JudikaturVwGhRa 2024/19/0045

Ra 2024/19/0045 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des A D, vertreten durch Dr. Alexandra Schwarzmayr Peterleitner, Rechtsanwältin in 5730 Mittersill, Zellerstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Jänner 2024, I411 2283597 1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der minderjährige Revisionswerber ist tunesischer Staatsangehöriger. Seine Mutter als gesetzliche Vertreterin stellte für ihn am 15. November 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 21. November 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG soweit hier wesentlich aus, dass schon das Vorbringen seiner Eltern und seines Bruders nicht asylrelevant gewesen sei. In Tunesien sei es rechtlich möglich, vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Daher lasse sich keine drohende Verfolgung des Revisionswerbers wegen der Konversion oder aufgrund seines Namens ableiten. Aus den Länderberichten gehe überdies nicht hervor, dass Personen, welche konvertiert seien, keinen Schutz der Sicherheitsbehörden vor einer potentiellen Privatverfolgung erhalten würden. Der Rückkehr stünden keine exzeptionellen Umstände oder besondere Vulnerabilitäten entgegen. Der Revisionswerber sei gesund und könne gemeinsam mit seinen Eltern nach Tunesien reisen. Diese könnten sich im Herkunftsstaat eine Unterkunft nehmen, am Erwerbsleben teilnehmen und den Revisionswerber versorgen.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, dass das BVwG eine mündliche Verhandlung hätte durchführen müssen. Das BFA habe den Sachverhalt in Bezug auf Vorbringen, wonach der Vater des Revisionswerbers „aufgrund seines Onkels bereits mehrmals Haftstrafen verbüßt“ habe, nicht ausreichend ermittelt. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt sei nicht vollständig bzw. ungenügend erhoben worden.

9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. zu diesen Leitlinien grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 12.3.2024, Ra 2024/19/0068, mwN).

10 Die Revision vermag mit ihren pauschalen Ausführungen nicht darzulegen, inwiefern das BVwG von den in dieser Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre.

11 Das BFA hat den Vater des Revisionswerbers in dessen Verfahren in Bezug auf die behauptete drohende Verfolgung durch seinen Onkel umfangreich befragt. Die Revision legt auch nicht hinreichend dar, inwiefern das BVwG in diesem Punkt von einem unzureichenden Ermittlungsverfahren hätte ausgehen müssen.

12 Soweit sich die Revision weiters gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 12.3.2024, Ra 2023/19/0235, mwN).

13 Wenn in diesem Zusammenhang eine fehlende Auseinandersetzung mit einem sich nicht in den Verfahrensakten befindlichen Haftbefehl sowie den Haftbedingungen in Tunesien moniert wird, übersieht die Revision, dass das BVwG das Vorbringen der Eltern des Revisionswerbers zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates in deren Verfahren als glaubhaft erachtete. Es verneinte eine asylrelevante Verfolgung jedoch mangels Vorliegens eines Konventionsgrundes. Somit geht auch das Vorbringen hinsichtlich der einseitigen Würdigung von Länderberichten zur Konversion und zum christlichen Namen des Revisionswerbers ins Leere.

14 Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2018/19/0576, mwN).

15 Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision, die dazu kein konkretes Vorbringen enthält, nicht einen relevanten Begründungsmangel aufzuzeigen.

16 Schließlich bemängelt die Revision, das BVwG habe sich vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Ukrainekrieges auf die tunesische Volkswirtschaft nicht ausreichend mit der Rückkehrsituation des Revisionswerbers und seiner Familie auseinandergesetzt.

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

18 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (zu all dem vgl. etwa VwGH 17.7.2023, Ra 2022/19/0184, mwN).

19 Das BVwG legte seinem Erkenntnis vorliegend das aktuelle nach dem Ausbrechen des Ukrainekrieges erschienene Länderinformationsblatt vom 3. August 2023 zu Grunde und stellte im Verfahren der Eltern des Revisionswerbers fest, dass der Vater des Revisionswerbers die Berufsreifeprüfung absolviert und im Tourismus sowie am Bau gearbeitet habe. Die Mutter des Revisionswerbers sei in Tunesien als Schneiderin tätig gewesen. Das BVwG legte mit näherer Begründung dar, dass die gesunden und arbeitsfähigen Eltern des Revisionswerbers ihren Lebensunterhalt ausreichend erwirtschaften und den Revisionswerber versorgen könnten.

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 24. April 2024

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen