JudikaturVwGhRa 2022/04/0056

Ra 2022/04/0056 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des H K in T, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Mag. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2021, Zl. W176 2248683 1/3E, betreffend eine datenschutzrechtliche Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Datenschutzbehörde; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt in 1020 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 1. Mit Datenschutzbeschwerde vom 29. September 2020 machte der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, eine Verletzung im Recht auf Berichtigung gemäß Art. 16 Datenschutz Grundverordnung (DSGVO) geltend, weil die mitbeteiligte Partei (Pensionsversicherungsanstalt) als datenschutzrechtliche Verantwortliche seinem Antrag auf Berichtigung seines Geburtsdatums nicht entsprochen habe.

2 Mit Bescheid vom 30. September 2021 wies die Datenschutzbehörde (DSB, belangte Behörde) diese Datenschutzbeschwerde als unbegründet ab.

3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Dezember 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

4 Das BVwG legte seiner Entscheidung im Wesentlichen folgenden Sachverhalt zugrunde: Der Revisionswerber habe bei der mitbeteiligten Partei am 7. November 2008 einen Antrag auf Zuerkennung einer Invaliditätspension/Berufsunfähigkeitspension gestellt und dabei den 4. Februar 1960 als Geburtsdatum angegeben. Dieses Datum sei auch auf den dabei vorgelegten Urkunden (türkischer Personalausweis bzw. Heiratsurkunde) angeführt gewesen. Mit Urteil des Amtsgerichtes K (Türkei) vom 16. Juni 2020 sei sein Geburtsdatum auf den 4. Februar 1954 korrigiert worden. In dem am 17. Juni 2020 ausgestellten türkischen Reisepass des Revisionswerbers scheine ebenfalls das korrigierte Geburtsdatum auf.

5 In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das BVwG zunächst auf die Regelung des § 358 ASVG, der zufolge für die Feststellung des Geburtsdatums der versicherten Person deren erste schriftliche Angabe gegenüber dem Versicherungsträger heranzuziehen ist. Von dem so ermittelten Geburtsdatum darf (abgesehen vom Vorliegen eines offensichtlichen Schreibfehlers) nur dann abgewichen werden, wenn sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe der versicherten Person gegenüber dem Versicherungsträger ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt. Diese Regelung, so das BVwG, solle Missbräuchen im Zusammenhang mit altersbezogenen Leistungsansprüchen vorbeugen; es werde an jenem Pensionsalter festgehalten, dass sich aus dem während des Anwartschaftserwerbs maßgeblichen Geburtsdatum errechne. Im Verfahren in Verwaltungs- oder Leistungssachen sei dem Versicherungsträger die Korrektur des ihm gegenüber angegebenen Geburtsdatums verwehrt, soweit nicht einer der taxativ aufgezählten Fälle für eine Abweichung vorliege. Zudem sehe § 21 Abs. 1 der Datenschutzverordnung für die gesetzliche Sozialversicherung vor, dass das Recht auf Berichtigung nach Art. 16 DSGVO nur insoweit bestehe, als nicht andere gesetzliche Vorschriften wie etwa § 358 ASVG entgegenstünden.

6 Weiters verweist das BVwG auf die Regelung des Art. 16 DSGVO, der zufolge eine betroffene Person das Recht habe, die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen. Allerdings könnten die Mitgliedstaaten gemäß Art. 23 DSGVO Beschränkungen vorsehen. Die Bestimmungen des § 358 ASVG und des § 21 Abs. 1 der Datenschutzverordnung für die gesetzliche Sozialversicherung seien als derartige Beschränkungen anzusehen. In der Folge legte das BVwG näher dar, dass die Voraussetzungen für eine zulässige Beschränkung nach Art. 23 DSGVO vorliegend gegeben seien: So widerspreche § 358 ASVG nicht dem Wesensgehalt des Berichtigungsrechts. Die Regelung sei geeignet, Missbräuchen vorzubeugen und damit einem wichtigen wirtschaftlichen oder finanziellen Interesse der Republik Österreich im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der sozialen Sicherheit zu dienen. Schließlich sei die Norm auch verhältnismäßig, zumal sie das Recht auf Berichtigung nicht gänzlich beseitige, sondern nur für eine bestimmte Konstellation Ausnahmen zulasse. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers habe § 358 ASVG daher nicht unangewendet zu bleiben.

7 3. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B VG, deren Behandlung vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 28. Februar 2022, E 354/2022, unter Verweis auf VfGH 26.11.2020, E 3828/2019, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde.

8 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben.

9 4. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 5. Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verhältnis zwischen Art. 16 DSGVO und § 358 ASVG. Da Art. 16 DSGVO dem Revisionswerber das Recht auf Berichtigung einräume, hätte § 358 ASVG unangewendet bleiben müssen. Zudem habe das BVwG mit Verweis auf § 358 ASVG jegliche Ermittlungstätigkeit zum wahren Alter des Revisionswerbers unterlassen und sein Erkenntnis daher mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet.

13 § 358 ASVG bestimmt, dass für die Feststellung des Geburtsdatums der versicherten Person die erste schriftliche Angabe der versicherten Person gegenüber dem Versicherungsträger heranzuziehen ist und von dem so ermittelten Geburtsdatum - abgesehen vom Vorliegen eines offensichtlichen Schreibfehlers - nur dann abgewichen werden darf, wenn sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe der versicherten Person gegenüber dem Versicherungsträger ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt. Die Erläuterungen (RV zu 834 BlgNR 21. GP 9) halten dazu fest, dass sich die Regelung an die in Deutschland maßgebliche Bestimmung des § 33a SGB I anlehnt und dass sie Schwierigkeiten begegnen soll, die im Zusammenhang mit der Änderung von Geburtsdaten ausländischer Staatsbürger aufgetreten sind.

14 5.1. Der Oberste Gerichtshof hat zu dieser (als „Vorbildregelung“ dienenden) deutschen Regelung festgehalten, der deutsche Gesetzgeber habe damit die unbedingte Anknüpfung an das „wahre“ Geburtsdatum aufgegeben und für den Geltungsbereich des SGB das maßgebliche Geburtsdatum eigenständig definiert (OGH 12.5.2009, 10 ObS 76/09p, mwN). Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 26. November 2020, E 3828/2019, im Zusammenhang mit der Prüfung einer behaupteten Verfassungswidrigkeit des § 358 ASVG aus Anlass einer vergleichbaren Fallkonstellation festgehalten, das datenschutzrechtliche Berichtigungsrecht nach § 1 Abs. 3 DSG hindere weder den Gesetzgeber, ein vom biologischen Geburtsdatum abweichendes Datum (§ 358 ASVG) als Stichtag zur Beurteilung (ua.) altersbezogener Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung heranzuziehen, noch eigne es sich dazu, das biologische Geburtsdatum an die Stelle des „sozialversicherungsrechtlichen Geburtsdatums“ (§ 358 ASVG) zu setzen, weil es sich um unterschiedliche Datenkategorien handelt.

15 Ob vor dem Hintergrund dieser Aussagen vorliegend ein Anwendungsfall einer Berichtigung nach Art. 16 DSGVO überhaupt dem Grunde nach gegeben ist, kann aus nachstehenden Erwägungen letztlich dahingestellt bleiben:

16 5.2. Das BVwG hat die Abweisung der Beschwerde (und damit auch der Datenschutzbeschwerde) des Revisionswerbers nämlich tragend damit begründet, dass es sich bei der Regelung des § 358 ASVG um eine zulässige Beschränkung gemäß Art. 23 DSGVO handelt (vgl. dazu auch § 21 Abs. 1 der auf § 31 Abs. 12 ASVG gestützten Datenschutzverordnung für die gesetzliche Sozialversicherung [SV DSV 2018], avsv Nr. 79/2018, demzufolge das Recht auf Berichtigung personenbezogener Daten nach Art. 16 DSGVO in den Stammdaten der Sozialversicherung nur insoweit besteht, als nicht andere gesetzliche Vorschriften bestehen, und der diesbezüglich ausdrücklich auf § 358 ASVG betreffend die Feststellung des Geburtsdatums verweist).

17 Gegen diese Auffassung bringt der Revisionswerber in seinem Zulässigkeitsvorbringen nichts Konkretes vor. Es wird somit nicht aufgezeigt (und ist auch nicht ersichtlich), dass die Beurteilung des BVwG, die Regelung des § 358 ASVG diene der Sicherstellung eines wichtigen Ziels des allgemeinen öffentlichen Interesses (im Sinn des Art. 23 Abs. 1 lit. e DSGVO) und der damit verbundene Eingriff in das Recht auf Berichtigung sei zur Erreichung dieses Zieles notwendig, geeignet und auch verhältnismäßig, unvertretbar gewesen wäre (vgl. dazu, dass die Prüfung, ob eine nationale Bestimmung nach Art. 23 Abs. 1 [dort: lit. f und j] DSGVO zur Zielverfolgung notwendig ist und zu diesen Zielen in einem angemessenen Verhältnis steht, Sache des nationalen Gerichts ist, EuGH 2.3.2023, C 268/21, Norra Stockholm Bygg , Rn. 39). In diesem Zusammenhang kann auch auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes verwiesen werden, der zufolge die Regelung des § 358 ASVG erkennbar den Zweck verfolgt, der Gefahr einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen mittels nachträglicher Änderung des Geburtsdatums zu begegnen (vgl. OGH 8.6.2004, 10 ObS 200/03i; vgl. weiters OGH 11.10.2016, 10 ObS 124/16g, Pkt. 2.3, wo unter Bezugnahme auf die Regelung des deutschen § 33a SGB I darauf verwiesen wird, dass die in verschiedenen ausländischen Rechtsordnungen vorgesehene Möglichkeit, das Geburtsdatum durch gerichtliche Entscheidung zu ändern, zur Vermeidung missbräuchlicher Inanspruchnahme von Sozialleistungen grundsätzlich keine Berücksichtigung finden soll).

18 Ausgehend davon wird aber hinsichtlich der Anwendung des § 358 ASVG durch das BVwG keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt.

19 5.3. Gleiches gilt im Ergebnis für den ins Treffen geführten Verfahrensmangel der unterbliebenen Ermittlungstätigkeit. Bei einer wie dargelegt: fallbezogen nicht zu beanstandenden Anwendung des § 358 ASVG war die Ermittlungstätigkeit des BVwG auf die Frage beschränkt, ob sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe der versicherten Person gegenüber dem Versicherungsträger ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt (vgl. zur Beschränkung der Ermittlungspflicht OGH 8.6.2004, 10 ObS 200/03i; weiters OGH 11.10.2016, 10 ObS 124/16g, Pkt. 6.1 und 7). Das Vorhandensein einer derartigen (vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe der versicherten Person gegenüber dem Versicherungsträger ausgestellten) Urkunde wird vom Revisionswerber aber nicht behauptet und ist dem angefochtenen Erkenntnis auch nicht zu entnehmen.

20 6. In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

21 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 8. April 2024

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