Verhandlung eine sorgfältigere Vorbereitung erfordere, gemäß § 263 Abs (richtig:) 2 StPO vor (PS 45 ff der ON 139, ON 140) .

In der Folge veranlasste die Staatsanwaltschaft Graz am 19.November 2012 lediglich die Abbrechung des (in Bezug auf den ihr eingeräumten Verfolgungs vorbehalt) gegen Ing.C***** H***** zum AZ: 3 St 177/12v erfassten Verfahrens und verfügte die aktenmäßige Überwachung der Rechts kraft des erstinstanzlichen Urteils im Stammverfahren mittels Kalender.

Nachdem – infolge Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 19.März 2013, 11 Os 13/13s-4, – der Schuld spruch des erstinstanzlichen Urteils in Rechtskraft erwuchs, verfügte die Staats anwaltschaft Graz am 16.April 2013 die „Fortsetzung“ des Verfahrens und beauftragte das Landes kriminalamt Steiermark mit der Durchführung von Ermittlungen (ON 3). Mit Urteil des Ober landes gerichts Graz vom 22.Mai 2013, 9 Bs 152/13s, erwuchs das Urteil im Stammverfahren in Rechtskraft.

Mit dem hier angefochtenen Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 21.Februar 2014, 5 HR 6/14z-8, wurde über Antrag des Beschuldigten vom 19.Dezember 2013 (ON 6) das (mittlerweile) bei der Staatsanwaltschaft Graz zu 3 St 177/12v gegen Ing. C***** H***** geführte Ermittlungsverfahren gemäß § 108 Abs 1 Z 1 zweite Variante StPO aus dem Grunde des § 263 Abs 4 StPO eingestellt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Graz, in der sie – auf das Wesentliche reduziert – moniert, die in § 263 Abs 4 StPO normierte dreimonatige Frist beginne (entgegen der Ansicht des Erstgerichts) in Analogie zu den Bestimmungen §§ 261 und 485 StPO erst mit Rechtskraft des „ursprünglichen“ Urteils zu laufen (ON 9).

Der Beschwerde bleibt ein Erfolg versagt.

Rechtliche Beurteilung

Maßgeblich ist die Bestimmung des § 263 Abs 4 StPO: „In beiden Fällen muss der Ankläger binnen dreier Monate bei sonstigem Verlust des Verfolgungsrechts von der Verfolgung zurücktreten (§ 209 Abs 1), die Anklage einbringen oder das Ermittlungsverfahren fortführen“ .

Nach deren Wortlaut beginnt die Dreimonatsfrist sofort und nicht erst nach Eintritt der Rechtskraft. Würde man eine solche voraussetzen, bedürfte es eines Analogieschlusses. Unabdingbare Voraussetzung einer – wie von der Beschwerdeführerin angestrebten – Analogie ist (aber) das Vorliegen einer planwidrigen Unvoll ständigkeit, also einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Regelungslücke (RIS-Justiz RS0008866, RS0098756 ua). An einer solchen fehlt es vorliegend.

Dies zeigt bereits die Entstehungsgeschichte der Norm: § 263 StPO wurde erstmals mit der Strafprozess ordnung 1873, RGBl. Nr. 119, eingeführt und sah in seiner Stammfassung ursprünglich eine dreitägige Frist für das Ver folgungs recht des Anklägers vor. Mit Inkrafttreten des BGBl 1957/31 hob der Gesetzgeber diese auf vierzehn Tage an. Unabhängig davon, dass die Frist nach alter Rechtslage nur für den Privat ankläger, nicht aber für den öffentlichen Ankläger als Fallfrist anzusehen war ( Lewisch , WK-StPO § 263 Rz 116), begann diese stets mit Urteilsfällung und des damit einher gehenden Ausspruchs des Verfolgungs vorbehalts in der Haupt verhandlung zu laufen (vgl. KH 3112, KH 2699, KH 583, KH 3126). Daran änderte auch die StPO-Novelle BGBl I Nr 93/2007 (seit 1.1.2008 aktuell in Geltung) nichts. Vielmehr bezweckte der Gesetzgeber damit die Gleich behandlung des Privat- und des öffentlichen Anklägers und normierte in diesem Sinne die Frist des § 263 Abs 4 StPO fortan auch für den öffentlichen Ankläger als Fallfrist, wobei er als Ausgleich dazu die Frist auf drei Monate anhob. Anhalts punkte für eine vorgesehene, letztlich jedoch irrtümlich nicht vorgenommene Änderung des Beginns des Fristenlaufs (wie er sich in seiner praktischen Anwendung seit 1873 bewährt hat) liegen nicht vor.

Dass es sich bei der aktuellen Gesetzesfassung – entgegen der Ansicht der Beschwerde führerin – um kein „Redaktions versehen“ des Gesetzgebers handelt, ergibt sich zunächst schon aus der grammatikalischen Interpretation der Bestimmung: Durch die Wortfolge „in beiden Fällen“ bestimmt der Gesetz geber explizit, dass § 263 Abs 4 StPO für beide Fälle der Nichterledigung durch das Gericht gleichermaßen gilt ( Lewisch , WK-StPO § 263 Rz 112), also sowohl für den Fall, dass das Gericht (wie hier) über die ursprüngliche Anklage entscheidet und dem Ankläger die selbstständige Verfolgung der aufgekommenen Tat vorbehält (Abs 2 des § 263 StPO), als auch für jenen, in dem das Gericht die Verhandlung überhaupt abbricht und die Entscheidung über die gesamte Anklage einer neuen Haupt verhandlung vorbehält (Abs 3 des § 263 StPO). Bei letzterem Vorgehen wäre ein Abstellen auf eine „rechtskräftige Entscheidung“ in Ermangelung einer solchen geradezu sinnwidrig. Weiters wäre diesfalls (entgegen dem Bestreben des Gesetzgebers) das Ver folgungs recht des Anklägers (wiederum) keinen zeitlichen Beschränkungen unterworfen.

Auch der Schutzzweck der Norm steht der Annahme einer planwidrigen Lücke entgegen. § 263 StPO dient – neben der Verfahrens beschleunigung (§ 9 StPO) – primär dem Schutz des Angeklagten. Die Norm zielt darauf ab, in Fällen, in denen von dem in § 37 StPO aus gesprochenen Grundsatz der gleichzeitigen Aburteilung aller von dem selben Täter begangenen strafbaren Handlungen abgegangen wird, zur Vermeidung einer unnötigen Behelligung zu prüfen, ob zu einer abgesonderten Verfolgung Grund besteht (OGH vom 19.2.2008, 14 Os 146/07p). Der Angeklagte soll ehestens erfahren, ob und wegen welcher Taten er noch verfolgt werden wird (RIS-Justiz RS0119381). Aufgrund der engen Konnexität zu § 37 StPO ist es nur konsequent, gleichermaßen auch bei § 263 StPO auf den Zeitpunkt der Urteilsfällung abzustellen. Dies gilt umso mehr, als die Judikatur einer Auslegung des § 263 StPO zum Nachteil des Angeklagten bislang ablehnend gegenüber steht (14 Os 146/07p).

Die Ansicht der Beschwerdeführerin, der Verfolgungsvorbehalt könne als integrierender Bestand teil des Urteils nicht losgelöst von dessen Rechtskraft betrachtet werden, überzeugt schon deshalb nicht, weil auch für den Fall, dass der begehrte Verfolgungsvorbehalt nicht in der vorgeschriebenen Form ausgesprochen wird (rechtlich verfehlter Ausspruch in Form eines separaten Beschlusses oder in Form eines Ausscheidungs beschlusses mitsamt Verfolgungs vorbehalt), dies nach der Rechtsprechung nicht zum Verlust des Anklagerechts führt, wenn dadurch klar zum Ausdruck gebracht wird, dass dem Ankläger das Recht zur Verfolgung der neu hinzugekommenen Straftat gesichert werden sollte (13 Os 133/03, SSt 2003, 82; 13 Os 68/07k, 13 Os 69/07g, Lewisch, WK-StPO § 263 Rz 102 und 106).

Soweit die Beschwerdeführerin auf eine Parallelität zu § 261 StPO verweist, ist ihr entgegen zu halten, dass, wie bereits das Erstgericht zu treffend erkannt hat, das in § 261 StPO normierte Unzuständig keitsurteil – im Gegensatz zum Vorbehalt iSd § 263 StPO (RIS-Justiz RS0098889) – eine der Rechtskraft fähige Entscheidung ist. Infolgedessen muss § 261 Abs 2 StPO zwingendermaßen auf das Vorliegen einer rechts kräftigen Entscheidung abstellen. Diese zwingende Notwendigkeit liegt bei § 263 StPO nicht vor (RIS-Justiz RS0098889). Im Übrigen waren die beiden Bestimmungen schon vor Inkrafttreten der StPO-Novelle BGBl I 93/2007 im Bezug auf den Fristen beginn unter schiedlich ausgestaltet. Diese „Ungleich behandlung“ ist auch sachgemäß. Während nämlich dem Angeklagten nach § 263 Abs 2 bzw. 3 StPO ein zusätzliches Strafverfahren droht, stellt § 261 StPO auf Zuständigkeits fragen im Hinblick auf das eine Strafverfahren ab. Aus denselben Gründen ist auch ein Verweis auf § 485 Abs 2 StPO verfehlt. Die gegenteilige Rechtsansicht von Danek (ÖJZ 2008/86) ist argumentativ nicht untermauert.

Auch den von der Beschwerdeführerin eingewandten prozessökonomischen Erwägungen kann nichts abgewonnen werden. Es war der Beschwerdeführerin zur Wahrung ihrer Aufgaben (§ 263 Abs 4 StPO) unbenommen, einen Antrag auf Zuleitung des originären Straf aktes zum Zwecke der Herstellung einer Aktenkopie – zur Weiterverfolgung des Angeklagten – zu stellen (§ 79 StPO, § 170 Abs 3 Geo iVm § 33 StAG). Die Argumentation der Beschwerdeführerin, sie habe auf den Akt während eines anhängigen Rechtsmittel verfahrens keinen Zugriff, überzeugt allein schon deshalb nicht, weil im hier vorliegenden Fall das Erstgericht am 16.Jänner 2013 die Vorlage des Aktes zur Entscheidung (auch) über die von der Staatsanwaltschaft erhobene und ausgeführte Berufung an den OGH verfügte, womit der Beschwerdeführerin die Akten ohnedies rechtzeitig zur Verfügung standen.

Insoweit die Beschwerdeführerin darauf verweist, dass sie im Fall einer Anklage ausdehnung stets auch Zweck mäßigkeitserwägungen im Hinblick auf eine Zusatz strafe anzustellen habe und diese Ermessensentscheidung erst nach Rechtskraft des ursprünglichen Urteils gefällt werden könne, kann ein Bezug zur Bestimmung des § 192 StPO hergestellt werden. Hier ist zunächst aber zu beachten, dass bei der Anklage erweiterung gemäß § 263 StPO der Verfolgungsvorbehalt der Absicherung des künftigen Verfolgungs rechtes dient, hingegen der Verfolgungsvorbehalt gemäß § 192 StPO die Vorläufigkeit eines Ver folgungs verzichts sichert (vgl. ÖJZ 2004/19). Dem Angeklagten wird dadurch ein divergierender – mit unter schiedlicher Intensität in seinen Schutz bereich eingreifender – Willensentschluss seitens der Staatsanwaltschaft suggeriert. Weiters ist zu bedenken, dass nach der Konzeption des § 263 StPO die Ausdehnung der Verhandlung und die sofortige Entscheidung (auch) über das neue Faktum grundsätzlich der Regelfall sein soll. Ist nun aber der Sachverhalt im Bezug auf den in der Haupt verhandlung „neu“ hervorge kommenen An schuldigungs punkt noch klärungs bedürftig (§ 263 Abs 2 StPO) und wird deshalb ausnahms weise vom Grundsatz des § 37 StPO abgegangen, ist es zum Schutz des Angeklagten nur folgerichtig, dass der Gesetzgeber dem Ankläger in diesem Fall ehestens weitere Ermittlungs schritte abverlangt. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund sachgemäß, dass die in der Haupt verhandlung ausgedehnte Anklage bereits mit Urteils fällung (unabhängig vom Eintritt der Rechtskraft) ihre Wirksamkeit verloren hat und der (einer Rechtskraft nicht zugängige) Verfolgungs vorbehalt im Urteil lediglich als „prozessualer Platzhalter“ fungiert (vgl. Lewisch, WK-StPO § 263 Rz 96). Es besteht keine sachliche Notwendigkeit dafür, dem Ankläger in analoger Anwendung des § 192 Abs 2 StPO ein „Fertig“-Ermitteln erst beginnend bis zu drei Monate nach Rechtskraft jenes Urteils, in dem nach dem Grundsatz des § 263 Abs 1 StPO eigentlich über den neu hervor gekommenen Anklagevorwurf bereits mitabgesprochen werden hätte sollen, einzuräumen. Vielmehr ist es, auch mit Blick auf den Schutzzweck des § 263 StPO, konsequent, den Ankläger dazu zu veranlassen, fristgerecht zumindest einen ersten Ermittlungs schritt gemäß § 263 Abs 4 StPO zu setzten, zumal der weitere Abschluss der Ermittlungen (und allenfalls das Treffen einer späteren Ermessensentscheidung iSd § 192 StPO) sodann ohnedies keiner zeitlichen Grenze mehr unterliegt.

Aus all diesen Erwägungen ging das Erstgericht daher zutreffend davon aus, dass keine planwidrige Lücke, sondern eine vom Gesetz selbst gewollte Beschränkung vorliegt, insofern es dem Gericht daher verwehrt ist, im Wege der Analogie gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und rechts fortbildend einen Regelungs inhalt zu schaffen.

Daraus folgt, dass die Fallfrist des § 263 Abs 4 StPO mit Urteilsfällung und Ausspruch des Ver folgungs vorbehalts am 11.Oktober 2012 zu laufen begann. Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerde führerin fristgerecht innerhalb der 3-Monats-Frist eine der in § 263 Abs 4 StPO umschriebenen Verfolgungs handlungen setzte. Auch dies ist zu verneinen.

Berechtigt ging das Erstgericht unter Verweis auf die Bestimmung des § 91 StPO davon aus, dass die aktenmäßige Überwachung der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils mittels Kalender und das (im Übrigen: gesetzwidrige) Abbrechen des Ermittlungsverfahrens gemäß § 197 Abs 1 StPO keinen zur Abwendung der Verfristung nach § 263 Abs 4 StPO erforderlichen Ermittlungsschritt darstellt, zumal diese Vorgehensweisen nicht der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts der Straftat dienlich waren (vgl. § 91 Abs 2 StPO). Gerade dies wird aber durch die Bestimmung des § 263 Abs 4 StPO bezweckt. Ergänzend wird angemerkt, dass die Abbrechung des Ermittlungsverfahrens vor allem registertechnische Gründe hat und der Dokumentation der vorübergehenden Beendigung des Verfahrens dient.

Die Beschwerdeführerin blieb damit insgesamt über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten ab Urteilsfällung – soweit hier relevant – untätig. Erst am 16.April 2013 setzte sie einen den Bestimmungen des §§ 91 Abs 2, 263 Abs 4 StPO entsprechenden Ermittlungs schritt. Dieser war außerhalb der Dreimonatsfrist, was den Verlust des in Rede stehenden Verfolgungsrechts nach sich zieht.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen