JudikaturJustiz10Bs372/13a

10Bs372/13a – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
14. November 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr.Sutter (Vorsitz), Mag a .List und Mag a .Berzkovics in der Strafsache gegen L***** R***** wegen §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Klagenfurt gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 23.Oktober 2013, 17 Hv 1/13t-75, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und vom (weiteren) Vollzug der über L***** R***** mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 29.Jänner 2013, 17 Hv 1/13t-38, verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 4 StVG vorläufig abgesehen .

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 7 Abs 2 StVG, § 89 Abs 6 StPO).

Text

begründung:

Der am 13.April 1967 geborene ungarische Staatsangehörige L***** R***** wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 29.Jänner 2013, 17 Hv 1/13t-38, wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB zur Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass L***** R***** am 18.Dezember 2012 in Bleiburg, Klagenfurt und Lavamünd im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit T***** L***** in fünf Angriffen gewerbsmäßig Diebstähle von Werkzeug und Kleidung im Gesamtwert von EUR 3.366,92 begangen hat. Der Verurteilte befindet sich seit 18.Dezember 2012 in Haft.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 9.Juli 2013, 8 HR 104/13b-11, wurde die (vereinfachte) Übergabe des L***** R***** an die ungarischen Justizbehörden zur Vollstreckung einer über ihn mit Urteil des Stadtgerichtes Keszthely, AZ 9.B.379/2011/55, verhängten sechsmonatigen Freiheitsstrafe angeordnet und bis zur Entlassung aus der zu 17 Hv 1/13t des Landesgerichtes Klagenfurt verhängten Inlandshaft aufgeschoben.

Im letztgenannten Verfahren beantragte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt bereits am 23.August 2013 ein Vorgehen nach § 4 StVG (ON 65). Diesen Antrag wies das Erstgericht mit unbekämpft gebliebenem Beschluss vom 29.August 2013 (ON 70) aus generalpräventiven Gründen ab.

Am 17.Oktober 2013 stellte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt neuerlich den Antrag, gemäß § 4 StVG vorläufig vom Strafvollzug abzusehen (ON 74).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 75) wies das Erstgericht diesen Antrag unter Hinweis auf die am 29.August 2013 ergangene Entscheidung zurück.

Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 77) kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Voranzustellen ist, dass für Entscheidungen, mit denen ein Antrag auf Vorgehen nach § 4 StVG abgewiesen wurde, die Umstandsklausel (clausula rebus sic stantibus) gilt. Eine wesentliche Änderung entscheidungsrelevanter Umstände erlaubt daher eine neuerliche meritorische Entscheidung trotz bereits erfolgter rechtskräftiger Abweisung. Die wesentliche Veränderung des Ausmaßes der verbüßten Strafe stellt einen derartigen entscheidungsrelevanten Umstand dar ( Pieber , WK StVG § 4 Rz 7).

Im vorliegenden Fall hatte der Verurteilte zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlussfassung am 23.Oktober 2013 seit der abweisenden Entscheidung vom 29.August 2013 rund zwei weitere Monate in Haft verbracht. Diese Zeitspanne entspricht nahezu einem Sechstel der über ihn verhängten zwölfmonatigen Freiheitsstrafe, sodass von einer wesentlichen Änderung entscheidungsrelevanter Umstände auszugehen ist. Die Zurückweisung des Antrags erfolgte daher zu Unrecht; das Erstgericht hätte vielmehr auf Basis des geänderten Sachverhalts eine inhaltliche Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft treffen müssen.

In Stattgebung der Beschwerde ist der angefochtene Beschluss daher aufzuheben und in der Sache zu entscheiden.

Gemäß § 4 StVG ist vom Vollzug einer über den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe vorläufig abzusehen, wenn er an eine ausländische Behörde ausgeliefert wird, es sei denn, dass es aus besonderen Gründen des unverzüglichen Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ist ein Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung zwingend. Es ist nur dann unzulässig, wenn besondere generalpräventive Erwägungen den – zumindest teilweisen – Vollzug erfordern. Dabei ist auf die Bedeutung und Schwere der Tat, das dadurch verursachte Aufsehen und die Höhe der Strafe Bedacht zu nehmen ( Pieber , aaO Rz 11, 12; Göth-Flemmich, WK ARHG § 37 Rz 7). Die besonderen generalpräventiven Gründe sind gegen die Höhe der im Ausland zu erwartenden Strafe abzuwägen. Generalpräventive Bedenken gegen ein Absehen bestehen idR dann nicht, wenn den Auszuliefernden im Ausland eine Strafe erwartet, deren Ausmaß zumindest der im Inland noch nicht vollzogenen Freiheitsstrafe entspricht oder sie sogar übersteigt ( Pieber , aaO Rz 13; Göth-Flemmich , aaO Rz 7).

Im vorliegenden Fall steht die Schwere der vom Verurteilten begangenen Straftat einem vorläufigen Absehen vom Vollzug nicht entgegen. Der Verurteilte hat in fünf Angriffen Diebstähle von Werkzeug und Kleidung in diversen Geschäften begangen, wobei der Gesamtschaden die Qualifikationsgrenze des § 128 Abs 1 Z 4 StGB nur knapp überstieg. Die Tat war weder aufsehenerregend, noch führte sie zu einer nachhaltigen Störung des Rechtsfriedens. Der Schaden wurde durch die Sicherstellung des Diebsguts gutgemacht. Aufgrund der von Beginn an geständigen Verantwortung des Verurteilten hatte die Tat auch keine langwierigen oder intensiven Ermittlungen zur Folge. Da der Strafrest mittlerweile nur noch einen Monat und vier Tage beträgt, stellt auch die Höhe der zu verbüßenden Strafe keinen Grund dar, der den weiteren Vollzug aus generalpräventiver Sicht erforderlich machen würde. Hinzu kommt, dass der Verurteilte in Ungarn eine sechsmonatige Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, deren Ausmaß somit den im Inland noch nicht vollzogenen Strafrest bei weitem übersteigt. Der Generalprävention wurde somit durch den knapp elfmonatigen Strafvollzug in Verbindung mit der Übergabe zum Vollzug einer weiteren sechsmonatigen Freiheitsstrafe in Ungarn jedenfalls Genüge getan.

Beim Verurteilten liegen daher sämtliche Voraussetzungen des § 4 StVG für das vorläufige Absehen vom weiteren Strafvollzug wegen Auslieferung vor.

Der Vollständigkeit ist anzumerken, dass die Strafhaft bis zum faktischen Zeitpunkt der Übergabe des Verurteilten an die ungarischen Justizbehörden, die im dafür zuständigen Verfahren 8 HR 104/13b des Landesgerichtes Klagenfurt unverzüglich in die Wege zu leiten sein wird, aufrecht bleibt, sofern die Übergabe vor dem 18.Dezember 2013 (Strafende) erfolgt. Der Verhängung der Übergabehaft bedarf es aus diesem Grund (derzeit) nicht (idS Mayerhofer , Nebenstrafrecht 5 StVG § 4 E 5; Zagler , Strafvollzugsrecht 36; Generalprokuratur Gw 314/87).

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10

Rechtssätze
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