JudikaturJustiz10Bs187/23k

10Bs187/23k – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
17. Januar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Dr in . Steindl-Neumayr und Mag a . Haas im Verfahren über die Verantwortlichkeit des belangten Verbands A* GmbH für das Vergehen nach § 91 Abs 1 iVm § 86 Abs 1 UrhG über deren Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 10. August 2022, GZ 72 Hv 110/19k-112b, in nichtöffentlicher Beratung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen .

Mit ihrer weiteren Berufung wird die A* GmbH darauf verwiesen .

Text

gründe:

Mit beim Landesgericht Klagenfurt zum AZ 72 Hv 110/19k am 7. November 2019 eingelangter Privatanklage (ON 2) legte die Privatanklägerin B* S.r.l. (im Folgenden kurz: B*) – so weit hier relevant – dem Privatangeklagten D* zur Last, er habe [ersichtlich gemeint: in **] gewerbsmäßig über einen längeren Zeitraum, nämlich zumindest in der Zeit von 22. Juli 2019 bis 10. September 2019 [unbefugt] dem Urheberschutz des § 40a iVm § 2 Z 1 UrhG unterliegende Computerprogramme auf eine nach §§ 14 bis 18 UrhG (§ 86 Abs 1 Z 1 UrhG) ausschließlich der Privatanklägerin als Urheberin vorbehaltene Verwertungsart gebraucht, um sich hiedurch eine fortlaufende Einnahmequelle zu schaffen, wobei er wusste, dass er dadurch in die Nutzungs- und Verwertungsrechte der Privatanklägerin eingriff, und dadurch das Vergehen nach § 91 Abs 1 und 2a UrhG begangen.

In dieser Privatanklage wurde die A* GmbH im Rubrum als „belangter Verband“ genannt und unter Punkt II. ausgeführt, dass den belangten Verband eine Mitverantwortlichkeit für die Straftaten des Angeklagten gemäß § 3 Abs 1 und 3 Z 1 VbVG treffe (AS 2 Mitte). Inhaltlich erhob die Privatanklägerin den Vorwurf, der Angeklagte habe Know-how der B* S.r.l. bei der A* GmbH für die Entwicklung eines Konkurrenzprodukts verwendet. Einen Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße über die A* GmbH und eine Beurteilung des Sachverhalts, aus dem sich die Verantwortlichkeit des Verbands (§ 3 VbVG) ergibt, enthielt die Privatanklage jedoch nicht. Ein solcher Antrag wurde auch nicht in einem separaten (iS des § 21 Abs 2 VbVG mit der Privatanklage verbundenen) Schriftsatz gestellt.

Dessen ungeachtet führte das Erstgericht das Verfahren in der Folge formal auch gegen die A* GmbH als „belangten Verband“. Die A* GmbH war in der gesamten Hauptverhandlung, die auch gegen die natürliche Person geführt wurde, vertreten (ON 39, 72, 86, 100, 109 und 114a).

In der Hauptverhandlung am 10. August 2022 wurde zunächst das Urteil über die natürliche Person verkündet, mit dem D* – so weit hier relevant – schuldig erkannt wurde, von 22. Juli bis 10. September 2019 in ** und anderen Orten, „ohne hiezu berechtigt zu sein, Hardware und Software, nämlich Computerprogramme im Sinne der §§ 14 bis 18a UrhG, des von B* S.r.l. entwickelten Produkts ‚**‘ bzw. ‚**‘ durch Mitnahme von Leiterplatinen und Kopienweitergabe der Computerprogramme an die A* GmbH zur Herstellung des Produkts, ‚**‘ verwendet, und dadurch in das ausschließlich der Privatanklägerin zustehende Werknutzungsrecht an den von ihr entwickelten Computerprogrammen eingegriffen“ und hierdurch das Vergehen nach § 91 Abs 1 iVm § 86 Abs 1 UrhG begangen zu haben (ON 112a).

(Erst) In ihrem den Verband betreffenden Schlussvortrag – somit nach Verkündung des Urteils über die natürliche Person – beantragte die Privatanklagevertreterin die Verhängung einer Verbandsgeldbuße sowie die Veröffentlichung des Urteils auf der Website der A*, in der „E*“, „F*“ und „G*“ sowie die Verfällung der A* GmbH in den Kostenersatz und hielt die Anträge auf Einziehung und Vernichtung gemäß § 92 UrhG formal aufrecht (ON 114a, AS 18).

Sodann wurde das Urteil über den „belangten Verband“ (ON 112b) verkündet (ON 114a, AS 16 ff).

Darnach wurde die A* GmbH gemäß § 3 Abs 1 Z 1, Abs 3 Z 1 VbVG für die von D* begangenen (vorstehend beschriebenen) vorsätzlichen Handlungen verantwortlich erkannt und hierfür gemäß § 4 VbVG zur Zahlung einer Verbandsgeldbuße von dreißig Tagessätzen zu je EUR 70,00 verurteilt und gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet. Gemäß § 92 UrhG wurden die sichergestellten Leiterplatinen eingezogen und der darüber hinausgehende Antrag auf Beschlagnahme bzw. Vernichtung gemäß §§ 92, 93 UrhG abgewiesen. Weiters wurde der Privatanklägerin die Befugnis zuerkannt, den Urteilsspruch binnen vier Monaten nach Rechtskraft des Urteils in den periodischen Druckschriften „E*“ (**), „F**“ (**) sowie „G*“ und auf der Website der A* GmbH mit Fettdruckumrandung unter Hervorhebung der Überschrift „Im Namen der Republik“ sowie der Namen der Streitteile auf Kosten „des Angeklagten“ zu veröffentlichen.

Dagegen richtet sich die Berufung der A* GmbH wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe (§§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 4, 9 lit a [dem Inhalt nach teils Z 8] sowie 11 StPO) sowie wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 124).

Die Privatanklägerin trat dem entgegen (ON 129).

Rechtliche Beurteilung

1./ Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels:

Im Haupt- und Rechtsmittelverfahren gegen eine natürliche Person hat ein Verband Parteistellung gemäß § 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG, soweit und solange wegen derselben Tat (§ 3 VbVG) ein Verfahren gegen ihn anhängig ist (vgl. § 13 Abs 1 VbVG), in dem der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße gemeinsam (§ 21 Abs 2 VbVB) mit der Anklage gegen die natürliche Person eingebracht wurde ( Oberressl , ÖJZ 2020/99, 815 [819 f und 827]; RIS-Justiz RS0133395).

Einem Verband, der Parteistellung gemäß § 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG genießt, kommen daher im Rechtsmittelverfahren gegen die natürliche Person die Rechte des Beschuldigten zu. Anders als die natürliche Person, deren Anfechtungslegitimation sich stets auf das über sie selbst ergangene Urteil beschränkt, ist der belangte Verband (nach §§ 13 Abs 1 zweiter Satz, 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG) legitimiert, beide verurteilenden Erkenntnisse anzufechten, obwohl nur eines davon über seine Verantwortlichkeit abspricht. Es muss daher stets klar sein, auf welches Urteil sich seine Rechtsmittelanmeldung (§ 284 Abs 1, § 294 Abs 1 StPO bzw. §§ 489 Abs 1, 466 Abs 1 StPO) bezieht. Werden – wie zumeist (und auch hier) – beide Urteile (nicht nur zum selben Aktenzeichen, sondern auch) am selben Tag verkündet, erfordert die wirksame Anmeldung von Rechtsmitteln für den belangten Verband (der eben im Unterschied zur natürlichen Person an beiden Verfahren beteiligt ist) daher besondere Diligenz. Denn lässt die Erklärung, Rechtsmittel gegen „das Urteil“ (vom betreffenden Tag zum betreffenden Aktenzeichen) anzumelden, nicht erkennen, gegen welches von beiden Urteilen sich seine Rechtsmittel richten sollen, wird gegen keines davon ein Rechtsmittel deutlich und bestimmt angemeldet ( Oberressl , ÖJZ 2020/99, 823 f; RIS-Justiz RS0100007 [T11]). Konsequenz ist die Zurückweisung solcher Rechtsmittel als unzulässig bereits in nichtöffentlicher Beratung (§§ 285d Abs 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO bzw. § 489 Abs 1 iVm § 470 Z 1 StPO; vgl. 13 Os 119/19a, 13 Os 32/19h, 13 Os 30/21t, 13 Os 45/22z).

Auch im gegenständlichen Fall erklärte die A* GmbH innerhalb der in § 466 Abs 1 (iVm § 489 Abs 1) StPO bezeichneten Frist in ihrem „an das Landesgericht Klagenfurt 72 Hv 110/19k“ gerichteten Schriftsatz (bloß), dass „in außen bezeichneter Rechtssache […] der belangte Verband A* GmbH gegen das in der Hauptverhandlung vom 10.08.2022 mündlich verkündete Urteil fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an[meldet]“ (ON 116).

Allerdings kam der A* GmbH im Verfahren gegen die natürliche Person D* zu keinem Zeitpunkt Parteistellung gemäß § 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG (und somit auch niemals die Legitimation zur Anfechtung des Urteils über die natürliche Person) zu.

Denn gemäß § 21 Abs 1 VbVG wird das Hauptverfahren gegen einen Verband durch den Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße eingeleitet, auf den im Verfahren vor dem Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht die Bestimmungen über die Anklageschrift, im Verfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter oder dem Bezirksgericht jedoch die Bestimmungen über den Strafantrag anzuwenden sind. In jedem Fall ist jedoch der Sachverhalt zusammenzufassen und zu beurteilen, aus dem sich die Verantwortlichkeit des Verbandes (§ 3 VbVG) ergibt.

Der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße ist gemäß § 21 Abs 2 VbVG mit der Anklageschrift oder dem Strafantrag gegen natürliche Personen zu verbinden, wenn die Verfahren gemeinsam geführt werden können (§ 15 Abs 1 VbVG).

Für Verfahren nach dem VbVG gelten die allgemeinen Vorschriften über das Strafverfahren, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind und sich aus dem VbVG nichts anderes ergibt (§ 14 Abs 1 VbVG).

Aus der Anordnung der (grundsätzlichen) Geltung allgemeinen Vorschriften über das Strafverfahren (§ 14 Abs 1 VbVG) iVm § 21 Abs 1 erster Satz VbVG, wonach auf den Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße die Bestimmungen über die Anklageschrift bzw. den Strafantrag anzuwenden sind, folgt, dass der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße schriftlich zu stellen ist und Name (Firma) des belangten Verbandes sowie weitere Angaben zum Verband, Zeit, Ort und die näheren Umstände der Begehung der dem Verband zur Last gelegten Tat und die gesetzliche Bezeichnung der durch sie verwirklichten strafbaren Handlungen und die übrigen anzuwendenden Strafgesetze zu enthalten hat. Auch sind die Beweise anzuführen, die im Hauptverfahren aufgenommen werden sollen (§ 211 Abs 1 und 2, § 451 Abs 1, § 484 StPO). § 21 Abs 1 letzter Satz VbVG, wonach in jedem Fall der Sachverhalt zusammenzufassen und zu beurteilen ist, aus dem sich die Verantwortlichkeit des Verbandes (§ 3 VbVG) ergibt, ergänzt somit insoweit die (für Strafanträge keine Pflicht zur Zusammenfassung und Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts vorsehenden) Vorschriften der § 484 und § 451 StPO ( Lehmkuhl/Zeder in WK 2 VbVG § 21 Rz 2 f).

Ein dem entsprechender – die Einleitung des Hauptverfahrens gegen einen Verband überhaupt erst bewirkender (§ 21 Abs 1 erster Halbsatz VbVG) – Antrag wurde jedoch fallkonkret weder in der Privatanklage gegen die natürliche Person (ON 2) noch in einem separaten (damit iS des § 21 Abs 2 VbVG verbundenen) Schriftsatz gestellt. Der erst nach Verkündung des Urteils über die natürliche Person im Rahmen des Schlussvortrags mündlich gestellte Antrag (u.a.) auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße über die A* GmbH (ON 114a, AS 18) hinwieder erfüllt die formalen und inhaltlichen Voraussetzungen eines solchen Antrags nicht.

Die prozessualen Rechte im Verfahren gegen die natürliche Person wurden im Übrigen auch nicht dadurch begründet, dass der Verband daran – wie hier – faktisch beteiligt wurde bzw. die Möglichkeit, sich zu beteiligen, aktiv wahrnahm ( Oberressl , ÖJZ 2020/99, 817).

Solcherart konnte sich im Gegenstand die Erklärung, „gegen das in der Hauptverhandlung vom 10.08.2022 mündlich verkündete Urteil … das Rechtsmittel der Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an[zumelden]“, zwingend nur auf das Urteil über den Verband beziehen.

Das Rechtsmittel des Verbandes wurde somit rechtzeitig (§§ 489 Abs 1, 466 Abs 1 StPO) und hinreichend deutlich und bestimmt angemeldet sowie fristgerecht (§§ 489 Abs 1, 467 Abs 1 iVm § 285 Abs 3 StPO) ausgeführt.

2./ Zur Berechtigung des Rechtsmittels:

Bereits die (nominell auf Z 9 lit a, der Sache nach Z 8 des § 281 Abs 1 iVm § 489 Abs 1 StPO) gestützte Kritik der Rechtsmittelwerberin, die Verhängung einer Verbandsgeldbuße sei ohne darauf gerichteten Antrag erfolgt, trifft – aus den obigen Erwägungen, auf die verwiesen wird – zu.

§ 281 Abs 1 Z 8 StPO will sicherstellen, dass keine Verurteilungen wegen einer gar nicht angeklagten Tat ( Hinterhofer/Oshidari , System des österreichischen Strafverfahrens [2017] Rz 9.170) bzw. – übertragen auf das VbVG (§§ 14, 24 VbVG) – keine Verhängung von Verbandsgeldbußen ohne entsprechenden (rechtskonformen) Antrag erfolgen.

Dieser Nichtigkeitsgrund wirkt absolut und ist nicht rügepflichtig ( Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.176).

Folge ist die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht.

Mit ihrer weiteren Berufung war die A* GmbH auf die Kassation zu verweisen.

Infolge gänzlicher Aufhebung des Urteils hat kein Ausspruch nach § 390a StPO zu erfolgen ( Lendl in WK StPO § 390a Rz 7 aE).

Rechtssätze
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