JudikaturVwGhRa 2024/19/0055

Ra 2024/19/0055 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des S D, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2023, L504 2271334 1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 14. März 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass er als Kurde in der Türkei keine Rechte habe und in Armut lebe. Er werde erniedrigt und bekomme keine Arbeit. Auch lebe er dort in Angst und könne seine Kultur nicht ausüben.

2 Mit Bescheid vom 29. März 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkennntnis als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber kein asylrelevantes Vorbringen habe glaubhaft machen können. Auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sei nicht dergestalt, dass sich für den Revisionswerber mit seinem Persönlichkeitsprofil konkret eine begründete Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung ergeben würde. Aus den herangezogenen Länderberichten ergäben sich ebenso keine Anhaltspunkte dafür, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volkgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein auf Grund ihrer Volksgruppen oder Religionszugehörigkeit einer maßgebliche Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt als geklärt anzusehen sei. Das BFA habe die (die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende) Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt. Das BVwG teile die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Entscheidung. In der Beschwerde sei kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt behauptet worden.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen.

7 Die Revision ist zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch begründet.

8 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass zur Beurteilung, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA VG unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich sind:

9 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0284, mwN).

10 Diesen Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:

11 Zum einen hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde den vom BFA festgestellten Sachverhalt nicht bloß unsubstantiiert bestritten, indem er vorbrachte, dass ihm (entgegen den behördlichen Feststellungen) auf Grund seines Nachnamens und der Mitgliedschaft seines Onkels bei der HDP Verfolgung drohe.

12 Zum anderen hält das BVwG zwar fest, dass es sich der Beweiswürdigung des BFA anschließe. Es ging jedoch auch in substantiierter Ergänzung des BFA auf die aufgeworfene Frage ein, ob dem Revisionswerber angesichts seines Nachnamens eine Nähe zur HDP unterstellt und ihm folglich eine oppositionelle Gesinnung zugemessen und er politisch verfolgt werde. Dass die türkischen Strafverfolgungsbehörden seit seiner Ausreise ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet hätten, sei so das BVwG auch weder konkret dargelegt noch durch einen Strafregisterauszug belegt worden.

13 Demnach lagen die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung nicht vor.

14 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des wie hier gegeben Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 22.6.2022, Ra 2021/19/0297, mwN).

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. April 2024

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