JudikaturVwGhRa 2022/07/0015

Ra 2022/07/0015 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Bamer, über die Revision des Bundesministers für Land und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft in 1030 Wien, Marxergasse 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 20. Dezember 2021, Zl. LVwG 2021/26/0666 31, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Schwaz; mitbeteiligte Partei: S GmbH in F, vertreten durch die Altenweisl Wallnöfer Watschinger Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in 6020 Innsbruck, Fallmerayerstraße 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird soweit damit die Beschwerde des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans gegen die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung abgewiesen wurde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schwaz (belangte Behörde) vom 7. Jänner 2021 wurde der mitbeteiligten Partei, die einen Ski und Bergbahnbetrieb führt, neben einer hier nicht gegenständlichen Rodungsbewilligung und einer naturschutzrechtlichen Bewilligung unter Vorschreibung näher angeführter Nebenbestimmungen eine wasserrechtliche Bewilligung für die Kleinwasserkraftanlage H. erteilt.

2 Gegen diesen Bescheid erhoben der Landesumweltanwalt von Tirol und der Landeshauptmann von Tirol als wasserwirtschaftliches Planungsorgan Beschwerden.

3 Diese Beschwerden wurden vom Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit mehreren Tagsatzungen mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt 1.) und eine neue Bauvollendungsfrist festgelegt (Spruchpunkt 2.). Eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt 3.).

4 In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die von der verfahrensgegenständlichen Kleinwasserkraftanlage erzeugte elektrische Energie im Hauptverteiler des genutzten Bestandsgebäudes und somit in die Leitungsinfrastruktur der mitbeteiligten Partei eingespeist würde. Die gebäudetechnische Ausrüstung der Lagerhalle, die „8erJet“-Bergbahn und ein Panoramarestaurant sollten über die Kleinwasserkraftanlage H. versorgt werden. Überschussstrom werde in das öffentliche Spannungsnetz eingespeist. Des Weiteren solle die P. alm über eine zu verlegende Direktleitung mit von der Kleinwasserkraftanlage H. produzierter elektrischer Energie versorgt werden.

5 In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Verwaltungsgericht aufgrund einer Verschlechterung von zwei näher bezeichneten Qualitätskomponenten von einer Verschlechterung des Zustandes des vom Vorhaben betroffenen Oberflächenwasserkörpers aus, die nicht durch die Vornahme von praktikablen Vorkehrungen abgeschwächt werden könne. Hinsichtlich seiner Abwägungsentscheidung nach § 104a Abs. 2 WRG 1959 führte das Verwaltungsgericht weiter soweit für das vorliegende Verfahren maßgeblich aus, dass zwar kein übergeordnetes öffentliches Interesse am Vorhaben erblickt werden könne, aber das gegenständliche Kleinwasserkraftwerk in der Lage sei, einen Beitrag zu den energie und klimastrategischen Zielsetzungen zu leisten und dass solcherart auch die Eignung des Vorhabens dargetan werde, zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Diese Einschätzung stützte das Verwaltungsgericht auf die Aussage des energiewirtschaftlichen Sachverständigen, wonach er wegen einer ungedeckten Leistungsmenge von etwa 40 GWh pro Jahr die Schlussfolgerung in der von der mitbeteiligten Partei vorgelegten Stellungnahme, zur Erreichung der energiestrategischen Ziele sei die Errichtung weiterer Wasserkraftwerke auch in der Größenordnung des gegenständlichen Kraftwerks notwendig, nachzuvollziehen vermöge. Zudem ergebe sich infolge des Ersatzes des Dieselaggregats, mit dem der Almbetrieb bisher mit Strom versorgt worden sei, durch das Kleinwasserkraftwerk ebenfalls ein Nutzen für die menschliche Gesundheit. Der Nutzen für die nachhaltige Entwicklung und die menschliche Gesundheit übertreffe den Nutzen, den die Einhaltung des Verschlechterungsverbotes im Gegenstandsfall hätte. Die Genehmigungsvoraussetzung des § 104a Abs. 2 Z 2 WRG 1959 sei folglich wegen des übertreffenden Nutzens für die nachhaltige Entwicklung und die menschliche Gesundheit als gegeben anzunehmen. Auch eine bessere Umweltoption im Sinne des § 104a Abs. 2 Z 3 WRG 1959 sei im Verfahren nicht hervorgekommen, weshalb auch diese Genehmigungsvoraussetzung als erfüllt angesehen werden könne. Somit lägen sämtliche Voraussetzungen des § 104a Abs. 2 WRG 1959 vor, um dem Kraftwerksvorhaben die wasserrechtliche Bewilligung zu erteilen.

6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende, nach § 116 Abs. 2 WRG 1959 erhobene außerordentliche Revision, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Der Revisionswerber beantragt die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses insoweit, als die Beschwerde des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans gegen die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung abgewiesen worden war.

7 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung, in der neben dem Antrag auf Zuerkennung von Aufwandersatz die Auffassung vertreten wird, die Anträge des Revisionswerbers seien zurück , in eventu abzuweisen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 In seiner Zulässigkeitsbegründung macht der Revisionswerber ua. geltend, es fehlten maßgebliche gutachterliche Aussagen für die in der Interessenabwägung nach § 104a Abs. 2 WRG 1959 wesentlichen Bereiche. Insbesondere gebe es keine gutachterlichen Aussagen zur kontinuierlichen, lückenlosen Versorgung der Liftanlage und der sonstigen Anlagen durch das Kraftwerk in Bezug auf den Nutzen für die nachhaltige Entwicklung. Daher seien vom Verwaltungsgericht nicht alle für die Entscheidungsfindung erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen getroffen worden. Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig und auch berechtigt.

10 Im Revisionsfall ist unstrittig, dass das Vorhaben der mitbeteiligten Partei einer Prüfung nach § 104a WRG 1959 zu unterziehen war.

11 Bei der Ausnahme vom Verschlechterungsverbot müssen alle in § 104a Abs. 2 Z 1 bis 3 WRG 1959 genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen (vgl. VwGH 24.11.2016, Ro 2014/07/0101, mwN).

12 § 104a Abs. 2 Z. 2 WRG 1959 enthält zwei Tatbestände, die durch „und/oder“ zueinander in Beziehung gesetzt sind. Die Bestimmung könnte so verstanden werden, dass „übergeordnete öffentliche Interessen“ vorliegen müssen, dass aber nicht jedes derartige Interesse ausreicht, sondern nur, wenn es bestimmte Nutzenaspekte (Gesundheit, Sicherheit, nachhaltige Entwicklung) betrifft. Bei einem solchen Verständnis wäre es indessen naheliegender gewesen, beide Erfordernisse in einem einzigen Tatbestand zusammenzufassen. Zutreffend ist daher jenes Verständnis, dass es sich um zwei alternative Tatbestände (übergeordnetes öffentliches Interesse oder überwiegender Nutzen für Gesundheit, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung) handelt. Dies bedeutet, dass auch bei jenen Vorhaben, für die Gemeinwohlbelange nicht in einem solchen Ausmaß in Anschlag gebracht werden können, dass es für ein übergeordnetes öffentliches Interesse reicht, der Weg einer Ausnahmebewilligung nicht verschlossen bleiben soll. Dies aber nur, wenn ein Nutzen für bestimmte - nun aber definierte - öffentliche Interessen vorliegt (Gesundheit, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung), der dann den Nutzen der Umweltziele des WRG 1959 übertreffen muss. Bei diesem Auslegungsergebnis bleibt bei Kleinkraftwerken wie dem vorliegenden , bei dem ein übergeordnetes öffentliches Interesse nicht gegeben sein muss, immer noch die Möglichkeit einer Ausnahmebewilligung, wenn alternativ ein höherer Nutzen für die menschliche Gesundheit, Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder nachhaltige Entwicklung vorzufinden ist (vgl. erneut VwGH 24.11.2016, Ro 2014/07/0101, mwN).

13 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt es in der rechtlichen Prüfung der Abwägungsentscheidung nach § 104a Abs. 2 WRG 1959 nicht zu, seine Wertung an die Stelle jener des Verwaltungsgerichts zu setzen. Er hat sich vielmehr auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob die zu prüfende Wertentscheidung vor dem Gesetz insoweit bestehen kann, als die bei der Wertentscheidung zu berücksichtigenden Argumente ausreichend erfasst und einander gegenübergestellt worden sind und als die Wertentscheidung als solche zu den für sie maßgebenden Gesetzesvorschriften in ihrer Gesamtschau nicht in Widerspruch steht (vgl. VwGH 11.5.2021, Ra 2020/07/0058, mwN).

14 Aus den Antragsunterlagen der mitbeteiligten Partei geht übereinstimmend mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes hervor, dass mit dem durch das gegenständliche Kleinkraftwerk erzeugten Strom neben Anlagen, die ebenso dem Skibetrieb zuzurechnen sind, wie ein Restaurant im Besonderen die „8erJet“ Bergbahn versorgt werden soll.

15 Ausgehend von dem in den vorgelegten Projektunterlagen der mitbeteiligten Partei Feststellungen dazu finden sich im angefochtenen Erkenntnis nicht angegebenen Verbrauch benötige die „8erJet“ Bergbahn 80 % des gesamten Stromverbrauches des Skibetriebes in der Höhe von 1,2 Mio kWh.

16 Die P.-alm verbrauche nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes jährlich ungefähr 10.000 Liter Diesel, was den Ausführungen des energiewirtschaftlichen Sachverständigen nach einem Energieverbrauch von rund 32.000 kWh entspreche.

17 Daraus ist zu schließen, dass der Energieverbrauch der „8erJet“ Bergbahn einen Großteil der elektrischen Energie umfassen würde, die mit dem gegenständlichen Kleinwasserkraftwerk produziert werden soll.

18 In diesem Zusammenhang bringt der Revisionswerber zu Recht vor, im angefochtenen Erkenntnis komme nicht hinreichend klar zum Ausdruck, dass die vom geplanten Kleinwasserkraftwerk in erster Linie intendierte Versorgung der Liftanlage mit Strom aus erneuerbarer Energie gerade in den für den Liftbetrieb bedeutsamen Wintermonaten aufgrund der in diesem Zeitraum geringen Abflussmengen deutlich reduziert wäre.

19 Denn mit diesem Vorbringen stimmen die Ausführungen des energiewirtschaftlichen Sachverständigen überein, aus dessen Befund seines Gutachtens vom 6. Juli 2021 sich ergibt, dass die gewonnene Energie jedenfalls in den Monaten von Dezember bis März im Vergleich zu den Monaten Mai bis August nur ein Bruchteil beträgt und sehr gering ausfällt.

20 Eine Berücksichtigung dieses Arguments hinsichtlich des von der mitbeteiligten Partei als Konsenswerberin primär intendierten Versorgungszweckes des Vorhabens in der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Wertentscheidung nach § 104a Abs. 2 WRG 1959 und insbesondere bei der Beurteilung des Vorliegens eines Nutzens für die nachhaltige Entwicklung findet sich nicht. Dies wäre aber geboten gewesen, zumal auch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Gewährung einer Ausnahme vom Verschlechterungsverbot festgehalten hat, dass die Gründe für ein Vorhaben im Einzelnen darzulegen sind (vgl. EuGH 4.5.2016, Kommission/Österreich , C 346/14, Rn. 66).

21 Da das Verwaltungsgericht nicht davon ausging, dass es dieses Argument in seine Abwägungsentscheidung einzubeziehen gehabt hätte, fehlen dafür auch notwendige Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis etwa dazu, in welchen Monaten die Anlagen des Bergbahnbetriebes der mitbeteiligten Partei, für deren Stromversorgung die gegenständliche Kraftwerksanlage in erster Linie geplant ist, betrieben werden und auf gutachterliche Aussagen gründende Feststellungen, zu welchem Anteil die Anlagen des Bergbahnbetriebes mit dem durch das Wasserkraftwerk H. produzierten Strom versorgt werden können.

22 Dafür, dass das Verwaltungsgericht diesen vom Revisionswerber angeführten Umstand nicht hinreichend berücksichtigte, spricht auch seine eigene Begründung. Denn hinsichtlich der Beurteilung des Nutzens für die menschliche Gesundheit stellte das Verwaltungsgericht anders als bei der Beurteilung des Nutzens für die nachhaltige Entwicklung stark auf den weiteren geplanten Versorgungszweck, nämlich, dass mit dem Vorhaben der Strom für den Almbetrieb geliefert werden soll und so als Folge der Einsatz eines Dieselaggregats vermieden werde, ab.

23 So verfängt sich auch die mitbeteiligte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung, wenn sie vorbringt, es sei letztlich von untergeordneter Bedeutung, ob die gegenständliche Energieerzeugungsanlage eine lückenlose Versorgung der Liftanlagen gewährleisten könne, in Widersprüche und ist diesem Vorbringen schon deshalb nicht zu folgen. Denn in diesem Zusammenhang argumentiert die mitbeteiligte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung konträr dazu, dass sie ihren Eigenbedarf möglichst selbst decken wolle und aufgrund der damit einhergehenden wirtschaftlichen Stärkung eines für die Region volkswirtschaftlich relevanten Betriebes ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung vorliege.

24 Das Verwaltungsgericht hat es im Ergebnis infolge einer nicht ausreichenden Erfassung der bei der Wertentscheidung zu berücksichtigenden Argumente unterlassen, alle für die Abwägungsentscheidung nach § 104a Abs. 2 WRG 1959 notwendigen Feststellungen zu treffen und liegt deswegen ein sekundärer Verfahrensmangel vor, weshalb das angefochtene Erkenntnis soweit damit die Beschwerde des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans gegen die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung abgewiesen wurde wegen vorrangig aufzugreifender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

25 Auf das übrige Revisionsvorbringen musste in Anbetracht dieses Ausganges nicht mehr eingegangen werden. Auch die in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgeworfene Rechtsfrage, welche Tätigkeiten unter den Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ im Sinne des § 104a Abs. 2 Z 2 WRG 1959 fallen könnten, bleibt angesichts der vom Verwaltungsgericht zu ergänzenden Interessenabwägung nach § 104a Abs. 2 WRG 1959 eine solche abstrakter Natur (vgl. zur verneinten Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Lösung abstrakter Rechtsfragen etwa VwGH 21.12.2023, Ra 2023/07/0091, mwN). Denn sollten die weiteren vom Verwaltungsgericht vorzunehmenden Ermittlungen ergeben, dass der von der Kraftwerksanlage H. produzierte Strom nur in einem ungeordneten Verhältnis zum Betrieb der Anlagen des Bergbahnbetriebes genutzt werden kann, erübrigte sich die Beurteilung der Frage, ob eine Stromerzeugung aus Wasserkraft, die primär dem Zweck des Betriebes eines Skiliftes dient, unter den Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ fallen kann.

Wien, am 10. April 2024

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