JudikaturJustiz10Bs306/15y

10Bs306/15y – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
03. September 2015

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Mag. Redtenbacher (Vorsitz), Dr. Sutter und Mag a . Roßmann in der Strafsache gegen L***** S***** wegen §§ 127 ff StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 31. Juli 2015, GZ 8 Hv 102/14k-22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

BEGRÜNDUNG:

Gegen den am ***** geborenen L***** S***** erhob die Staatsanwaltschaft am 2. September 2014 Strafantrag wegen des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 erster Fall StGB und des in 15 Angriffen zwischen 28. Mai und 3. Juli 2014 begangenen Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB (ON 4 [der Akten 8 Hv 102/14k des Landesgerichts für Strafsachen Graz]). In der in Gegenwart des Verteidigers und des Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung vom 4. November 2014 bekannte sich der Angeklagte vollinhaltlich schuldig, worauf vom Einzelrichter die Möglichkeit einer diversionellen Vorgangsweise mit allen Verfahrensparteien erörtert wurde. Der Angeklagte erklärte sich nach Rücksprache mit seinem Verteidiger ausdrücklich mit der Zahlung eines Geldbetrages und zusätzlich der Leistung der Schadensgutmachung binnen angemessener Frist (§ 200 StPO) einverstanden. Die Staatsanwältin erhob gegen eine diversionelle Erledigung keinen Einwand. Daraufhin wurde dem Angeklagten eine „Geldbuße“ von EUR 3.250,00 (darin inkludiert EUR 150,00 an Pauschalkosten), über Ersuchen des Angeklagten in Raten zahlbar, auferlegt sowie die Zahlung der Schadensgutmachung in Höhe von EUR 3.110,00 längstens binnen einer Frist von sechs Monaten an die Geschädigte Dr. in R***** F***** aufgetragen, der Angeklagte im Sinne des § 207 StPO informiert und die Hauptverhandlung vertagt (ON 9, AS 5). Die schriftliche Ausfertigung der Mitteilung nach § 200 Abs 4 (iVm § 199) StPO konkretisierte die Verpflichtung des Angeklagten zur Zahlung der Geldbuße dahin, dass dieser beginnend mit Dezember 2014 eine Rate zu EUR 269,00 und 11 Raten zu EUR 271,00 zu bezahlen habe („Beschluss“ vom 4. November 2014, ON 10).

Dem weiteren Verfahren entzog sich der Angeklagte gezielt (vgl etwa ON 11). Ihm konnte die erwähnte schriftliche Mitteilung erst am 21. Mai 2015 mit der Note „Sollten Sie nicht umgehend, sohin innerhalb von acht Tagen den gesamten Betrag von EUR 3.250,00 zur Einzahlung bringen, wird das Strafverfahren gegen sie fortgesetzt werden“ (ON 20f) ausgehändigt werden.

Nachdem trotzdem keine Zahlungen erfolgten, fasste das Erstgericht den bekämpften Beschluss, mit dem es das Verfahren gemäß § 205 Abs 2 Z 1 iVm § 199 StPO fortsetzte. Dagegen erhob der Verteidiger mit der sinngemäßen Begründung zulässig (vgl Schroll in WK-StPO § 205 Rz 21) Beschwerde, der Angeklagte sei in ein schlechtes Milieu abgerutscht, werde voraussichtlich eine stationäre Entzugstherapie besuchen und eine Unterstützung vom AMS beziehen. Mit dieser sei er willens den Schaden in monatlichen Raten von EUR 100,00 und die Geldbuße ebenfalls in EUR 100,00-Raten, beginnend mit September 2015, abzubezahlen. Damit lägen besondere Gründe vor, welche ein Absehen von der Fortsetzung des Verfahrens als geboten erscheinen lassen (ON 25).

Rechtliche Beurteilung

Das Gericht (vgl § 199 StPO) kann das Verfahren wegen einer Straftat mit Beschluss einstellen, wenn der Angeklagte einen Geldbetrag zugunsten des Bundes entrichtet (§ 200 Abs 1 StPO). Dieser Geldbetrag ist prinzipiell binnen 14 Tagen zu bezahlen; es kann jedoch ein Zahlungsaufschub für längstens sechs Monate gewährt oder die Zahlung von Teilbeträgen innerhalb dieses Zeitraums gestattet werden. Überdies ist für die Verfahrenseinstellung im Allgemeinen nötig, dass der Angeklagte in einer Höchstfrist von sechs Monaten den aus der Tat entstandenen Schaden gutmacht und dies unverzüglich nachweist (§ 200 Abs 2 und 3 StPO). Wurde dem Angeklagten vorgeschlagen einen festgesetzten Geldbetrag und die Schadensgutmachung in bestimmter Höhe zu leisten (§ 200 Abs 4 StPO), hat aber der Angeklagte den Geldbetrag samt der Schadensgutmachung nicht vollständig oder nicht rechtzeitig bezahlt, so ist das Strafverfahren fortzusetzen (§ 205 Abs 2 Z 1 StPO), außer ein Absehen davon erscheint aus besonderen Gründen vertretbar (Abs 3 leg. cit).

Nach dem Gesetzeswortlaut ist, auch wenn dem Angeklagten in der Hauptverhandlung eine Mitteilung im Sinn des § 200 Abs 4 StPO gemacht und er entsprechend informiert (§ 200 Abs 2 dritter Satz, 207 StPO) wurde, eine derartige Mitteilung nach § 83 Abs 4 zweiter Satz StPO auch noch eigenhändig zuzustellen. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist dieses Zustellungserfordernis (vgl hiezu Leitner in Schmölzer/Mühlbacher StPO § 200 Rz 12, vgl auch Schroll in WK-StPO § 200 Rz 11ff) zwar auch im gerichtlichen Verfahren gegeben, jedoch wird für den Fall, dass dem anwesenden, vertretenen Angeklagten ein allen Erfordernissen entsprechendes Anbot und die notwendigen Belehrungen erteilt werden, das Anbot unmittelbar und nicht erst mit dieser Zustellung wirksam. Dafür spricht, dass – anders als bei außerhalb von Verhandlungen von der Staatsanwaltschaft oder vom Gericht getroffenen Erledigungen – in der Verhandlung getroffene Entscheidungen regelmäßig mit deren zulässiger Verkündung wirksam werden. Mündliche Verkündigungen sind zwar nur für Urteile und besondere Beschlüsse (vgl Anführung in Tipold in WK-StPO § 86 Rz 12, Ratz in WK-StPO § 292 Rz 45) ausdrücklich vorgesehen; sie sind aber jedenfalls auch für verfahrensleitende Verfügungen zulässig. Diesen ist das ordnungsgemäße Diversionsanbot in der Hauptverhandlung gleichzuhalten.

Der (gegenständliche) Sonderfall einer mündlichen Mitteilung ist in § 83 Abs 4 zweiter Satz StPO nicht eigens berücksichtigt. Die grundlegenden Ausführungen in diesem Zusammenhang in 1581 der Beilagen des Nationalrats 20. GP Punkt 3.2.3., wonach „Im Hinblick auf die Tragweite seiner Entscheidungen (…) es erforderlich (ist), dass ihm (dem Verdächtigen) entsprechende Mitteilungen und Belehrungen – soweit diese nicht mündlich überbracht werden – persönlich und in bestimmten Fällen zu eigenen Handen zugestellt werden“, zeigen, dass der Gesetzgeber von der Gültigkeit auch mündlicher Vereinbarungen ausging. Wenn das Gericht in der Hauptverhandlung nach Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie Anhörung der Staatsanwaltschaft eine konkrete Zahlungsverpflichtung im Rahmen einer Diversion in den Raum stellt und der Angeklagte mit dieser konkreten Form der Verfahrenserledigung nach den vorgesehenen Belehrungen ausdrücklich einverstanden ist, muss damit das „Anbot“ als feststehend angesehen werden, würde es doch Treu und Glauben widersprechen, wenn es das Gericht sodann nicht einhielte (sei es durch Abstandnahme von der Übersendung einer schriftlichen Mitteilung nach § 200 Abs 4 StPO, sei es durch Legung eines verschärften schriftlichen „Anbots“). Vor diesem Hintergrund wird das Gericht als an seinen eigenen Vorschlag in der Hauptverhandlung gebunden angesehen werden müssen; es tritt damit in dieser Konstellation mit der Annahme des unterbreiteten Vorschlags Immutabilität ein, die nur zugunsten des Angeklagten durchbrochen werden kann (vgl Schroll in WK-StPO § 205 Rz 1b, 2 sowie Jesionek/Edwards, JGG 4 § 8 Rz 150). Konsequenz dessen bindet die in der Hauptverhandlung mündlich getroffene Übereinkunft zwischen dem Gericht und dem Angeklagten über die Zahlung eines Geldbetrages (und die Schadensgutmachung) auch den Angeklagten (gerade auch in Ansehung der Schadensgutmachung) sogleich, was nach eingehender Aufklärung in der Hauptverhandlung auch vor dem Hintergrund der Sechsmonatsfrist des § 200 Abs 3 StPO sachgerecht erscheint. Die mit der eigenhändigen Zustellung sonst zu bannende Gefahr der nicht autonomen Entscheidung des Beschuldigten/Angeklagten (vgl Schroll in WK-StPO § 207 Rz 2) ist hier nämlich nicht gegeben. Damit wirkt in diesem Fall die gesetzlich vorgesehene eigenhändige Zustellung nicht konstitutiv, sondern hat nur mehr Informationscharakter. Bei einer derartigen einschränkenden Auslegung des § 83 Abs 4 StPO wird zudem das völlig unbillige Ergebnis vermieden, dass der in der Hauptverhandlung unterbreitete und angenommene Vorschlag nicht effektuiert werden kann, wenn – wie fallbezogen – der Angeklagte die Zustellung der Mitteilung nach § 200 Abs 4 StPO hintertreibt.

Zusammengefasst ist daher ein nach entsprechenden Erörterungen und Belehrungen vorgeschlagenes Anbot der Zahlung eines Geldbetrages, dessen Annahme der Angeklagte erklärte (der im Beisein seines Verteidigers nach Besprechung mit diesem sogar ein Urteil annehmen könnte), für beide Seiten sofort wirksam und der Angeklagte hat im Wesentlichen wie vereinbart zu leisten, oder Zahlungserleichterungen zu begehren, damit das Verfahren auch tatsächlich diversionell erledigt werden kann. Die ihm eigenhändig zuzustellende Mitteilung hat diesfalls bloß aufklärenden und informativen Charakter, hindert allerdings nicht die Wirksamkeit der zuvor mündlich getroffenen Vereinbarung/des Anbots.

Auf den konkreten Fall umgelegt bedeutet dies, dass der Angeklagte – wie „vereinbart“ und gesetzlich vorgesehen längstens binnen 14 Tagen (Schroll in WK-StPO § 200 Rz 10) und sechs Monaten (§ 200 Abs 3 StPO), also bis zum 18. Mai 2015 (zumindest) die Schadensgutmachung hätte leisten müssen. Indem er weder dies tat, noch sonstige Zahlungen leistete oder um Zahlungserleichterungen ansuchte, liegen die Voraussetzungen des § 205 Abs 2 Z 1 StPO vor, zumal besondere Gründe im Sinn des § 205 Abs 3 StPO nicht gegeben sind. Derartige Gründe wären etwa der Eintritt von Umständen, die auch bei einer nachträglichen Milderung der Strafe nach § 31a Abs 1 StGB von Bedeutung wären oder eine bloß geringfügige Fristüberschreitung bzw eine vernachlässigbare Minderzahlung (vgl Schroll in WK-StPO § 200 Rz 14 mwN, Leitner in Schmölzer/Mühlbacher StPO § 205 Rz 6). Ein selbstverschuldetes Abgleiten in ein schlechtes Milieu und das völlige Negieren des angenommenen Anbots erfüllen die Voraussetzungen der Härteklausel nicht, weshalb das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss (vgl Schroll in WK-StPO § 200 Rz 13) zutreffend die Verfahrensfortführung (unabhängig von den zwischenzeitlichen weiteren gegen den Angeklagten anhängig gemachten Strafverfahren) verfügte.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10

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