JudikaturJustizOp4/11

Op4/11 – OPMS Entscheidung

Entscheidung
30. November 2011

Kopf

Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Präsidentin des Obersten Patent- und Markensenates, Präsidentin des OGH Dr. Irmgard GRISS und die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Hofrätin des OGH Dr. Elisabeth LOVREK und Dr. Ljiljana PANTOVIC als rechtskundige Mitglieder und die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dipl.-Ing. Christian KÖGL und Dipl.-Ing. Ferdinand KOSKARTI als fachtechnische Mitglieder in der Patentrechtssache der Antragsteller 1. A *****  G m b H ,  *****  2. I n g . A *****, 3. I n g . G *****, vertreten durch Schwarz Partner Patentanwälte, Wipplingerstraße 30, 1010 Wien, gegen die Antragsgegnerin D *****  G m b H , ***** vertreten durch Gibler Poth Patentanwälte OG, Dorotheergasse 7/14, 1010 Wien, wegen Nichtigerklärung des Patentes AT 410 377 B, über die Berufung der Antragsgegnerin gegen die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 19. August 2010, Zl N 12/2009-3,4 entschieden:

Spruch

Der Berufung wird keine Folge gegeben.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, den Antragstellern die mit 3.684,71 EUR (darin enthalten 614,11 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

G r ü n d e :

Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das österreichische Patent der Antragsgegnerin AT 410 377 B mit Priorität vom 27. Juli 1998. Das bekämpfte Patent AT 410 377 B betrifft eine Getränkeausgabevorrichtung mit einem zentralen Mehrfach-Ausschankventil zur Getränkeportionierung von zwei oder mehreren Getränkearten.

Der Hauptanspruch 1 des Streitpatents hat folgenden Wortlaut:

1. Getränkeausgabevorrichtung (Merkmal a )

mit einem zentralen Mehrfach-Ausschankventil zur Getränkeportionierung von zwei oder mehreren Getränkearten, (Merkmal b )

insbesondere von Getränkesirup und Verdünnungsflüssigkeit, z.B. Sodawasser, enthaltenden Getränken, (Merkmal b’ )

und einer auf einer Bedienfläche des Vorrichtungsgehäuses angeordneten Eingabeeinheit zur Steuerung des zentralen Mehrfach-Ausschankventils, (Merkmal c )

dadurch gekennzeichnet, dass

die Eingabeeinheit durch zumindest einen – an sich bekannten – berührungssensitiven Bildschirm (1) gebildet ist, (Merkmal d )

dass der Bildschirm (1) mit einer zentralen Steuervorrichtung verbunden ist, (Merkmal e )

mit der auf dem Bildschirm (1) eine Vielzahl den Ausschank von Getränken betreffende Eingabefelder (4, 5) darstellbar sind, (Merkmal f )

wobei den Eingabefeldern (4, 5) vorbestimmbare Getränkeparameter, z.B. Getränkeart, Ausschankvolumen, Mischungsverhältnis, Anzahl der Getränke oä

oder die Abgabe der Getränke betreffende Funktionen zugeordnet sind (Merkmal g ).

Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass Beilage ./D1 (DE 38 12 450 A1) der nächstliegende Stand der Technik ist. Unstrittig ist ferner, dass der Patenthauptanspruch 1 gegenüber Vorhalt DE 38 12 450 A1 neu ist; ein berührungssensitiver Bildschirm (Merkmal d ) scheint nicht auf. Die Neuheit des Hauptanspruchs 1 des Streitpatentes ist daher außer Streit gestellt.

Die Antragsteller beantragen die Nichtigerklärung des Patents (Hauptanspruch 1 und Unteransprüche 2 bis 6) wegen des Fehlens einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Antragsgegnerin hält dem entgegen, dass sich die Lösung der gestellten Aufgabe für den Fachmann nicht aus den von den Antragstellern vorgelegten Vorhalten ergeben habe.

Die Nichtigkeitsabteilung erklärte die Ansprüche 1 bis 4 für nichtig und wies den Antrag hinsichtlich der Ansprüche 5 und 6 (rechtskräftig) ab. Der Einsatz von berührungssensitiven Bildschirmen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Getränken sei dem Fachmann bereits vor dem Anmeldetag des Streitpatents bekannt gewesen. Er habe auch Veranlassung gehabt, zur Lösung der Aufgabe einen berührungssensitiven Bildschirm vorzusehen.

In ihrer Berufung strebt die Antragsgegnerin die gänzliche Abweisung des Nichtigkeitsantrags an.

Die Antragsteller beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Inhaltlich bekämpft die Berufung nur die Nichtigerklärung des Hauptanspruchs 1. Eine Begründung, inwiefern die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung zu den Unteransprüchen 2 bis 4 unrichtig ist, lässt die Berufung, die sich auf die zusätzlichen Merkmale der Unteransprüche nicht bezieht, vermissen.

2. Strittig ist im Berufungsverfahren daher nur mehr, ob Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

2.1 Eine Erfindung beruht nach Art 56 EPÜ auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Fachmann aufgrund des Standes der Technik zu ihr hätte gelangen können,

2.2 sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (17 Ob 24/09t – Nebivolol mwN).

2.3 Diese Prüfung erfolgt insbesondere nach dem vom Europäischen Patentamt herangezogenen Aufgabe – Lösungsansatz (OPM Op 6/08 PBl 2009, 107; OGM 1/10 PBl 2011, 71). Dafür ist zuerst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, dann die zu lösende objektive technische Aufgabe zu bestimmen und schließlich zu prüfen, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven Aufgabenstellung für den Durchschnittsfachmann naheliegend gewesen wäre.

2.4 Nächstliegender Stand der Technik ist unstrittig die Beilage ./D1. Der Unterschied zwischen Anspruch 1 und dem aus Beilage ./D1 bekannten Stand der Technik besteht in der Verwendung eines berührungssensitiven Bildschirms („Touch-Screen“). Die Getränkeausgabevorrichtung nach Beila-ge ./D1 weist eine zentrale Steuereinrichtung (entsprechend Merkmal e) auf. Diese zentrale Steuereinrichtung muss mit der Eingabeeinheit in Verbindung stehen. Die Eingabeeinheit wird in Beilage ./D1 durch dreizehn verschiedene Drucktaster realisiert, wobei beispielsweise sechs Geschmacksrichtungen und/oder unterschiedliche Portionsgrößen auswählbar sind. Somit sind auch die Merkmale f und g aus der Beilage ./D1 ersichtlich.

2.5 Die objektiv zu lösende technische Aufgabe bestand darin, eine Steuerung der Ausgabe einer Vielzahl von Getränken auf einer relativ kleinen Fläche sowie eine Verkleinerung des Vorrichtungsgehäuses bei gleichzeitiger Verringerung der mechanischen Abnützung der Eingabeelemente zu erreichen.

2.6 Die Berufung bestreitet die Richtigkeit der Auffassung der Nichtigkeitsabteilung mit dem Argument, dass das Wissen über berührungssensitive Bildschirme zum Anmeldezeitpunkt (1998) nicht mit dem heutigen Verständnis gleichgesetzt werden könne. Die Nichtigkeitsabteilung habe den heutigen Wissensstand „unterschoben“.

2.7 Dem Durchschnittsfachmann waren allerdings die Vorteile der Verwendung eines berührungsempfindlichen Bildschirms auch im Zusammenhang mit dem Verkauf von Speisen und Getränken vor dem Anmeldetag bereits bekannt (vergleiche die vorveröffentlichten Beilagen ./D2 - US 5 724 069 A, ./D15 - US 5 729 250 A, ./D16 - US 5 602 730 A, ./D21 – US 5 685 435). Der Durchschnittsfachmann hatte auch Veranlassung, anstelle der unhandlicheren und leichter dem mechanischen Versagen unterworfenen Drucktaster einen ihm zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatents bereits bekannten berührungssensitiven Bildschirm vorzusehen, um die im Streitpatent beschriebenen Nachteile zu vermeiden. So drängt sich die in der Beilage ./D21 gezeigte Lösung förmlich auf: Beilage ./D21 beschreibt einen Verkaufsautomaten für Süßigkeiten, wobei die verschiedenfärbigen bzw verschiedenartigen Süßigkeiten zwar in einzelnen, eigenen Behältern im Inneren des Automaten untergebracht sind, jedoch über ein einziges zentrales Ausgabeventil abgewogen in einen Becher geleitet werden (vergleiche insbesondere Figur 2). ./D21 sieht dabei die Auswahl der Süßigkeits-Mischungen beispielsweise anhand bestimmter Farben über einen berührungsempfindlichen Touch-Screen vor (Bezugszeichen 120 in Figur 2).

2.8 Die Nichtigkeitsabteilung ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass ein berührungssensitiver Bildschirm nur dann bestimmungsgemäß funktionieren kann, wenn Tastenfelder definiert werden, denen eine, je nach Einsatzgebiet vom zuständigen Fachmann definierte, Information bzw Bedeutung mitgegeben wird. Um diese Wirkung zu erzielen, hätte der Durchschnittsfachmann – ein Ingenieur der Elektrotechnik, der die prinzipielle Funktionsweise einer zentralen Steuervorrichtung kennt –, im maßgebenden Zeitpunkt erkannt, dass ein berührungssensitiver Bildschirm die Funktion einer Eingabeeinheit übernehmen kann. Der Fingerdruck eines Bedieners wird von der berührungssensitiven Schicht wahrgenommen und als Betätigung des Eingabefeldes an die zentrale Steuervorrichtung gemeldet. Für eine bestimmungsgemäße Funktion ist es ferner unerlässlich, dem Bediener visuell am Bildschirm anzuzeigen, wo sich das Eingabefeld befindet und welche Funktionen dieses erfüllt. Daher sind die beschrifteten Drucktaster und die mit einer visuellen Information ausgestatteten Eingabefelder eines berührungssensitiven Bildschirms als gleichwertige technische Lösung anzusehen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass beim Drucktaster die visuelle Information auf bzw über dem berührungssensitiven Taster angeordnet ist, während beim berührungsempfindlichen Bildschirm die visuelle Information unterhalb des berührungssensitiven Bereichs erscheint.

2.9 Der Gegenstand des Hauptanspruchs 1 ist somit nicht als erfinderisch zu beurteilen, weil er lediglich auf einer Kombination bereits bekannter technischer Problemlösungen beruht. Der Berufung ist daher ein Erfolg zu versagen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 122 Abs 1 und § 140 Abs 1 PatG iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage wurde in der mündlichen Berufungsverhandlung mit 72.700 EUR außer Streit gestellt. Der dreifache Einheitssatz nach § 23 Abs 9 RATG deckt auch die Verrichtung der Berufungsverhandlung. Ein Kostenersatz für die von der Antragsgegnerin erhobenen Einwendungen gegen das in der nach 31. Dezember 2010 abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung gelegte Kostenverzeichnis der Antragstellerin findet in sinngemäßer Anwendung des § 54 Abs 1a letzter Satz ZPO in der Fassung BGBl 2011/108 nicht statt.

Abbildung 1 (Streitpatent AT 410 377 B):

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